Der Doktor kam und ging, Jarel fieberte, schwitzte und war immernoch totenbleich. Das er sich dabei bis auf das ein oder andere unkontrollierte Muskelzucken kaum regte, war geisterhaft. Zwischendurch schien er wach zu werden, gab Laute von sich, rollte mit den Augen unter den geschlossenen Lidern, doch schlug er sie nicht auf. Als die erste Muskelkontrolle zurück kam, ruckte nur sein Kopf mal zur einen, mal zur anderen Seite.
Jakob hatte sich einen Stuhl an Jarels Bett gerückt und beschäftigte seine Hände, indem er dem Verwundeten mit kühlem Wasser den Schweiß von Gesicht, Hals und Brust wusch. Manchmal saß er auch einfach nur da und fühlte sich hilflos. Der Arzt hatte versprochen, dass Jarel überleben würde, aber jedesmal, wenn dieser in seinen Träumen zuckte und herumfuhr, schoss dem Knappen eiskalter Schrecken durch die Glieder.
Die erste Nacht dehnte sich schier endlos.
Es war noch weit vor Morgengrauen, als Jarel ruhiger wurde. Seine Lider flatterten und öffneten sich halb. Jakob, der mit den Armen auf dem Tisch mit der Waschschüssel und dem Kopf auf eben diesen Armen eingedöst war, war sofort wach und beugte sich über ihn. „Jarel?“
Die Lippen des Ritters bewegten sich schwach, der Blick unter den halb geschlossenen Lidern war unstet. Fantasierte er? Jakob schob dem Älteren behutsam die Hand in den Nacken, wie dieser es ihm beigebracht hatte, doch er fühlte sich nicht mehr so erhitzt an wie noch zu Beginn der Nacht.
Angestrengt versuchte er aus den gehauchten Satzfetzen etwas heraus zu hören. Es war ein Kauderwelsch aus wohl allen Sprachen, die der Mann beherrschte. Er verstand etwas wie ‚Faron‘ und ‚Geh nicht‘. Und er verstand einen Namen, den er seit vielen Monaten nicht mehr gehört, ja nicht einmal mehr gedacht hatte.
Jakob krauste die Stirn. „Slava? Was ist mit ihm, Jarel?“, flüsterte er seinem Mentor zu, doch dieser glitt wieder in die Schatten der Umnachtung und lag still. Sein Knappe blieb nachdenklich zurück, wischte ihm noch einmal über die Stirn und deckte ihn dann besser zu.
Für den Rest der Nacht saß er im Halbdunkel und grübelte.
Jarel erholte sich zusehends, sodass Jakob sich erlaubte, ihn stundenweise zu verlassen. Da waren die Melitelepriesterinnen und der Arzt, die sich emsig um ihn bemühten. Teils war er ganz froh, dass er sich nicht um so Dinge wie Füttern und Waschen kümmern musste und irgendwie hatte er das Gefühl, dass es Jarel auch lieber war, wenn sein Knappe ihm nicht bei derlei würdelosen Dingen helfen musste. Also strich Jakob die ersten Tage im Tempel und dem angrenzenden Garten herum, ließ sich einfach treiben und genoss die Stille.
Er ging jeden Morgen zu Mariposa und Sauerbraten, kümmerte sich um die Wunde der Stute und sah danach, dass die Knechte die beiden Tiere ordentlich versorgten. Er kraulte sie, redete sogar auf Mari ein, dass es Jarel bald wieder besser gehen würde, auch wenn es wohl eher zu seiner eigenen Beruhigung war. Dann kehrte er in den Tempel zurück, um sich zu reinigen und in die Tracht zu kleiden, die er hier angefangen hatte zu tragen: eher lose geschnittenes Hemd und Hose, beides gehalten mit einem Streifen dunklen Leinengewebes als Gürtel. Die Füße mit Stoffbandagen umwickelt und die Wicklung bis über die Hosen auf Mitte der Unterschenkel hinauf geführt. Über die Schultern einen Überwurf, wie er eigentlich zu den Kutten der Mönche gehörte: er reichte bis auf die Oberarme und hatte eine Kapuze. In seiner Welt hätte er ein recht gutes Bild eines Zen-Mönchs abgegeben und diese Erinnerung war es auch, die ihn dazu bewog.
Sensei Yahuro.
Er hatte viel Zeit hier zum Denken, zum Erinnern und in sich selbst einkehren. Im Vergleich zur Komturei, wo immer jemand laut war, immer irgendwo Pferde wieherten oder Stahl auf Stahl klang, wo Mönche sangen und die Stundenglocke schlug, war es in diesem Tempel herrlich friedlich. Fast schon langweilig still. Manche der Schwestern hatten ein Schweigegelübde abgelegt, doch auch die anderen waren ruhige Geister und so war er oft allein mit seinen Gedanken.
Am zweiten Abend nach ihrer Ankunft hier hatte er mit den Meditationsübungen begonnen – zur gleichen Zeit, da die Priesterinnen zur Abendandacht ihrer Göttin huldigten. Jakob saß im Garten, die Beine unter geschlagen, die Hände auf den Knien und versuchte sich die Stimme Yahuros ins Gedächtnis zu rufen. Jene Stunden in Flagstaff, die selbst den damals so wild wütenden Jakob, zu innerer Ruhe verholfen hatten.
Ein Gong und eine Stimme. Das Plätschern von Wasser.
Auch hier plätscherte ein kleiner Brunnen, aus dem Tempel klangen die Stimmen der Frauen und die Worte Yahuros sickerten allmählich aus Jakobs Erinnerung herauf. Einatmen. Fließen lassen. Ich und Es zusammen holen, um sie dann voneinander zu trennen.
Die einzige Waffe der Templer, die sie den Vampiren entgegen setzen konnten: für deren Sinne zu verschwinden. Nicht für Geruch und Gehör, dafür brauchte es andere Praktiken, die denen eines gewöhnlichen Jägers nicht unähnlich waren. Aber für ihr Gespür für Existenzen. Vampire fühlten mit einem sechsten Sinn – Yahuro nannte es das ES – andere nannten es eine Aura des Lebens. Jenes Ding, was auch Menschen dazu brachte, sich umzuwenden, wenn sie einen anderen Menschen hinter sich wähnten. Nicht greifbar, aber doch spürbar. Und der Sensei lehrte sie, diese Aura in sich hinein zu ziehen und für das Gespür der Vampire unsichtbar zu werden. Selbst bei Menschen funktionierte es – man verschwand aus dem Aufmerksamkeitsbereich, als sei man gar nicht wirklich da.
Jakob hatte sich dieser Methode hier bereits einmal bedient, in der ersten Nacht seiner Ankunft und vermutlich hatte das die Ghoule von ihm fern gehalten, die sie später attackiert hatten. Scheinbar funktionierte es also bei vielen Wesen. Doch seither war das Wissen in Vergessenheit geraten. Hier im Friede des Tempels fand er wieder nah genug an sich heran, dass er sich dessen erinnerte und wieder begann, das Talent zu trainieren.
Viele der älteren Ritter beherrschten die Zentrierung des Es auch ohne Meditation, aber Jakob war so weit nie gekommen. Er brauchte immer eine Weile, bis er sich so weit beruhigt und versenkt hatte, dass er Ich und Es trennen und das Eine im Anderen verbergen konnte. Aber er wurde schnell wieder geübter, brauchte immer weniger Meditationszeit.
Wenn er sich nicht bei den Pferden herum trieb, meditierte oder bei Jarel saß, betete er. Auch das hatte er hier gefunden: genügend Ruhe zur Andacht. Auch wenn es das Bildnis der dreifaltigen Melitele war. Es kam ihm keine Sekunde falsch vor, ihr für Jarels Genesung zu danken. Selbst der Gott der Christen fächerte sich in eine Dreieinigkeit auf und die Heilige Maria saß bei ihm am Himmelsthron. Wieso sollte er sich also auf die Ewige Flamme beschränken? Er würde mit Jarel darüber reden, sobald dieser wieder auf den Beinen war. Über das und so einiges mehr.
So vergingen die Tage, Jarel heilte und Jakob verwandelte sich vom stets angespannten Knurrhahn in einen zwar noch immer ruhigen, aber sichtlich in sich ruhenden jungen Menschen.
Das Haus der Melitele - inneres Heiligtum
- Jakob von Nagall
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An diesem Morgen war das Fieber des Patienten bereits deutlich zurückgegangen. Auch wenn er beinahe wieder Kontrolle über seine Arme und Beine zurückgewonnen hatte, so hatte ihn ein Fieber, das mit der Wundheilung einher ging doch noch geschwächt.
Jakob befand sich gerade nicht im Raum. Vermutlich versorgte er die Pferde oder genoss die Ruhe.
Als Arvijd nun jedoch nach Jarel sah wirkte er wach, die Haut hatte den wächsernen Glanz verloren.
"Mir scheint, du bist auf dem Weg der Besserung?“
Die Stimme, die ihm antwortete war schwach. Aber klar und verständlich.
"Arvijd?" Jarel rang sich ein Lächeln ab. "Schön dich zu sehen. Durftest du meinen Knappen schon kennenlernen? Geht es Jakob gut?" Die wenigen Worte reichten schon, um ihn zu einer Atempause zu zwingen.
Noch bevor der Heiler antwortete, versuchte Jarel den gesunden Arm zu heben und mit den Fingern zu spielen. Es gelang. Schwach. Unkoordiniert, aber es gelang.
"Deinem Knappen geht es gut, den Pferden ebenso. Dem Jungen tut die Auszeit gut." Der Arzt musterte seinen Patienten als reiche das schon um die Frage zu beantworten, die ihm schon seit dem Tag ihrer Ankunft auf der Seele brannte.
Trotzdem, ein paar Dinge gab es vorher noch zu klären.
"Bewegung den Arm nicht, er heilt. Das Endriagengift hat dir ordentlich zugesetzt."
Um dem Nachdruck zu verleihen nahm er neben Jarel Platz und hielt den verletzten Arm fest. Aber diese Geste stellte auch Nähe her.
"Dein Knappe hat mit auch von deinem Lebertransplantat erzählt..." keine Frage, eine Bemerkung, wie reagierte der Ritter, der über die Jahre vielleicht auch ein Freund geworden war.
Jarel presste die Zähne zusammen. Auch er hatte schon länger einen Verdacht…
"Ja. Ich trage einen Teil der Leber eines anderen in mir. Und ich muss täglich ein Medikament dafür einnehmen, damit es nicht abgestoßen wird."
Er wusste sehr wohl, dass sich mehr hinter der Frage verbarg. Doch wenn er sich schon offenbaren würde, dann wenigstens nach einer konkreten Frage.
Arvijd nickte nur. In der Theorie wusste er, dass das nötig sein konnte. Der Körper wehrte sich gegen fremdes Gewebe. Ob es Möglichkeiten gab, das zu umgehen - vielleicht gab es ja passendere und weniger passende Spender. Bei den Augen konnte man die eines Schweines nehmen, aber die Leber... er vermutetet, je näher es sich am Zentrum des Körper sbefand umso schwieriger wurde es, vielleicht war es auch wie sehr es einwachsen musste. Ein Auge war deutlich abgeschlossener.
"Wie war das möglich, Jarel, mein Freund... wir beide wissen doch, dass die Medizinier hier oft nicht einmal in der Lage sind eine Platzwunde steril zu versorgen... geschweige denn ein ganzes Organ zu verpflanzen..." Was ihm auch noch zu denken gab, woher bekam er das Medikament?
Jarel nickte. "Die Heiler hier verpflanzen keine Organe." Der Ritter wartete einen Moment, bis sein Gegenüber das verdaut hatte."
"Die Heiler hier besitzen auch keine Mikroskope und Wissen um den Zusammenhang von Hygiene und Infektionen."
Er sah dem Mediziner direkt in die Augen. Ob er immer noch darüber reden wollte?
Der Ton des Ritters war leise, freundlich und verständig. Kein Drohen. Eher eine kleine Verschwörung unter Freunden,
Arvijd nickte. Diese Unterhaltung war wohl überfällig. Vielleicht hatten sie es auch beide schon längst geahnt, die Sprache war das eine, manche Verhaltensweisen, sie versuchten sich anzupassen, sich einzugliedern, doch das Fremde blieb. "Dann müssen wir nicht mehr um den heißen Brei reden." Er lächelte, dem Ritter hatte er immer vertraut, irgendwie. Auch wenn die Flammenrose auf seiner Brust prangte - wenn auch nicht jetzt gerade - er hatte das Herz immer am rechten Fleck gehabt. Wobei das die Menschen in Wyzima oft anders sahen, sicher von Aldersberg war ein durchgedrehter Spinner gewesen, aber die Massaker begonnen hatten die Anderlinge und die Flammenrose hatte sie beendet. Ob die Wahrheit dazwischen lag wusste er nicht.
"Ich komme aus einer Welt, die wir Ataris nannten.... Und du ahnst es vielleicht schon, unser Wissensstand war deutlich höher als der der Menschen hier, vor allem was die Medizin anging."
Der Ritter sah sich kurz um, so weit er konnte. Sie waren allein. Zeit für ein offenes, entspanntes Gespräch.
"Wie kamst du her?", fragte Jarel neugierig. "Und wie lange bist du schon hier? Warst du dort Medizinier? Oder in der Forschung?"
Arvijd lachte. Es war niemand da, er hatte Iola weggeschickt, Besorgungen zu machen, sie waren alleine. Soviel Umsicht konnte er durchaus an den Tag legen. "Ich bin vor allem Chirurg. Aber ich habe auch geforscht, sehr lange sogar." Er überlegte wie schockierend es wohl sein mochte, dass er schon seit weit über 300 Jahren lebte.
"Ich kann nicht genau sagen, wie ich hierher gekommen bin. Ich gestehe, nach einigen... Rückschlägen und Verlusten war ich so weit, meinem Leben ein Ende zu setzen. Und dann kam ich im See von Wyzima zu mir." Nicht die ganze Wahrheit, allerdings verriet das verschmitzte Lächeln beinahe den Rest. So sprach keiner über den Selbstmord, der ernsthaft damit rechnen musste tot zu bleiben. Er hatte sich längst daran gewöhnt, dass er jedesmal wiederkam. Wobei er für das Leben hier nun einen Rest an Zweifel hatte, nämlich, ob er rden Fluch tatsächlich mit hier her gebracht hatte, daher behielt er das lieber für sich.
Der Ritter kam ins Stocken. Einen Moment stolperte sein Puls. "Die wollen dich im Jenseits noch nicht.", frotzelte er freundlich, obwohl eine Hand um seinen Magen seine Betroffenheit durchaus spürbar machte.
"Ich stamme aus Azeroth.", begann Jarel im Plauderton. "In meiner Welt ist Magie allgegenwärtig. Die Wissenschaft weniger. Aber die Heiler sind in der Lage, abgetrennte Extremitäten binnen Sekunden wieder anwachsen zu lassen und sogar die Toten zurück ins Leben zu holen. Wenn zur rechten Zeit vollständig ins Leben zurückgeholt. Und wenn es zu spät ist...mit weniger Puls als vorher."
Wie phobisch er auf Verlassene reagierte, erwähnte er nicht. Allein die Gänsehaut auf dem nicht verbundenem Arm zeigte schon, wie sehr er sie fürchtete.
"Ich kam vor sechszehn Jahren hierher. Fiel dem Großkomtur regelrecht vor die Füße. Und bleib beim Orden."
Das wichtigste war gesagt. Ob er auch wusste, dass Jakob nicht von hier war?
gestern um 09:32 Uhr
Dass der Ritter regelrecht Reisende um sich scharte ahnte der Arzt nicht. Auch nicht, dass der Ritter einem Mann den auch er bestens kannte bereits begegnet war. Er nickte nur bei dessen Erklärungen. "Auch bei uns gab es die Magie, aber nicht jeder ist dazu in der Lage, sie auch einzusetzen. Mir blieb es leider verwehrt, aber ich kann dennoch helfen, ich kann mit der Kraft meiner Hände abgetrennte Glieder annähen und Organe verpflanzen und auch ein Herz wieder zum Schlagen bringen, wenn es noch nicht zu lange still steht." Was es ihn alles gekostet hatte, und was er alles nicht hatte retten können... das stand auf einem anderen Blatt.
"Es gäbe sicher eine schönere Gelegenheit, zu plaudern... gerade darüber." Bei einem Tee oder in seinem Fall einem kräftigen Rotwein. "...aber wir sind nun einmal hier. Kennst du noch andere?"
Jarel nickte abermals. "Ja. Irgendwie findet man sich. Nicht viele. Aber ja."
Der Ritter befeuchtete sich die Lippen. "Wann denkst du, kann ich wieder aufstehen?"
"Aufstehen kannst du wenn du deine Muskeln kontrollieren kannst. Deine Beine waren nicht verletzt, nur der Arm, den solltest du schonen..." antwortete er sofort routiniert, aber es war etwas anderes, dass ihn beschäftigte. "...woher kommen diese anderen? Aus welchen Welten? Wo sind sie?"
"Die, die ich näher kenne, komme weder aus deiner noch aus meiner Welt. Sie kommen von der Erde." Er überlegte. Die Namen würde er nicht preisgeben. Aber das ging auch anders.
"Dort sind sie geschätzte 900 Jahre weiter. Die Technologie ist beeindruckend. Wenn du einen von ihnen kennenlernen möchtest, kann ich ihnen deinen Namen nennen. Ich lege für jeden von ihnen meine Hand ins Feuer." Ja. Und das war nicht nur ein Spruch. für den einen hatte er es getan.
900 Jahre mehr an Entwicklung, 900 Jahre Forschung... All das Wissen. Für ihn lag diese Welt etwa 400 Jahre zurück, mehr als sein ganzes Leben.
"Ich würde gerne andere treffen, die sind wie wir. Ich hätte nicht gedacht, dass es noch mehr gibt..."und es macht ihn sogar ein wenig wehmütig. Daran, dass es für ihn ei en Weg zurück geben könnte dachte er nicht und er legte es eohl such nicht darauf an. Dort woher er kam hatte er nun tatsächlich alle verloren, die ihm etwas bedeuten. "Bist du freiwillig hergekommen?"
Jarel schüttelte den Kopf und wackelte konzentriert mit den Zehen. Es funktionierte! Es ging voran! Doch die Hoffnung, dass er zum pissen aufstehen konnte, war utopisch.
"Ich war auf der Suche nach jemandem. Verirrte mich in einem Nebel...und kam in einer Welt zu mir, die völlig fremd war." Kurz ging er in Gedanken all das durch, was er danach durchgemacht hatte.
"Fremde Sprache, Fremde Sterne, Fremde Bräuche....und doch so viel Gemeinsames. Die alte Sprache hier, wird auch bei mir gesprochen. Auf Azeroth heißt es Thalassisch. Die Sprache der Elfen. Zu meinem Vorteil spreche ich sie fließend. Gab es auch bei dir Gemeinsamkeiten?"
Etwas verdrossen kaute er auf seiner Unterlippe. Verdammt, wie sollte man in so einer Situation NICHT ans pinkeln denken?
Was dem Ritter neben der Sprache noch durch den Kopf ging ahnte der Arzt nicht, auch wenn es vielleicht naheliegend gewesen wäre.
"Auf meiner Welt gibt es keine Elfen, und es gab auch keine Gemeinsamkeiten... deshalb gab ich auch vor, an einer Amnesie zu leiden, das machte es leichter für die anderen... Und ich dachte immer, ich wäre der einzige..."
"Ich kenne sogar jemanden, der sich der Suche nach einem Rückweg verschrieben hat. Und der sogar schon auf der anderen Seite mit dieser Forschung begonnen hat." Kurz schloss Jarel die Augen, treib die Sehnsucht zurück in die Truhe in der er sie einsperren konnte, räusperte sich und öffnete die Augen wieder. "Gibt es nicht die Möglichkeit, doch schon aufzustehen?"
"Versuch es..." Der Arzt stand daneben, bereit, den Patienten aufzufangen. Der Mensch Arvijd dachte über das gehörte nach. Ein Rückweg? Wollte er das? Noch einmal neu anfangen? Wieder erklären wer er war, sich eine neue Legende zuzulegen... Wollte er das? Das Krankenhaus lief mittlerweile auch ohne ihn und hier war er mehr als nützlich und niemand stellte Fragen.
"Ich würde gerne mit anderen reden, mit dem der forscht... aber ich denke, zurück würde ich nicht gehen, selbst wenn es einen Weg gäbe... dort wartet nichts auf mich, niemand. Würdest du denn gehen?"
"Nein. Nicht nach fünfzehn Jahren. Meine Kinder werden über mein Verschwinden hinweggekommen sein. Meine bessere Hälfte auch. Ich habe mein Leben hier."
Der Ritter versuchte tatsächlich aufzustehen. Und floss Richtung Boden wie ein guter Schluck flüssiges Kautschuk.
"Kacke...", murrte er. Würde nix werden damit zum Abort zu gehen. "Arvijd...ich muss pissen."
Der Arzt war zwar ein wenig kleiner als der Ritter aber selbst etwas stäimmig gebaut und durchaus kräftig. Er griff dem anderen beherzt unter die Arme und zog ihn auf dir Beine. "Ein wenig wirst du schon mithelfen müssen." Er musste an Nikolavo denken, der sich wohl ähnlich ausgedrückt hätte... Sein Ziehsohn, er war wie vom Erdboden verschluckt gewesen. Emiya war verschwunden nachdem ihr Kind nicht überlebt hatte... er wäre Großvater geworden, so sein Empfinden. Aber alle waren sie aus seinem Leben verschwunden. Den Ritter zu halten lenkte ihn jedoch ausreichend ab.
Jarel murrte, motze und fluchte, dass dem Mediziner die Ohren rot anliefen. Er mühte ich ab, doch richtig auf die Beine kam er nicht.Stattdessen begann er zu schwitzen.
Und noch schlimmer zu fluchen. Ganz schön unanständig für einen Glaubensbruder.
Was er wohl drüben gewesen war? "Wen hast du hinter dir lassen müssen, Arv?", versuchte er von seinem hilflosen Geschlenker abzulenken.
Arvijd hinter den Ritter zurück in sein Bett und gab ihm eine spezielle geformte Blechflasche. "Dann wirst du das Austreten dahinein erledigen müssen." Das Gefluche störte ihn offenbar kaum. Nikolavo hätte er wohl gerügt, aber so lächelte er nur.
"Ich habe auch dort schon kein geradliniges Leben geführt... ich habe länger gelebt als jeder Mensch... ich hatte eine Familie, eine Frau uns einen Sohn...dann später... mehr als ein Jahrhundert später lernte ich eine andere kennen... wir hatten nicht viel Zeit, aber sie hinterließ mir ihren kleinen Sohn, den zig ich groß wie meinen eigenen, und von dem könntest such du noch ein paar Flüche lernen. Und auch er wurde erwachsen, fand eine Frau... sie hätten eine Tochter gehabt, aber sie starb bei der Geburt. Danach... Es waren schlimme Zeiten... Beide zogen sich zurück. Dort gibt es niemanden mehr."
"Du hast viel hinter dir gelassen." Jarel nahm sich murrend die Flasche.
Warum war das jetzt beschämend für ihn? War doch eine ganz natürliche Sache....Ach scheiß doch drauf. Besser als sich einzunässen.
Trotzdem bekam er hektische rote Flecken im Gesicht und war heilfroh als die Flasche außer Sicht geriet.
"Vermisst du sie sehr?"
"Ja... meinen Ziehsohn... vor allem. Ich habe mich schon daran gewöhnt gehabt dass alle anderen vor mir sterben werden, aber er sollte ebenso mit einem langen Leben gesegnet sein." Er seufzte. Die Ablenkung hatte funktioniert, der Ritter hatte unbeachtet pinkeln können. "Aber ich rede nur von mir. Entschuldige."
"Hätte ich es nicht hören wollen, hätte ich nicht gefragt." Der Ritter atmete durch und lümmelte sich zurück in die Laken.
"Ich habe eine Ziehtochter und einen Sohn zurückgelassen. Sie sollten beide schon erwachsen sein. Alystin und Clay. Ich wüsste zu gerne, wie es ihnen geht."
Und natürlich Ilarion. Auch dieses Messer schnitt noch, wenngleich lange nicht mehr so tief wie vor fünfzehn Jahren.
Arvijd nickte wieder, er war deutlich nachdenklicher als sonst. Sie hatten beide viel zurücklassen müssen und für Jarel lag 3s bereits 15 Jahre zurück... "Es ist nicht leicht, neu anzufangen... aber ich denke ich kann hier viel gutes bewirken. Dort habe ich mein Anwesen zu einem Krankenhaus ausgebaut aber das lief am Ende quch ohne mich... nun kann ich es hier versuchen. Ich kann den Menschen hier helfen, sie über Hygiene aufklären... vielleicht auch Reisenden helfen, die hier stranden... Eine Sprachschule vielleicht..." Der Arzt war, so alt er sein mochte, immer wieder voller Idealismus.
Bewundernd sah Jarel sein gegenüber an. Große Pläne. Idealistische Pläne. Der Mann war definitiv ein Philanthrop. Er selber hatte sich vor der neuen Welt zu verstecken versucht und sein eigenes Süppchen gekocht. Als Ritter hatte er zwar auch versucht zu helfen, aber eher um seine vergangenen Sünden zu sühnen, als aus reiner Herzensgüte.
Jarel nickte. "Wenn ich dich dabei irgendwie unterstützen kann..."
Der Arzt überlegte. "Ich bin mir nicht sicher ob Wyzima der richtige Ort ist, aber der Tempel war ein guter Anfang. Du würdest mir schon helfen, wenn du mich mit den anderen bekannt machst... und wenn du weitere triffst... sag ihnen, dass ich ihnen helfen kann." Vielleicht war es auch für den Arzt der Versuch zu sühnen. Bisher hatte er nicht gewagt zu überprüfen , ob der Fluch noch Bestand hatte, aber nun lebte er tatsächlich als wäre es das letzte mal.
Jakob befand sich gerade nicht im Raum. Vermutlich versorgte er die Pferde oder genoss die Ruhe.
Als Arvijd nun jedoch nach Jarel sah wirkte er wach, die Haut hatte den wächsernen Glanz verloren.
"Mir scheint, du bist auf dem Weg der Besserung?“
Die Stimme, die ihm antwortete war schwach. Aber klar und verständlich.
"Arvijd?" Jarel rang sich ein Lächeln ab. "Schön dich zu sehen. Durftest du meinen Knappen schon kennenlernen? Geht es Jakob gut?" Die wenigen Worte reichten schon, um ihn zu einer Atempause zu zwingen.
Noch bevor der Heiler antwortete, versuchte Jarel den gesunden Arm zu heben und mit den Fingern zu spielen. Es gelang. Schwach. Unkoordiniert, aber es gelang.
"Deinem Knappen geht es gut, den Pferden ebenso. Dem Jungen tut die Auszeit gut." Der Arzt musterte seinen Patienten als reiche das schon um die Frage zu beantworten, die ihm schon seit dem Tag ihrer Ankunft auf der Seele brannte.
Trotzdem, ein paar Dinge gab es vorher noch zu klären.
"Bewegung den Arm nicht, er heilt. Das Endriagengift hat dir ordentlich zugesetzt."
Um dem Nachdruck zu verleihen nahm er neben Jarel Platz und hielt den verletzten Arm fest. Aber diese Geste stellte auch Nähe her.
"Dein Knappe hat mit auch von deinem Lebertransplantat erzählt..." keine Frage, eine Bemerkung, wie reagierte der Ritter, der über die Jahre vielleicht auch ein Freund geworden war.
Jarel presste die Zähne zusammen. Auch er hatte schon länger einen Verdacht…
"Ja. Ich trage einen Teil der Leber eines anderen in mir. Und ich muss täglich ein Medikament dafür einnehmen, damit es nicht abgestoßen wird."
Er wusste sehr wohl, dass sich mehr hinter der Frage verbarg. Doch wenn er sich schon offenbaren würde, dann wenigstens nach einer konkreten Frage.
Arvijd nickte nur. In der Theorie wusste er, dass das nötig sein konnte. Der Körper wehrte sich gegen fremdes Gewebe. Ob es Möglichkeiten gab, das zu umgehen - vielleicht gab es ja passendere und weniger passende Spender. Bei den Augen konnte man die eines Schweines nehmen, aber die Leber... er vermutetet, je näher es sich am Zentrum des Körper sbefand umso schwieriger wurde es, vielleicht war es auch wie sehr es einwachsen musste. Ein Auge war deutlich abgeschlossener.
