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Von:
Kerker
Datum: Nacht vom 8. auf den 9. August 1278
betrifft: Jarel, Slava
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Er irrte sich, zumindest in der Annahme, Jarel war nicht in seiner Wohnung. Das konnte er bereits in der Sekunde feststellen, in der er die Tür schloss.
Denn an der Wand dahinter stand ein paar Hirschlederstiefel, die ihm nicht gehörten.
Die Dose mit der Droge verschwand tief in der Tasche als er erkannte, dass er nciht alleine war. Ein Teil von ihm war froh denn er wusste ganz genau, alleine hätte er sich die ganze Dose gegeben und dann wäre es nicht ein einmaliger Ausrutscher gewesen, dann steckte er wieder tief drin. Der Süchtig in ihm aber war wütend, dass man ihn störte und nicht in ruhe ließ. Er trat ein und verschloss die Türe, allerdings ging er vorerst nicht hoch, er blieb unten am Tisch sitzen, trank etwas vom kalten, nein lauwarmen Tee vom Nachmittag. Cyron hatte ihn aufgesetzt... Mittlerweile schmeckte er furchtbar. Egal.
In dem Moment hasste er sich selbst, er hasste diese Welt. Er selbst wurde weich, er ließ Leute an sich heran. Früher wäre Cyron ihm egal gewesen, er hätte ihn verhaften lassen. Diese Elfe wäre ihm egal gewesen, er wäre bei der standrechtlichen Hinrichtung geblieben. Jarel wäre ihm egal gewesen. Kurz starrte er auf die Stiefel. Er hatte sich verändert und gerade kam er nicht damit klar. Wenigstens Alkohol... aber den lagerte er oben. Warum eigentlich?
Der Tee schmeckte wahrhaft grausig.
Jedoch war er noch recht warm.
Jemand hatte sich eine neue Kanne aufgesetzt und dabei wahrhaft nicht an den Kräutern gespart, die der Elf sich gemischt hatte.
Eine ganze Weile blieb Slava hier sitzen, im Dunkel am Küchentisch, den Kopf auf die Hand gestützt, eine Hand am Becher mit Tee. Man konnte denken, er schliefe dort im Sitzen, aber er saß und starrte auf einen Punkt irgendwo. Eine Weile lang standen seine Gedanken still, doch bald schon drehten sie sich wieder im Kreis.
Es war ruhig im Haus.
Der Tee hatte eine seltsam beruhigende Wirkung.
Niemand kam.
Seltsam. Jarel war auf jeden Fall da, denn auf einen der Stühle hing der mit dem Zeichen der Flammenrose geprägte Wams notdürftig gereinigt zum Trocken.
Er war also auf jeden Fall noch da.
Irgendwann richtete er sich doch wieder auf, sah sich um. Er war zu müde um nach oben zu gehen und zu suchen, die Treppenstufen schienen ihm wie ein unüberwindliches Hindernis. Aber dann sprang doch wieder sein Verstand an. Der Waschzuber im Nebenraum... Jarel war dreckig gewesen, blutverschmiert, er hatte seine kleidung gewaschen.
Im Waschraum empfing ihm ein Klima wie kurz nach er Abenddämmerung am Rande eines Sumpfes.
Nicht mehr wirklich warme, aber auch noch nicht kühl feuchte Luft, so dicht, dass die in der Wandhalterung steckende Kerze gefühlt gegen die Luftfeuchte anzischte und gemeinsam mit dem Rest der glimmenden Glut im Badeofen den Raum nur mäßig erleuchtete.
Den Gesuchten fand er jedoch trotzdem sofort. Jarel war im Zuber eingeschlafen. Den linken Arm auf dem Zuberrand angelegt, hing der rechte entspannt über der hölzernen Kante. In Linie der leicht angewinkelten Finger lang ein zerbrochener Becher neben einem Hocker auf dem Boden.
Offensichtlich hatte der Ritter das tönerne Gefäß auf dem Hocker abstellen wollen, es jedoch nicht geschafft. Wenigstens einer der normalen Becher und nicht einer derer, die Slava extra hatte anfertigen lassen.
Trotz des auf die Brust gesunkenen Kinns und er Tatsache, dass das dichte schwarze Haar das Gesicht des Mannes wie ein Vorhang aus Teerpappe verbargen musste sich Slava nicht sorgen, dass es seinem Verlobten nicht gut ging. Er hörte in der Stille seine tiefen, regelmäßigen Atemzüge.
