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von/nach: Die Hauptwache in Oxenfurt -> Nowigrad
Datum: 17. September 1277, Nachmittag
betrifft: niemanden sonst, oder jeder der will
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Spitzenhall wurde der Stadtteil genannt, der sich vom früheren Bordell "Rosmarin und Thymian" nach Westen bis zum Fluß beim Ruhmestor erstreckte.
Und genau dieses Gasthaus war es, über dass Vajdan ein ganzes Dossier erhalten hatte.
Wer ein wenig Übung hatte konnte zwischen den Zeilen erkennen was ausgespart wurde, diese Informationen waren wohl nur den Geheimdiensten zugänglich.
Mittlerweile war das "Rosmarin und Thymian" in "Chamäleon" umbenannt worden und als Inhaber waren ein gewisser Zoltan Chivay sowie ein Julian Alfred Pankratz Vicomte de Lettenhove, besser bekannt als 'Rittersporn' aufgeführt.
Vorbesitzer war Alonso Wily gewesen, damals, als es noch ein Bordell gewesen war. Nun galt es als renommiertes Kabarett - doch aus das genoss einen manchmal zweifelhaften Ruf. Und so ganz konnte er nicht glauben, dass der Betrieb von zuvor wirklich vollständig eingestellt worden war.
Und was zwischen den Zeilen fehlte, und er glaubte, dafür ein Gespür entwickelt zu haben, war die Verstrickungen in die Unterwelt. Der Name des Vorbesitzer war ihm in einem anderen Kontext schon einmal untergekommen und eben dieser Wily war nicht verwandt mit dem Barden, weshalb sollte er ihm das Etablissement schenken?
Aber diese Informationen waren ihm nicht zugänglich. Gut, er wollte auch nicht schon wieder in Wespennester stechen, das letzte mal hatte ihm gereicht. Und hier hatte er noch kein Netzwerk aufbauen können, dass ausreichend trug.
Er war daher in Zivil unterwegs, nicht nur weil er sich an die primitive Rüstung bisher nicht richtig hatte gewöhnen können und auch nicht weil er der festen Überzeugung war, dass ihm rot absolut nicht stand. Er bevorzugte gedeckte blau und grautöne. Viel mehr wollte er einfach nicht auffallen und ohne das Label des Gesetzes im Rücken, so wusste er, würde er viel mehr erfahren. Das Wappen der Wache behinderte ihn dabei seine eigenen Waffen einzusetzen.
Das Wams, dass er nun trug zeigte obendrein dezente Stickereien. Der Schneider, der es ihm verkauft hatte, hatte überzeugend argumentiert, dass er zu seinem sonst sehr gepflegten Auftreten eine entsprechende Ausstattung aus Wams und Hose brauchte. Er musste den Empfehlungen folgen, denn ihm fehlte damals jedes Gespür für die Mode dieser Zeit. Ihm war dieses Leben damals rückständig und barbarisch erschienen, viele Errungenschaften der Zivilisation, die man in seiner Zeit kannte fehlten ihm hier. Aber er begann langsam, sich daran zu gewöhnen. Nur an die Rüstung, die man in der Wache hier statt einer Uniform trug, daran wollte er sich nicht gewöhnen.
Und wenn er schon darüber nachdachte, während er die Plakate betrachtete, die dort an die Wand angeschlagen waren...
Der Buchdruck war interessanterweise zwar erfunden, aber noch nicht weit verbreitet, die meisten Flugzettel und Anschläge oder Bücher wurden noch von Hand kopiert, dabei schlichen sich oft bizarre Fehler ein, wie hier:
"Tretet ein! Trinkt! Jede 7te Bestattung geht auf''s Haus!"
Und auch wenn es die Hygiene betraf, dann hatte diese Welt doch das Potential, selbst ihn in die Verzweiflung zu treiben.
Brunnen wurden noch immer in unmittelbarer Nähe zu den Schächten für's Abort gegraben und hinterher wunderte man sich, wenn man an der Ruhr erkrankte oder an noch schlimmerem.
Er hätte noch viele weitere Kleinigkeiten aufzählen können. Einige der Augenscheinlichsten waren die Brillen, die manche hier auf den Nasen trugen. Wuchtige Monokel anstatt der dünnen Gestelle, die man in der Handelsstadt aus der er kam, bereits kannte.
Auch Schusswaffen waren hier bislang nicht erfunden, sah man von Armbrüsten ab, ein Mangel, von dem er bereits überlegte, ob er diesen beheben sollte.
Was aber fast das schlimmste war: Kaffee, hier sprach man es Kofea aus, war nur sehr schwer zu bekommen. Nur wenige Händler importierten das wertvolle Gut aus Ophir und verkauften es zu horrenden Preisen zunächst an die wenigen Röster der Stadt, die dann oft auch ihr Handwerk nicht einmal beherrschten und die Bohnen verdarben. Einen Becher heißen Kaffes auf der Straße zu bekommen galt aber geradezu als unmöglich.
Es war zu Pferd eine knapp Tagesreise, wollte man das Tier dabei nicht zu Schanden reiten.
Er hatte die große Hafenstadt und was den Einfluss anging der eigentlichen Hauptstadt Redaniens, wohl noch vor Dreiberg, bereits einmal einen Besuch abgestattet. Aus Neugier. Dieses mal war es sozusagen dienstlich, auch wenn er in zivil unterwegs war... Er wollte dem Barden auf den Zahl fühlen, und das in möglichst unvoreingenommener Atmosphäre. Es mochte ja sein, dass es eine Erklärung gab, und vielleicht ließ sich die Frage nach den gestohlenen Zeichnungen beantworten und eine Anklage abwenden, ohne dass einer der bekanntesten Musiker dieser Zeit sein Gesicht verlöre. Und noch etwas steckte dahinter: Der Reisende in ihm hoffte auf die eine oder andere weitere Antwort, denn ganz offenbar wusste dieser Mann mehr als viele andere.