7. September 1278 / 13:00 Uhr
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Das war es also. Helene Henrietta Helbel, Tochter der Gräfin Helbel, stand vor den verlotterten Überresten eines einstigen Warenpostens und betrachtete das morsche Holz, welches die verfaulten Balken des Hauses einkleideten. Das also sollte eines Tages ein Armenhaus werden. Vermutlich würde man sie für vollkommen verrückt erklären - der Adel schüttelte sowieso schon die Köpfe über die eigensinnige Frau, die sich mit spitzen Ellenbogen durch die höheren Kreise boxte und jedem auf den Fuss trat der ihr im Weg war. Jetzt hatte sie die Hände in die Hüften gestemmt und wirkte wahrlich nicht so, als wäre der Entschluss ob des maroden Zustandes des Hauses ins wanken geraten. Im Gegenteil. Ihre Augen blitzten kampfbereit und ihr Mund kräuselte sich entschlossen. Sie würde hier das Armenenhaus eröffnen und danach vielleicht ein Frauenhaus. Zwei Baustellen, nichts was die Adelstochter nicht würde anpacken können. Schon immer war sie eine Verfechterin der Gleichberechtigung, auch Novigrad würde ihre Meinung nicht zum wanken bringen. Und ihre Mutter... An diese dachte sie mit einem leisen Schnauben, denn obwohl Mutter und Tochter im manchem gleicher Ansichten waren, waren sie in anderem vollkommen verschieden. Und darum hatte Helene das Geld für den Aufbau des Armenhauses selbst in die Hand genommen. Als Medizinerin konnte sie sich nicht beklagen und auch wenn sie mit dem Adel manches mal im Krieg lag, so sahen sie darüber hinweg, wenn es um die eigene Gesundheit ging. Und mit genau diesem Geld finanzierte Helene ihre Projekte.
Kurz huschte ein zufriedenes Lächeln über ihr Gesicht. Sie fiel auf, hier inmitten der heruntergekommenen Strasse des Viertels, welches sich Scherben nannte. Hier wollte niemand wirklich hin, ausser die Armen und Verstossenen und Anderlinge - oder solche, die kriminellen Machenschaften nachgingen. Davon liess sie sich jedoch nicht abschrecken und der Dreck am Saum ihrer Kleidung, um den scherte sie sich nicht. Schmuck trug sie kaum, zu klauen gab es bei ihr wenig - das Kleid war wohl das wertvollste an ihrer Gestalt. Doch auch dieses war von schlichter Machart, wenn auch von Qualität. Es musste bequem sein, sie nicht einengen und ihr Raum zum Laufen geben. Die dunkelbraune Mähne hatte sie sich locker hochgesteckt und ihr Gesicht war vollkommen ungepudert oder sonstwie zurecht gemacht. Eine durch und durch natürliche Frau. Ihr Leib war zwar schlank, aber keineswegs dünn. Weibliche Rundungen waren vorhanden - als Mann würde sie nicht durchgehen können. Jene Frau also, die nicht im Dreck geboren worden war, fasste den Entschluss die Stadtwache aufzusuchen. Sie sollten zusehen, dass sie öfters auch in diesen Strassen patroullierten und sie sollten wissen, dass hier zwei Projekte entstehen würden. Wenn sie daran dachte, dass manche Frauen vor ihren Peinigern flüchten mussten, weil sie sonst im Fluss landen oder zu Tode geprügelt werden... oder Kinder sich selbst überlassen wurden, hart arbeitende Menschen aller Völker einfach auf die Strasse geworfen wurden weil sie zu alt waren... Wut stieg in ihr auf. Wut auf die Ungerechtigkeit in dieser Welt. Wut über den Hass untereinander, über die Gewalt, den blinden Fanatismus... Sie atmete leise durch, sah noch einmal über die Fassade des Hauses und wandte sich dann zum gehen um. Ihr erstes Ziel, die Stadtwache.