Der Ritter war beim Baden eingeschlafen und schrumpelte nun im erkaltenden Wasser vor sich hin.
Einen Moment starrte er auf das Bild, das ihm zwei Dinge verreit. Zum einen war er froh, dass Jarel hergekommen war und ihm nciht aus dem Weg ging, aber das Knalltraume hielt wohl an, denn sonst wäre er längst wach geworden, hätte er ihn gehört. Was hatte er nur angerichtet? In dem Moment war es ihm wie das einzig richtige erschienen, langsam kristallisierte es sich als echt dummer Fehler heraus.
Er trat heran, kümmerte sich nciht um die Scherben. Materielles war ihm egal, Becher waren ersetzbar. Er stupste ihn an... "Jarel... wach auf, du errkältest dich noch."
Der Kopf des Ritter fuhr ruckartig hoch. "Was...? Wie...?" Jarel wirkte wie einer der Cro- magnon Menschen aus dem Museum, als er versuchte ihn mit nicht wirklich wachem Blick durch einen Spalt im pechschwarzen Vorhang seiner dichten Haarpracht zu fixieren. Der Anblick des muskelbepackten und mit Prellungen und Schrammen bunt dekorierten Oberkörpers unterstrich diesen Eindruck. Erstaunlicherweise war das Wasser recht sauber. Ziemlich sauber sogar. Entweder er hatte das Wasser gewechselt, oder sich vorher anderweitig gewaschen.
Es dauerte lange Sekunden, bis er ihn erkannte. Der Schattenläufer strich mit der linken Hand seine Haare zurück und wuchtete die Rechte mit einem leisen Stöhnen in die Wanne. Der Arm war vollkommen taub und begann gleich darauf stechend zu kribbeln. Eingeschlafen. Wie er.
"Slava...." Endlich erkannte er ihn.
Und lächelte, hob die Hand und legte ihm diese etwas ungeschickt aber liebevoll an die Wange.
"Du siehst furchtbar aus..."
"Ich fühl mich auch so." gab er zu. Für ein 'sieh dich doch selbst an.' fehlte es ihm gerade an Witz. Was geschehen war hatte er ja gesehen, wie es dazu gekommen war musste er nicht fragen. Er hatte ja selbst einige Wochen am Hafen gearbeitet, er kannte diese frustrierten Typen, die nicht einmal davor zurückschreckten einen Ordensritter im vollen Ornat anzugreifen, sei es aus Fatalismus oder einer anderen dummen Motivation heraus. Dies war keine europäische Stadt, auch wenn sie so wirkte, Überfälle waren an der Tagesordnung und bis man diese nicht mehr als normal erachtete und Recht und Ordnung herrschten würde es noch dauern. Jahrzehnte, vielleicht Jahrhunderte.
Am liebsten hätte er sich zu Jarel in den Zuber gesetzt, aber das Wasser war kalt und er war zu müde um es warm zu machen. Er wollte nur schlafen.
"Es tut mir leid, was heute geschehen ist." begann er trotzdem noch mal. Vor allem aber auch um zu sehen ob Jarel hörte oder ob er die Notfallmedikamente holen musste.
Sein Gegenüber sah ihn mit halb zusammengekniffenen Augen an. Dann schüttelte er nur den Kopf. "Komm. Ich ring dich ins Bett. Du siehst müte aus. un ich muss zurück zum Orden. Jakob wird zur Morgenmesse entlasen."
Das Schleppen und die verschluckten Laute in der Sprache des Ritters, zusammen damit, dass er auf das Gesagte nicht einging waren ein eindeutiges Zeichen.
Dabei gab es tatsächlich schon eine Verbesserung, wenn auch nur marginal. Wenn Slava sprach, schien sich die Frequenz des Rauschens zu ändern. Es kam etwas durch, wenngleich es mit 'Verstehen' noch nichts zu tun hatte.
Slava seufzte. Er hörte noch immer nicht richtig. Aber er würde aus dem Zuber steigen und nach oben gehen, dort waren auch die Medikamente. Er nickte also nur. Was zur Hölle hatte er da nur angerichtet.
Steif wie ein alter Mann kletterte Jarel über den Rand des Gefäßes und hielt sich einige Sekunden lang fest, bis sein Kreislauf da war, wo er ihn brauchte. "Die Sauerei mache ich morgen weg.", erklärte er und steuerte unsicher auf einen Tisch zu, auf dem er sich schon zwei Tücher bereitgelegt hatte. Mit dem einen trocknete er sich ab, das andere band er sich um die Hüfte.