"Wie war das möglich, Jarel, mein Freund... wir beide wissen doch, dass die Medizinier hier oft nicht einmal in der Lage sind eine Platzwunde steril zu versorgen... geschweige denn ein ganzes Organ zu verpflanzen..." Was ihm auch noch zu denken gab, woher bekam er das Medikament?
Jarel nickte. "Die Heiler hier verpflanzen keine Organe." Der Ritter wartete einen Moment, bis sein Gegenüber das verdaut hatte."
"Die Heiler hier besitzen auch keine Mikroskope und Wissen um den Zusammenhang von Hygiene und Infektionen."
Er sah dem Mediziner direkt in die Augen. Ob er immer noch darüber reden wollte?
Der Ton des Ritters war leise, freundlich und verständig. Kein Drohen. Eher eine kleine Verschwörung unter Freunden,
Arvijd nickte. Diese Unterhaltung war wohl überfällig. Vielleicht hatten sie es auch beide schon längst geahnt, die Sprache war das eine, manche Verhaltensweisen, sie versuchten sich anzupassen, sich einzugliedern, doch das Fremde blieb. "Dann müssen wir nicht mehr um den heißen Brei reden." Er lächelte, dem Ritter hatte er immer vertraut, irgendwie. Auch wenn die Flammenrose auf seiner Brust prangte - wenn auch nicht jetzt gerade - er hatte das Herz immer am rechten Fleck gehabt. Wobei das die Menschen in Wyzima oft anders sahen, sicher von Aldersberg war ein durchgedrehter Spinner gewesen, aber die Massaker begonnen hatten die Anderlinge und die Flammenrose hatte sie beendet. Ob die Wahrheit dazwischen lag wusste er nicht.
"Ich komme aus einer Welt, die wir Ataris nannten.... Und du ahnst es vielleicht schon, unser Wissensstand war deutlich höher als der der Menschen hier, vor allem was die Medizin anging."
Der Ritter sah sich kurz um, so weit er konnte. Sie waren allein. Zeit für ein offenes, entspanntes Gespräch.
"Wie kamst du her?", fragte Jarel neugierig. "Und wie lange bist du schon hier? Warst du dort Medizinier? Oder in der Forschung?"
Arvijd lachte. Es war niemand da, er hatte Iola weggeschickt, Besorgungen zu machen, sie waren alleine. Soviel Umsicht konnte er durchaus an den Tag legen. "Ich bin vor allem Chirurg. Aber ich habe auch geforscht, sehr lange sogar." Er überlegte wie schockierend es wohl sein mochte, dass er schon seit weit über 300 Jahren lebte.
"Ich kann nicht genau sagen, wie ich hierher gekommen bin. Ich gestehe, nach einigen... Rückschlägen und Verlusten war ich so weit, meinem Leben ein Ende zu setzen. Und dann kam ich im See von Wyzima zu mir." Nicht die ganze Wahrheit, allerdings verriet das verschmitzte Lächeln beinahe den Rest. So sprach keiner über den Selbstmord, der ernsthaft damit rechnen musste tot zu bleiben. Er hatte sich längst daran gewöhnt, dass er jedesmal wiederkam. Wobei er für das Leben hier nun einen Rest an Zweifel hatte, nämlich, ob er rden Fluch tatsächlich mit hier her gebracht hatte, daher behielt er das lieber für sich.
Der Ritter kam ins Stocken. Einen Moment stolperte sein Puls. "Die wollen dich im Jenseits noch nicht.", frotzelte er freundlich, obwohl eine Hand um seinen Magen seine Betroffenheit durchaus spürbar machte.
"Ich stamme aus Azeroth.", begann Jarel im Plauderton. "In meiner Welt ist Magie allgegenwärtig. Die Wissenschaft weniger. Aber die Heiler sind in der Lage, abgetrennte Extremitäten binnen Sekunden wieder anwachsen zu lassen und sogar die Toten zurück ins Leben zu holen. Wenn zur rechten Zeit vollständig ins Leben zurückgeholt. Und wenn es zu spät ist...mit weniger Puls als vorher."
Wie phobisch er auf Verlassene reagierte, erwähnte er nicht. Allein die Gänsehaut auf dem nicht verbundenem Arm zeigte schon, wie sehr er sie fürchtete.
"Ich kam vor sechszehn Jahren hierher. Fiel dem Großkomtur regelrecht vor die Füße. Und bleib beim Orden."
Das wichtigste war gesagt. Ob er auch wusste, dass Jakob nicht von hier war?
gestern um 09:32 Uhr
Dass der Ritter regelrecht Reisende um sich scharte ahnte der Arzt nicht. Auch nicht, dass der Ritter einem Mann den auch er bestens kannte bereits begegnet war. Er nickte nur bei dessen Erklärungen. "Auch bei uns gab es die Magie, aber nicht jeder ist dazu in der Lage, sie auch einzusetzen. Mir blieb es leider verwehrt, aber ich kann dennoch helfen, ich kann mit der Kraft meiner Hände abgetrennte Glieder annähen und Organe verpflanzen und auch ein Herz wieder zum Schlagen bringen, wenn es noch nicht zu lange still steht." Was es ihn alles gekostet hatte, und was er alles nicht hatte retten können... das stand auf einem anderen Blatt.
"Es gäbe sicher eine schönere Gelegenheit, zu plaudern... gerade darüber." Bei einem Tee oder in seinem Fall einem kräftigen Rotwein. "...aber wir sind nun einmal hier. Kennst du noch andere?"
Jarel nickte abermals. "Ja. Irgendwie findet man sich. Nicht viele. Aber ja."
Der Ritter befeuchtete sich die Lippen. "Wann denkst du, kann ich wieder aufstehen?"
"Aufstehen kannst du wenn du deine Muskeln kontrollieren kannst. Deine Beine waren nicht verletzt, nur der Arm, den solltest du schonen..." antwortete er sofort routiniert, aber es war etwas anderes, dass ihn beschäftigte. "...woher kommen diese anderen? Aus welchen Welten? Wo sind sie?"
"Die, die ich näher kenne, komme weder aus deiner noch aus meiner Welt. Sie kommen von der Erde." Er überlegte. Die Namen würde er nicht preisgeben. Aber das ging auch anders.
"Dort sind sie geschätzte 900 Jahre weiter. Die Technologie ist beeindruckend. Wenn du einen von ihnen kennenlernen möchtest, kann ich ihnen deinen Namen nennen. Ich lege für jeden von ihnen meine Hand ins Feuer." Ja. Und das war nicht nur ein Spruch. für den einen hatte er es getan.
900 Jahre mehr an Entwicklung, 900 Jahre Forschung... All das Wissen. Für ihn lag diese Welt etwa 400 Jahre zurück, mehr als sein ganzes Leben.
"Ich würde gerne andere treffen, die sind wie wir. Ich hätte nicht gedacht, dass es noch mehr gibt..."und es macht ihn sogar ein wenig wehmütig. Daran, dass es für ihn ei en Weg zurück geben könnte dachte er nicht und er legte es eohl such nicht darauf an. Dort woher er kam hatte er nun tatsächlich alle verloren, die ihm etwas bedeuten. "Bist du freiwillig hergekommen?"
Jarel schüttelte den Kopf und wackelte konzentriert mit den Zehen. Es funktionierte! Es ging voran! Doch die Hoffnung, dass er zum pissen aufstehen konnte, war utopisch.
"Ich war auf der Suche nach jemandem. Verirrte mich in einem Nebel...und kam in einer Welt zu mir, die völlig fremd war." Kurz ging er in Gedanken all das durch, was er danach durchgemacht hatte.
"Fremde Sprache, Fremde Sterne, Fremde Bräuche....und doch so viel Gemeinsames. Die alte Sprache hier, wird auch bei mir gesprochen. Auf Azeroth heißt es Thalassisch. Die Sprache der Elfen. Zu meinem Vorteil spreche ich sie fließend. Gab es auch bei dir Gemeinsamkeiten?"
Etwas verdrossen kaute er auf seiner Unterlippe. Verdammt, wie sollte man in so einer Situation NICHT ans pinkeln denken?
Was dem Ritter neben der Sprache noch durch den Kopf ging ahnte der Arzt nicht, auch wenn es vielleicht naheliegend gewesen wäre.
"Auf meiner Welt gibt es keine Elfen, und es gab auch keine Gemeinsamkeiten... deshalb gab ich auch vor, an einer Amnesie zu leiden, das machte es leichter für die anderen... Und ich dachte immer, ich wäre der einzige..."
"Ich kenne sogar jemanden, der sich der Suche nach einem Rückweg verschrieben hat. Und der sogar schon auf der anderen Seite mit dieser Forschung begonnen hat." Kurz schloss Jarel die Augen, treib die Sehnsucht zurück in die Truhe in der er sie einsperren konnte, räusperte sich und öffnete die Augen wieder. "Gibt es nicht die Möglichkeit, doch schon aufzustehen?"
"Versuch es..." Der Arzt stand daneben, bereit, den Patienten aufzufangen. Der Mensch Arvijd dachte über das gehörte nach. Ein Rückweg? Wollte er das? Noch einmal neu anfangen? Wieder erklären wer er war, sich eine neue Legende zuzulegen... Wollte er das? Das Krankenhaus lief mittlerweile auch ohne ihn und hier war er mehr als nützlich und niemand stellte Fragen.
"Ich würde gerne mit anderen reden, mit dem der forscht... aber ich denke, zurück würde ich nicht gehen, selbst wenn es einen Weg gäbe... dort wartet nichts auf mich, niemand. Würdest du denn gehen?"
"Nein. Nicht nach fünfzehn Jahren. Meine Kinder werden über mein Verschwinden hinweggekommen sein. Meine bessere Hälfte auch. Ich habe mein Leben hier."
Der Ritter versuchte tatsächlich aufzustehen. Und floss Richtung Boden wie ein guter Schluck flüssiges Kautschuk.
"Kacke...", murrte er. Würde nix werden damit zum Abort zu gehen. "Arvijd...ich muss pissen."
Der Arzt war zwar ein wenig kleiner als der Ritter aber selbst etwas stäimmig gebaut und durchaus kräftig. Er griff dem anderen beherzt unter die Arme und zog ihn auf dir Beine. "Ein wenig wirst du schon mithelfen müssen." Er musste an Nikolavo denken, der sich wohl ähnlich ausgedrückt hätte... Sein Ziehsohn, er war wie vom Erdboden verschluckt gewesen. Emiya war verschwunden nachdem ihr Kind nicht überlebt hatte... er wäre Großvater geworden, so sein Empfinden. Aber alle waren sie aus seinem Leben verschwunden. Den Ritter zu halten lenkte ihn jedoch ausreichend ab.
Jarel murrte, motze und fluchte, dass dem Mediziner die Ohren rot anliefen. Er mühte ich ab, doch richtig auf die Beine kam er nicht.Stattdessen begann er zu schwitzen.
Und noch schlimmer zu fluchen. Ganz schön unanständig für einen Glaubensbruder.
Was er wohl drüben gewesen war? "Wen hast du hinter dir lassen müssen, Arv?", versuchte er von seinem hilflosen Geschlenker abzulenken.
Arvijd hinter den Ritter zurück in sein Bett und gab ihm eine spezielle geformte Blechflasche. "Dann wirst du das Austreten dahinein erledigen müssen." Das Gefluche störte ihn offenbar kaum. Nikolavo hätte er wohl gerügt, aber so lächelte er nur.
"Ich habe auch dort schon kein geradliniges Leben geführt... ich habe länger gelebt als jeder Mensch... ich hatte eine Familie, eine Frau uns einen Sohn...dann später... mehr als ein Jahrhundert später lernte ich eine andere kennen... wir hatten nicht viel Zeit, aber sie hinterließ mir ihren kleinen Sohn, den zig ich groß wie meinen eigenen, und von dem könntest such du noch ein paar Flüche lernen. Und auch er wurde erwachsen, fand eine Frau... sie hätten eine Tochter gehabt, aber sie starb bei der Geburt. Danach... Es waren schlimme Zeiten... Beide zogen sich zurück. Dort gibt es niemanden mehr."
"Du hast viel hinter dir gelassen." Jarel nahm sich murrend die Flasche.
Warum war das jetzt beschämend für ihn? War doch eine ganz natürliche Sache....Ach scheiß doch drauf. Besser als sich einzunässen.
Trotzdem bekam er hektische rote Flecken im Gesicht und war heilfroh als die Flasche außer Sicht geriet.
"Vermisst du sie sehr?"
"Ja... meinen Ziehsohn... vor allem. Ich habe mich schon daran gewöhnt gehabt dass alle anderen vor mir sterben werden, aber er sollte ebenso mit einem langen Leben gesegnet sein." Er seufzte. Die Ablenkung hatte funktioniert, der Ritter hatte unbeachtet pinkeln können. "Aber ich rede nur von mir. Entschuldige."
"Hätte ich es nicht hören wollen, hätte ich nicht gefragt." Der Ritter atmete durch und lümmelte sich zurück in die Laken.
"Ich habe eine Ziehtochter und einen Sohn zurückgelassen. Sie sollten beide schon erwachsen sein. Alystin und Clay. Ich wüsste zu gerne, wie es ihnen geht."
Und natürlich Ilarion. Auch dieses Messer schnitt noch, wenngleich lange nicht mehr so tief wie vor fünfzehn Jahren.
Arvijd nickte wieder, er war deutlich nachdenklicher als sonst. Sie hatten beide viel zurücklassen müssen und für Jarel lag 3s bereits 15 Jahre zurück... "Es ist nicht leicht, neu anzufangen... aber ich denke ich kann hier viel gutes bewirken. Dort habe ich mein Anwesen zu einem Krankenhaus ausgebaut aber das lief am Ende quch ohne mich... nun kann ich es hier versuchen. Ich kann den Menschen hier helfen, sie über Hygiene aufklären... vielleicht auch Reisenden helfen, die hier stranden... Eine Sprachschule vielleicht..." Der Arzt war, so alt er sein mochte, immer wieder voller Idealismus.
Bewundernd sah Jarel sein gegenüber an. Große Pläne. Idealistische Pläne. Der Mann war definitiv ein Philanthrop. Er selber hatte sich vor der neuen Welt zu verstecken versucht und sein eigenes Süppchen gekocht. Als Ritter hatte er zwar auch versucht zu helfen, aber eher um seine vergangenen Sünden zu sühnen, als aus reiner Herzensgüte.
Jarel nickte. "Wenn ich dich dabei irgendwie unterstützen kann..."
Der Arzt überlegte. "Ich bin mir nicht sicher ob Wyzima der richtige Ort ist, aber der Tempel war ein guter Anfang. Du würdest mir schon helfen, wenn du mich mit den anderen bekannt machst... und wenn du weitere triffst... sag ihnen, dass ich ihnen helfen kann." Vielleicht war es auch für den Arzt der Versuch zu sühnen. Bisher hatte er nicht gewagt zu überprüfen , ob der Fluch noch Bestand hatte, aber nun lebte er tatsächlich als wäre es das letzte mal.
- Jakob von Nagall
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- Lebenslauf: Jakob von Nagall
Jakob war, wie an jeden Morgen seit sie in Wyzima residierten, bei den Pferden gewesen und hatte sich dann der Andacht der Schwestern angeschlossen. Still und unauffällig wie er war, machten sich diese nichts aus seiner Anwesenheit – er war fast so etwas wie ein steter Geist im Tempel geworden. Ein Geist mit einem paar kräftiger Hände, die Wassereimer schleppten oder Holz hackten. Ein Geist, der nicht viel redete und niemanden belästigte.
Nach der Andacht hatte er wie immer im Garten meditiert und beim Plätschern des Brunnens das Es gesucht. Zen. Das absolute Gleichgewicht. Heute gelang es ausnehmend gut – vielleicht lag es am milden Sonnenschein, der nach den trüben Tagen, die auf den Gewitterguss gefolgt waren, nun endlich wieder durch die Wolken brach. Der Garten dampfte, Insekten summten und wurden von zierlichen Vögeln elegant verfolgt.
Noch angefüllt von dieser Ruhe und Harmonie machte er sich nach seinen Übungen auf den Weg zu Jarel, hielt allerdings an der angelehnten Tür inne, da er von drinnen Arvijds Stimme vernahm.
Vielleicht war es ein Feldversuch, vielleicht stumpfe Neugier. Noch in Balance war es ganz einfach, das Es wieder zu sich zu holen und weg zu schließen. Auch wenn er außerhalb des Raums war, so wusste er doch, dass Jarel überaus aufmerksam sein konnte. Es war manchmal geradezu unheimlich. Daher versuchte er sich „unsichtbar“ zu machen (68/16) und lauschte. Die beiden Männer schienen ihn tatsächlich absolut nicht zu bemerken. Außerdem waren sie zusätzlich damit beschäftigt, Jarels Motorik auszuprobieren – woran dieser kläglich scheiterte. Er konnte einem schon Leid tun, aber es war ja temporär. Zumal Jakobs Aufmerksamkeit viel mehr am Gespräch fest hing.
Und staunte nicht schlecht. Jetzt erklärte sich ihm so einiges – das Hörrohr, das Mikroskop, das sterile Arbeiten… Der Arzt war ein Reisender! Und was er noch erzählte, ließ Jakob den Rücken gegen die Wand neben der Tür pressen und stocksteif werden. Länger gelebt als jeder Mensch? Was zum…! Was war er? Jakob atmete flach, bemüht um Ruhe… Jarel schien ganz entspannt, also sollte er vielleicht auf sein Urteil vertrauen? Aber konnte er das? Da nagte schon eine Weile etwas an diesem Vertrauen, was er noch nicht ganz mit Händen greifen konnte und es deswegen immer wieder beiseite schob.
Plötzlich näherten sich Schritte und Jakob richtete sich auf. Er wollte nicht beim Lauschen ertappt werden, also klopfte er rasch an die Tür und schob sich dann nahtlos in Jarels Krankenzimmer.
“Guten Morgen, Jarel – Doktor. Entschuldigt, ich wollte nicht stören.“, schon machte er Anstalten, wieder gehen zu wollen.
Nach der Andacht hatte er wie immer im Garten meditiert und beim Plätschern des Brunnens das Es gesucht. Zen. Das absolute Gleichgewicht. Heute gelang es ausnehmend gut – vielleicht lag es am milden Sonnenschein, der nach den trüben Tagen, die auf den Gewitterguss gefolgt waren, nun endlich wieder durch die Wolken brach. Der Garten dampfte, Insekten summten und wurden von zierlichen Vögeln elegant verfolgt.
Noch angefüllt von dieser Ruhe und Harmonie machte er sich nach seinen Übungen auf den Weg zu Jarel, hielt allerdings an der angelehnten Tür inne, da er von drinnen Arvijds Stimme vernahm.
Vielleicht war es ein Feldversuch, vielleicht stumpfe Neugier. Noch in Balance war es ganz einfach, das Es wieder zu sich zu holen und weg zu schließen. Auch wenn er außerhalb des Raums war, so wusste er doch, dass Jarel überaus aufmerksam sein konnte. Es war manchmal geradezu unheimlich. Daher versuchte er sich „unsichtbar“ zu machen (68/16) und lauschte. Die beiden Männer schienen ihn tatsächlich absolut nicht zu bemerken. Außerdem waren sie zusätzlich damit beschäftigt, Jarels Motorik auszuprobieren – woran dieser kläglich scheiterte. Er konnte einem schon Leid tun, aber es war ja temporär. Zumal Jakobs Aufmerksamkeit viel mehr am Gespräch fest hing.
Und staunte nicht schlecht. Jetzt erklärte sich ihm so einiges – das Hörrohr, das Mikroskop, das sterile Arbeiten… Der Arzt war ein Reisender! Und was er noch erzählte, ließ Jakob den Rücken gegen die Wand neben der Tür pressen und stocksteif werden. Länger gelebt als jeder Mensch? Was zum…! Was war er? Jakob atmete flach, bemüht um Ruhe… Jarel schien ganz entspannt, also sollte er vielleicht auf sein Urteil vertrauen? Aber konnte er das? Da nagte schon eine Weile etwas an diesem Vertrauen, was er noch nicht ganz mit Händen greifen konnte und es deswegen immer wieder beiseite schob.
Plötzlich näherten sich Schritte und Jakob richtete sich auf. Er wollte nicht beim Lauschen ertappt werden, also klopfte er rasch an die Tür und schob sich dann nahtlos in Jarels Krankenzimmer.
“Guten Morgen, Jarel – Doktor. Entschuldigt, ich wollte nicht stören.“, schon machte er Anstalten, wieder gehen zu wollen.
- Jarel Moore
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- Lebenslauf: Jarel
„Warte, Jakob!“ Jarel versuchte seinen Knappen am Gehen zu hindern.
„Du störst nicht. Komm doch zu uns und unterhalte dich ein wenig. Wie geht es dir hier? Bekommst du genug auf die Gabel?“
Der Ritter wollte gerade versuchen, sich zumindest auf die Ellenbogen aufzurichten, besann sich aber eines Besseren.
Wie ein Schluck Wasser wollte er aber auch nicht da liegen. Nicht vor dem Jungen.
Sitzen sollte klappen.
Er mühte sich ab, die Beine aus dem Bett zu schwingen und sich aufzusetzen, doch so recht wollte ihm das nicht gelingen (40/100),
Jarel presste die Lippen zusammen und murrte. Wie peinlich. Zumindest war Jakob bei den anderen Sachen nicht zugegen.
Es könnte immer noch schlimmer kommen.
„Du störst nicht. Komm doch zu uns und unterhalte dich ein wenig. Wie geht es dir hier? Bekommst du genug auf die Gabel?“
Der Ritter wollte gerade versuchen, sich zumindest auf die Ellenbogen aufzurichten, besann sich aber eines Besseren.
Wie ein Schluck Wasser wollte er aber auch nicht da liegen. Nicht vor dem Jungen.
Sitzen sollte klappen.
Er mühte sich ab, die Beine aus dem Bett zu schwingen und sich aufzusetzen, doch so recht wollte ihm das nicht gelingen (40/100),
Jarel presste die Lippen zusammen und murrte. Wie peinlich. Zumindest war Jakob bei den anderen Sachen nicht zugegen.
Es könnte immer noch schlimmer kommen.
- Arvijd Kostjunari
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- Registriert: Mittwoch 27. Juli 2022, 12:38
- Lebenslauf: Dr. Kostjunari
Arvijd warf dem jungen Knappen nur einen kurzen Blick zu. Er hatte die letzten Tage nur mitbekommen, dass er geholfen hatte wo er konnte und Iola, aus irgendeinem Grund hatte sie ab und zu jemand die 'Dritte' genannt, hing sehr an ihm, wann immer sie konnte suchte sie seine Nähe. Aber weshalb, das erfuhr niemand.
"Guten Morgen Jakob. Ihr stört nicht. Habt ihr Fragen, kann ich irgendetwas für euch tun?"
Er hatte nicht die geringste Ahnung was er gehört haben mochte, er kam nicht einmal auf die Idee, dass. Der Arzt war mit der aktuellen Situation ausreichend beschäftigt gewesen, meist bekam er außen herum wenig mit.
Jarel hatte ihn versichert, dass sein Knapp intelligent und aufmerksam war, aber so schweigsam und zurückhaltend, wie sich der Junge die meiste Zeit gab, dermaßen introvertiert, er machte immer ein wenig den Eindruck, er sei zurückgeblieben. Aber der Arzt vertraute dem Urteil des Ritters.
"Guten Morgen Jakob. Ihr stört nicht. Habt ihr Fragen, kann ich irgendetwas für euch tun?"
Er hatte nicht die geringste Ahnung was er gehört haben mochte, er kam nicht einmal auf die Idee, dass. Der Arzt war mit der aktuellen Situation ausreichend beschäftigt gewesen, meist bekam er außen herum wenig mit.
Jarel hatte ihn versichert, dass sein Knapp intelligent und aufmerksam war, aber so schweigsam und zurückhaltend, wie sich der Junge die meiste Zeit gab, dermaßen introvertiert, er machte immer ein wenig den Eindruck, er sei zurückgeblieben. Aber der Arzt vertraute dem Urteil des Ritters.
- Jakob von Nagall
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- Lebenslauf: Jakob von Nagall
Jakob hielt inne, wandte sich gehorsam wieder um und schloss die Tür - von innen. Dann trat er an Jarels Bett, an dem er so viele Stunden sitzend verbracht hatte und gehofft, dass der Mann endlich die Augen aufmachte und die Welt um sich wieder wahrnahm. Ihn nun fast sitzend zu sehen, tat schon schmerzhaft gut und tatsächlich stahl sich ein hauchfeines Lächeln auf seine Lippen. Jarel hatte Farbe, auch seine Flüche waren durchaus farbenfroh und Leben war in seinen Augen. Der Doktor hatte Wort gehalten und Jakob stellte fest, dass er unendlich erleichtert war. Gleichzeitig hoffte er, dass der Doktor schief gelegen hatte, was das Bewusstsein Jarels während der ersten Stunden nach der Vergiftung anging. Seinen emotionalen Ausbruch nachdem er den Ritter fälschlicherweise für tot gehalten hatte, wollte er lieber für sich behalten. Zu daneben.
"Es freut mich, dass du so munter bist. Gut siehst du aus.", erwiderte er mit ruhiger Stimme. "Klemmt nur noch etwas mit dem Strammstehen, hm?", wagte er dann einen milden Spott. Doch ja, er war gottfroh. Kurz flackerte sein Blick zum Doktor - ein Reisender, nach eigener Aussage sehr alt - dann kehrte seine Aufmerksamkeit zu Jarel zurück, nur um wieder zum Arzt zu flirren. "Nein, dass heißt Ja." Hin, her. Nein, doch nicht. "Wann bist du wieder auf den Beinen? Also was meint Ihr, Doktor?" Er klang schon wieder wie ein Idiot, senkte kurz den Blick, sah dann den Ritter wieder an. "Ich hab schon das Gefühl, Mari schaut vorwurfsvoll, weil ich dich wieder nicht mitbringe.", zog er sich auf Belanglosigkeiten zurück.
Die Sache mit dem Essen schlich er aus - er neigte hier tatsächlich oft dazu, es zu vergessen. Wäre nicht die stille Iola, der hätte wohl seit Tagen gefastet, ohne es wirklich zu merken.
"Es freut mich, dass du so munter bist. Gut siehst du aus.", erwiderte er mit ruhiger Stimme. "Klemmt nur noch etwas mit dem Strammstehen, hm?", wagte er dann einen milden Spott. Doch ja, er war gottfroh. Kurz flackerte sein Blick zum Doktor - ein Reisender, nach eigener Aussage sehr alt - dann kehrte seine Aufmerksamkeit zu Jarel zurück, nur um wieder zum Arzt zu flirren. "Nein, dass heißt Ja." Hin, her. Nein, doch nicht. "Wann bist du wieder auf den Beinen? Also was meint Ihr, Doktor?" Er klang schon wieder wie ein Idiot, senkte kurz den Blick, sah dann den Ritter wieder an. "Ich hab schon das Gefühl, Mari schaut vorwurfsvoll, weil ich dich wieder nicht mitbringe.", zog er sich auf Belanglosigkeiten zurück.
Die Sache mit dem Essen schlich er aus - er neigte hier tatsächlich oft dazu, es zu vergessen. Wäre nicht die stille Iola, der hätte wohl seit Tagen gefastet, ohne es wirklich zu merken.
