Es dauerte einige Zeit, bis Lysira fündig wurde. Wohl hätte sie schneller etwas gefunden, wenn sie in die entgegengesetzte Richtung aufgebrochen wäre und sich den verbleibenden Elfen, die den Hexer verfolgten angenommen hätte, aber er war trotz allem immer noch ein Hexer und ehe sie ihre Jagd fortsetzte, hatte sie sich vor allem darauf konzentriert, möglichst viel Distanz zwischen sich und den Monsterschlächter zu bringen.
Nach einiger Zeit fand sie den Tross, den sie gesucht hatte. Ein Wagen, mehrere Pferde, sieben bewaffnete Männer. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass es so viele waren. Anscheinend hatte sich der Rest der Bande zusammengerauft, weil sie befürchteten das mysteriöse Verschwinden ihrer Kameraden sei auf einen Kopfgeldjäger zurückzuführen. Ein Teil der Bande schien sogar der festen Ansicht, dass man ihnen einen Hexmann auf den Hals gehetzt habe, während der Anführer darauf beharrte, dass Hexmänner nur Ungeziefer und Missgeburten, die so fürchterlich waren wie sie selbst zur Strecke brächten. Zumindest ging dies aus dem angeregten Gespräch hervor, das Lysira aus dem Dickicht heraus belauschte. Als schließlich jener Anführer seiner Truppe befahl, sich abreisefertig zu machen, während er sich aufmachte, seine Blase zu entleeren und danach den kleinen See, der eher ein Tümpel war aufzusuchen, um seinen Wasservorrat aufzufüllen, sah die Bruxa ihre Gelegenheit gekommen. Sie positionierte sich im See, ungefähr hüfthoch im Wasser stehend mit dem Rücken zu der Stelle, wo der Bandit auftauchen würde, legte die Haare wieder so über die Wunde, dass sie versteckt lag und begann sich in scheinbarer verträumter Ruhe zu waschen, während sie sang.
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https://youtu.be/cdKC1V66O-4]
Sie hörte ihn in ihre Falle tappen, noch ehe er etwas sagte, das Lied unterbrach.
„Na wen haben wir denn hier? Bist sicher ziemlich weit weg von Zuhause… hast du dich verlaufen?“
Sie hörte das grobe Platschen, als er ins Wasser kam, hielt inne ohne sich zu rühren, als wäre sie erstarrt. „Hmm…“, sagte sie in hohem, mädchenhaften Tonus, ohne sich umzuwenden. Das Plätschern kam näher.
„Wenn du ganz brav bist, nehmen wir dich mit, meine Jungs und ich…“
Sie konnte sein Grinsen quasi hören, ebenso wie seinen schweren Atem, der näher kam.
„D-das ist sehr f-freundlich von Euch. A-aber was meint Ihr mit b-brav?“ Noch immer wandte sich Lysira nicht um. Ganz langsam setzte sie sich in Bewegung, parallel zum Ufer von ihm weg, langsam genug, dass es ihm nicht schwerfiel, hinterher zu kommen.
Er lachte. „Das weißt du bestimmt, und wenn nicht, wirst du‘s heute lernen.“
Mühelos schloss er zu ihr auf, sie beschleunigte ihre Bewegungen, gezielt ineffektiv, ließ sie panisch wirken.
„Nein! Bitte… ich bin noch Jungfrau!“
Eine Hand an ihrer Schulter. Sie befand, dass er schuldig genug war, schien wieder kurz zu erstarren, ließ sich von ihm packen und umdrehen. Vielleicht hätte er etwas merken können angesichts dessen, dass sie sich ebenso kalt anfühlte wie der See in dem sie standen. Doch das Blut sammelte sich gerade an anderer Stelle als in seinem Gehirn. Und so kam sein Schreckensmoment etwa 1-2 Sekunden später, als sein Blick auf den herausragenden Schlüsselbeinknochen fiel, die die totenblasse Haut, die sich dünn über den ausgemergelten Körper zog, an einigen Stellen so tief eingerissen, dass man weitere Knochen darunter hervorblitzen sah. Ihr Gesicht schien sogar noch blasser als ihr Körper, dunkle Adern schufen hier entsprechende Kontraste. Dunkle Schatten hatten sich um pechschwarze Augen gelegt, die Augen eines Monsters und sie fixierten ihn. Als er in Panik geriet und einen Sprung rückwärts machen wollte, kam er nicht weg, sie hatte ihre Arme um ihn gelegt und hielt ihn mit unmenschlicher Kraft fest.