So 'angezogen' trat er zu seinem Liebsten. "Scheißtag, hm?", brummelte er und wollte Slava tatsächlich in die Arme ziehen.
Er hatte nicht alles begriffen, was in den vergangenen Stunden geschehen war und hieß auch längst nicht alles gut.
Was jedoch nicht bedeutete, dass er den Mann dort vor sich weniger liebte. Wie schon so oft fuhren die Fingerspitzen des Ritters über die kurzen Haare an den Schläfen des Spions, bevor er versuchte ihn zu küssen.
Slava erwiderte den Kuss, froh, dass es nicht aus war. Aber für mehr war er zu müde. Was für ein Tag, beschissener konnte man eine Verlobung kaum feiern.
"Komm, ich geb dir Medikamente." Er dirigierte ihn nach oben, sprach betont, laut und deutlich.
Jarel lächelte verlegen. Gemeinsam schleppten sich die beiden alten Männer nach oben. Jarel wollte Slava gleich zum Bett bringen und ihm ausziehen helfen. Das erste mal seitdem sie zusammen waren ganz ohne Hintergedanken, doch der Spion hatte wohl noch anders vor. Er löste sich von ihm und Jarel sah ihm nach, wartete unsicher ab. Er war froh, Slava zuhause zu wissen. sein Liebster brauchte dringend Schlaf. Und er auch. Und seine Medikamente, wie ihm gerade siedend heiß einfiel. Gerade nervte es ihn, einen eil seines Lebens damit verbringen zu müssen, wie ausgekotzt rumzuliegen, aber das war immer noch besser als die Alternative.
Reden konnten sie morgen. Oder wann auch immer sein Gehör sich wieder normalisierte. Die sorge, es könnte dauerhaft so bleiben schob der Schattenläufer weit von sich. Dafür gab es Lösungen. Eine davon...
"Cyron hat überlebt, nicht wahr?", fragte er plötzlich aus dem Nichts heraus. Und das hatte unangenehmerweise nichts mit Sorge um einen alten Bekannten zu tun.
Slava holte aus dem Schrank seine Medikamente, es waren Spritzen, auch schon abgelaufen, aber er wußte, dass die Wirkung immer noch besser war als gar nichts. Er zeigte sie Jarel, deutete auf das Ohr. Er würde es ihm spritzen. "Ich kann dir etwas davon geben, vielleicht kann es Ljerka synthetisieren, ich kann ihr auch erklären wie es bei uns gewonnen wird." Vielleicht halt auch Kostjunari, der schien das Medikament zu kennen.
Dann fragte Jarel ganz unvermittelt nach Cyron. "Ja, ich habe ihm auch erlaubt sich magisch zu heilen, aber rfrei lassen kann ich ihn noch nicht. Darüber war er natürlich wütend. Ich brauche dich... Du musst mir sagen was ich mit ihm tun soll."
Jarel betrachtete die Spritze und begriff. Er sah sich aufmerksam um und griff sich einen Lederstreifen der eigentlich ein Bündel Unterlagen zusammenhielt. Mit einer routinierten Bewegung schlang das Leder es um seinen linken Oberarm, das eine Ende hielt er in der linken Hand, zog mit einem Ruck der rechten und fasste es dann mit den Zähnen. Einige Male klopfte er auf seine Armbeuge und hielt dann die Hand auf, um die Spritze entgegenzunehmen. Ganz offen sah er Slava dabei an. Er vertraute ihm. Es hätte sonst was in der Spritze sein können. Er hätte es ohne zu fragen genommen.
Seine macht über den Ritter war enorm. Und nicht nur über ihn, sogar auf den Schwarzen schien er auf irgendeine Art Einfluss auszuüben.
Slava winkte ab, diese Spritzen jagte man einfach in den Muskeln, keinem Stalker und auch keinem Soldaten war es zuzumuten oder zuzutrauen, dass der eine Injektion in ein Blutgefäß hinbekam, steril, unter diesen Bedingungen. Er löste den Riemen wieder und setzte ihm die Spritze in den Deltoideus, der war groß genug. Der Gluteus maximus wäre auch in Frage gekommen, aber das wäre dann auf etwas anderes hinausgelaufen.
Die zweite Spritze gab er ihm. Mochte er sie einfach selbst verwenden oder Ljerka geben. Die Injektionsnadel lag in einer orangen plastikbox mit der Aufschrift "аптека"
Jarel hielt still und nahm die Spritze an sich, sah Slava fragend an. "Denkst du, ich komme nicht wieder?"