- Jarel Moore
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- Lebenslauf: Jarel
Der Ritter versuchte auf Jakobs Flachsererein und den kleinen Seitenhieb nicht zu reagieren. Aber sein Knappe kannte ihn zu gut. Das gutmütige Funken in den Augen und das winzige Hochzucken der Mundwinkel. Jarel unterdrückte ein Lachen. Der Humor seines Knappen traf genau seinen Nerv. Und es tat so gut, ihn gesund und munter zu sehen. Er wirkte einerseits entspannt und seltsam ruhig, andererseits waren seine Augen beschattet. Und mehr auf den Rippen konnte er auch vertragen. Ob er aus lauter Sorge das Essen vergas? „Arvijd, bist du so gut und lässt uns ein paar Minuten alleine?“ Der heiler nickte und ging ohne weitere Fragen. Als sie die Tür schloss überlegte Jarel noch einmal einen Versuch zu starten, sich aufzusetzen. Aber darin zu versagen wäre noch peinlicher als es nicht zu versuchen. Er musterte Jakob noch einmal vielsagend. „Wie fühlst du dich?“
Jarel entließ den Arzt, ohne dass dieser auch nur auf eine Frage geantwortet hätte. Ärzte. So sehr sie ihm auch geholfen haben mochten, er konnte sie nicht leiden. Taten immer, als wüssten sie alles besser und hielten sich für unfehlbar. Und wenn man ihnen dann bewies, dass sie sich in ihrer Einschätzung geirrt hatten, taten sie auch noch so, als freuten sie sich über eine medizinische Sensation. Ärzte. Jakobs Blick folgte Arvijd hinaus, dann kehrte er zu Jarel zurück. Das leichte Zucken der Lippen und das Funkeln in den braunen Augen war ihm nicht entgangen - er kannte Jarel inzwischen zu gut. Er war nicht immer leicht zu lesen, aber gerade machte er den Eindruck, er freue sich so sehr ihn zu sehen, wie umgekehrt. Auch wenn es Jakob nicht behagte, ihn so schlaff in den Kissen hängen zu sehen. Es würde vorbei gehen. Bald. "Sollte nicht ich diese Frage stellen?" Er zog sich den Stuhl heran, der ihm für seine Wache gute Dienste geleistet hatte und setzte sich neben Jarels Bett.
"Es ist angenehm hier. Still."
„Die Ruhe ist einer der Gründe, warum ich so gern hier bin. Und weil es mir hilft…“ Er stockte kurz, lächelte verschmitzt. „Dazu kommen wir später.“ Erst einmal galt es Jakobs Fragen zu beantworten. „Die Kontrolle über meinen Körper bekomme ich langsam wieder. Nur richtig gehorchen will er nicht.“ Jarel zuckte kurz mit der heilen Schulter. „Stramm stehen ist noch nicht, da hast du Recht. Ich habe heute versucht, ein paar Schritte zu gehen.“ Zum Abort verdammt. Kein Bergsteigen, kein Marathon, und selbst da hatte er – hatte sein Körper – versagt. „Hat nicht funktioniert. Morgen versuchen wir es wieder.“ Wie unangenehm es dem Ritter war sich vollständig versorgen zu lassen, verschwieg er. Es war ihm schon immer zuwider gewesen, etwas nicht selber zu können. Und NICHTS selber zu können… Aber das war seinem Knappen wahrscheinlich ohnehin klar. „Ich denke, in zwei- drei Tagen bin ich so weit auf den Beinen, am Leben wieder teilnehmen zu können.“ Er nickte zuversichtlich. „Ich nehme nicht an, dass du dich schon freiwillig zum Dienst im Waisenhaus gemeldet hast, hm?“, fragte Jarel in einem Ton, der wohl rügend klingen sollte. Sollte. Aber nicht tat. Der Junge hatte genug hinter sich als sich auch noch ohne Rückendeckung seinem Erzfeind – einer Bande Rotzgören - zu stellen.
Jakob lümmelte auf seinem Stuhl und lauschte. Jarel spielte gut, aber nicht gut genug. Dazu wusste der junge Mann viel zu genau, wie es sich anfühlte - gehoben, gewaschen, gewendet, angezogen, Beuteltausch, Bett rauf, Bett runter, jeder Schritt nur an der Hand eines Helfers, die sich so brutal in das eigene Fleisch grub, weil sie damit rechnen mussten, dass die Beine ihres Pfleglings versagten. Er schwieg, bekundete kein Mitleid. Für ihn hatte es das nur immer schlimmer gemacht. Also nickte er ebenso. "Klar." Mal wieder. Das Universalwort, wenn er nicht wusste, was er sagen sollte. Dann rutschte er auf seinem Stuhl etwas höher, kratzte sich am Hals. "Nicht direkt. Ich hab' den Schwestern hier geholfen. Holz gehackt und so.", murmelte er etwas kleinlaut. Das Waisenhaus hatte er über all die Vorgänge völlig vergessen und es wäre ihm auch lieber gewesen, wenn es Jarel ebenso gegangen wäre. Aber zumindest dessen Gedächtnis funktionierte einwandfrei. Leider. Jakob musterte seine Knie. "Ich hab - viel gebetet. Und meditiert." Er tanzte auf seinen eigenen Eiern herum, so kam es ihm vor.
Jarel schmunzelte. „Wir werden nicht drum herumkommen, Knappe.“, erklärte er gespielt ernst. Dann wechselte sein Ton wieder. „Aber wir lassen uns damit noch ein paar Tage Zeit.“, raunte er verschwörerisch. „Ich freue mich, dass du dich einbringst. Das Meditieren ist auch einer der Gründe, warum ich die Reise hier her angestrebt habe. Es geht um die Frage, die ich dir vor der der Abreise gestellt habe. Das wandeln im Schatten. Solltest du dich dafür entscheiden, ist dies der richtige Ort, um mit den Übungen zu beginnen.“ Das ließ er so stehen. Wenn Jakob sich wirklich dafür entscheiden würde ihm auch auf diesem Wege zu folgen, würde er ihm das schon sagen. Damit war für den Älteren das Thema beendet. Nun galt es herauszufinden, ob Jakob sich als Reisender zu erkennen geben wollte oder nicht. Also galt es das Gespräch dorthin zu lenken. Dass sein Knappe bereits alles wusste, was er ihm nun offenbaren wollte, ahnte er nicht. Der Ritter verdrehte den Kopf um sich die Ausrüstung auf den Tischen genauer anzusehen. Und natürlich um Jakobs Blick dorthin zu lenken. „Arvijd hat eine interessante Ausrüstung, nicht wahr?“ Der Ritter behielt seinen Knappen im Blick und versuchte seine Reaktion einzuschätzen.
"Hab's befürchtet.", maulte er und damit war wieder so eine Gelegenheit durch seine Finger geschlüpft. Eine, etwas anzusprechen, was ihn umtrieb und dann war der Moment vorbei und Jarel sprach vom Meditieren. Das Schattenlaufen... auch das hatte Jakob zu den Hintergrundprozessen geschoben und noch hatte er keine Antwort, also blieb er eine Erwiderung schuldig.
Er folgte Jarels Blick zur Ausrüstung des Arztes, die ihm museal vorkam, aber jedem Mensch von hier wohl wie Hightech. Vermutlich standen im seine Gedanken auf die Stirn geschrieben.
Jarel nickte. "Der Doktore ist auch nicht von hier." Das ließ er einen Moment wirken. "Er weiß auch, daß ich ein Reisender bin... War... Und er möchte gerne andere Reisende kennenlernen. Wenn du mit m reden möchtest..." Eine weitere Pause. "Ich vertraue ihm."
"Ich fürchte, daran bin ich schuld. Ich hab ihm von deinem Transplantat erzählt." erwiderte er zerknirscht. Er hatte es prompt als Vorwurf aufgefasst. Aber dem Arzt vertrauen? Er vertraute sich ja selbst nicht zu Gänze. (Bearbeitet)
Der Ritter schüttelte lächelnd den Kopf. "Wir kennen und schon einige Zeit. Er hatte mich im Verdacht und ich ihn. Deine Bemerkung hat uns nur dazu gebracht, es dem anderen zu bestätigen. Nichts, worüber du dir den Kopf zerbrechen müsstest." Er zögerte kurz. "Du hast etwas auf dem Herzen, nicht wahr, Jakob?"
"Du kommst öfter her, oder?" Jakob wandte sich Jarel wieder zu
Er nickte. "Hier kann ich zu mir finden. Meine innere Ruhe zurück gewinnen. Und... zur Muttergöttin beten." Er machte keinen Hehl daraus, zumindest nicht Jake gegenüber. "Die Gespräche mit den Priesterinnen sind durchaus erhellend. Die Gärten.. Und die Bibliothek... ich werde Arvjid fragen, ob er dich mitnimmt. Du wirst begeistert sein." Obwohl ans Bett gebunden, klang Jarel regelrecht euphorisch.
Trotzdem sah der Ritter seinen Knappen erwartungsvoll an. Versuchte er schon wieder eine Frage unter den Tisch fallen zu lassen?
Bibliothek und begeistert - die Gemeinsamkeit war der Anfangsbuchstabe, aber damit hatte es sich. Doch Jakob nickte, fast schon mechanisch. Die Begeisterung für das geschriebene Wort, welche alle halbwegs gebildeten Leute hier teilten, war auf Jakob bisher noch nicht über gesprungen, zumal er noch immer mit der Schrift kämpfte und verschiedene Handschriften es nicht leichter machten. Aber Jarel sah ihn sofort wieder SO an. Ablenkungsmanöver misslungen, wollte dieser Blick sagen. Jakob zögerte und raffte sich dann doch auf. "Ich hab dir erzählt, dass die Christen einen Gott verehren. Aber eigentlich verehren sie seine Dreiheit - Gottvater, Sohn und heiligen Geist. Es gibt eine Geschichte, nach der der Heilige Geist zur Jungfrau Maria kam und ihr Gottes Sohn in den Schoß legte. Die Heilige Maria ist nicht weniger wichtig als die Heilige Dreifaltigkeit. Ihr sind ganze Kirchen geweiht - sie ist so etwas wie Meliteles Mitte. Die Mutter." Er verstummte einen Moment, schien zu überlegen, dann zog er das kleine Familiensiegel aus dem Ausschnitt und öffnete die Kette, um es Jarel zu reichen. Das Wappen seiner Familie zeigte auf dem zweigeteilten Schild Kreuz und brennendes Herz. Er war sich nicht sicher, ob er es Jarel je gezeigt hatte. "Mein Familienwappen. Die Dreifaltigkeit und das brennende Herz Mariä. Nebeneinander." Er ließ es einsickern, krauste leicht die Stirn. "Wie steht der Orden dazu, dass du eine Gottheit neben der Ewigen Flamme verehrst?" Doch eigentlich kannte er die Antwort.
Der Ritter nahm das Schmuckstück ehrfürchtig mit einer Hand entgegen und betrachtete es mit seltsam verklärtem Blick. "Ein Herz in Flammen. Jakob. Ich weiß du glaubst nicht an Vorsehung und Schicksal, aber ein deutlicheres Zeichen konnte man dir nicht mit hierhergeben." Im Gegensatz zu Jakob war Jarel völlig aus dem Häuschen. Eine gefühlte Ewigkeit später schloss der Ritter die Augen, atmete durch, berührte mit dem Anhänger seine Stirn und gab es Jakob auf der flachen Hand zurück. "Ich habe nie daran gezweifelt, dass du da bist, wo du hin gehörst. Zweifelst du etwa noch?" "Unter Wenzel von Herrenloh wird mein Glaube akzeptiert. Naja...eher toleriert. Oder einfach verschwiegen. Unter de Aldersberg hab ich es tunlichst verschwiegen. Seine Ansichten waren da...du kennst die Geschichten, nicht wahr?" Natürlich kannte er sie. Das Jarel sie nicht nur aus Erzählungen kannte, hatte er nie erwähnt.
Da war etwas seltsam in Jarels Stimme, als er den Namen des verschiedenen Großmeisters nannte. Nicht für jeden erkennbar. Für den aufmerksamen Jakob schon. Etwas...befremdliches...kaltes... Etwas, dass eine Gänsehaut verursachte.
"Ich denke viel darüber nach.", gab er zu und beinahe hätte er noch etwas weiter erzählt. Von seiner Verzweiflung, damals am Ende seines anderen Lebens, welches kein Ende werden sollte. Weil Gott es anders gewollt hatte? Oder die Mutter? Beinahe... Und wie so oft, kniff er. Schwieg. Statt dessen beobachtete er wie Jarel das Siegel behandelte und nahm es dann zurück, um es wieder im Hemd verschwinden zu lassen. Das Gold war warm von der Hand des Ritters. Dessen Stimme nahm einen unangenehmen Klang an, als er vom ersten Großmeister sprach und der Ton ließ Jakob aufmerksamer werden. Er kannte natürlich die jüngere Ordensgeschichte, aber das hier machte fast den Eindruck, als sei es persönlich. "Sicher. Aber ich bin die nächste Generation. Auch die Templer haben viele Verbrechen begangen, die einem das Herz gefrieren lassen wollen. Im Kontext ihrer Zeit und ihrer Moralvorstellungen sicher nicht böse - aus heutiger Sicht schlicht Morde an Unschuldigen. Der Orden wächst daran und wird die Fehler nicht wiederholen. Das hoffe ich jedenfalls immer." Offenkundig hatte er im Geschichtsunterricht besser aufgepasst als in Religion. Erstaunlich viele Worte, aber er hatte auch lange gespart. "Meliteles Frieden ist so ein Kontrast zur Ewigen Flamme, und dabei eine Ergänzung. Ich weiß nicht. Ich habe diesen Aspekt vermisst, glaube ich." Er blickte sinnend zum Fenster.
Der Ritter ließ ihn diesen Moment der Andacht, bevor er den Gedanken aufgriff. "Ich sehe keinen Grund, warum der Glaube an die Ewige Flamme der an Meliteles Güte widersprechen sollte." "Sicherlich wäre es gefährlich, dies im Orden offen zu bekunden. Es gibt immer noch genug Fanatiker in unseren Reihen. Aber vielleicht...in der nächsten Generation...." Wieder beobachtete der Ritter seinen Knappen aufmerksam. Verstehen würde er, was sein Schwertherr damit sagen wollte. Aber wie würde er darauf reagieren?
Nein, er wollte nicht verstehen. Er ließ es auf sich beruhen - für derlei Ambitionen war er viel zu kaputt im Kopf, entschied Jakob. Er atmete durch. "Jedenfalls beschwert sie sich nicht über das Ave Maria. Und die Äbtissin sagt, sie mag die Melodie." Auch wenn Jakob weit davon entfernt war, eine klangvolle Knabenstimme zu haben. Sein Tenor war ganz passabel. Er zwang sich zur Bewegung, rutschte auf dem Stuhl zurecht. "Ich bring dir nachher was zu essen. Brea kocht Fischsuppe. Ich hab den Fisch geschuppt - also wenn du Schuppen findest, weißt du, wo du dich beschweren kannst." Er wollte geradezu verzweifelt weg von diesem Thema. (Bearbeitet)
Jarel legte den Kopf etwas schief. "Fisch. Hervorragend." Das war ein Wink mit mehr als nur einem Zaunpfahl. "Ich hätte zwei Wünsche an dich, Jakob." Damit war klar, er akzeptierte, dass Jakob das Thema abschlug. Vorerst. "Bevor wir heimkehren, höre ich dich singen." Das klang weniger nach Wunsch, sondern eher nach Befehl. "Und zweitens...teilst du mir deine Entscheidung mit, ob du dich Doktor Kostjunari offenbaren möchtest." Der Ton traf das Konzept eines Wunsches viel eher. Er war wohl zu forsch vorgegangen. Vielleicht ein andern mal. Vielleicht später. Geduld. Er hatte genug Zeit.
Jakobs Lippen lächelten wie immer nicht, aber seine Augen taten es doch, als er erwiderte: "Komm auf die Füße und zur Andacht.", provozierte er seicht. "Besorg mir ein Cello und ich spiele noch die Begleitung." Dann kehrte der Ernst in seinen Blick zurück und er nickte. "Ich denk drüber nach." Ein Ding mehr auf der langen Liste.
"Cello....Du kannst spielen?" Das sein Junge musikalisch sein könnte, war ihm nie in den Sinn gekommen. Wie klang wohl Cello gemeinsam mit einer Flöte? Cello....gab es das hier? Und wenn ja, wie würde er eine herbekommen. Diese Herausforderung nahm er an. Mit Freuden!
Jakob zuckte mit den Schultern. "Reiches Kind aus gutem Hause. Schon vergessen?" Er sah skeptisch zu seinem Mentor. Diesen Blick mochte er gar nicht.
"Klavier, Violine, Flöte. Hab einen meiner Privatlehrer mal dazu gebracht, die Violine im Kamin zu zerschlagen, so wütend war er über mein Unvermögen." Er hob seine heile Hand, spielte mit den Fingern. "Ungeeignet. Vollkommen ungeeignet."
Nun schmunzelte der Knappe doch. Irgendwie vergaß er immer, dass auch Jarel mal jung und wild gewesen war. Er entspannte sich sichtlich wieder, lehnte sich zurück und betrachtete seine Rechte. "Ich war sogar ziemlich gut." Dank seines Ehrgeizes. "Zum Glück greife ich links ab und streiche mit rechts, sonst wäre es das gewesen. Meine Schwester spielte Piano." Sein Blick nahm etwas verträumtes an. Miriam war wundervoll am Flügel gewesen...
Seine Schwester. Über die er nie redete. Bis auf das eine Mal, nach der Vereidigung. "Wie war sie?", fragte er, leise und vorsichtig. Der Junge schnappte schneller zu als eine Bärenfalle, wenn er zu forsch vordrang.
Die hellen Augen überzogen sich mit den Schatten des nie ganz verheilten Schmerzes einer Wunde, die der Hym wieder tief aufgerissen hatte. Doch er sah nicht weg - diesmal nicht. "Ein Engel. Mein Gegenstück. Wie ein Teil meiner Seele." Tonlos. Und noch so viel mehr, für das er keine Worte hatte. Seine größte Schande. Er schluckte. "Sie spielte virtuos. Wir improvisierten manchmal stundenlang. Sie liebte Menschen, wollte Krankenschwester werden. Sie sagte immer, um Medizin zu studieren sei sie nicht kaltblütig genug." Noch ein Durchatmen. Er hatte sich wieder gefasst. "Miriam. Sie hieß Miriam."
"Ein klangvoller Name.". Vorsichtig. Ganz vorsichtig. So weit hatte er sich noch nie geöffnet. "Zwei Seelen im Einklang. Zwei Seelen als eine. Eine wundervolle Vorstellung. Du vermisst sie..."
Er ließ den Satz offen stehen. Gab ihm die Möglichkeit das Gespräch zu beenden, sich jederzeit zurückzuziehen.
"Jeden Tag. Und ich frage mich, wieso Gott sie genommen hat und nicht mich. Ihre Seele war rein. Sie hatte mit all dem Scheiß nicht mal etwas zu tun." Plötzlich war die Wut da, wie aus heiterem Himmel. Jakob sprang geradezu auf und lief zum Fenster, obwohl man durch das trübe Butzenglas bestenfalls Schemen erkennen konnte. Zu nah, er stand zu nah an den Instrumenten des Doktors. In dieser Stimmung war er unberechenbar und das wusste er sogar. Er wandte sich wieder um, wirkte plötzlich als wisse er nicht, was er hier eigentlich suchte. "Ich komme später nochmal, ich..." Ja, was? Er starrte einen Moment, murmelte dann: "Tut mir Leid." Und entwischte. Schamlos ausnutzend, dass Jarel ihm nicht nachlaufen konnte
Der Ritter legte den Kopf zurück und starrte an die Decke. So viel Wut. So viel Verzweiflung. Armer Junge. Wenn er wieder auf dem Damm war....der Ritter überlegte, was zu tun war. Vielleicht konnte er Rat bei den Priesterinnen einholen. Vielleicht... Eine Weile grübelte er noch, bis seine Gedanken ihm zerfaserten und durch die Finger glitten wir staubiger Sand.
Einen Moment dachte er darüber nach Arvjid zu bitten Jakob jemanden nachzuschicken.
Er wirkte so aufgebracht.
Aber nein. Das wäre ein Vertrauensbruch gewesen.
Während er noch versuchte darüber nachzudenken, drohte ihn der Schlaf einzuholen.
Kurz bevor er wegdriftete, trieb einer von Jakobs Sätzen an seinem Verstand vorbei.
‚Sie hatte mit all dem Scheiß nicht mal etwas zu tun.‘
Etwas daran hätte ihm aufmerken lassen sollen, aber der Gedanke ersoff ihm wie ein in den See geworfener Stein.
Und er schlief ein.
Jarel entließ den Arzt, ohne dass dieser auch nur auf eine Frage geantwortet hätte. Ärzte. So sehr sie ihm auch geholfen haben mochten, er konnte sie nicht leiden. Taten immer, als wüssten sie alles besser und hielten sich für unfehlbar. Und wenn man ihnen dann bewies, dass sie sich in ihrer Einschätzung geirrt hatten, taten sie auch noch so, als freuten sie sich über eine medizinische Sensation. Ärzte. Jakobs Blick folgte Arvijd hinaus, dann kehrte er zu Jarel zurück. Das leichte Zucken der Lippen und das Funkeln in den braunen Augen war ihm nicht entgangen - er kannte Jarel inzwischen zu gut. Er war nicht immer leicht zu lesen, aber gerade machte er den Eindruck, er freue sich so sehr ihn zu sehen, wie umgekehrt. Auch wenn es Jakob nicht behagte, ihn so schlaff in den Kissen hängen zu sehen. Es würde vorbei gehen. Bald. "Sollte nicht ich diese Frage stellen?" Er zog sich den Stuhl heran, der ihm für seine Wache gute Dienste geleistet hatte und setzte sich neben Jarels Bett.
"Es ist angenehm hier. Still."
„Die Ruhe ist einer der Gründe, warum ich so gern hier bin. Und weil es mir hilft…“ Er stockte kurz, lächelte verschmitzt. „Dazu kommen wir später.“ Erst einmal galt es Jakobs Fragen zu beantworten. „Die Kontrolle über meinen Körper bekomme ich langsam wieder. Nur richtig gehorchen will er nicht.“ Jarel zuckte kurz mit der heilen Schulter. „Stramm stehen ist noch nicht, da hast du Recht. Ich habe heute versucht, ein paar Schritte zu gehen.“ Zum Abort verdammt. Kein Bergsteigen, kein Marathon, und selbst da hatte er – hatte sein Körper – versagt. „Hat nicht funktioniert. Morgen versuchen wir es wieder.“ Wie unangenehm es dem Ritter war sich vollständig versorgen zu lassen, verschwieg er. Es war ihm schon immer zuwider gewesen, etwas nicht selber zu können. Und NICHTS selber zu können… Aber das war seinem Knappen wahrscheinlich ohnehin klar. „Ich denke, in zwei- drei Tagen bin ich so weit auf den Beinen, am Leben wieder teilnehmen zu können.“ Er nickte zuversichtlich. „Ich nehme nicht an, dass du dich schon freiwillig zum Dienst im Waisenhaus gemeldet hast, hm?“, fragte Jarel in einem Ton, der wohl rügend klingen sollte. Sollte. Aber nicht tat. Der Junge hatte genug hinter sich als sich auch noch ohne Rückendeckung seinem Erzfeind – einer Bande Rotzgören - zu stellen.
Jakob lümmelte auf seinem Stuhl und lauschte. Jarel spielte gut, aber nicht gut genug. Dazu wusste der junge Mann viel zu genau, wie es sich anfühlte - gehoben, gewaschen, gewendet, angezogen, Beuteltausch, Bett rauf, Bett runter, jeder Schritt nur an der Hand eines Helfers, die sich so brutal in das eigene Fleisch grub, weil sie damit rechnen mussten, dass die Beine ihres Pfleglings versagten. Er schwieg, bekundete kein Mitleid. Für ihn hatte es das nur immer schlimmer gemacht. Also nickte er ebenso. "Klar." Mal wieder. Das Universalwort, wenn er nicht wusste, was er sagen sollte. Dann rutschte er auf seinem Stuhl etwas höher, kratzte sich am Hals. "Nicht direkt. Ich hab' den Schwestern hier geholfen. Holz gehackt und so.", murmelte er etwas kleinlaut. Das Waisenhaus hatte er über all die Vorgänge völlig vergessen und es wäre ihm auch lieber gewesen, wenn es Jarel ebenso gegangen wäre. Aber zumindest dessen Gedächtnis funktionierte einwandfrei. Leider. Jakob musterte seine Knie. "Ich hab - viel gebetet. Und meditiert." Er tanzte auf seinen eigenen Eiern herum, so kam es ihm vor.
Jarel schmunzelte. „Wir werden nicht drum herumkommen, Knappe.“, erklärte er gespielt ernst. Dann wechselte sein Ton wieder. „Aber wir lassen uns damit noch ein paar Tage Zeit.“, raunte er verschwörerisch. „Ich freue mich, dass du dich einbringst. Das Meditieren ist auch einer der Gründe, warum ich die Reise hier her angestrebt habe. Es geht um die Frage, die ich dir vor der der Abreise gestellt habe. Das wandeln im Schatten. Solltest du dich dafür entscheiden, ist dies der richtige Ort, um mit den Übungen zu beginnen.“ Das ließ er so stehen. Wenn Jakob sich wirklich dafür entscheiden würde ihm auch auf diesem Wege zu folgen, würde er ihm das schon sagen. Damit war für den Älteren das Thema beendet. Nun galt es herauszufinden, ob Jakob sich als Reisender zu erkennen geben wollte oder nicht. Also galt es das Gespräch dorthin zu lenken. Dass sein Knappe bereits alles wusste, was er ihm nun offenbaren wollte, ahnte er nicht. Der Ritter verdrehte den Kopf um sich die Ausrüstung auf den Tischen genauer anzusehen. Und natürlich um Jakobs Blick dorthin zu lenken. „Arvijd hat eine interessante Ausrüstung, nicht wahr?“ Der Ritter behielt seinen Knappen im Blick und versuchte seine Reaktion einzuschätzen.
"Hab's befürchtet.", maulte er und damit war wieder so eine Gelegenheit durch seine Finger geschlüpft. Eine, etwas anzusprechen, was ihn umtrieb und dann war der Moment vorbei und Jarel sprach vom Meditieren. Das Schattenlaufen... auch das hatte Jakob zu den Hintergrundprozessen geschoben und noch hatte er keine Antwort, also blieb er eine Erwiderung schuldig.
Er folgte Jarels Blick zur Ausrüstung des Arztes, die ihm museal vorkam, aber jedem Mensch von hier wohl wie Hightech. Vermutlich standen im seine Gedanken auf die Stirn geschrieben.
Jarel nickte. "Der Doktore ist auch nicht von hier." Das ließ er einen Moment wirken. "Er weiß auch, daß ich ein Reisender bin... War... Und er möchte gerne andere Reisende kennenlernen. Wenn du mit m reden möchtest..." Eine weitere Pause. "Ich vertraue ihm."
"Ich fürchte, daran bin ich schuld. Ich hab ihm von deinem Transplantat erzählt." erwiderte er zerknirscht. Er hatte es prompt als Vorwurf aufgefasst. Aber dem Arzt vertrauen? Er vertraute sich ja selbst nicht zu Gänze. (Bearbeitet)
Der Ritter schüttelte lächelnd den Kopf. "Wir kennen und schon einige Zeit. Er hatte mich im Verdacht und ich ihn. Deine Bemerkung hat uns nur dazu gebracht, es dem anderen zu bestätigen. Nichts, worüber du dir den Kopf zerbrechen müsstest." Er zögerte kurz. "Du hast etwas auf dem Herzen, nicht wahr, Jakob?"
"Du kommst öfter her, oder?" Jakob wandte sich Jarel wieder zu
Er nickte. "Hier kann ich zu mir finden. Meine innere Ruhe zurück gewinnen. Und... zur Muttergöttin beten." Er machte keinen Hehl daraus, zumindest nicht Jake gegenüber. "Die Gespräche mit den Priesterinnen sind durchaus erhellend. Die Gärten.. Und die Bibliothek... ich werde Arvjid fragen, ob er dich mitnimmt. Du wirst begeistert sein." Obwohl ans Bett gebunden, klang Jarel regelrecht euphorisch.
Trotzdem sah der Ritter seinen Knappen erwartungsvoll an. Versuchte er schon wieder eine Frage unter den Tisch fallen zu lassen?