Die pechschwarzen Lippen verzogen sich erst zu einem kindlichen Lächeln, dann zu einem immer breiter werdenden Grinsen. Zu weit um anatomisch noch korrekt sein zu können und die Reihen Rasiermesserscharfer Haifischartiger Zähne kamen zum Vorschein. Sie lachte. Kalt, unnatürlich, verzerrt.
„Warum denn so eilig? Du wolltest mir doch noch zeigen, wie man ein braves Mädchen ist.“
Sie kostete seine Angst, seine blanke Panik noch einen Moment aus, spürte wie er in ihren Armen zappelte, sich freizukämpfen versuchte, schrie. Doch der Durst war inzwischen zu seinem eigenen Glück größer als ihr Spieltrieb. Sie biss zu, während ihre langen Krallen sich tief in seinen Rücken bohrten. Sie drängten sich durch Haut, Muskeln, Sehnen, Knochen… zwischen den weichen warmen Organen vorbei. An ihrer Hand fühlte sie das Herz Pumpen. So viel Blut, so viel Leben. Sie trank gieriger, trank seine Angst. Welch betörender Rausch. Schon spürte sie, wie ihre blutverschmierten Krallen, die vorne aus ihm herausschauten ihren eigenen Körper berührten. Das Pumpen wurde schwächer, sein Herzschlag versiegte. Schade irgendwie. Es war zu schnell gegangen. Sie wollte mehr.
Mit einem kräftigen Ruck riss sie seinen Körper auseinander. Es war keine saubere Zerteilung, aber brachte den erhofften Effekt: Das restliche Blut, das sich noch in seinem Organismus befand spritzte ihr entgegen. Sie gab ein wohliges Schnurren von sich, empfing es mit ihrer Haut wie einen warmen Sommerregen. Und sie wollte immer noch mehr… mit einem Platschen fiel der zerrissene Tote vor ihr ins Wasser. Sie schaute in seine leeren, gen Himmel gerichteten Augen. Berauscht und doch unbefriedigt.
Sie wollte mehr… und sie wusste, es gab noch mehr von ihnen. Die Stimme der Vernunft prügelte sich mit der Bestie, wie immer. Doch dieses Mal war die Wut so groß, dass sie sich wieder aufhob und die Stimme der Vernunft gewann… oder sie solange aufhielt, bis der Rausch voll einsetzte. Es war kein guter Rausch. Noch während sie sich das Blut von den Händen und Unterarmen leckte, überkam sie das Kichern, doch wurde es nicht zu einem Lachen sondern zu einem Schluchzen. Sie wollte mehr… diese Leere in sich füllen mit dem Schmerz, der Qual, der blanken Panik ihrer Opfer. Mit ihrem Blut, so warm, so pulsierend, so berauschend, so voller Leben. Sie wollte spüren, wie es ihnen entwich, flüchtig wie eine orgasmische Welle, die langsam abebbte so wie das Leben des in den letzten Zuckungen liegenden Opfers. Aber es gab keine weiteren Opfer.
Oriannas Stimme in ihrem Kopf… „wie oft muss ich dir eigentlich noch erklären, dass man nicht mit dem Essen spielt?“ streng hatte sie geblickt, zu streng, gekünstelt. Sie hatte ihr nie lange böse sein können. Ihr Mundwinkel hatte gezuckt, dann hatte sie gelächelt. So liebevoll. Und sie hatten gelacht, gemeinsam gelacht, gemeinsam im Rausch. Dieses Funkeln ihrer sonst olivgrünen Augen. Plötzlich hatten sie wie Smaragde ausgesehen. Smaragde bei Sonnenaufgang.
Das Bild erlosch. Der Sonnenaufgang blieb. Sie lag nackt inmitten eines Feldes, die Hälme der Pflanzen pieksten ihr grob in den Rücken. Getrocknetes Blut klebte an ihrem Körper, das Salz von Tränen in ihrem Gesicht. Sie konnte sich nicht erinnern, dass sie geweint hatte und auch nicht, wie sie hergekommen war. Aber die Sonne ging auf. Und Sarray war alleine mit einem Vran. Und sie hatte versprochen nach der Jagd zurück zu kommen.
Lysira schreckte hoch, sah sich um. Es war dieselbe Stelle, an der sie sich den Kampf mit dem Vran geliefert hatte. Ihre Wunden waren fast komplett verheilt, nur eine kleine dunkle Stelle am Schlüsselbein, die aussah wie ein Bluterguss blieb.
Auf dem schnellsten Weg machte sich die Bruxa auf dem Rückweg zu Sarrays Haus. Natürlich bereitete es ihr keinerlei Schwierigkeiten, unbemerkt dorthin zu gelangen, doch vergaß sie in ihrer Eile vollkommen, das Blut abzuwaschen.
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