Er schüttelte den Kopf, lächelte. "Doch... zum nachbauen. Vielleicht kann Ljerka es auch synthetisieren." Er hoffte, dass Jarel genug der Worte verstand.
Der Ritter sah ihn nur fragend an. Sah auf die Spritze, dann wieder in Slavas Augen. Scheiße. Kein gutes Gefühl...
"Was ist?" Slava musterte ihn. Hatte er ihn verstanden? Dachte er, er würde ihn wegschicken?
Jarel schluckte schwer und schüttelte en Kopf er war überfordert. Völlig überfordert.
Slava nahm ihn einfach nur in den Arm, hielt ihn fest. Egal was schief ging, sie beide hatten sich. Dann lächelte er plötzlich. Die Ringe... er hatte sie nur einfach wieder in die Tasche gesteckt. Jetzt holte er sie heraus, steckte sich seinen an und gab Jarel den seinen. Er sollte ihn vielleicht besser an einem Lederband um den Hals tragen, bei einem Ritter der Keuscheheit gelobt hatte war ein Verlobungsring vielleicht keine gute Idee.
Jarel hielt Slava erleichtert grinsend die Hand hin. Diesen Ring würde er sich zu gern anstecken lassen. Im Handtuch waren keine Taschen. Später würde er in dem nachträglich einnähten geheimen Beutel seiner Hose verschwinden, in dem sich bereits der Stein befand, dem ihm der Spion vor einer gefühlten Ewigkeit überreicht hatte.
Und irgendwann würde er sich eine entsprechend lange silberne Kette besorgen. Die zu nehmen, die er bereits besaß, fühlte sich irgendwie falsch an.
Nur was er mit der Spritze machen sollte, wusste er noch immer nicht.
Er steckt ihm den Ring an... dann fiel ihm ein, dass er es aufschrieben konnte. Papier hatte er noch, darauf kritzelte er in seine eher krakeligen Schrift - die Gemeinsprache beherrschte er, aber er schrieb sie zu selten, als dass er eine flüssige schön Handschrift entwickelt hätte - 'bring es zu Ljerka. Vielleicht kann sie mehr herstellen. Dann hast du beim nächsten mal etwas. Kostjunari weiß auch wie es gemacht wird. Aus der Niere von Schafen.' er hatte nebennierenrinde schreiben wollen, daran erinnerte er sich, aber er hatte keine Ahnung, wie das hier hieß.
In Jarels Augen erstrahlte die Erkenntnis regelrecht. "Hervorragende Idee. "
Ein weiterer überschwänglicher Kuss landete auf Slavas Lippen, dann schob Jarel ihn in Richtung Bett. "Du musst dich ausschlafen, bevor du auf dumme Ideen kommst.", erklärte er warm.
"ich muss zurück zur Komturei. Ich versuche heute Abend wieder hier zu sein. Finde ich dich hier?"
Noch immer war die Stimme des Ritter schleppend und vernuschelt, aber zumindest sah er jetzt nicht mehr drei wie sieben Tage Schlagwetter.
Er nickte nur, ja, er musste schlafen, das war richtig. Er hätte jetzt gerne mit jemandem geredet, artikulierte man seine Gedanken brachte einen das oft weiter. Auch zu "Wirst du hier sein." nickte er. Und wenn nicht würde er einen Zettel hinterlassen. Er war jetzt zu müde um zu denken und zu planen.
Die fürsorgliche Art des Ritters konnte schon mal nerven, aber zu diesem Zeitpunkt war sie durchaus willkommen.
Wenige Minuten später fand sich Slava ausgezogen und zugedeckt im Bett liegend, seine Kleidung sorgsam auf einem Stuhl gestapelt, das Licht gelöscht und allein wieder.
Jarel zog seine noch feuchte Kleidung wieder an. Zum Glück waren die Nächste noch relativ warm.
Der kurze Schlaf im Zuber hatte nicht viel geholfen, aber er kam immer hin rechtzeitig in der Komturei an um ungesehen hinein zu schlüpfen, sich zu ordnen und frische Kleidung anzuziehen. Die kurze Pause bis zur Morgenmesse legte er sich besser nicht hin, sonst würde er den Zeitpunkt verschlafen.
So sah man im Morgengrauen einen gewissen Ritter durch die Gärten streifen und Äpfel klauen. Bis es endlich so spät war und zur Morgenmesse geläutet wurde.
Für Jarel geht es hier weiter.