Bibliothek und begeistert - die Gemeinsamkeit war der Anfangsbuchstabe, aber damit hatte es sich. Doch Jakob nickte, fast schon mechanisch. Die Begeisterung für das geschriebene Wort, welche alle halbwegs gebildeten Leute hier teilten, war auf Jakob bisher noch nicht über gesprungen, zumal er noch immer mit der Schrift kämpfte und verschiedene Handschriften es nicht leichter machten. Aber Jarel sah ihn sofort wieder SO an. Ablenkungsmanöver misslungen, wollte dieser Blick sagen. Jakob zögerte und raffte sich dann doch auf. "Ich hab dir erzählt, dass die Christen einen Gott verehren. Aber eigentlich verehren sie seine Dreiheit - Gottvater, Sohn und heiligen Geist. Es gibt eine Geschichte, nach der der Heilige Geist zur Jungfrau Maria kam und ihr Gottes Sohn in den Schoß legte. Die Heilige Maria ist nicht weniger wichtig als die Heilige Dreifaltigkeit. Ihr sind ganze Kirchen geweiht - sie ist so etwas wie Meliteles Mitte. Die Mutter." Er verstummte einen Moment, schien zu überlegen, dann zog er das kleine Familiensiegel aus dem Ausschnitt und öffnete die Kette, um es Jarel zu reichen. Das Wappen seiner Familie zeigte auf dem zweigeteilten Schild Kreuz und brennendes Herz. Er war sich nicht sicher, ob er es Jarel je gezeigt hatte. "Mein Familienwappen. Die Dreifaltigkeit und das brennende Herz Mariä. Nebeneinander." Er ließ es einsickern, krauste leicht die Stirn. "Wie steht der Orden dazu, dass du eine Gottheit neben der Ewigen Flamme verehrst?" Doch eigentlich kannte er die Antwort.
Der Ritter nahm das Schmuckstück ehrfürchtig mit einer Hand entgegen und betrachtete es mit seltsam verklärtem Blick. "Ein Herz in Flammen. Jakob. Ich weiß du glaubst nicht an Vorsehung und Schicksal, aber ein deutlicheres Zeichen konnte man dir nicht mit hierhergeben." Im Gegensatz zu Jakob war Jarel völlig aus dem Häuschen. Eine gefühlte Ewigkeit später schloss der Ritter die Augen, atmete durch, berührte mit dem Anhänger seine Stirn und gab es Jakob auf der flachen Hand zurück. "Ich habe nie daran gezweifelt, dass du da bist, wo du hin gehörst. Zweifelst du etwa noch?" "Unter Wenzel von Herrenloh wird mein Glaube akzeptiert. Naja...eher toleriert. Oder einfach verschwiegen. Unter de Aldersberg hab ich es tunlichst verschwiegen. Seine Ansichten waren da...du kennst die Geschichten, nicht wahr?" Natürlich kannte er sie. Das Jarel sie nicht nur aus Erzählungen kannte, hatte er nie erwähnt.
Da war etwas seltsam in Jarels Stimme, als er den Namen des verschiedenen Großmeisters nannte. Nicht für jeden erkennbar. Für den aufmerksamen Jakob schon. Etwas...befremdliches...kaltes... Etwas, dass eine Gänsehaut verursachte.
"Ich denke viel darüber nach.", gab er zu und beinahe hätte er noch etwas weiter erzählt. Von seiner Verzweiflung, damals am Ende seines anderen Lebens, welches kein Ende werden sollte. Weil Gott es anders gewollt hatte? Oder die Mutter? Beinahe... Und wie so oft, kniff er. Schwieg. Statt dessen beobachtete er wie Jarel das Siegel behandelte und nahm es dann zurück, um es wieder im Hemd verschwinden zu lassen. Das Gold war warm von der Hand des Ritters. Dessen Stimme nahm einen unangenehmen Klang an, als er vom ersten Großmeister sprach und der Ton ließ Jakob aufmerksamer werden. Er kannte natürlich die jüngere Ordensgeschichte, aber das hier machte fast den Eindruck, als sei es persönlich. "Sicher. Aber ich bin die nächste Generation. Auch die Templer haben viele Verbrechen begangen, die einem das Herz gefrieren lassen wollen. Im Kontext ihrer Zeit und ihrer Moralvorstellungen sicher nicht böse - aus heutiger Sicht schlicht Morde an Unschuldigen. Der Orden wächst daran und wird die Fehler nicht wiederholen. Das hoffe ich jedenfalls immer." Offenkundig hatte er im Geschichtsunterricht besser aufgepasst als in Religion. Erstaunlich viele Worte, aber er hatte auch lange gespart. "Meliteles Frieden ist so ein Kontrast zur Ewigen Flamme, und dabei eine Ergänzung. Ich weiß nicht. Ich habe diesen Aspekt vermisst, glaube ich." Er blickte sinnend zum Fenster.
Der Ritter ließ ihn diesen Moment der Andacht, bevor er den Gedanken aufgriff. "Ich sehe keinen Grund, warum der Glaube an die Ewige Flamme der an Meliteles Güte widersprechen sollte." "Sicherlich wäre es gefährlich, dies im Orden offen zu bekunden. Es gibt immer noch genug Fanatiker in unseren Reihen. Aber vielleicht...in der nächsten Generation...." Wieder beobachtete der Ritter seinen Knappen aufmerksam. Verstehen würde er, was sein Schwertherr damit sagen wollte. Aber wie würde er darauf reagieren?
Nein, er wollte nicht verstehen. Er ließ es auf sich beruhen - für derlei Ambitionen war er viel zu kaputt im Kopf, entschied Jakob. Er atmete durch. "Jedenfalls beschwert sie sich nicht über das Ave Maria. Und die Äbtissin sagt, sie mag die Melodie." Auch wenn Jakob weit davon entfernt war, eine klangvolle Knabenstimme zu haben. Sein Tenor war ganz passabel. Er zwang sich zur Bewegung, rutschte auf dem Stuhl zurecht. "Ich bring dir nachher was zu essen. Brea kocht Fischsuppe. Ich hab den Fisch geschuppt - also wenn du Schuppen findest, weißt du, wo du dich beschweren kannst." Er wollte geradezu verzweifelt weg von diesem Thema. (Bearbeitet)
Jarel legte den Kopf etwas schief. "Fisch. Hervorragend." Das war ein Wink mit mehr als nur einem Zaunpfahl. "Ich hätte zwei Wünsche an dich, Jakob." Damit war klar, er akzeptierte, dass Jakob das Thema abschlug. Vorerst. "Bevor wir heimkehren, höre ich dich singen." Das klang weniger nach Wunsch, sondern eher nach Befehl. "Und zweitens...teilst du mir deine Entscheidung mit, ob du dich Doktor Kostjunari offenbaren möchtest." Der Ton traf das Konzept eines Wunsches viel eher. Er war wohl zu forsch vorgegangen. Vielleicht ein andern mal. Vielleicht später. Geduld. Er hatte genug Zeit.
Jakobs Lippen lächelten wie immer nicht, aber seine Augen taten es doch, als er erwiderte: "Komm auf die Füße und zur Andacht.", provozierte er seicht. "Besorg mir ein Cello und ich spiele noch die Begleitung." Dann kehrte der Ernst in seinen Blick zurück und er nickte. "Ich denk drüber nach." Ein Ding mehr auf der langen Liste.
"Cello....Du kannst spielen?" Das sein Junge musikalisch sein könnte, war ihm nie in den Sinn gekommen. Wie klang wohl Cello gemeinsam mit einer Flöte? Cello....gab es das hier? Und wenn ja, wie würde er eine herbekommen. Diese Herausforderung nahm er an. Mit Freuden!
Jakob zuckte mit den Schultern. "Reiches Kind aus gutem Hause. Schon vergessen?" Er sah skeptisch zu seinem Mentor. Diesen Blick mochte er gar nicht.
"Klavier, Violine, Flöte. Hab einen meiner Privatlehrer mal dazu gebracht, die Violine im Kamin zu zerschlagen, so wütend war er über mein Unvermögen." Er hob seine heile Hand, spielte mit den Fingern. "Ungeeignet. Vollkommen ungeeignet."
Nun schmunzelte der Knappe doch. Irgendwie vergaß er immer, dass auch Jarel mal jung und wild gewesen war. Er entspannte sich sichtlich wieder, lehnte sich zurück und betrachtete seine Rechte. "Ich war sogar ziemlich gut." Dank seines Ehrgeizes. "Zum Glück greife ich links ab und streiche mit rechts, sonst wäre es das gewesen. Meine Schwester spielte Piano." Sein Blick nahm etwas verträumtes an. Miriam war wundervoll am Flügel gewesen...
Seine Schwester. Über die er nie redete. Bis auf das eine Mal, nach der Vereidigung. "Wie war sie?", fragte er, leise und vorsichtig. Der Junge schnappte schneller zu als eine Bärenfalle, wenn er zu forsch vordrang.
Die hellen Augen überzogen sich mit den Schatten des nie ganz verheilten Schmerzes einer Wunde, die der Hym wieder tief aufgerissen hatte. Doch er sah nicht weg - diesmal nicht. "Ein Engel. Mein Gegenstück. Wie ein Teil meiner Seele." Tonlos. Und noch so viel mehr, für das er keine Worte hatte. Seine größte Schande. Er schluckte. "Sie spielte virtuos. Wir improvisierten manchmal stundenlang. Sie liebte Menschen, wollte Krankenschwester werden. Sie sagte immer, um Medizin zu studieren sei sie nicht kaltblütig genug." Noch ein Durchatmen. Er hatte sich wieder gefasst. "Miriam. Sie hieß Miriam."
"Ein klangvoller Name.". Vorsichtig. Ganz vorsichtig. So weit hatte er sich noch nie geöffnet. "Zwei Seelen im Einklang. Zwei Seelen als eine. Eine wundervolle Vorstellung. Du vermisst sie..."
Er ließ den Satz offen stehen. Gab ihm die Möglichkeit das Gespräch zu beenden, sich jederzeit zurückzuziehen.
"Jeden Tag. Und ich frage mich, wieso Gott sie genommen hat und nicht mich. Ihre Seele war rein. Sie hatte mit all dem Scheiß nicht mal etwas zu tun." Plötzlich war die Wut da, wie aus heiterem Himmel. Jakob sprang geradezu auf und lief zum Fenster, obwohl man durch das trübe Butzenglas bestenfalls Schemen erkennen konnte. Zu nah, er stand zu nah an den Instrumenten des Doktors. In dieser Stimmung war er unberechenbar und das wusste er sogar. Er wandte sich wieder um, wirkte plötzlich als wisse er nicht, was er hier eigentlich suchte. "Ich komme später nochmal, ich..." Ja, was? Er starrte einen Moment, murmelte dann: "Tut mir Leid." Und entwischte. Schamlos ausnutzend, dass Jarel ihm nicht nachlaufen konnte
Der Ritter legte den Kopf zurück und starrte an die Decke. So viel Wut. So viel Verzweiflung. Armer Junge. Wenn er wieder auf dem Damm war....der Ritter überlegte, was zu tun war. Vielleicht konnte er Rat bei den Priesterinnen einholen. Vielleicht... Eine Weile grübelte er noch, bis seine Gedanken ihm zerfaserten und durch die Finger glitten wir staubiger Sand.
Einen Moment dachte er darüber nach Arvjid zu bitten Jakob jemanden nachzuschicken.
Er wirkte so aufgebracht.
Aber nein. Das wäre ein Vertrauensbruch gewesen.
Während er noch versuchte darüber nachzudenken, drohte ihn der Schlaf einzuholen.
Kurz bevor er wegdriftete, trieb einer von Jakobs Sätzen an seinem Verstand vorbei.
‚Sie hatte mit all dem Scheiß nicht mal etwas zu tun.‘
Etwas daran hätte ihm aufmerken lassen sollen, aber der Gedanke ersoff ihm wie ein in den See geworfener Stein.
Und er schlief ein.
- Jakob von Nagall
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- Lebenslauf: Jakob von Nagall
Jakob lief zunächst etwas planlos durch den Tempel, dann in den Garten, aber er würde jetzt weder für Andacht noch Meditation Ruhe finden. Es brodelte in ihm. Dieses schreckliche Druckgefühl, der Wunsch etwas zu zerschlagen - am liebsten sich selbst. Es brannte in seinen Eingeweiden wie ein unseliges Feuer und es war wohl pures Glück, dass ihm niemand begegnete.
Raus aus dem Tempel. Weg.
Er trat wuchtig nach einem Stein, der im hohen Bogen über die Straße und gegen eine Wand flog. Normalerweise würde er sich jetzt auf sein Motorrad setzen und erst Ruhe geben, wenn in der Kurve an der Kapelle nach dem Knie auch noch der Ellenbogen den Asphalt kitzelte. Auf die Physik scheißen. Das Schicksal anbrüllen, gemeinsam mit dem elfhunderter Twin und der Termignoni-Anlage. Und hier? Was sollte er hier schon machen? Sauerbraten war ein lausiger Ersatz und vermutlich hätte Jakob einen schnellen Galopp auf dem Pferderücken nicht lange durchgehalten. Was also? Was? Was was?
Seine Gedanken drehten sich wüst um alles Mögliche, zeichneten verrückte Bilder von zerschlagenen Scheiben, einem improvisierten Schirm für ein ebenso improvisiertes Kiteboard oder gleich einen Drachen um sich damit von irgendeinem Turm zu stürzen. Er wollte fallen, den Rausch von Tempo spüren oder wenigstens etwas zerstören, aber nichts davon war realistisch. Und so trieb es ihn durch den Tempelbezirk, rastlos, ziellos und voller düsterer Gedanken.
Wie er in die Spelunke geraten war, konnte er im Nachhinein nicht mehr sagen, jedenfalls fand er sich irgendwann an einem schmutzigen Tresen und fand es eine ausgezeichnete Idee, seine Schmerz auf die einzige Art zu betäuben, die es hier zu geben schien. Lange war er seinen Schwüren treu gewesen, selbst bei seiner Vereidigung hatte er keinen Tropfen Wein getrunken, aber jetzt war es ihm scheißegal. Er hatte die Wahl zwischen dem Ausleben seiner Wut oder dessen Betäubung, und letzteres schadete wenigstens nur ihm - so reflektiert war er inzwischen sogar.
Das Bier schmeckte seltsam, von den Männern am Tresen sprach ihn schließlich einer an, schien sich nicht an Jakobs Schweigsamkeit zu stören und gab ihm sogar einen aus. Einen Kurzen, dann noch einen. Auf leeren Magen und mit keinerlei Erfahrung mit Alkohol, stieg dieser dem jungen Mann schnell zu Kopf, was ihn zwar nicht redseliger, aber noch melancholischer und düsterer werden ließ. Aber er zahlte die nächste eine Runde, aus dem Säckel, das seinen ganzen Monatsunterhalt enthielt. Sein neuer Saufkumpan bemerkte vor allem letzteres und beschwatzte ihn, die Örtlichkeit zu wechseln, da er einen Ort kenne, an dem es ganz besondere Frohmacher gebe. Jakob wehrte sich nur kurz. Sein Kopf schwirrte, seine Beine fühlten sich an, als gehörten sie nicht mehr zu seinem Körper oder seien nur lose mit diesen verknüpft.
Auf den Weg durch die Gassen übergab er sich schon das erste Mal. Sein Begleiter lachte nur gutmütig, stützte ihn und bugsierte ihn einen Treppenabgang hinunter. Wieder schummriges Licht, wieder ein Tresen, hinter dem eine vollbusige Frau stand und ihn mit einer riesigen Zahnlücke anlächelte. Sie schenkte eine grünliche Flüssigkeit aus, die am Glasrand einen bunt schillernden Film hinterließ und auf der sie Zucker in einem speziellen Löffel entzündete. Das Zeug war fürchterlich scharf, der Zucker im Vergleich schmerzhaft süß. Doch nach dreien davon, war es zu ertragen.
Vor Jakobs Augen waberte die Gestalt der Bardame, wurde zu einem Schreckgespenst, zu einer Schlange, zu einer grinsenden Frau. Der fremde Mann, der ihn her geführt hatte, redete weiter, vom Krieg von der Armut von seinen Sorgen, Jakob versank immer tiefer in Schwermut, verlor alle Lust am Gespräch und trank was man ihm hin stellte. In manchem schwammen Dinge, wie kleine Läuse, die in der Kehle prickelten, bei anderem musste man eine Winzigkeit des Alkohols erst anzünden, dann den Dampf inhalieren, bevor man den Rest trank. Die Mischung war wild, seine Sinne längst taub und sein Verstand still.
Und er zahlte.
Manchmal tauchte er ab, hinein in eine Welt voller schauriger Trugbilder, manchmal in eine Art Schlaf, dann redete sein Begleiter wieder, schleppte ihn weiter. Zeit verlor an Bedeutung, Raum wurde relativ. Manchmal war ihm, er läge auf dem Boden, dabei stand er und andermal wankten die Wände, dabei lag er auf schmutzig stinkenden Fetzen von Stoff und Stroh.
Und irgendwann gab sein Körper nach, brach einfach die Stromversorgung zusammen und er blieb im Nichts zwischen Zeit und Raum hängen.
Im Tempel brachte nicht Jakob sondern Brea selbst die Suppe an Jarels Bett, was diesen nach dem Abgang seines Knappen aber nicht weiter verwunderte. Doch auch die Morgenandacht verpasste er, tauchte nicht zum Mittagessen auf und auch am Nachmittag nicht, an dem die Äbtissin auf ein weiteres Ave Maria gehofft hatte. Die Knechte im Mietstall wunderten sich, dass der stille, aber pedantisch ihre Arbeit kontrollierende junge Mann fern blieb und selbst die beiden Pferde schienen Ausschau zu halten.
Am späten Nachmittag verließ eine der Schwestern schließlich den Tempel...
Raus aus dem Tempel. Weg.
Er trat wuchtig nach einem Stein, der im hohen Bogen über die Straße und gegen eine Wand flog. Normalerweise würde er sich jetzt auf sein Motorrad setzen und erst Ruhe geben, wenn in der Kurve an der Kapelle nach dem Knie auch noch der Ellenbogen den Asphalt kitzelte. Auf die Physik scheißen. Das Schicksal anbrüllen, gemeinsam mit dem elfhunderter Twin und der Termignoni-Anlage. Und hier? Was sollte er hier schon machen? Sauerbraten war ein lausiger Ersatz und vermutlich hätte Jakob einen schnellen Galopp auf dem Pferderücken nicht lange durchgehalten. Was also? Was? Was was?
Seine Gedanken drehten sich wüst um alles Mögliche, zeichneten verrückte Bilder von zerschlagenen Scheiben, einem improvisierten Schirm für ein ebenso improvisiertes Kiteboard oder gleich einen Drachen um sich damit von irgendeinem Turm zu stürzen. Er wollte fallen, den Rausch von Tempo spüren oder wenigstens etwas zerstören, aber nichts davon war realistisch. Und so trieb es ihn durch den Tempelbezirk, rastlos, ziellos und voller düsterer Gedanken.
Wie er in die Spelunke geraten war, konnte er im Nachhinein nicht mehr sagen, jedenfalls fand er sich irgendwann an einem schmutzigen Tresen und fand es eine ausgezeichnete Idee, seine Schmerz auf die einzige Art zu betäuben, die es hier zu geben schien. Lange war er seinen Schwüren treu gewesen, selbst bei seiner Vereidigung hatte er keinen Tropfen Wein getrunken, aber jetzt war es ihm scheißegal. Er hatte die Wahl zwischen dem Ausleben seiner Wut oder dessen Betäubung, und letzteres schadete wenigstens nur ihm - so reflektiert war er inzwischen sogar.
Das Bier schmeckte seltsam, von den Männern am Tresen sprach ihn schließlich einer an, schien sich nicht an Jakobs Schweigsamkeit zu stören und gab ihm sogar einen aus. Einen Kurzen, dann noch einen. Auf leeren Magen und mit keinerlei Erfahrung mit Alkohol, stieg dieser dem jungen Mann schnell zu Kopf, was ihn zwar nicht redseliger, aber noch melancholischer und düsterer werden ließ. Aber er zahlte die nächste eine Runde, aus dem Säckel, das seinen ganzen Monatsunterhalt enthielt. Sein neuer Saufkumpan bemerkte vor allem letzteres und beschwatzte ihn, die Örtlichkeit zu wechseln, da er einen Ort kenne, an dem es ganz besondere Frohmacher gebe. Jakob wehrte sich nur kurz. Sein Kopf schwirrte, seine Beine fühlten sich an, als gehörten sie nicht mehr zu seinem Körper oder seien nur lose mit diesen verknüpft.
Auf den Weg durch die Gassen übergab er sich schon das erste Mal. Sein Begleiter lachte nur gutmütig, stützte ihn und bugsierte ihn einen Treppenabgang hinunter. Wieder schummriges Licht, wieder ein Tresen, hinter dem eine vollbusige Frau stand und ihn mit einer riesigen Zahnlücke anlächelte. Sie schenkte eine grünliche Flüssigkeit aus, die am Glasrand einen bunt schillernden Film hinterließ und auf der sie Zucker in einem speziellen Löffel entzündete. Das Zeug war fürchterlich scharf, der Zucker im Vergleich schmerzhaft süß. Doch nach dreien davon, war es zu ertragen.
Vor Jakobs Augen waberte die Gestalt der Bardame, wurde zu einem Schreckgespenst, zu einer Schlange, zu einer grinsenden Frau. Der fremde Mann, der ihn her geführt hatte, redete weiter, vom Krieg von der Armut von seinen Sorgen, Jakob versank immer tiefer in Schwermut, verlor alle Lust am Gespräch und trank was man ihm hin stellte. In manchem schwammen Dinge, wie kleine Läuse, die in der Kehle prickelten, bei anderem musste man eine Winzigkeit des Alkohols erst anzünden, dann den Dampf inhalieren, bevor man den Rest trank. Die Mischung war wild, seine Sinne längst taub und sein Verstand still.
Und er zahlte.
Manchmal tauchte er ab, hinein in eine Welt voller schauriger Trugbilder, manchmal in eine Art Schlaf, dann redete sein Begleiter wieder, schleppte ihn weiter. Zeit verlor an Bedeutung, Raum wurde relativ. Manchmal war ihm, er läge auf dem Boden, dabei stand er und andermal wankten die Wände, dabei lag er auf schmutzig stinkenden Fetzen von Stoff und Stroh.
Und irgendwann gab sein Körper nach, brach einfach die Stromversorgung zusammen und er blieb im Nichts zwischen Zeit und Raum hängen.
Im Tempel brachte nicht Jakob sondern Brea selbst die Suppe an Jarels Bett, was diesen nach dem Abgang seines Knappen aber nicht weiter verwunderte. Doch auch die Morgenandacht verpasste er, tauchte nicht zum Mittagessen auf und auch am Nachmittag nicht, an dem die Äbtissin auf ein weiteres Ave Maria gehofft hatte. Die Knechte im Mietstall wunderten sich, dass der stille, aber pedantisch ihre Arbeit kontrollierende junge Mann fern blieb und selbst die beiden Pferde schienen Ausschau zu halten.
Am späten Nachmittag verließ eine der Schwestern schließlich den Tempel...
Iola trug gewöhnliche Kleidung, einen Rock und eine Bluse, nicht die im Tempel übliche Robe.
Sie eilte durch die Gassen der Stadt, direkt an ihrer „Wahlheimat“, dem Tempel der Melitle, angrenzend.
In den letzten Tagen war mehr in ihrem Leben passiert als die Jahre zuvor.
Mehr als seitdem vor beinahe elf Jahren hergekommen war. Oder besser: Hergebracht wurde.
Sie erinnerte sich nicht mehr richtig daran was vorher gewesen war, erinnerte sich nicht mehr an die Gesichter ihrer Eltern, ihrer Schwester, ihres Bruders.
An was sie sich erinnerte war die Truhe, aus der sie ein Ritter gezogen hatte. Eine Truhe, in der sie sich versteckt hatte, nachdem Banditen diese geplündert hatten und als wertlos stehen ließen.
Sie erinnerte sich an die riesigen Hände, den traurigen Blick aus den braunen Pupillen mit den seltsamen Flecken. Daran, dass er ihr die Augen mit einem schwarzen Leinentuch verband. Daran, dass er sie an sich gedrückt trug und weggebrachte. Daran, dass er mit ihr durch sengende Hitze und seltsam nach Braten riechenden Rauch rannte. Daran, dass er ihr die Augenbinde erst abnahm, als er sie auf ein Pferd groß wie ein Elefant setzte.
Sie erinnerte sich daran, dass er kein Wort gesagt hatte. Erst an der Tür des Tempels hörte sie seine Stimme das erste Mal, als dieser um Einlass bat.
Und sie erinnerte sich daran, dass der Mann mit den riesigen Händen von nun an regelmäßig besucht hatte. Die Priesterinnen erklären ihr, dass er sie gerettet hatte. Nur sie.
Nicht ihre Geschwister, nicht ihre Eltern, nicht den jungen Knecht, den ihr Vater gerade erst eingestellt hatte, nicht die Tiere, nicht ihr Zuhause. Nur sie.
Und die Truhe, die er ihr an einem der nächsten Tage brachte.
Er hatte ihr nie vollständig erzählt, was geschehen war. Nur dass sie die Einzige war, die überlebt hatte. Sie sollte dankbar sein, hatten die Schwestern ihr gesagt. Sie war dankbar. Aber manchmal fiel es ihr schwer. Sehr schwer.
Vor zwei Tagen war dann eben dieser Ritter von seinem Knappen hergebracht worden. Mehr tot als am Leben. Iola war natürlich zur Stelle. Half, pflegte, stand dem Knappen zur Seite, der wirklich an seinem Ritter zu hängen schien. Sie traf ihn immer wieder, auch bei dem riesigen Pferd, welches auch einige Kratzer abbekommen hatte.
Und schon bald bemerkte sie, dass der Junge sie interessierte. Mehr als nur das. Er verbarg seine Intelligenz zwar, aber die Schwester erkannte es in seinem Handeln, seinen Gesten, seinen wachen Augen. Er war gut zu ihr, freundlich zu den Schwestern, hilfsbereit, zuvorkommend.
Und so hübsch.
Nicht lange, und ihr Herz klopfte schneller, sobald sie ihn sah. Und all das in so kurzer Zeit.
Doch heute…war er verschwunden. Er war nicht zur Morgenandacht erschienen, hatte sich nicht um die Pferde gekümmert, das Mittagessen verpasst. War nirgendwo zu finden.
Sein Ritter – IHR Ritter - hatte sie zu sich gebeten. Sie gebeten ihn zu suchen. Diskret, ohne es an die große Glocke zu hängen. Beschrieb ihr seine Sorge, der Junge könnte in Schwierigkeiten stecken, wollte aber nicht sagen warum.
Ihn suchen…Wie hätte sie ihm DAS abschlagen sollen?
Es war später Nachmittag, als sie ihn fand.
Erst hatte sie es für ein Bündel Lumpen gehalten, was dort in der Gosse lag. In der Pisse der Pferde, der Männer, von den Bürgern ignoriert, von den Kindern verspottet.
Sie lief zu ihm untersuchte ihn hektisch, den elenden Gestank komplett ignorierend. Er lebte!
Sie schüttelte ihn an den Schultern, hätte beinahe ihr Gelübde gebrochen, versuchte ihn wach zu bekommen.
Sie eilte durch die Gassen der Stadt, direkt an ihrer „Wahlheimat“, dem Tempel der Melitle, angrenzend.
In den letzten Tagen war mehr in ihrem Leben passiert als die Jahre zuvor.
Mehr als seitdem vor beinahe elf Jahren hergekommen war. Oder besser: Hergebracht wurde.
Sie erinnerte sich nicht mehr richtig daran was vorher gewesen war, erinnerte sich nicht mehr an die Gesichter ihrer Eltern, ihrer Schwester, ihres Bruders.
An was sie sich erinnerte war die Truhe, aus der sie ein Ritter gezogen hatte. Eine Truhe, in der sie sich versteckt hatte, nachdem Banditen diese geplündert hatten und als wertlos stehen ließen.
Sie erinnerte sich an die riesigen Hände, den traurigen Blick aus den braunen Pupillen mit den seltsamen Flecken. Daran, dass er ihr die Augen mit einem schwarzen Leinentuch verband. Daran, dass er sie an sich gedrückt trug und weggebrachte. Daran, dass er mit ihr durch sengende Hitze und seltsam nach Braten riechenden Rauch rannte. Daran, dass er ihr die Augenbinde erst abnahm, als er sie auf ein Pferd groß wie ein Elefant setzte.
Sie erinnerte sich daran, dass er kein Wort gesagt hatte. Erst an der Tür des Tempels hörte sie seine Stimme das erste Mal, als dieser um Einlass bat.
Und sie erinnerte sich daran, dass der Mann mit den riesigen Händen von nun an regelmäßig besucht hatte. Die Priesterinnen erklären ihr, dass er sie gerettet hatte. Nur sie.
Nicht ihre Geschwister, nicht ihre Eltern, nicht den jungen Knecht, den ihr Vater gerade erst eingestellt hatte, nicht die Tiere, nicht ihr Zuhause. Nur sie.
Und die Truhe, die er ihr an einem der nächsten Tage brachte.
Er hatte ihr nie vollständig erzählt, was geschehen war. Nur dass sie die Einzige war, die überlebt hatte. Sie sollte dankbar sein, hatten die Schwestern ihr gesagt. Sie war dankbar. Aber manchmal fiel es ihr schwer. Sehr schwer.
Vor zwei Tagen war dann eben dieser Ritter von seinem Knappen hergebracht worden. Mehr tot als am Leben. Iola war natürlich zur Stelle. Half, pflegte, stand dem Knappen zur Seite, der wirklich an seinem Ritter zu hängen schien. Sie traf ihn immer wieder, auch bei dem riesigen Pferd, welches auch einige Kratzer abbekommen hatte.
Und schon bald bemerkte sie, dass der Junge sie interessierte. Mehr als nur das. Er verbarg seine Intelligenz zwar, aber die Schwester erkannte es in seinem Handeln, seinen Gesten, seinen wachen Augen. Er war gut zu ihr, freundlich zu den Schwestern, hilfsbereit, zuvorkommend.
Und so hübsch.
Nicht lange, und ihr Herz klopfte schneller, sobald sie ihn sah. Und all das in so kurzer Zeit.
Doch heute…war er verschwunden. Er war nicht zur Morgenandacht erschienen, hatte sich nicht um die Pferde gekümmert, das Mittagessen verpasst. War nirgendwo zu finden.
Sein Ritter – IHR Ritter - hatte sie zu sich gebeten. Sie gebeten ihn zu suchen. Diskret, ohne es an die große Glocke zu hängen. Beschrieb ihr seine Sorge, der Junge könnte in Schwierigkeiten stecken, wollte aber nicht sagen warum.
Ihn suchen…Wie hätte sie ihm DAS abschlagen sollen?
Es war später Nachmittag, als sie ihn fand.
Erst hatte sie es für ein Bündel Lumpen gehalten, was dort in der Gosse lag. In der Pisse der Pferde, der Männer, von den Bürgern ignoriert, von den Kindern verspottet.
Sie lief zu ihm untersuchte ihn hektisch, den elenden Gestank komplett ignorierend. Er lebte!
Sie schüttelte ihn an den Schultern, hätte beinahe ihr Gelübde gebrochen, versuchte ihn wach zu bekommen.
Zuletzt geändert von ERZÄHLER am Samstag 20. August 2022, 09:07, insgesamt 1-mal geändert.
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- Lebenslauf: Jakob von Nagall
Jakob steckte in einem Albtraum fest, der manchmal in Schwärze absank und ihm manchmal wüste Bilder bescherte. Mal ging er, mal kniete er an einer Wand und pisste mit den Hunden an selbige. Er hatte irgendein Ziel, einen Ort, zu dem er musste, doch er vergaß es immer wieder. Er war müde und inzwischen allein. Er stolperte mehr als einmal, fiel, rappelte sich wieder auf. Kotze sich die Seele aus dem Leib. Irgendwann hatte er nicht mehr die Kraft sich aufzurappeln. Er war müde. Auch eine Gosse konnte gemütlich sein... Hauptsache liegen.
Jemand rüttelte an ihm herum, störte seine Ruhe. Er wehrte den Störenfried mit fahrigen Bewegungen ab, doch der ging nicht weg, zerrte an ihm und schickte heiße Impulse durch seine überempfindlichen Nerven. Er stöhnte. Weit davon entfernit auch auf nur einem Kanal nüchtern zu sein, blinzelte er in die trübe Nachmittagssonne, vor der eine Gestalt schwankte. Oder eher seine Augen bewegten sich unstet.
"Was willst du, Miriam? Lass mich schlafen...", murmelte er oder wollte es, aber seine Zunge gehorchte ihm kaum. Ohnehin hätte Iola kaum ein Wort verstanden, denn er sprach Deutsch. Ihr Zerren allerdings hörte nicht auf. Sie wollte unbedingt, dass er aufstand. Mit kam. Wohin verdammt?
Er hatte irgendwo hin gewollt, stimmt. Es aber vergessen. Vielleicht wusste sie es. Aber warum jetzt noch? Er war so müde.
Iola blieb beharrlich.
Irgendwie kam er hoch. Erst sitzen, dann gegen sie gelehnt stehen. Wann war sie so klein geworden? Sein Bein, das verbrannte Bein, es trug so schlecht, aber er lernte, musste sich so lange eben immer auf jemanden stützen. Die muntere kleine Krankenschwester, die er einfach mit nichts vergraulen konnte... Wie war noch ihr Name gewesen? Petra? Paula?
Jakob stolperte, sein Gewicht riss auch Iola zu Boden, aber sie landete weich, senn sie landete auf ihm. Wieder aufstehen, weiter taumeln. Die Bilder wurden kurz klarer, er versuchte sich krampfhaft zu konzentrieren - einen Fuß vor den anderen. Sein Gehirn wollte nicht mit, schwebte an einem langen Bändchen hinter ihnen her, dass an seinem Hinterkopf ziepte.
Irgendwie schafften sie es bis zum Tempel. Die Kammern für Besucher und Pilger lagen glücklicherweise etwas abseits, sodass sie niemandem begegneten. Seine Kammer, sein Bett, der Herr sei gepriesen. Er ließ sich darauf fallen oder schieben oder beides. Die Welt drehte sich, aber die Bilder wurden allmählich klarer. Er war nicht allein, da war das Mädchen, dass so oft seine Nähe suchte, ihm Essen brachte und nie sprach. Iola. Jetzt erkannte er sie, wollte etwas sagen, aber murmelte nur unverständlich.
Jemand rüttelte an ihm herum, störte seine Ruhe. Er wehrte den Störenfried mit fahrigen Bewegungen ab, doch der ging nicht weg, zerrte an ihm und schickte heiße Impulse durch seine überempfindlichen Nerven. Er stöhnte. Weit davon entfernit auch auf nur einem Kanal nüchtern zu sein, blinzelte er in die trübe Nachmittagssonne, vor der eine Gestalt schwankte. Oder eher seine Augen bewegten sich unstet.
"Was willst du, Miriam? Lass mich schlafen...", murmelte er oder wollte es, aber seine Zunge gehorchte ihm kaum. Ohnehin hätte Iola kaum ein Wort verstanden, denn er sprach Deutsch. Ihr Zerren allerdings hörte nicht auf. Sie wollte unbedingt, dass er aufstand. Mit kam. Wohin verdammt?
Er hatte irgendwo hin gewollt, stimmt. Es aber vergessen. Vielleicht wusste sie es. Aber warum jetzt noch? Er war so müde.
Iola blieb beharrlich.
Irgendwie kam er hoch. Erst sitzen, dann gegen sie gelehnt stehen. Wann war sie so klein geworden? Sein Bein, das verbrannte Bein, es trug so schlecht, aber er lernte, musste sich so lange eben immer auf jemanden stützen. Die muntere kleine Krankenschwester, die er einfach mit nichts vergraulen konnte... Wie war noch ihr Name gewesen? Petra? Paula?
Jakob stolperte, sein Gewicht riss auch Iola zu Boden, aber sie landete weich, senn sie landete auf ihm. Wieder aufstehen, weiter taumeln. Die Bilder wurden kurz klarer, er versuchte sich krampfhaft zu konzentrieren - einen Fuß vor den anderen. Sein Gehirn wollte nicht mit, schwebte an einem langen Bändchen hinter ihnen her, dass an seinem Hinterkopf ziepte.
Irgendwie schafften sie es bis zum Tempel. Die Kammern für Besucher und Pilger lagen glücklicherweise etwas abseits, sodass sie niemandem begegneten. Seine Kammer, sein Bett, der Herr sei gepriesen. Er ließ sich darauf fallen oder schieben oder beides. Die Welt drehte sich, aber die Bilder wurden allmählich klarer. Er war nicht allein, da war das Mädchen, dass so oft seine Nähe suchte, ihm Essen brachte und nie sprach. Iola. Jetzt erkannte er sie, wollte etwas sagen, aber murmelte nur unverständlich.
Das war mehr als nur Alkoholrausch.
Alkoholvergiftungen hatte sie mehr als eine gesehen, wenn Trunkenbolde ihre bewusstlosen Kumpane vor dem Tor ablegten und sich verpissten, ohne ein Wort zu sagen.
Das hier war mehr. Sein Verstand war tief in seinem Rausch vergraben, regelrecht verschüttet.
Er war nicht in der Lage, selber zu stehen, zu gehen, zu sprechen…zumindest nichts Verständliches.
Er stank nach Urin und Erbrochenem. Doch das Mädchen war erstens zu verliebt, um sich davon abschrecken zu lassen und zweitens hatte sie schon schlimmeres gesehen.
Sie schleppte ihn, trug ihn halb. Auch wenn sie klein war und aussah wie ein Püppchen, sie war zäh. Und in Übung. Es dauerte etwas, aber irgendwann kamen sie an einem kleinen Seitentor an. Niemand bemerkte sie, als sie Jakob ins Gebäude brachte, niemand bemerkte sie, als sie ihn aufs Zimmer schleifte.
Natürlich wurde sie bemerkt, als sie seine und ihre Kleidung wenig später in der Waschküche abgab, aber niemand stellte Fragen. Das war nicht die Art der Schwestern.
Eilig kehrte sie in das Quartier des Jungen zurück, Waschschüssel mit warmem Wasser, Seife, Schwamm und Tücher auf dem einem Arm. Frische Kleidung für ihn unter dem anderen.
Sie hatte ihn auf die Seite gedreht und mit seinem Bettzeug so gesichert, dass er sich nicht auf den Rücken drehen konnte, nachdem sie ihn ausgezogen hatte.
Ein wirklich hübscher Kerl, dessen Körper so viele Geschichten erzählte. Geschichten von Verlust und Leid. Sie würde ihn verstehen können, wenn er ihr einmal davon erzählte, davon war sie fest überzeugt. Und er würde sie verstehen. Sie fühlte sich mit jeder Narbe, die sie entdeckte ihm näher.
Doch so wie er jetzt stank, ja in dem Zustand in dem er war konnte sie den Ritter nicht holen.
Nein. Sie würde ihn Waschen, herrichten und zudecken. Erst dann würde sie….
Sie kam in dem kleinen Zimmer an und stellte die Waschschüssel auf den kleinen Tisch unter dem winzigen Fenster ab, welches ein schummriges Licht in den winzigen Raum warf.
Die Luft nahm sofort dieselbe Konsistenz an, die ihr vor Minuten in der Waschküche entgegengeschlagen war. Hoffentlich würde der Geruch der Kräuterseife den entsetzlichen Harngestank vertreiben. Sie schäumte die Seife auf, nahm den Schwamm und begann ihn zu waschen. Langsam, sorgfältig, jeden Zentimeter seines Körpers mit Zuwendung und Aufmerksamkeit bedenkend.
Und je sauberer er wurde, desto seltsamer fühlte sie sich. Sie fühlte sich kribbelig, etwas flatterte angenehm munter in ihrem Bauch umher und verzog sich wenig später in tiefere Gefilde.
Sie hatte keinerlei Scheu vor nackten Körpern. Das war ihre Aufgabe, zu waschen, zu versorgen, zu pflegen. Doch diese Mal war es anders. Sie verspürte nicht den Dank der Melitele dafür, dass sie half.
Ihr eigener Körper antwortete ihr, schickte undeutbare Signale die dafür sorgen, dass sie ihm weiter wusch, auch wenn sie längst fertig war. Ihr eigener Körper sorgte dafür, dass sie das nasse Tuch weglegte und den Spuren seiner Narben mit den Fingerspitzen von den Schultern über die Brust folgte, dann weiter zum Bauch.
Doch dort hielt sie inne. Der Mann vor ihr war nicht bei Sinnen. Was, wenn er nicht wollte was sie tat?
Sie zog die Hand zurück, als hätte sie sich an dem Feuer verbrannt, welches ihn so gezeichnet hatte.
Statt seinen Körper weiter zu erforschen, strichen ihre Finger über seine Schläfen, streichelten seine Wange. Er war so unglaublich hübsch. Sie sagte nichts. Aber sie seufzte vielsagend.
Alkoholvergiftungen hatte sie mehr als eine gesehen, wenn Trunkenbolde ihre bewusstlosen Kumpane vor dem Tor ablegten und sich verpissten, ohne ein Wort zu sagen.
Das hier war mehr. Sein Verstand war tief in seinem Rausch vergraben, regelrecht verschüttet.
Er war nicht in der Lage, selber zu stehen, zu gehen, zu sprechen…zumindest nichts Verständliches.
Er stank nach Urin und Erbrochenem. Doch das Mädchen war erstens zu verliebt, um sich davon abschrecken zu lassen und zweitens hatte sie schon schlimmeres gesehen.
Sie schleppte ihn, trug ihn halb. Auch wenn sie klein war und aussah wie ein Püppchen, sie war zäh. Und in Übung. Es dauerte etwas, aber irgendwann kamen sie an einem kleinen Seitentor an. Niemand bemerkte sie, als sie Jakob ins Gebäude brachte, niemand bemerkte sie, als sie ihn aufs Zimmer schleifte.
Natürlich wurde sie bemerkt, als sie seine und ihre Kleidung wenig später in der Waschküche abgab, aber niemand stellte Fragen. Das war nicht die Art der Schwestern.
Eilig kehrte sie in das Quartier des Jungen zurück, Waschschüssel mit warmem Wasser, Seife, Schwamm und Tücher auf dem einem Arm. Frische Kleidung für ihn unter dem anderen.
Sie hatte ihn auf die Seite gedreht und mit seinem Bettzeug so gesichert, dass er sich nicht auf den Rücken drehen konnte, nachdem sie ihn ausgezogen hatte.
Ein wirklich hübscher Kerl, dessen Körper so viele Geschichten erzählte. Geschichten von Verlust und Leid. Sie würde ihn verstehen können, wenn er ihr einmal davon erzählte, davon war sie fest überzeugt. Und er würde sie verstehen. Sie fühlte sich mit jeder Narbe, die sie entdeckte ihm näher.
Doch so wie er jetzt stank, ja in dem Zustand in dem er war konnte sie den Ritter nicht holen.
Nein. Sie würde ihn Waschen, herrichten und zudecken. Erst dann würde sie….
Sie kam in dem kleinen Zimmer an und stellte die Waschschüssel auf den kleinen Tisch unter dem winzigen Fenster ab, welches ein schummriges Licht in den winzigen Raum warf.
Die Luft nahm sofort dieselbe Konsistenz an, die ihr vor Minuten in der Waschküche entgegengeschlagen war. Hoffentlich würde der Geruch der Kräuterseife den entsetzlichen Harngestank vertreiben. Sie schäumte die Seife auf, nahm den Schwamm und begann ihn zu waschen. Langsam, sorgfältig, jeden Zentimeter seines Körpers mit Zuwendung und Aufmerksamkeit bedenkend.
Und je sauberer er wurde, desto seltsamer fühlte sie sich. Sie fühlte sich kribbelig, etwas flatterte angenehm munter in ihrem Bauch umher und verzog sich wenig später in tiefere Gefilde.
Sie hatte keinerlei Scheu vor nackten Körpern. Das war ihre Aufgabe, zu waschen, zu versorgen, zu pflegen. Doch diese Mal war es anders. Sie verspürte nicht den Dank der Melitele dafür, dass sie half.
Ihr eigener Körper antwortete ihr, schickte undeutbare Signale die dafür sorgen, dass sie ihm weiter wusch, auch wenn sie längst fertig war. Ihr eigener Körper sorgte dafür, dass sie das nasse Tuch weglegte und den Spuren seiner Narben mit den Fingerspitzen von den Schultern über die Brust folgte, dann weiter zum Bauch.
Doch dort hielt sie inne. Der Mann vor ihr war nicht bei Sinnen. Was, wenn er nicht wollte was sie tat?
Sie zog die Hand zurück, als hätte sie sich an dem Feuer verbrannt, welches ihn so gezeichnet hatte.
Statt seinen Körper weiter zu erforschen, strichen ihre Finger über seine Schläfen, streichelten seine Wange. Er war so unglaublich hübsch. Sie sagte nichts. Aber sie seufzte vielsagend.
- Jakob von Nagall
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Er war nicht so tief weg, dass er gar nichts mitbekam, aber alles war unscharf und überzeichnet zugleich, jede Bewegung fühlte sich ausholend an, weich und unkoordiniert. Aber er half etwas mit, als sie ihm die Kleidung abstreifte. Im Rahmen seiner Möglichkeiten.
Kurz sackte er wieder in den Dämmerschlaf, dann berührte Nässe seine Haut, wärmte erst und kühlte dann, als sie trocknete. Überdeutlich, viel zu klar. Ein Schwamm. Finger. Finger auf seiner Haut, der Berg- und Tallandschaft seiner Narben. Es erinnerte ihn an etwas.
Finger auf seiner Schläfe. Er schlug die Augen auf, deren Glanz seinen Zustand überdeutlich machte, aber er sah sie. Iola, das hübsche Mädchen mit den blauen Augen. Doch jetzt fehlte etwas, dass ihn immer band, wenn er sie ansah. Das ihn hielt und einen Abstand wahrte, den der Anstand gebot und sein Schwur. Es war weg. Da war nur ein perlendes Gefühl, das seine Seiten entlang lief.
Er hob die Hand, berührte ihr Gesicht, das im dämmrigen Licht seltsam verklärt wirkte.
Er hob seine Finger und berührte sie.
Das setzte nicht nur ihre Seele in Flammen, sondern auch ihr Körper begann lauter nach etwas zu verlangen, von dem sie bisher nicht gewusst hatte, dass sie es in sich trug.
Seine Finger spielten auf ihr wie ein Bogen auf einer Violinsaite, brachte sie zum Klingen, etwas tief in ihr zum Vibrieren.
Sie wollte etwas. Aber was? War es das, was in den Büchern über die Fortpflanzung gesehen hatte?
Sie wusste es nicht, aber sie war bereit es herauszufinden.
Seine schmalen Lippen zogen die ihren an wie ein Magnet. Sie ließ sich von diesem Impuls ziehen, legte ihren Oberkörper auf seinen, drückte ihre Lippen auf seinen Mund, ohne genau zu wissen warum. Es war richtig so. Seine Lippen waren rau und eine nicht ganz so verliebte, nicht ganz so berauschte Person hätte an den Verlauf seines Ausfluges gedacht und den Kuss vermieden.
Nicht Iola.
Ihr Herz schlug so hart gegen ihre Brust das sie dachte, wenn sie dem Begehren nicht nachging, würde es ihr zerspringen.
Unwissend, dass es da mehr gab als nur die Lippen aufeinander zu drücken huschten ihre schmalen Finger in sein Haar, seinen Nacken, über seine Schulter.
Sie spürte wie sich ihre Brustwarzen aufrichteten und gegen die Stoffstreifen rieben, die sie um den Oberkörper gewickelt trug. Wie es sich wohl anfühlte, wenn sie ihre Haut nackt auf seine legte?
Ob es ihm so gefiel wie ihr?
Völlig im Kuss versunken rückte die Welt weit fort von ihr.
Sie war so nah, schmeckte so süß. Sein Verstand war noch im Delirium, sein Körper folgte einfach der Verlockung ihrer Weiblichkeit. Jakobs Hände glitten unter ihr Hemd, folgten einem Instinkt, der so alt war, wie das Leben selbst.
Ihr Zögern verlosch wie ein Feuer, auf den ein Schlagwetter niederging.
Sie zog sich mit fließenden Bewegungen aus, löste die Bänder um ihre Oberweite, streifte ihr Untergewand ab, ließ alles achtlos zu Boden gleiten und schlüpfte zu ihm ins Bett.
Noch lag sie neben ihm, schwer atmend immer wieder nach seinen Lippen haschend, während ihre Finger seinen Körper erforschten und seine Hände den ihren. Seine Finger fanden Brustwarzen so hart, dass man damit einen gefrorenen Acker hätte umpflügen können.
Zwischen den Schenkeln des Jungen gerieten ihre Finger an etwas, dass sie bisher nur in der nicht erigierten Version kannte. Das hier war anders. Erstaunt linste sie zwischen die beiden vor Schweiß und Luftfeuchtigkeit glänzenden Körper. Ja…das kannte sie von den Stichen. Und jetzt war ihr auch klar, warum es in den Büchern immer so detailliert dargestellt war. Stramm vor Jakobs flachem Bauch stehend lachte ihr die pure Verlockung entgegen.
Und tief in sich wusste sie auch, was sie nun anfangen würde. Anfangen wollte. Anfangen musste.
Sanft schob sie ihn auf den Rücken und schwang sich auf seine Oberschenkel, nahm seinen Schaft in die Hand, spielte etwas damit, stöhnte tonlos. Wie es ging, wusste sie nicht recht.
Noch einen Kuss…ja, dann würde sich alles ergeben. So legte sie sich also auf ihn, seinen Schwanz zwischen seinen und ihren Bauch einklemmend, küsste ihn wieder – Küssen war sooo schön – und rieb sich an ihm, ihre Schenkel an seiner Hüfte, ihr dunkles Haar schirmte seine Sicht, so dass er nur sie sah, nur sie roch, nur sie spürte.
Es gab nur noch sie. Und ihn. Und ihre gemeinsame Lust.
Er trank ihre Küsse, atmete ihren Duft und fiel dem Feuer ihrer Berührungen hoffnungslos zum Opfer. Von allen Hemmungen befreit, erkundete er ihren jungen Körper, ließ keinen Zentimeter aus, auch wenn alles wie durch einen Dunstschleier zu ihm drang. Die Reaktion seines Körpers war ihm vertraut - wie wohl jeder Junge hatte auch Jakob sich unzählige Male der Sünde des Onan schuldig gemacht - aber von feiner Frauenhand berührt zu werden, einen warmen Körper auf der eigenen Haut zu spüren, war aufregend neu. Die Euphorie machte ihn etwas wacher, auch wenn dieses Bewusstsein verzerrt war von den Giften in seinem Blut.
Er stieß keuchend den Atem aus, als sie sich an ihn presste, bewusst oder unbewusst mit seiner Erektion spielte. Sie war schön. Ihre blauen Augen leuchteten überirdisch. Ein Engel. Sein Engel.
Sein überhitztes Gehirn gaukelte ihm Bilder vor, ließ die Ränder verschwimmen und Iolas Gesicht. Ließ sie zu Aria werden, zu Sindra, zu Miriam, zu Petra (oder Paula) - zu allen Frauen, die seine jugendliche Libido je angesprochen hatten. Bis er wieder zurück stürzte ins Jetzt. Ins Hier. Verloren.
Ein Sünder. Elend.
Aber die Hölle würde noch eine Nacht warten.
Der Rest des Aktes ertrank in Rausch und Delirium.
Halb seinen Händen, halb ihren Instinkten gefolgt richtete sie sich auf ihn auf, brachte ihn in Position…und senkte ihr Becken dem seinen entgegen.
Er spürte den Widerstand, hörte ihr tonloses Keuchen, eine Mischung aus kurzem Schmerz und aufflammender Lust, roch die Kräuter der Seife, ihren Schweiß, den leichten Geruch von Kupfer.
Und dann empfing ihn enge, tropfend feuchte Hitze.
Es brauchte nicht viel sie zu steuern. Eine kurze, sanfte Berührung seiner Hand, gewichtsloser Druck auf ihrem Becken. Sie gab keinen Laut von sich, doch schon nach wenigen Minuten warf sie den Kopf in den Nacken, ihr dunkles Haar folgte dem Schwung in einem weiten Bogen. Sie spannte den Körper, begann zu zittern. Er hatte nicht viel Mühe mit ihr. Einige kurze Stöße nach oben und sie begann zu zucken. Auf ihren Lippen ein Stöhnen, das keinen Laut abgab, doch ihr Körper rief um so lauter ihre Lust hinaus. Eng. Heiß, pulsierend.
Er kam. Mit ihr.
Und endlich riss ihn die Schwärze hinweg in einen tiefen und endlich auch erholsamen Schlaf.
Es war keine lange Nummer gewesen. Kein endloses Wälzen in den Laken. Trotzdem fühlte Iola sich, wie sie sich noch nie gefühlt hatte.
Sie war erfüllt von einer Liebe, die ganz anders war als die zur Muttergöttin. Tiefer, brennender, verlangender.
Noch bevor der gemeinsame Höhepunkt in ihrem Körper verklungen war lag er reglos da, ein seliges – und ein wenig dümmliches- Lächeln auf den Lippen, tief atmend, schlafend, ruhig.
Wenigstens für diese Nacht hatte sie ihm das Leid genommen. Ob sie jemals wieder das Bett teilen würden?
Sie wusch ihn nochmal, versuchte alle Spuren zu verwischen. Der Ritter würde mit ihr hadern, wenn er es wüsste. Schlimmer noch, Jakob durfte keine Frauen haben. Was hatte sie nur getan?!
Sie wusch, ließ alles verschwinden, drehte ihn auf die Seite, platzierte das Bettzeug so, dass er sich nicht umdrehen konnte.
Was sie nicht wusste war, dass ihr Retter und Vormund über eine Nase verfügte, die weit besser war als die eines Menschen. Zumindest so lange die Bestie in ihm das wollte.
Als Jarel sich nach der Dämmerung endlich von Iolas Schulter löste, in Jakobs Zimmer trat und ihn betrachtete, wollte der Schwarze es. Und wie er es wollte. Er präsentierte die Aromen in der Luft auf einem Silbertablett, rieb sie dem Ritter im wahrsten Sinne des Wortes unter die Nase.
Der alte Mann erstarrte, es dauerte Minuten, bevor er die Tür von innen schloss. Und sich schwer auf den Stuhl neben dem Tischchen fallen ließ.
Er starrte Jakob an, atmete tief durch die Nase ein. Brandnarben, Narben von selbst zugefügten Peitschenhieben. Der unverkennbare Duft der Grünen Fee. Alkohol. Erbrochenes. Urin. Eine feine Spur Blut. Selbstverständlich, darauf wies der schwarze schließlich besonders hin.
Und natürlich...Sex.
Die Bestie hatte Spaß an der Reaktion, witterte Lunte, befeuerte die Wut seines Gefängniswärters, den Ausbruch direkt vor Augen. Das würde ein Spaß…
Die Nacht brach ein und als Jakob langsam wieder dem Traumland entkam, war das erste was er fühlte eine wohlige Post koitale Schwere. Das zweite ein unglaublicher Kater und brennender Durst.
Und das dritte…
Das Dritte waren seine Instinkte, die ihn warnten. Es war stockduster im Raum. Zu hören waren außer dem scharfen, Übelkeit erregenden Rauschen zwischen seinen Ohren, nichts.
Aber er spürte es. Etwas starrte ihn an. Und dieses Etwas hegte in diesem Moment keine Zuneigung.
Dieses etwas war wütend. Und gefährlich.
Er erwachte mühsam - etwas zerrte ihn ins Bewusstsein - etwas, was Gehör verlangte. Konditionierung, die ihre Mühe mit dem zerstören Ding hatte, was Jakob zur Zeit war. Zunächst rührte er sich nicht - immerhin dieser Impuls reagierte noch - und forschte an sich. Er war nackt, verstrickt in seine Laken und sein Kopf lag zwischen zwei gigantischen Mühlsteinen.
Es war dunkel und er fühlte sich...
Er war blind!
Wichsen macht blind, Jung!, hörte er seinen Opa schimpfen. Seine Oma lachte und er bekam heiße Ohren.
Der Alkohol machte sich längst nur noch als Gift bemerkbar, aber die zusätzlichen Stoffe aus dem Gebräu der zahnlückigen Alten hatten sein Gehirn noch voll im Griff. Realität und Erinnerungen mischten sich auf groteske Weise in seinem Kopf, malten Bilder und weckten Tote. Dann huschten wieder Momente der Klarheit vorbei.
Es war dunkel.
Nacht. Nicht blind, Idiot.
Er versuchte seinen Kopf von den Mühlsteinen zu befreien.
Ächzend wälzte er sich auf den Rücken, was zur Folge hatte, dass aus dem Mühlstein eine glühende Nadel wurde, die jemand in seinen Gehörgang hämmerte. Trotzdem versuchte er hoch zu kommen. Er musste pissen, hatte Durst und brauchte endlich Licht. Er fühlte sich unwohl so im Dunkeln. Irgendwas kratzte an seiner Aufmerksamkeit, aber diese war noch zu benebelt. Außerdem sorgte der Versuch sich aufzurichten gleich dafür, dass die spärlichen Reste seines Mageninhalts nach Ausgang verlangten.
Jakob kippte halb über den Bettrand. Das er den Eimer zu greifen bekam, den die umsichtige Iola dort platziert hatte, war pures Glück.
Stöhnend rollte er sich wieder auf sein Bett, tastete nach der Nachttischlampe. Erfühlte das Talglicht. Achja.
Es dauerte eine weitere gefühlte Ewigkeit und brauchte mehrere Anläufe, dann flammte der Docht auf und warf ein gelbliches Licht.
Jakob erstarrte. Seine Augen waren in die richtige Richtung gerichtet, aber es war, als sehe er zunächst nichts dort. Herzschlag um Herzschlag verklang, dann endlich zuckte sein Stammhirn, ließ ihn zurück prallen, bis die Wand grob in seinem Rücken war und neuer Schmerz in seinem Kopf die Schatten tiefer werden ließ.
Samuel!
Sein Puls begann zu rasen.
Nein, Samuel war tot.
Das hier war nicht real!
Wie ein Kind, das damit die Schreckgespenster der Nacht aussperren wollte, kroch er wieder in die Laken und zog das Kissen über seinen Kopf.
Der Schatten auf dem Stuhl sagte noch immer keinen Ton.
Aber er machte ein Geräusch.
Tacktacktack
kleine Pause
Tacktacktack
wieder eine Pause...
Das ungeduldige Trommeln von Fingernägeln auf Holz.
Da war nichts.
Nichts.
NICHTS!
Die Faust, die das Kissen auf seinem Kopf hielt, krallte sich fester hinein.
Das ganze wiederholtesich.
Tommeln von Fingernägeln auf Holz.
Pause...
und wieder.
Mal sehen, wer als ersts aufgeben würde.
Der Mann auf dem Stuhl, oder die Blase des Knappen.
"Geh weg. Du bist nicht echt.", tönte es gedämpft unter dem Kissen hervor. Doch es klang eher flehend, als befehlend.
Ein unwilliges Brummen war die Antwort.
"Für einen Feigling hatte ich dich bisher nicht gehalten."
Die Stimme kannte er. War das jetzt besser? Er war nicht sicher.
Die Worte trafen ihn nicht besonders. Was manche Dinge anging war er ein schrecklicher Feigling und gerade war ihm so elend, dass Jarel ihn gerne alles nennen durfte, wenn er es nur nicht zu laut tat und dann wieder verschwand.
Er wühlte ein wenig in den Laken.
Achja. Pissen.
Die Geräusche, die als nächstes aus dem Kissen drangen, klangen nach Flüchen.
Endlich tauchte ein halbes Gesicht zwischen Strohsack und Kissen auf, schielte blinzelnd zu der finsteren Gestalt in der Ecke. Die Bedrohung, die dieser bewusste aufbaute, war mit Händen zu greifen und sie hatte ihre Wirkung auf Jakobs Organismus. Nur sein Verstand war noch luftig unterwegs, sodass er die Dreistigkeit besaß zu maulen: "Wenn du mir den Kopf abreißen willst, mach schnell. Dann hören wenigstens die Zwerge darin auf zu hämmern."
Die Antwort war leise, doch scharf. Sehr scharf.
"Passiert das jetzt jedes Mal, wenn ich dich auf deine Vergangenheit anspreche, Knappe?"
Nicht 'Jakob' Nicht 'Junge'. Etwas hatte sich verschoben. Weg von der immer verständnisvollen Art. Weg von dem verhohlenen Stolz, wenn er sich beim Mist bauen besonders geschickt angestellt hatte. Weg vom väterlichen. Das war mehr als nur Wu über einen ordentlichen Rausch.
Etwas lief hier schief.
"Was würde deine Schwester dazu sagen, wenn sie erführe was du getan hast. Was du getan hast, statt ihren Namen zu ehren? Was du mit deinem Körper tust und..." Er verstummt.
"Ich habe nicht das Recht, dir dein Leid abzusprechen und du nicht die Pflicht, mit mir darüber zu reden. Auch wenn du dich an die Geübte nicht gebunden fühlst, kratzt mich das nicht. "
Er beugte sich vor und wurde eine Spur lauter.
"Aber deinen Körper mit Drogen zu geisseln und dich von einem Mädchen aus der Gosse ziehen zu lassen..."
Ein dunkles Knurren drang an Jakobs Ohr. Da war noch etwas, was der Ritter allerdings herunterschluckte.
Knappe. Neuer Tonfall. Ein Ton, der ihm im Normalfall sogar Genugtuung bereitet hätte, denn es hieß, er hatte es mal wieder geschafft. Das Maß voll gemacht, den nächsten Akteneintrag kassiert. Seine eigene traurige Statistik weiter voll gemacht.
Moment. Auszeit.
Anderes Leben, andere Umstände.
Hier hatte er doch ein anderer sein wollen. Neu anfangen. War doch bisher gut gelaufen: er stellte nichts allzu gravierendes an und Jarel benahm sich nicht wie all die anderen.
Gerade versagten sie beide.
Die Leier. Ach verdammt... Was würde dein Vater sagen, was deine Mutter... Zugegeben, Schwester war neu, aber das Schema das Gleiche.
Dann wurde es verwirrend. Oder besser noch verwirrender. Drogen??
Er stöhnte leise. Zu laut.
"Ich weiß es nicht.", hatte er irgendwann mitten in Jarels Monolog angefangen zu murmeln.
"Ich weiß es nicht. Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht!" Auch seine Stimme wurde lauter, bis es in seinen Ohren pfiff.
"Was für Drogen?", murmelte er wieder leiser, seinem eigenen Kopf zugunsten. Er kramte wirklich in seiner Erinnerung, aber je mehr er es versuchte, desto chaotischer schienen diese zu werden.
"Ich wollte nur ein Bier trinken... Besser als 'ne Schlägerei anzufangen, oder?!" Seine Stimme klang, als habe er eine Drahtbürste gefressen. Immerhin weckte ihn das Adrenalin langsam immer mehr auf.
Irgendwie gelang es ihm, in eine sitzende Position zu kommen, ohne das Gefühl zu haben, sein Magen kehre sich um. Er rieb sich mit beiden Händen das Gesicht, aber besser wurde davon nichts. Nicht das verschobene Körpergefühl, nicht der Schmerz, nicht die Wut über die Vorwürfe.
"Ich habe mich immer an alle meine Gelübde gehalten! Alle!" Irgendwie war ihm das wichtig, so egal es Jarel auch sein mochte.
Tacheles also? Er fühlte sich nicht danach - ganz und gar nicht. Und er musste pissen. Der Eimer war verlockend... Er stank eh schon. Doch er widersetzte sich.
"Da ist etwas Böses in mir, Jarel. Als wäre mit Miriam der gute Zwilling gestorben... Es ist in meinem Kopf, es will ständig raus und hier gibt es kein Ventil. Nichts was hilft." Er wurde wieder laut, obwohl es ihm selbst weh tat und der Schmerz dafür sorgte, dass ihm speiübel wurde. Jakob presste die Augen zusammen, drückte die Fäuste hinein.
"Es macht mich wahnsinnig."
Etwas in Jarel brach in bitteres Lachen aus.
Er hatte sich nicht nur jemanden raus gesucht, der ihm ähnlich war, sondern eine Kopie von sich.
"Und kennst du jemanden, mit dem du über dieses Problem reden könntest? Vielleicht jemanden, der das Problem kennt?", brummte Jarel, schon einiges ruhiger als zuvor.
Trotzdem gab es da noch etwas, das verhinderte, das er sich vollständig beruhigte.
Jakob schnaubte. Alles was Sie jetzt sagen, wird garantiert gegen Sie verwendet - so kam er sich vor, dennoch gab er diesen Laut von sich. Auch wenn alles ruckhafte, selbst solch ein Laut, Nägel in seinen Schädel trieb. Sie waren schon ein Duo. Was versuchte er denn seit über einem Jahr? Es fiel ihm zum Henker nicht leicht, aber er hatte sich Jarel gegenüber schon weiter geöffnet als jemals einem Menschen zuvor. Wie konnte er so eine Frage stellen? Plötzlich war Jakob zum Heulen zumute. Seine Emotionen wankten noch gemeinsam mit dem Ballon am Bändchen, das sein Gehirn darstellte, auf und ab.
"Willst du mich verarschen?", fragte er schließlich unerwartet heftig. Scheinbar brauchte es leichte Drogen, um diesen Menschen emotional aus der Reserve zu locken. Er fluchte, zeigend, dass er Schüler eines guten Lehrers war, dann erhob er sich auf wackelige Beine.
"Warte kurz - bitte - ich muss echt pissen."
Mit sehr vorsichtigen Bewegungen, stieg er in die Sachen, die Iola ihm dagelassen hatte und schlurfte dann hinaus. Den Eimer nahm er mit.
Auf dem Weg zur Latrine versuchte er seine Gedanken irgendwie zu sortieren, sich zu erinnern. Aber der größte Teil des gestrigen Abends war in einem Nebel verborgen, aus dem nur hier und da ein eher verwirrendes Bild hervor stach. Bilder, die auf ein Gesamtkunstwerk hinwiesen, dass er eigentlich lieber nicht sehen wollte.
Erleichtert und mit nassem Kopf, nachdem er selbigen in den Eimer am Brunnen gesteckt hatte, kehrte er in seine Kammer zurück. Jarel wartete, wie erbeten. Immer noch der brütende Schwarze Schatten. Jakob wäre es lieber, er könnte die Diskussion führen, wenn er all Sinne beisammen hatte, aber das würden sie wohl beide nicht zulassen.
Ächzend machte er sich wieder auf seinem Bett lang. Liegen war gut. Fand auch sein Magen.
"Gott, wie kann man nach so einem Erwachen je wieder auch nur an eine Wiederholung denken?", knirrschte er kleinlaut.
"War das dein erster Tanz mit der grünen Fee?", fragte der Ritter düster. Noch immer war von ihm außer seiner Worte nicht zu hören. Als würde er nicht atmen. Als wäre er nichts existent.
Jakob schnaufte und schon saß er wieder. Beschissene Idee. Er schluckte hart, schloss einen Moment die Augen, blieb aber eisern sitzen.
"Nochmal. Ich war ein Bier trinken - ok, zwei Bier und den ein oder anderen Brandwein. Ja, gegen alles, was ich geschworen und bisher gelebt habe.", entgegnete er erneut heftiger als man es von ihm gewohnt war. Er zwang sich zur Ruhe. "Da war dieser kleine Kerl..." Dann zögerte er, dachte offenkundig nach. Lange. Puzzleteile. Bilder. Nein, Fetzen von Bildern.
Endlich sah er Jarel an. "Ich kann mich ums Verrecken nicht an mehr erinnern."
Er blinzelte. Eine Alte mit einer schrecklichen Zahnlücke... er schauderte. "Sicher nicht an irgendwelche Feen."
"Du stinkst nach erbrochenem, Pferdepisse und einem ausgiebigen Tanz mit der grünen Fee, Knappe."
Und nach Sex und Blut. Doch das verschwieg er. Noch.
"Keine Erinnerung, ja? An nichts?" Das konnte doch nicht wahr sein. Die Kleine hatte sich ihm geschenkt, und er würdigte das nicht einmal. Nun...vielleicht besser?
Oder war das Unrecht...
Unwillkürlich witterte er an seinem Ärmel, warf Jarel dann einen skeptischen Blick zu. Catriona? Er roch nichts von all dem, nur die Seife...
Seife.
Kräuterseife.
Irgendwas klingelte leise in seinem Hinterkopf. Leicht schüttelte er den Kopf, aber er wirkte nicht mehr ganz so sicher.
"Ich... keine Ahnung... ich." Er legte sich wieder auf den Rücken, starrte zur Decke, drehte dann den Kopf. "Jarel, glaub mir bitte - ich hab bis zum gestrigen Tag noch niemals irgendwas in der Richtung angerührt. Ich weiß nichtmal von was für einer Fee du die ganze Zeit redest."
"Hier heißt es glaube ich...", er musste überlegen. "...Absinth."
Jarel zog sich an der Lehne des Stuhles hoch.
"Denk über die Nacht nach. Es gibt da etwas wichtiges, an dass du dich erinnern solltest." Unsicher ging Jarel zur Tür.
"Du bist nicht allein auf dieser Welt. Benimm dich auch so."
Noch in der Tür sah er sich um. "Morgen früh, im Waisenhaus. Deine Schonzeit ist vorbei."
Er war nicht allein auf dieser Welt. Vielleicht nicht. Aber allein in seinem Kopf. Jarel ging, Jakob hielt sich mit Mühe davon ab, ihm irgendwas hinterher zu werfen, denn das einzig greifbare war das Talglicht. Statt dessen rollte er sich auf der Seite zusammen und starrte finster ins Leere.
Es war zwecklos mit dem Jungen zu sprechen, wenn er so sich in seiner Sturheit zurückzog, nichts an sich heran lies, sich selbst belog.
Leise schloss Jarel die Tür und starrte auf das raue Holz.
Violetta und Jakob also. Sie hätte es definitiv schlimmer treffen können, aber dann vergessen zu werden. Das hatte sie nicht verdient.
Der Junge hatte es nicht leicht gehabt. Sein Mündel aber auch nicht. Er würde nie die Bilder ihre geschändeten Mutter, des erschlagenen Vaters, des zu Tode gequälten Bruders vergessen.
Und auch das nicht, was er mit den Banditen angestellt hatte.
Es war mitten in der Nacht. Morgen, nachdem er dafür gesorgt hatte das der Junge seinen Dienst antrat, würde er mit ihr reden. Würde sich zeigen lassen, wo sie Jakob gefunden hatte. Auf die Nacht würde er sie nicht ansprechen.
Morgen. Heute war es zu spät die Kleine zu wecken.
Morgen war früh genug.
Müde und enttäuscht schleppte sich der Ritter an der Wand entlang zu Arvijds persönlichem Krankenzimmer, in dem er untergebracht war.
Kaum im Bett fielen ihm die Augen zu. Eine ruhige Nacht wurde es trotzdem nicht.
Kurz sackte er wieder in den Dämmerschlaf, dann berührte Nässe seine Haut, wärmte erst und kühlte dann, als sie trocknete. Überdeutlich, viel zu klar. Ein Schwamm. Finger. Finger auf seiner Haut, der Berg- und Tallandschaft seiner Narben. Es erinnerte ihn an etwas.
Finger auf seiner Schläfe. Er schlug die Augen auf, deren Glanz seinen Zustand überdeutlich machte, aber er sah sie. Iola, das hübsche Mädchen mit den blauen Augen. Doch jetzt fehlte etwas, dass ihn immer band, wenn er sie ansah. Das ihn hielt und einen Abstand wahrte, den der Anstand gebot und sein Schwur. Es war weg. Da war nur ein perlendes Gefühl, das seine Seiten entlang lief.
Er hob die Hand, berührte ihr Gesicht, das im dämmrigen Licht seltsam verklärt wirkte.
Er hob seine Finger und berührte sie.
Das setzte nicht nur ihre Seele in Flammen, sondern auch ihr Körper begann lauter nach etwas zu verlangen, von dem sie bisher nicht gewusst hatte, dass sie es in sich trug.
Seine Finger spielten auf ihr wie ein Bogen auf einer Violinsaite, brachte sie zum Klingen, etwas tief in ihr zum Vibrieren.
Sie wollte etwas. Aber was? War es das, was in den Büchern über die Fortpflanzung gesehen hatte?
Sie wusste es nicht, aber sie war bereit es herauszufinden.
Seine schmalen Lippen zogen die ihren an wie ein Magnet. Sie ließ sich von diesem Impuls ziehen, legte ihren Oberkörper auf seinen, drückte ihre Lippen auf seinen Mund, ohne genau zu wissen warum. Es war richtig so. Seine Lippen waren rau und eine nicht ganz so verliebte, nicht ganz so berauschte Person hätte an den Verlauf seines Ausfluges gedacht und den Kuss vermieden.
Nicht Iola.
Ihr Herz schlug so hart gegen ihre Brust das sie dachte, wenn sie dem Begehren nicht nachging, würde es ihr zerspringen.
Unwissend, dass es da mehr gab als nur die Lippen aufeinander zu drücken huschten ihre schmalen Finger in sein Haar, seinen Nacken, über seine Schulter.
Sie spürte wie sich ihre Brustwarzen aufrichteten und gegen die Stoffstreifen rieben, die sie um den Oberkörper gewickelt trug. Wie es sich wohl anfühlte, wenn sie ihre Haut nackt auf seine legte?
Ob es ihm so gefiel wie ihr?
Völlig im Kuss versunken rückte die Welt weit fort von ihr.
Sie war so nah, schmeckte so süß. Sein Verstand war noch im Delirium, sein Körper folgte einfach der Verlockung ihrer Weiblichkeit. Jakobs Hände glitten unter ihr Hemd, folgten einem Instinkt, der so alt war, wie das Leben selbst.
Ihr Zögern verlosch wie ein Feuer, auf den ein Schlagwetter niederging.
Sie zog sich mit fließenden Bewegungen aus, löste die Bänder um ihre Oberweite, streifte ihr Untergewand ab, ließ alles achtlos zu Boden gleiten und schlüpfte zu ihm ins Bett.
Noch lag sie neben ihm, schwer atmend immer wieder nach seinen Lippen haschend, während ihre Finger seinen Körper erforschten und seine Hände den ihren. Seine Finger fanden Brustwarzen so hart, dass man damit einen gefrorenen Acker hätte umpflügen können.
Zwischen den Schenkeln des Jungen gerieten ihre Finger an etwas, dass sie bisher nur in der nicht erigierten Version kannte. Das hier war anders. Erstaunt linste sie zwischen die beiden vor Schweiß und Luftfeuchtigkeit glänzenden Körper. Ja…das kannte sie von den Stichen. Und jetzt war ihr auch klar, warum es in den Büchern immer so detailliert dargestellt war. Stramm vor Jakobs flachem Bauch stehend lachte ihr die pure Verlockung entgegen.
Und tief in sich wusste sie auch, was sie nun anfangen würde. Anfangen wollte. Anfangen musste.
Sanft schob sie ihn auf den Rücken und schwang sich auf seine Oberschenkel, nahm seinen Schaft in die Hand, spielte etwas damit, stöhnte tonlos. Wie es ging, wusste sie nicht recht.
Noch einen Kuss…ja, dann würde sich alles ergeben. So legte sie sich also auf ihn, seinen Schwanz zwischen seinen und ihren Bauch einklemmend, küsste ihn wieder – Küssen war sooo schön – und rieb sich an ihm, ihre Schenkel an seiner Hüfte, ihr dunkles Haar schirmte seine Sicht, so dass er nur sie sah, nur sie roch, nur sie spürte.
Es gab nur noch sie. Und ihn. Und ihre gemeinsame Lust.
Er trank ihre Küsse, atmete ihren Duft und fiel dem Feuer ihrer Berührungen hoffnungslos zum Opfer. Von allen Hemmungen befreit, erkundete er ihren jungen Körper, ließ keinen Zentimeter aus, auch wenn alles wie durch einen Dunstschleier zu ihm drang. Die Reaktion seines Körpers war ihm vertraut - wie wohl jeder Junge hatte auch Jakob sich unzählige Male der Sünde des Onan schuldig gemacht - aber von feiner Frauenhand berührt zu werden, einen warmen Körper auf der eigenen Haut zu spüren, war aufregend neu. Die Euphorie machte ihn etwas wacher, auch wenn dieses Bewusstsein verzerrt war von den Giften in seinem Blut.
Er stieß keuchend den Atem aus, als sie sich an ihn presste, bewusst oder unbewusst mit seiner Erektion spielte. Sie war schön. Ihre blauen Augen leuchteten überirdisch. Ein Engel. Sein Engel.
Sein überhitztes Gehirn gaukelte ihm Bilder vor, ließ die Ränder verschwimmen und Iolas Gesicht. Ließ sie zu Aria werden, zu Sindra, zu Miriam, zu Petra (oder Paula) - zu allen Frauen, die seine jugendliche Libido je angesprochen hatten. Bis er wieder zurück stürzte ins Jetzt. Ins Hier. Verloren.
Ein Sünder. Elend.
Aber die Hölle würde noch eine Nacht warten.
Der Rest des Aktes ertrank in Rausch und Delirium.
Halb seinen Händen, halb ihren Instinkten gefolgt richtete sie sich auf ihn auf, brachte ihn in Position…und senkte ihr Becken dem seinen entgegen.
Er spürte den Widerstand, hörte ihr tonloses Keuchen, eine Mischung aus kurzem Schmerz und aufflammender Lust, roch die Kräuter der Seife, ihren Schweiß, den leichten Geruch von Kupfer.
Und dann empfing ihn enge, tropfend feuchte Hitze.
Es brauchte nicht viel sie zu steuern. Eine kurze, sanfte Berührung seiner Hand, gewichtsloser Druck auf ihrem Becken. Sie gab keinen Laut von sich, doch schon nach wenigen Minuten warf sie den Kopf in den Nacken, ihr dunkles Haar folgte dem Schwung in einem weiten Bogen. Sie spannte den Körper, begann zu zittern. Er hatte nicht viel Mühe mit ihr. Einige kurze Stöße nach oben und sie begann zu zucken. Auf ihren Lippen ein Stöhnen, das keinen Laut abgab, doch ihr Körper rief um so lauter ihre Lust hinaus. Eng. Heiß, pulsierend.
Er kam. Mit ihr.
Und endlich riss ihn die Schwärze hinweg in einen tiefen und endlich auch erholsamen Schlaf.
Es war keine lange Nummer gewesen. Kein endloses Wälzen in den Laken. Trotzdem fühlte Iola sich, wie sie sich noch nie gefühlt hatte.
Sie war erfüllt von einer Liebe, die ganz anders war als die zur Muttergöttin. Tiefer, brennender, verlangender.
Noch bevor der gemeinsame Höhepunkt in ihrem Körper verklungen war lag er reglos da, ein seliges – und ein wenig dümmliches- Lächeln auf den Lippen, tief atmend, schlafend, ruhig.
Wenigstens für diese Nacht hatte sie ihm das Leid genommen. Ob sie jemals wieder das Bett teilen würden?
Sie wusch ihn nochmal, versuchte alle Spuren zu verwischen. Der Ritter würde mit ihr hadern, wenn er es wüsste. Schlimmer noch, Jakob durfte keine Frauen haben. Was hatte sie nur getan?!
Sie wusch, ließ alles verschwinden, drehte ihn auf die Seite, platzierte das Bettzeug so, dass er sich nicht umdrehen konnte.
Was sie nicht wusste war, dass ihr Retter und Vormund über eine Nase verfügte, die weit besser war als die eines Menschen. Zumindest so lange die Bestie in ihm das wollte.
Als Jarel sich nach der Dämmerung endlich von Iolas Schulter löste, in Jakobs Zimmer trat und ihn betrachtete, wollte der Schwarze es. Und wie er es wollte. Er präsentierte die Aromen in der Luft auf einem Silbertablett, rieb sie dem Ritter im wahrsten Sinne des Wortes unter die Nase.
Der alte Mann erstarrte, es dauerte Minuten, bevor er die Tür von innen schloss. Und sich schwer auf den Stuhl neben dem Tischchen fallen ließ.
Er starrte Jakob an, atmete tief durch die Nase ein. Brandnarben, Narben von selbst zugefügten Peitschenhieben. Der unverkennbare Duft der Grünen Fee. Alkohol. Erbrochenes. Urin. Eine feine Spur Blut. Selbstverständlich, darauf wies der schwarze schließlich besonders hin.
Und natürlich...Sex.
Die Bestie hatte Spaß an der Reaktion, witterte Lunte, befeuerte die Wut seines Gefängniswärters, den Ausbruch direkt vor Augen. Das würde ein Spaß…
Die Nacht brach ein und als Jakob langsam wieder dem Traumland entkam, war das erste was er fühlte eine wohlige Post koitale Schwere. Das zweite ein unglaublicher Kater und brennender Durst.
Und das dritte…
Das Dritte waren seine Instinkte, die ihn warnten. Es war stockduster im Raum. Zu hören waren außer dem scharfen, Übelkeit erregenden Rauschen zwischen seinen Ohren, nichts.
Aber er spürte es. Etwas starrte ihn an. Und dieses Etwas hegte in diesem Moment keine Zuneigung.
Dieses etwas war wütend. Und gefährlich.
Er erwachte mühsam - etwas zerrte ihn ins Bewusstsein - etwas, was Gehör verlangte. Konditionierung, die ihre Mühe mit dem zerstören Ding hatte, was Jakob zur Zeit war. Zunächst rührte er sich nicht - immerhin dieser Impuls reagierte noch - und forschte an sich. Er war nackt, verstrickt in seine Laken und sein Kopf lag zwischen zwei gigantischen Mühlsteinen.
Es war dunkel und er fühlte sich...
Er war blind!
Wichsen macht blind, Jung!, hörte er seinen Opa schimpfen. Seine Oma lachte und er bekam heiße Ohren.
Der Alkohol machte sich längst nur noch als Gift bemerkbar, aber die zusätzlichen Stoffe aus dem Gebräu der zahnlückigen Alten hatten sein Gehirn noch voll im Griff. Realität und Erinnerungen mischten sich auf groteske Weise in seinem Kopf, malten Bilder und weckten Tote. Dann huschten wieder Momente der Klarheit vorbei.
Es war dunkel.
Nacht. Nicht blind, Idiot.
Er versuchte seinen Kopf von den Mühlsteinen zu befreien.
Ächzend wälzte er sich auf den Rücken, was zur Folge hatte, dass aus dem Mühlstein eine glühende Nadel wurde, die jemand in seinen Gehörgang hämmerte. Trotzdem versuchte er hoch zu kommen. Er musste pissen, hatte Durst und brauchte endlich Licht. Er fühlte sich unwohl so im Dunkeln. Irgendwas kratzte an seiner Aufmerksamkeit, aber diese war noch zu benebelt. Außerdem sorgte der Versuch sich aufzurichten gleich dafür, dass die spärlichen Reste seines Mageninhalts nach Ausgang verlangten.
Jakob kippte halb über den Bettrand. Das er den Eimer zu greifen bekam, den die umsichtige Iola dort platziert hatte, war pures Glück.
Stöhnend rollte er sich wieder auf sein Bett, tastete nach der Nachttischlampe. Erfühlte das Talglicht. Achja.
Es dauerte eine weitere gefühlte Ewigkeit und brauchte mehrere Anläufe, dann flammte der Docht auf und warf ein gelbliches Licht.
Jakob erstarrte. Seine Augen waren in die richtige Richtung gerichtet, aber es war, als sehe er zunächst nichts dort. Herzschlag um Herzschlag verklang, dann endlich zuckte sein Stammhirn, ließ ihn zurück prallen, bis die Wand grob in seinem Rücken war und neuer Schmerz in seinem Kopf die Schatten tiefer werden ließ.
Samuel!
Sein Puls begann zu rasen.
Nein, Samuel war tot.
Das hier war nicht real!
Wie ein Kind, das damit die Schreckgespenster der Nacht aussperren wollte, kroch er wieder in die Laken und zog das Kissen über seinen Kopf.
Der Schatten auf dem Stuhl sagte noch immer keinen Ton.
Aber er machte ein Geräusch.
Tacktacktack
kleine Pause
Tacktacktack
wieder eine Pause...
Das ungeduldige Trommeln von Fingernägeln auf Holz.
Da war nichts.
Nichts.
NICHTS!
Die Faust, die das Kissen auf seinem Kopf hielt, krallte sich fester hinein.
Das ganze wiederholtesich.
Tommeln von Fingernägeln auf Holz.
Pause...
und wieder.
Mal sehen, wer als ersts aufgeben würde.
Der Mann auf dem Stuhl, oder die Blase des Knappen.
"Geh weg. Du bist nicht echt.", tönte es gedämpft unter dem Kissen hervor. Doch es klang eher flehend, als befehlend.
Ein unwilliges Brummen war die Antwort.
"Für einen Feigling hatte ich dich bisher nicht gehalten."
Die Stimme kannte er. War das jetzt besser? Er war nicht sicher.
Die Worte trafen ihn nicht besonders. Was manche Dinge anging war er ein schrecklicher Feigling und gerade war ihm so elend, dass Jarel ihn gerne alles nennen durfte, wenn er es nur nicht zu laut tat und dann wieder verschwand.
Er wühlte ein wenig in den Laken.
Achja. Pissen.
Die Geräusche, die als nächstes aus dem Kissen drangen, klangen nach Flüchen.
Endlich tauchte ein halbes Gesicht zwischen Strohsack und Kissen auf, schielte blinzelnd zu der finsteren Gestalt in der Ecke. Die Bedrohung, die dieser bewusste aufbaute, war mit Händen zu greifen und sie hatte ihre Wirkung auf Jakobs Organismus. Nur sein Verstand war noch luftig unterwegs, sodass er die Dreistigkeit besaß zu maulen: "Wenn du mir den Kopf abreißen willst, mach schnell. Dann hören wenigstens die Zwerge darin auf zu hämmern."
Die Antwort war leise, doch scharf. Sehr scharf.
"Passiert das jetzt jedes Mal, wenn ich dich auf deine Vergangenheit anspreche, Knappe?"
Nicht 'Jakob' Nicht 'Junge'. Etwas hatte sich verschoben. Weg von der immer verständnisvollen Art. Weg von dem verhohlenen Stolz, wenn er sich beim Mist bauen besonders geschickt angestellt hatte. Weg vom väterlichen. Das war mehr als nur Wu über einen ordentlichen Rausch.
Etwas lief hier schief.
"Was würde deine Schwester dazu sagen, wenn sie erführe was du getan hast. Was du getan hast, statt ihren Namen zu ehren? Was du mit deinem Körper tust und..." Er verstummt.
"Ich habe nicht das Recht, dir dein Leid abzusprechen und du nicht die Pflicht, mit mir darüber zu reden. Auch wenn du dich an die Geübte nicht gebunden fühlst, kratzt mich das nicht. "
Er beugte sich vor und wurde eine Spur lauter.
"Aber deinen Körper mit Drogen zu geisseln und dich von einem Mädchen aus der Gosse ziehen zu lassen..."
Ein dunkles Knurren drang an Jakobs Ohr. Da war noch etwas, was der Ritter allerdings herunterschluckte.
Knappe. Neuer Tonfall. Ein Ton, der ihm im Normalfall sogar Genugtuung bereitet hätte, denn es hieß, er hatte es mal wieder geschafft. Das Maß voll gemacht, den nächsten Akteneintrag kassiert. Seine eigene traurige Statistik weiter voll gemacht.
Moment. Auszeit.
Anderes Leben, andere Umstände.
Hier hatte er doch ein anderer sein wollen. Neu anfangen. War doch bisher gut gelaufen: er stellte nichts allzu gravierendes an und Jarel benahm sich nicht wie all die anderen.
Gerade versagten sie beide.
Die Leier. Ach verdammt... Was würde dein Vater sagen, was deine Mutter... Zugegeben, Schwester war neu, aber das Schema das Gleiche.
Dann wurde es verwirrend. Oder besser noch verwirrender. Drogen??
Er stöhnte leise. Zu laut.
"Ich weiß es nicht.", hatte er irgendwann mitten in Jarels Monolog angefangen zu murmeln.
"Ich weiß es nicht. Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht!" Auch seine Stimme wurde lauter, bis es in seinen Ohren pfiff.
"Was für Drogen?", murmelte er wieder leiser, seinem eigenen Kopf zugunsten. Er kramte wirklich in seiner Erinnerung, aber je mehr er es versuchte, desto chaotischer schienen diese zu werden.
"Ich wollte nur ein Bier trinken... Besser als 'ne Schlägerei anzufangen, oder?!" Seine Stimme klang, als habe er eine Drahtbürste gefressen. Immerhin weckte ihn das Adrenalin langsam immer mehr auf.
Irgendwie gelang es ihm, in eine sitzende Position zu kommen, ohne das Gefühl zu haben, sein Magen kehre sich um. Er rieb sich mit beiden Händen das Gesicht, aber besser wurde davon nichts. Nicht das verschobene Körpergefühl, nicht der Schmerz, nicht die Wut über die Vorwürfe.
"Ich habe mich immer an alle meine Gelübde gehalten! Alle!" Irgendwie war ihm das wichtig, so egal es Jarel auch sein mochte.
Tacheles also? Er fühlte sich nicht danach - ganz und gar nicht. Und er musste pissen. Der Eimer war verlockend... Er stank eh schon. Doch er widersetzte sich.
"Da ist etwas Böses in mir, Jarel. Als wäre mit Miriam der gute Zwilling gestorben... Es ist in meinem Kopf, es will ständig raus und hier gibt es kein Ventil. Nichts was hilft." Er wurde wieder laut, obwohl es ihm selbst weh tat und der Schmerz dafür sorgte, dass ihm speiübel wurde. Jakob presste die Augen zusammen, drückte die Fäuste hinein.
"Es macht mich wahnsinnig."
Etwas in Jarel brach in bitteres Lachen aus.
Er hatte sich nicht nur jemanden raus gesucht, der ihm ähnlich war, sondern eine Kopie von sich.
"Und kennst du jemanden, mit dem du über dieses Problem reden könntest? Vielleicht jemanden, der das Problem kennt?", brummte Jarel, schon einiges ruhiger als zuvor.
Trotzdem gab es da noch etwas, das verhinderte, das er sich vollständig beruhigte.
Jakob schnaubte. Alles was Sie jetzt sagen, wird garantiert gegen Sie verwendet - so kam er sich vor, dennoch gab er diesen Laut von sich. Auch wenn alles ruckhafte, selbst solch ein Laut, Nägel in seinen Schädel trieb. Sie waren schon ein Duo. Was versuchte er denn seit über einem Jahr? Es fiel ihm zum Henker nicht leicht, aber er hatte sich Jarel gegenüber schon weiter geöffnet als jemals einem Menschen zuvor. Wie konnte er so eine Frage stellen? Plötzlich war Jakob zum Heulen zumute. Seine Emotionen wankten noch gemeinsam mit dem Ballon am Bändchen, das sein Gehirn darstellte, auf und ab.
"Willst du mich verarschen?", fragte er schließlich unerwartet heftig. Scheinbar brauchte es leichte Drogen, um diesen Menschen emotional aus der Reserve zu locken. Er fluchte, zeigend, dass er Schüler eines guten Lehrers war, dann erhob er sich auf wackelige Beine.
"Warte kurz - bitte - ich muss echt pissen."
Mit sehr vorsichtigen Bewegungen, stieg er in die Sachen, die Iola ihm dagelassen hatte und schlurfte dann hinaus. Den Eimer nahm er mit.
Auf dem Weg zur Latrine versuchte er seine Gedanken irgendwie zu sortieren, sich zu erinnern. Aber der größte Teil des gestrigen Abends war in einem Nebel verborgen, aus dem nur hier und da ein eher verwirrendes Bild hervor stach. Bilder, die auf ein Gesamtkunstwerk hinwiesen, dass er eigentlich lieber nicht sehen wollte.
Erleichtert und mit nassem Kopf, nachdem er selbigen in den Eimer am Brunnen gesteckt hatte, kehrte er in seine Kammer zurück. Jarel wartete, wie erbeten. Immer noch der brütende Schwarze Schatten. Jakob wäre es lieber, er könnte die Diskussion führen, wenn er all Sinne beisammen hatte, aber das würden sie wohl beide nicht zulassen.
Ächzend machte er sich wieder auf seinem Bett lang. Liegen war gut. Fand auch sein Magen.
"Gott, wie kann man nach so einem Erwachen je wieder auch nur an eine Wiederholung denken?", knirrschte er kleinlaut.
"War das dein erster Tanz mit der grünen Fee?", fragte der Ritter düster. Noch immer war von ihm außer seiner Worte nicht zu hören. Als würde er nicht atmen. Als wäre er nichts existent.
Jakob schnaufte und schon saß er wieder. Beschissene Idee. Er schluckte hart, schloss einen Moment die Augen, blieb aber eisern sitzen.
"Nochmal. Ich war ein Bier trinken - ok, zwei Bier und den ein oder anderen Brandwein. Ja, gegen alles, was ich geschworen und bisher gelebt habe.", entgegnete er erneut heftiger als man es von ihm gewohnt war. Er zwang sich zur Ruhe. "Da war dieser kleine Kerl..." Dann zögerte er, dachte offenkundig nach. Lange. Puzzleteile. Bilder. Nein, Fetzen von Bildern.
Endlich sah er Jarel an. "Ich kann mich ums Verrecken nicht an mehr erinnern."
Er blinzelte. Eine Alte mit einer schrecklichen Zahnlücke... er schauderte. "Sicher nicht an irgendwelche Feen."
"Du stinkst nach erbrochenem, Pferdepisse und einem ausgiebigen Tanz mit der grünen Fee, Knappe."
Und nach Sex und Blut. Doch das verschwieg er. Noch.
"Keine Erinnerung, ja? An nichts?" Das konnte doch nicht wahr sein. Die Kleine hatte sich ihm geschenkt, und er würdigte das nicht einmal. Nun...vielleicht besser?
Oder war das Unrecht...
Unwillkürlich witterte er an seinem Ärmel, warf Jarel dann einen skeptischen Blick zu. Catriona? Er roch nichts von all dem, nur die Seife...
Seife.
Kräuterseife.
Irgendwas klingelte leise in seinem Hinterkopf. Leicht schüttelte er den Kopf, aber er wirkte nicht mehr ganz so sicher.
"Ich... keine Ahnung... ich." Er legte sich wieder auf den Rücken, starrte zur Decke, drehte dann den Kopf. "Jarel, glaub mir bitte - ich hab bis zum gestrigen Tag noch niemals irgendwas in der Richtung angerührt. Ich weiß nichtmal von was für einer Fee du die ganze Zeit redest."
"Hier heißt es glaube ich...", er musste überlegen. "...Absinth."
Jarel zog sich an der Lehne des Stuhles hoch.
"Denk über die Nacht nach. Es gibt da etwas wichtiges, an dass du dich erinnern solltest." Unsicher ging Jarel zur Tür.
"Du bist nicht allein auf dieser Welt. Benimm dich auch so."
Noch in der Tür sah er sich um. "Morgen früh, im Waisenhaus. Deine Schonzeit ist vorbei."
Er war nicht allein auf dieser Welt. Vielleicht nicht. Aber allein in seinem Kopf. Jarel ging, Jakob hielt sich mit Mühe davon ab, ihm irgendwas hinterher zu werfen, denn das einzig greifbare war das Talglicht. Statt dessen rollte er sich auf der Seite zusammen und starrte finster ins Leere.
Es war zwecklos mit dem Jungen zu sprechen, wenn er so sich in seiner Sturheit zurückzog, nichts an sich heran lies, sich selbst belog.
Leise schloss Jarel die Tür und starrte auf das raue Holz.
Violetta und Jakob also. Sie hätte es definitiv schlimmer treffen können, aber dann vergessen zu werden. Das hatte sie nicht verdient.
Der Junge hatte es nicht leicht gehabt. Sein Mündel aber auch nicht. Er würde nie die Bilder ihre geschändeten Mutter, des erschlagenen Vaters, des zu Tode gequälten Bruders vergessen.
Und auch das nicht, was er mit den Banditen angestellt hatte.
Es war mitten in der Nacht. Morgen, nachdem er dafür gesorgt hatte das der Junge seinen Dienst antrat, würde er mit ihr reden. Würde sich zeigen lassen, wo sie Jakob gefunden hatte. Auf die Nacht würde er sie nicht ansprechen.
Morgen. Heute war es zu spät die Kleine zu wecken.
Morgen war früh genug.
Müde und enttäuscht schleppte sich der Ritter an der Wand entlang zu Arvijds persönlichem Krankenzimmer, in dem er untergebracht war.
Kaum im Bett fielen ihm die Augen zu. Eine ruhige Nacht wurde es trotzdem nicht.
- Jakob von Nagall
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- Lebenslauf: Jakob von Nagall
Jakobs restliche Nacht war angefüllt mit Träumen, befeuert von den Resten der Droge in seinem Gehirn. Zunächst war alles wirr und strukturlos, doch dann stürzte er in eine Hetzjagd durch die Dunkelheit. Etwas war ihm auf den Fersen, etwas großes, schwarzes. Lautlos und doch so präsent, dass er wusste, er musste laufen, sonst würde es ihn nieder reißen und unter sich begraben.
Er erwachte schwitzend, holte sich auf zitternden Beinen Wasser. Der Knappe musste feststellen, dass er die Talsohle seines persönlichen Jammertals noch nicht erreicht hatte.
Der nächste Traum war milder, weniger angsteinflößend, eher eine Aneinanderreihung von Erinnerungsfetzen des letzten Tages. Hinein mischten sich eigenartig detailreiche Fantasien eines nackten Frauenkörpers, der sich auf ihm räkelte.
Ein Anhänger, bleich und glatt, zwischen zwei ebenso bleichen und glatten Brüsten. Als er aus diesem Traum erwachte, war ihm etwas passiert, das seit seiner Pubertät nicht mehr passiert war...
An Schlaf war nicht mehr zu denken. Er wusch sich, zog sich an und stellte das erste Mal fest, dass etwas essentielles fehlte. Er durchwühlte den Kleiderstapel, dann alle Taschen, nahm sogar das Bett auseinander. Dann lief er in die noch einsame Waschküche und wühlte in den Wäschekörben. Nichts.
In seinem Kopf manifestierte sich der Gedanke, dass das Siegel, das letzte Bindeglied an seine Welt und seine Familie, in dieser Nacht voller Dummheiten gestohlen worden war. Oder er hatte es verloren. Im Tempel jedenfalls war es nicht.
Er saß in dem Chaos, das seine Suche in der kleinen Kammer angerichtet hatte und wusste nicht, ob er weinen oder toben sollte.
Zum bestellten Zeitpunkt jedenfalls schlich ein totenbleicher, doch sauberer Knappe zur Pforte des Waisenhauses, wo ihn Jarel, Iola und zwei fremde Priesterinnen erwarteten. Jarel würdigte ihn nicht mal eines Grußes - gut, Botschaft angekommen - und der Anblick Iolas bewirkte schlagartig, dass er sich wünschte, der Boden möge sich auftun und ihn verschlingen. Weshalb, hätte er im ersten Moment nicht sagen können. Im zweiten dann schon. Ihre blauen Augen hatte er im Traum gesehen. Nur ein Traum. Oder? Sie wirkte verlegen und auch der ansonsten so unangenehm anhaftende Blick Jakobs fiel auf seine Füße. Er übersah etwas wichtiges, ganz sicher.
Dann sprach ihn eine der Schwestern an und lenkte seine Gedanken ab, während Jarel mit Iola davon schlenderte.
Als Jakob am Morgen in dem Gebäude ankam, in dem die elternlosen Kinder untergebracht waren, empfingen ihn Iola, Jarel und zwei der Schwestern. Jedoch anders als er sich das gedacht hatte. Sowohl Jarel als auch Lola trugen gewöhnliche Straßenkleidung. Das Mädchen sah ihn zwar an und lächelte ihm mit einer seltsamen Mischung aus Verlegenheit und Aufregung zu, ging aber sofort zu Jarel, als dieser sie rief.
Der Ritter "übergab" seinen Knappen seinen Pflichten und ging dann - in seltsamer Vertrautheit einen Arm um Iolas Schultern legend - hinaus ohne ihn auch nur zu begrüßen.
Zurück bleib er mit einer ältlichen, drallen Matrone und einer Ordensschwester in den vierzigern, die gleich das Wort an ihn richtete. "Für die kleinen ist heute Geschichte dran. Kennst du dich damit aus?"
Geschichte. Er nickte zögerlich.
"Ja... Naja kommt drauf an. Welches Gebiet...?" Und wie alt waren die Gören überhaupt?
Er erwachte schwitzend, holte sich auf zitternden Beinen Wasser. Der Knappe musste feststellen, dass er die Talsohle seines persönlichen Jammertals noch nicht erreicht hatte.
Der nächste Traum war milder, weniger angsteinflößend, eher eine Aneinanderreihung von Erinnerungsfetzen des letzten Tages. Hinein mischten sich eigenartig detailreiche Fantasien eines nackten Frauenkörpers, der sich auf ihm räkelte.
Ein Anhänger, bleich und glatt, zwischen zwei ebenso bleichen und glatten Brüsten. Als er aus diesem Traum erwachte, war ihm etwas passiert, das seit seiner Pubertät nicht mehr passiert war...
An Schlaf war nicht mehr zu denken. Er wusch sich, zog sich an und stellte das erste Mal fest, dass etwas essentielles fehlte. Er durchwühlte den Kleiderstapel, dann alle Taschen, nahm sogar das Bett auseinander. Dann lief er in die noch einsame Waschküche und wühlte in den Wäschekörben. Nichts.
In seinem Kopf manifestierte sich der Gedanke, dass das Siegel, das letzte Bindeglied an seine Welt und seine Familie, in dieser Nacht voller Dummheiten gestohlen worden war. Oder er hatte es verloren. Im Tempel jedenfalls war es nicht.
Er saß in dem Chaos, das seine Suche in der kleinen Kammer angerichtet hatte und wusste nicht, ob er weinen oder toben sollte.
Zum bestellten Zeitpunkt jedenfalls schlich ein totenbleicher, doch sauberer Knappe zur Pforte des Waisenhauses, wo ihn Jarel, Iola und zwei fremde Priesterinnen erwarteten. Jarel würdigte ihn nicht mal eines Grußes - gut, Botschaft angekommen - und der Anblick Iolas bewirkte schlagartig, dass er sich wünschte, der Boden möge sich auftun und ihn verschlingen. Weshalb, hätte er im ersten Moment nicht sagen können. Im zweiten dann schon. Ihre blauen Augen hatte er im Traum gesehen. Nur ein Traum. Oder? Sie wirkte verlegen und auch der ansonsten so unangenehm anhaftende Blick Jakobs fiel auf seine Füße. Er übersah etwas wichtiges, ganz sicher.
Dann sprach ihn eine der Schwestern an und lenkte seine Gedanken ab, während Jarel mit Iola davon schlenderte.
Als Jakob am Morgen in dem Gebäude ankam, in dem die elternlosen Kinder untergebracht waren, empfingen ihn Iola, Jarel und zwei der Schwestern. Jedoch anders als er sich das gedacht hatte. Sowohl Jarel als auch Lola trugen gewöhnliche Straßenkleidung. Das Mädchen sah ihn zwar an und lächelte ihm mit einer seltsamen Mischung aus Verlegenheit und Aufregung zu, ging aber sofort zu Jarel, als dieser sie rief.
Der Ritter "übergab" seinen Knappen seinen Pflichten und ging dann - in seltsamer Vertrautheit einen Arm um Iolas Schultern legend - hinaus ohne ihn auch nur zu begrüßen.
Zurück bleib er mit einer ältlichen, drallen Matrone und einer Ordensschwester in den vierzigern, die gleich das Wort an ihn richtete. "Für die kleinen ist heute Geschichte dran. Kennst du dich damit aus?"
Geschichte. Er nickte zögerlich.
"Ja... Naja kommt drauf an. Welches Gebiet...?" Und wie alt waren die Gören überhaupt?
- Jarel Moore
- Spieler Level 5
- Beiträge: 1051
- Registriert: Freitag 25. März 2022, 23:06
- Lebenslauf: Jarel
Kaum hatte er den Raum mit den Kindern betreten, umschwärme ihn eine Gruppe von elf...nein zwölf Kindern im bunt gemischten Alter von vier bis zehn Jahren. Sie löcherten ihn mit Fragen. Wo er herkäme, ob er bleiben würde, ob er ein Ritter war und ob er Iolas Bruder wäre.
Die Matrone unterhielt sich kurz mit der anderen Schwester und ging dann. Die andere Schwester blieb bei ihm und sah ihn schmunzelnd an.
Sie trug einen dichten, rotblonden Pferdeschwanz, sah ihn aus beinahe farblos grauen Auge zu, wie er umringt wurde und beobachtete abschätzig, wie er sich schlagen würde.
Sein Ritter hatte ihr Instruktionen gegeben. Den Jungen beschäftigen, ihn einbinden und ablenken. Von was ablenken hatte er nicht gesagt, nur das er Ablenkung nötig hatte. Konnte er bekommen. Die Kinder konnten einen durchaus ablenken. Und auf die Nerven gehen.
Iola und Jarel verließen währenddessen den Tempel. Für Außenstehende eine Tochter, die ihren fußlahmen Vater durch die Gassen führte. Die junge Frau wusste was ihr Vormund wollte. Die zwei hatten über die Jahre ihre eigene Art entwickelt zu kommunizieren. Wobei die Kommunikation meist aus Monologen seitens Jarel und einigen kurzen Handzeichen seitens Lola bestand.
Sie zeigte ihm den Rinnstein in der Gasse, in dem sie Jakob gefunden hatte.
Ja, das passte zu dem Geruch, der ihm noch immer in der Nase brannte.
Der Ritter sah sich um. Tavernen, seltsame Händler und eine sehr seltsame Spelunke. Und auf diese Absteige fiel Jarels erste Wahl.
"Dort versuchen wir es als erstes. Du kennst deine Rolle?" Die kleine nickte.
Und noch schwerer auf das Mädchen gestützt als vorher betraten sie das Gebäude, von dem bereits am frühen Morgen Lärm und ein eigenartiger Geruch ausging.
Langsam bekam Jarel die Koordination seiner Bewegungen zurück, mit der Ausdauer haperte es allerdings noch. So hatte er noch immer einen Arm um die Schulter des Mädchens gelegt, als er durch das Tor auf das Tempelgelände gelassen wurde.
Im Garten empfing ihn Gejohle und wildes Gerenne, ein Pfeil mit einer mit Tuchfetzen umwickelter Spitze eierte vor ihm durch die Luft, stieß gegen einen Baum und plumpste zu Boden, ohne irgendeinen Schaden angerichtet zu haben.
Jarel wechselte einige „Worte“ mit dem Iola, die ihn zu einer im Schatten eines Baumes stehenden Bank brachte. Bevor der Ritter sich setze schlang ihn die hübsche Brünette - die ihm nur bis zur Brust reichte – ihre Arme in einer innigen Umarmung um die Taille und er gab ihr als Antwort einen Kuss auf die Stirn.
Bevor die Novizin ging, winkte sie Jakob freundlich zu, um dann im Tempel verschwinden. Die beiden trugen immer noch die Straßenkleidung. Die junge angehende Priesterin musste sich noch umziehen, bevor sie ihren Dienst antrat.
Jarel war es egal, wie er herumlief.
Der Ritter beobachtete das Treiben auf dem sorgsam gepflegten Rasen zwischen den duftenden Blumenrabatten entspannt und angenehm überrascht.
Er hatte damit gerechnet, dass sich Jakob nach kurzen Startschwierigkeiten mit dem Betreuen der Kinder abfinden würde. Insgeheim hatte er gehofft, es würde ihm nach einiger Zeit sogar Freude bereiten.
Aber das was er nun sah, versetzte ihn in blankes Erstaunen.
Die Kleinen himmelten ihn regelrecht an, klebten an seinen Lippen, wenn er berichtete, sprachen ihn ehrfurchtsvoll mit „Herr Ritter“ an, egal wie oft er das dementierte.
Er hatte das Rudel sogar so weit im Griff, dass sich die rotblonde Schwester mit einem Buch auf dem Schoss unter einen Baum zuziehen konnte.
Jarel entdeckte Mädchen mit verschiedensten Flechtfrisuren, während die Jungs mit frisch gezimmerten Bögen und Atlatl Jagdszenen nachstellten.
Mädchen mit Bogen entdeckte er nur eines. Und Jungs mit Flechtfrisuren suchte er vergeblich. Dazu waren die Geschlechterbilder hier zu festgefahren. Einen irrwitzigen, gedankenverlorenen Moment lang fragte Jarel sich, ob IHM eine Flechtfrisur…
Einen Zopf hatte er in einer anderen Welt oft getragen. Da galt es auch nicht als unmännlich. Aber hier...
Er fuchtelte mit der Hand in der Luft herum, wie um ein Insekt zu vertreiben.
Nachdem er die ausgelassene Stimmung in sich aufgenommen hatte wie ein trockener Schwamm die Feuchtigkeit richtete er sein Augenmerk auf Jakob. Sein Knappe hatte gerade im wahrsten Sinne des Wortes beide Hände voll zu tun mit einer blonden Mädchenmähne. Den Blick des Jungen spürte er bereits auf sich, seitdem sie den Garten betraten und nahm durchaus wahr, dass die herzliche Verabschiedung von Violetta etwas auslöste. Der Junge schrumpfte, verschwand regelrecht hinter dem Mädchen, zog den Kopf zwischen die Schultern. Wäre er ein Elf aus seiner Welt gewesen, er hätte sicherlich die spitzen Ohren angeklappt wie ein getretener Welpe. (Bearbeitet)
So viel zum Thema sich nicht erinnern. Beim Gedanken an die letzte Nach jedoch verwarf Jarel die Vermutung, Jakob könnte ihn belogen haben. Er klang ehrlich in seiner verkaterten Erklärung. Zumindest im Rahmen seiner verstockten Möglichkeiten.
Jetzt erinnerte er sich. Offensichtlich. Gut so. Vergessen werden hatte seine Kleine nicht verdient.
Der Ritter richtete das Gesicht gegen die Sonne, genoss die Wärme und verlor sich in Gedanken.
Iola hatte ihm am frühen Morgen die Stelle gezeigt, an der sie Jakob am Vortag aufkratzte. Erbrochenes, Abfall, Pisse. Hervorragen Ortswahl für ein Nickerchen.
Von da aus folgte er seinem Instinkt, der ihn eine Treppe mit schief abgelaufenen Stufen hinab in eine ganz seltsame Spelunke führte. Obwohl der Tag kaum erwacht war, lungerten sogar schon die ersten Gäste hier herum. Oder noch, dem Geruch nach zu urteilen.
Wie abgesprochen schlüpften die Novizin und er dann in die Rolle von Vater und Tochter, die den verlorenen Sohn und Bruder suchten. Jarel erzählte eine herzerweichende Geschichte von seiner Frau, die bei einem Überfall getötet wurde und seinem Sohn, der mit der Schuld nicht klarkam, seine Mutter nicht beschützt zu haben. Untermalt wurde das von Iolas Tränen und ihrem lautlosen Schluchzen. Ein Glück, dass niemand in der Spelunke die Novizin oder ihn erkannte.
Der feiste Wirtin mit der riesigen Zahnlücke in den schmierigen Klamotten kaufte es ihm ab, stimmte in Iolas Darbietung sogar ein, in dem sie sich in ihre irgendwann einmal weiße Schürze schnäuzte.
Ihgitt. Essen würden sie hier sicherlich nicht. Der ehemalige Schattenläufer log sogar so gut, dass das Weib in eine Geldkiste griff und ihm etwas zum Kauf anbot. (Bearbeitet)
Dem Ritter wurde übel. War das nicht ein Teil des Anhängers, den Jakob trug? Er erinnerte sich genau, wie er mit Wenzel darum gefeilscht hatte, ob der Junge ihn nicht doch behalten durfte. Er war schließlich fremd in dieser Welt und dies die letzte Verbindung zu Vergangenheit und Familie.
Jarel hatte seine Bitte durchgedrückt und nun fand er die Reste eben dieses Gegenstanden in den schmierigen Händen einer völlig Fremden. Und der Rest davon?
Er löste das Stück Edelmetall für einige Münzen aus und leierte der Wirtin sogar noch eine Beschreibung der Person aus den Rippen, die Jakob abgefüllt und ihm seinen Familienschatz abgenommen hatte.
Jetzt galt es den Beutelschneider zu finden, der dem Jungen das Schmuckzück abgezogen hatte.
Beinahe zwei Stunden, mehrere Tavernen und sehr viel gespielte Tränen später bekamen sie einen Tipp von einem der anwesenden Betrunkenen. Mädchentränen, ein großes Bier und das Versprechen einer warmen Mahlzeit hatten dem Mann die Zunge gelockert. Ein Stammgast war mit dem Jungen hier unterwegs gewesen. Und eben dieser Gast hatte sich ein Zimmer genommen. Hier.
In dieser Taverne.
Der Ritter zahlte Bier, Mahlzeit und noch ein paar Münzen, damit der Gast ihn schnell wieder vergaß.
Iola blieb allein im Schankraum zurück, mit einem von Jarels Dolchen als Rückendeckung.
Der Ritter…verschwand.
Und tauchte keine zwanzig Minuten später wieder auf, um mit der Stummen hübschen Frau gemeinsam die Lokalität zu verlassen.
Der spezielle Gast würde dann später am Abend im Schankraum auftauchen und beschwören, der Teufel selber hätte ihn überfallen, zusammengeschlagen und ausgeraubt.
Doch da waren „Vater und Tochter“ längst nicht mehr da.
Und wurden auch nie mehr dort gesehen.
Der Ritter spürte keinerlei Reue bei dem Gedanken an den zusammengeschlagenen Beutelschneider und genoss die Sonne in dem idyllischen, gepflegten und duftenden Garten. Einzig leicht gerötete Fingerknöchel zeugten von der Wut, die er kurz vor Mittag in kinetische Energie umgewandelt gegen den Schurken verwand.
Iola hatte es geahnt. Gut geheißen hatte sie es nicht, doch war es nicht an ihr, ihren Vormund dahingehend zu rügen. Im Grunde genommen hatte der Schuft es verdient. Schließlich hatte er ihrem Jakob Leid zugefügt. Trotzdem…Vergebung war ihr Weg. Rache die des Ritters.
Jarel holte kurz die Teile des Anhängers aus dem Beutel und betrachtete sie. Reparieren würde man ein so dünnes Stück nicht können. Nicht hier. Nicht ohne Magie. Aber immerhin hatte er die Teile wieder.
Wo die Kette jedoch geblieben war…danach zu suchen hatte ihm das Durchhaltevermögen gefehlt. Es grenzte ohnehin schon allein Wunder, den Anhänger fand. Im Grunde genommen ohne zu wissen, dass er ihn suchen musste. Nicht einmal das hatte Jakob ihm anvertraut.
Die Wärme der Sonne entspannte und die Anstrengungen der Suche taten ihren Teil dazu.
Keine halbe Stunde nach seiner Rückkehr beobachtete Jarel nicht weiter Jakob – wie er das geplant hatte – sondern schlief auf der Bank sitzend ein, der Kopf nach hinten gesunken, die Hände auf dem Schoß.
In diesem Moment sah er auch so aus, wie er sich gerade fühlte.
Verdammt…alt.
Die Matrone unterhielt sich kurz mit der anderen Schwester und ging dann. Die andere Schwester blieb bei ihm und sah ihn schmunzelnd an.
Sie trug einen dichten, rotblonden Pferdeschwanz, sah ihn aus beinahe farblos grauen Auge zu, wie er umringt wurde und beobachtete abschätzig, wie er sich schlagen würde.
Sein Ritter hatte ihr Instruktionen gegeben. Den Jungen beschäftigen, ihn einbinden und ablenken. Von was ablenken hatte er nicht gesagt, nur das er Ablenkung nötig hatte. Konnte er bekommen. Die Kinder konnten einen durchaus ablenken. Und auf die Nerven gehen.
Iola und Jarel verließen währenddessen den Tempel. Für Außenstehende eine Tochter, die ihren fußlahmen Vater durch die Gassen führte. Die junge Frau wusste was ihr Vormund wollte. Die zwei hatten über die Jahre ihre eigene Art entwickelt zu kommunizieren. Wobei die Kommunikation meist aus Monologen seitens Jarel und einigen kurzen Handzeichen seitens Lola bestand.
Sie zeigte ihm den Rinnstein in der Gasse, in dem sie Jakob gefunden hatte.
Ja, das passte zu dem Geruch, der ihm noch immer in der Nase brannte.
Der Ritter sah sich um. Tavernen, seltsame Händler und eine sehr seltsame Spelunke. Und auf diese Absteige fiel Jarels erste Wahl.
"Dort versuchen wir es als erstes. Du kennst deine Rolle?" Die kleine nickte.
Und noch schwerer auf das Mädchen gestützt als vorher betraten sie das Gebäude, von dem bereits am frühen Morgen Lärm und ein eigenartiger Geruch ausging.
Langsam bekam Jarel die Koordination seiner Bewegungen zurück, mit der Ausdauer haperte es allerdings noch. So hatte er noch immer einen Arm um die Schulter des Mädchens gelegt, als er durch das Tor auf das Tempelgelände gelassen wurde.
Im Garten empfing ihn Gejohle und wildes Gerenne, ein Pfeil mit einer mit Tuchfetzen umwickelter Spitze eierte vor ihm durch die Luft, stieß gegen einen Baum und plumpste zu Boden, ohne irgendeinen Schaden angerichtet zu haben.
Jarel wechselte einige „Worte“ mit dem Iola, die ihn zu einer im Schatten eines Baumes stehenden Bank brachte. Bevor der Ritter sich setze schlang ihn die hübsche Brünette - die ihm nur bis zur Brust reichte – ihre Arme in einer innigen Umarmung um die Taille und er gab ihr als Antwort einen Kuss auf die Stirn.
Bevor die Novizin ging, winkte sie Jakob freundlich zu, um dann im Tempel verschwinden. Die beiden trugen immer noch die Straßenkleidung. Die junge angehende Priesterin musste sich noch umziehen, bevor sie ihren Dienst antrat.
Jarel war es egal, wie er herumlief.
Der Ritter beobachtete das Treiben auf dem sorgsam gepflegten Rasen zwischen den duftenden Blumenrabatten entspannt und angenehm überrascht.
Er hatte damit gerechnet, dass sich Jakob nach kurzen Startschwierigkeiten mit dem Betreuen der Kinder abfinden würde. Insgeheim hatte er gehofft, es würde ihm nach einiger Zeit sogar Freude bereiten.
Aber das was er nun sah, versetzte ihn in blankes Erstaunen.
Die Kleinen himmelten ihn regelrecht an, klebten an seinen Lippen, wenn er berichtete, sprachen ihn ehrfurchtsvoll mit „Herr Ritter“ an, egal wie oft er das dementierte.
Er hatte das Rudel sogar so weit im Griff, dass sich die rotblonde Schwester mit einem Buch auf dem Schoss unter einen Baum zuziehen konnte.
Jarel entdeckte Mädchen mit verschiedensten Flechtfrisuren, während die Jungs mit frisch gezimmerten Bögen und Atlatl Jagdszenen nachstellten.
Mädchen mit Bogen entdeckte er nur eines. Und Jungs mit Flechtfrisuren suchte er vergeblich. Dazu waren die Geschlechterbilder hier zu festgefahren. Einen irrwitzigen, gedankenverlorenen Moment lang fragte Jarel sich, ob IHM eine Flechtfrisur…
Einen Zopf hatte er in einer anderen Welt oft getragen. Da galt es auch nicht als unmännlich. Aber hier...
Er fuchtelte mit der Hand in der Luft herum, wie um ein Insekt zu vertreiben.
Nachdem er die ausgelassene Stimmung in sich aufgenommen hatte wie ein trockener Schwamm die Feuchtigkeit richtete er sein Augenmerk auf Jakob. Sein Knappe hatte gerade im wahrsten Sinne des Wortes beide Hände voll zu tun mit einer blonden Mädchenmähne. Den Blick des Jungen spürte er bereits auf sich, seitdem sie den Garten betraten und nahm durchaus wahr, dass die herzliche Verabschiedung von Violetta etwas auslöste. Der Junge schrumpfte, verschwand regelrecht hinter dem Mädchen, zog den Kopf zwischen die Schultern. Wäre er ein Elf aus seiner Welt gewesen, er hätte sicherlich die spitzen Ohren angeklappt wie ein getretener Welpe. (Bearbeitet)
So viel zum Thema sich nicht erinnern. Beim Gedanken an die letzte Nach jedoch verwarf Jarel die Vermutung, Jakob könnte ihn belogen haben. Er klang ehrlich in seiner verkaterten Erklärung. Zumindest im Rahmen seiner verstockten Möglichkeiten.
Jetzt erinnerte er sich. Offensichtlich. Gut so. Vergessen werden hatte seine Kleine nicht verdient.
Der Ritter richtete das Gesicht gegen die Sonne, genoss die Wärme und verlor sich in Gedanken.
Iola hatte ihm am frühen Morgen die Stelle gezeigt, an der sie Jakob am Vortag aufkratzte. Erbrochenes, Abfall, Pisse. Hervorragen Ortswahl für ein Nickerchen.
Von da aus folgte er seinem Instinkt, der ihn eine Treppe mit schief abgelaufenen Stufen hinab in eine ganz seltsame Spelunke führte. Obwohl der Tag kaum erwacht war, lungerten sogar schon die ersten Gäste hier herum. Oder noch, dem Geruch nach zu urteilen.
Wie abgesprochen schlüpften die Novizin und er dann in die Rolle von Vater und Tochter, die den verlorenen Sohn und Bruder suchten. Jarel erzählte eine herzerweichende Geschichte von seiner Frau, die bei einem Überfall getötet wurde und seinem Sohn, der mit der Schuld nicht klarkam, seine Mutter nicht beschützt zu haben. Untermalt wurde das von Iolas Tränen und ihrem lautlosen Schluchzen. Ein Glück, dass niemand in der Spelunke die Novizin oder ihn erkannte.
Der feiste Wirtin mit der riesigen Zahnlücke in den schmierigen Klamotten kaufte es ihm ab, stimmte in Iolas Darbietung sogar ein, in dem sie sich in ihre irgendwann einmal weiße Schürze schnäuzte.
Ihgitt. Essen würden sie hier sicherlich nicht. Der ehemalige Schattenläufer log sogar so gut, dass das Weib in eine Geldkiste griff und ihm etwas zum Kauf anbot. (Bearbeitet)
Dem Ritter wurde übel. War das nicht ein Teil des Anhängers, den Jakob trug? Er erinnerte sich genau, wie er mit Wenzel darum gefeilscht hatte, ob der Junge ihn nicht doch behalten durfte. Er war schließlich fremd in dieser Welt und dies die letzte Verbindung zu Vergangenheit und Familie.
Jarel hatte seine Bitte durchgedrückt und nun fand er die Reste eben dieses Gegenstanden in den schmierigen Händen einer völlig Fremden. Und der Rest davon?
Er löste das Stück Edelmetall für einige Münzen aus und leierte der Wirtin sogar noch eine Beschreibung der Person aus den Rippen, die Jakob abgefüllt und ihm seinen Familienschatz abgenommen hatte.
Jetzt galt es den Beutelschneider zu finden, der dem Jungen das Schmuckzück abgezogen hatte.
Beinahe zwei Stunden, mehrere Tavernen und sehr viel gespielte Tränen später bekamen sie einen Tipp von einem der anwesenden Betrunkenen. Mädchentränen, ein großes Bier und das Versprechen einer warmen Mahlzeit hatten dem Mann die Zunge gelockert. Ein Stammgast war mit dem Jungen hier unterwegs gewesen. Und eben dieser Gast hatte sich ein Zimmer genommen. Hier.
In dieser Taverne.
Der Ritter zahlte Bier, Mahlzeit und noch ein paar Münzen, damit der Gast ihn schnell wieder vergaß.
Iola blieb allein im Schankraum zurück, mit einem von Jarels Dolchen als Rückendeckung.
Der Ritter…verschwand.
Und tauchte keine zwanzig Minuten später wieder auf, um mit der Stummen hübschen Frau gemeinsam die Lokalität zu verlassen.
Der spezielle Gast würde dann später am Abend im Schankraum auftauchen und beschwören, der Teufel selber hätte ihn überfallen, zusammengeschlagen und ausgeraubt.
Doch da waren „Vater und Tochter“ längst nicht mehr da.
Und wurden auch nie mehr dort gesehen.
Der Ritter spürte keinerlei Reue bei dem Gedanken an den zusammengeschlagenen Beutelschneider und genoss die Sonne in dem idyllischen, gepflegten und duftenden Garten. Einzig leicht gerötete Fingerknöchel zeugten von der Wut, die er kurz vor Mittag in kinetische Energie umgewandelt gegen den Schurken verwand.
Iola hatte es geahnt. Gut geheißen hatte sie es nicht, doch war es nicht an ihr, ihren Vormund dahingehend zu rügen. Im Grunde genommen hatte der Schuft es verdient. Schließlich hatte er ihrem Jakob Leid zugefügt. Trotzdem…Vergebung war ihr Weg. Rache die des Ritters.
Jarel holte kurz die Teile des Anhängers aus dem Beutel und betrachtete sie. Reparieren würde man ein so dünnes Stück nicht können. Nicht hier. Nicht ohne Magie. Aber immerhin hatte er die Teile wieder.
Wo die Kette jedoch geblieben war…danach zu suchen hatte ihm das Durchhaltevermögen gefehlt. Es grenzte ohnehin schon allein Wunder, den Anhänger fand. Im Grunde genommen ohne zu wissen, dass er ihn suchen musste. Nicht einmal das hatte Jakob ihm anvertraut.
Die Wärme der Sonne entspannte und die Anstrengungen der Suche taten ihren Teil dazu.
Keine halbe Stunde nach seiner Rückkehr beobachtete Jarel nicht weiter Jakob – wie er das geplant hatte – sondern schlief auf der Bank sitzend ein, der Kopf nach hinten gesunken, die Hände auf dem Schoß.
In diesem Moment sah er auch so aus, wie er sich gerade fühlte.
Verdammt…alt.
- Jakob von Nagall
- Spieler Level 4
- Beiträge: 667
- Registriert: Sonntag 7. November 2021, 10:18
- Lebenslauf: Jakob von Nagall
Er war der Betreuerin ins Innere des Hauses gefolgt und musste schnell feststellen, dass die Gruppe so bunt gemischt war, dass an so etwas wie klassischen Geschichtsunterricht nicht zu denken war. Die Kinder saßen auf Zuruf der Priesterin brav beisammen und starrten Jakob aus zwölf paar runder Augen an - Unsicherheit auf beiden Seiten. Jesus, was sollte er denn mit diesen Rotznasen anstellen? Geschichte... Geschichte? Die Priesterin machte keine Anstalten, irgendwie einzugreifen und stand nach der kleinen Vorstellungsrunde nur wartend am Rand, während Jakob etwas ratlos war, was er nun anstellen sollte. Dann jedoch kam ihm eine Eingebung zu Hilfe, eine Erinnerung, die ein halbes Leben her war, aber aus seiner eigenen Schulzeit stammte. Projekttage. Tage, an denen alle Klassen und alle Altersstufen Projekte zusammen erarbeiteten. Er überlegte kurz - Geschichte. Was für ihn Geschichte war, war für diese Kinder hier Alltag... also noch weiter zurück?
Eine halbe Stunde und etwas Überredungskunst an der Priesterin später, hatte er die Meute in einem von der Sonne geschützten Teil des Gartens zusammen getrieben und erklärte ihnen, wie man mit Steinwerkzeugen Holz bearbeitete. Den Hartriegel im Garten hatten sie einiger dicker Äste beraubt, ebenso ein Gebüsch mit schönen, geraden Bodentrieben. Die Mädchen schickte er zum Federn suchen, die Jungs nach bestimmten Steinen forschen. Er selbst bearbeitete den Hartriegel schon einmal grob mit einem Messer vor, damit die Rohlinge fertig waren, bis die Kinder mit ihrer Beute zurück kamen.
Es fiel Jakob erstaunlich leicht, die Bande auf Spur zu halten (96/100). Die Kinder waren mit Feuereifer dabei, zerschlugen die Steine, dass es nur so spritzte, spalteten Federn und schnitzten an den Rohlingen herum. Für jedes Alter fand sich eine Arbeit. Die Älteren bearbeiteten die Bögen, die kleineren bemalten Pfeilschäfte - und sich selbst. Jakob zog den Unmut Breas auf sich, weil er mit der ganzen Meute im Schlepptau in der Küche Birkenleim kochte. Dann wurde geklebt, gewickelt und dedreht, was das Zeug hielt. Es entstanden Bögen aller Formen und Größen, die restlichen Federn landeten in den Haaren von Jungen und Mädchen.
EIn Mädchen bekam Birkenleim ins Haar und Jakob musste ihn auswaschen und auskämmen, während die kleine herzzerreißend weinte und erst aufhörte, als er ihr versprach, ihr die schönste Frisur von allen zu flechten. Mit dem Erfolg, dass er anschließend allen Mädchen die Haare flechten musste.
So verging der Vormittag rasant. Jarel und Iola kehrten zurück, von Jakob mit der Sicherheit einer Maus bemerkt, die genau weiß, wo die Katze wartet. Er musste nicht einmal wirklich von den üppigen blonden Locken des Mädchens aufsehen, das gerade zwischen seinen langen Beinen auf dem Gras hockte und dessen Mähne er zu bändigen versuchte. Der Vormittag hatte ihm zwar nicht viele Atempausen gelassen, aber wenn er so wie jetzt nur seine Hände arbeiten ließ, dann begab sein Kopf sich auf eigene Pfade und so langsam wurden aus den Bilderfetzen der letzten Nacht klarere Filmstreifen. Einer war besonders klar und allein der Gedanke wollte ihm die Schamesröte ins Gesicht treiben - zum Glück neigte er nicht zum Rot werden. Iola. Iolas nackter, schwitzender Körper auf seinem. Ihre Haut unter seinen Fingern. Er zweifelte inzwischen wirklich daran, dass das nur ein feuchter Drogentraum gewesen war.
Im Augenwinkel sah er Iola sich vertraulich von Jarel verabschieden. Klar, er musste sich für seinen Exzess ausgerechnet die Kleine vom Chef aussuchen. Jakob zog den Kopf ein und versuchte einfach nicht da zu sein, während Iola winkend im Tempel verschwand, vermutlich um ihren Pflichten nachzugehen.
Ein Pfeil taumelte knapp an ihnen vorbei. Jakob drehte den Kopf.
"Bren, du sollst nicht auf Menschen zielen! Letzte Warnung!", rief er einem Rotschopf zu. Jetzt klang er schon wie Jarel. Jakob seufzte tonlos und flocht weiter. Auf dem Hinterkopf des Mädchens entstand ein kompliziertes Rautenmuster begrenzt von kleinen Flechtzöpfen. Er er fertig war und den Blick hob, sah er ein durchaus seltenes, wenn überhaupt noch nie dagewesenes Bild: Jarel saß auf der Bank am Rand der Wiese und schlief. Kopf im Nacken, Hände ihm Schoß. Der sonst immer so achtsame Mensch war einfach inmitten des Trubels eingeschlafen, der um ihn herrschte. Jakob krauste die Stirn. Es machte ihm Sorgen, dass sein Mentor sich anscheinend so verausgabt hatte, dass ihm das passierte und gleich fühlte er sich schuldig. Jarel brauchte noch immer Ruhe und er als sein Knappe hatte nichts Besseres zu tun, als ihm Sorgen zu machen.
"Maery, sei gut, lauf in die Küche und hol' was von dem gekühlten Tee, den Schwester Brea gemacht hat, ja?", sagte er zu dem blonden Mädchen und diese nickte. Jakob stand auf und half derweil der Schwester die anderen Kinder zusammenzutreiben, um diese zum Mittagessen zu schicken. Maery balancierte ein Tablett mit einem Krug und zwei Bechern zu Jakob und dieser nahm es ihr dankend ab, um sie dann den anderen nach zu schicken. Von einer Sekunde auf die andere war es bedrückend still im Garten. Der junge Mann stellte das Tablett auf einer kleinen Säule in der Nähe von Jarels Bank ab, ohne diesen zu stören, und sammelte die Bögen, Sperschleudern, Pfeile und Spere ein, um alles für den Nachmittag beisammen zu haben. Vielleicht müsste er noch einen Ständer dafür bauen und Behälter für Pfeile und Spere, sinnierte er.
"Jakob? Hast du Ludo gesehen? Er fehlt.", weckte ihn die Stimme der rothaarigen Schwester aus seinen Gedanken. Seltsam, dass der inzwischen zwölf Kinder beim Namen kannte, aber ihren Namen einfach nicht behalten konnte. Ludo, ein zehnjähriger Junge mit braunem, borstigem Haar und dunkelblauen Augen. Er wusste gleich, wen sie suchte, schüttelte aber den Kopf. Er hatte ihn in der Tat schon eine Weile nicht mehr gesehen. "Geht wieder zu den anderen, ich suche ihn. Weit kann er nicht sein.", meinte Jakob zuversichtlich und begann den Garten abzugrasen. Und wirklich war es recht einfach. Die Kinder hatten einen Durchgang im Weißdorn, hinter dem sich ein fast kahler Bereich öffnete, den man vom restlichen Garten nicht einsehen konnte und der daher das perfekte Versteck darstellte. Aber wie Kinder nun einmal waren, zeigten sie solche 'Geheimverstecke' auch gerne her, daher kannte Jakob das Loch. Und als er hindurch spähte, sah er ein paar nackter Füße und drumherum die zerbrochenen Reste eines Pfeils.
Der Knappe ließ sich vor dem Eingang auf ein Knie sinken. "He Ludo, darf ich rein kommen?"
Keine Antwort. Es knackte, mehr Holz fiel zu Boden.
"Schießt du auf mich, wenn ich in deine Burg kommen will?", fragte Jakob weiter.
"Nee.", maulte es von drinnen.
Jakob duckte sich also tief und krabbelte durch das Loch in den dahinter liegenden Freiraum zwischen den Büschen. Der Junge hockte missmutig auf einem dicken Stein und verarbeitete einen Pfeil zu Zahnstochern.
"Die anderen sind beim essen. Hast du keinen Hunger?" Jakob setzte sich auf eine hoch stehende Wurzel.
Ludo schüttelte den Kopf.
Jakob sah sich um und entdeckte Ludos Bogen nicht weit von sich auf dem Boden. Der Junge hatte ein wirklich gutes Stück geschnitzt. Auch wenn das Holz natürlich nicht trocken gewesen war, hatte er sich wirklich viel Mühe gegeben und als einziger hinbekommen, einen kompletten Jahresring auf der Oberfläche stehen zu lassen.
"Ist dir der Pfeil zerbrochen?", fragte Jakob nach einer Weile.
Wieder ein Kopfschütteln.
Jakob wartete. Lange. Etwas an Ludo rührte an seinen Erinnerungen. Er blieb geduldig, nahm den Bogen in die Hand und fuhr mit den Fingern darüber, zog an der Sehne und sah zu, wie die Wurfarme sich bogen. Sehr gleichmäßig. "Den hast du wirklich toll hinbekommen, alle Achtung."
"Aber er trifft nicht.", kam es prompt.
"Nicht?"
"Nein."
"Was wolltest du denn treffen?"
"Den Apfel. Oliga wollte ihn haben, aber ich hab ihn nicht getroffen."
"Hm. Und darum zerbrichst du den Pfeil? Bisschen Schade um die Arbeit, findest du nicht?"
"Hmmm. Doofer Pfeil. Doofer Bogen."
Jakob betrachtete weiter den Bogen Ludos. Er hatte sogar ein kleines Symbol ins Holz geschnitzt. Ein L in einem Kreis.
"War dir Oliga böse?", fragte er schließlich.
"Sie hat gelacht. Blöde Ziege."
"Hm.", machte Jakob. "Wenn du ihn getroffen hättest, hätte sie ihn vermutlich nicht gewollt, weil ein Loch drin ist. So sind die Mädchen manchmal."
Ludo sah auf. "Ich wollte aber treffen. Mir doch egal, ob sie den doofen Apfel essen will oder nicht."
"Dann versuch es einfach wieder. Und dann am nächsten Tag. Irgendwann wirst du treffen. Es braucht Übung und ein bisschen Geduld."
"Blöder Bogen.", maulte Ludo weiter.
Jakob zuckte mit den Brauen. "Tja, dann machen wir ihn am besten auch kaputt.", und schon deutete er an, den Bogen über seinem Knie zerbrechen zu wollen. Ludo sprang auf. "Nein!"
Jakob sah ihn fragend an. "Nicht?"
Etwas unschlüssig stand Ludo vor Jakob. "Bei dir - äh... Euch... sah das so einfach aus."
Jakob lächelte. "Du sagen ist schon in Ordnung. Ich mach' das auch schon seit vielen Jahren." Er reichte Ludo seinen Bogen. "Du darfst dich nicht wütend machen lassen, wenn du nicht triffst oder jemand lacht."
"Wenn sie wieder lacht, schieß ich auf sie."
Jakob wurde ernst. "Nein Ludo. Schieß nur auf einen Menschen, wenn du ihm auch wirklich schaden willst. Niemals zum Spaß, hörst du?" Der Griff des Knappen um den Bogen war noch so fest, dass der Junge ihn ihm nicht entwinden konnte. Schließlich nickte dieser.
"Zeigst du es mir nach dem Essen noch mal?", fragte er schließlich.
Jakob ließ den Bogen los und nickte. "Klar. Aber auf den Sack, nicht auf Oliga, einverstanden?"
Ludo grinste und nickte. "Also los, ab zum Essen. Den Bogen lass bei den anderen an der Tür."
Das Kind war deutlich schneller durch das Loch als der lange Jakob und schon außer Sicht, als dieser sich durch den Weißdorn mühte und im Sonnenschein unweit von Jarels Bank auf der Wiese sitzen blieb. Das ihm ausgerechnet ein Zehnjähriger die Wahrheit der Lektion vor Augen führen musste, die ihn hierher geführt hatte... und so vieles mehr. Er ließ sich rückwärts ins Gras fallen.
Eine halbe Stunde und etwas Überredungskunst an der Priesterin später, hatte er die Meute in einem von der Sonne geschützten Teil des Gartens zusammen getrieben und erklärte ihnen, wie man mit Steinwerkzeugen Holz bearbeitete. Den Hartriegel im Garten hatten sie einiger dicker Äste beraubt, ebenso ein Gebüsch mit schönen, geraden Bodentrieben. Die Mädchen schickte er zum Federn suchen, die Jungs nach bestimmten Steinen forschen. Er selbst bearbeitete den Hartriegel schon einmal grob mit einem Messer vor, damit die Rohlinge fertig waren, bis die Kinder mit ihrer Beute zurück kamen.
Es fiel Jakob erstaunlich leicht, die Bande auf Spur zu halten (96/100). Die Kinder waren mit Feuereifer dabei, zerschlugen die Steine, dass es nur so spritzte, spalteten Federn und schnitzten an den Rohlingen herum. Für jedes Alter fand sich eine Arbeit. Die Älteren bearbeiteten die Bögen, die kleineren bemalten Pfeilschäfte - und sich selbst. Jakob zog den Unmut Breas auf sich, weil er mit der ganzen Meute im Schlepptau in der Küche Birkenleim kochte. Dann wurde geklebt, gewickelt und dedreht, was das Zeug hielt. Es entstanden Bögen aller Formen und Größen, die restlichen Federn landeten in den Haaren von Jungen und Mädchen.
EIn Mädchen bekam Birkenleim ins Haar und Jakob musste ihn auswaschen und auskämmen, während die kleine herzzerreißend weinte und erst aufhörte, als er ihr versprach, ihr die schönste Frisur von allen zu flechten. Mit dem Erfolg, dass er anschließend allen Mädchen die Haare flechten musste.
So verging der Vormittag rasant. Jarel und Iola kehrten zurück, von Jakob mit der Sicherheit einer Maus bemerkt, die genau weiß, wo die Katze wartet. Er musste nicht einmal wirklich von den üppigen blonden Locken des Mädchens aufsehen, das gerade zwischen seinen langen Beinen auf dem Gras hockte und dessen Mähne er zu bändigen versuchte. Der Vormittag hatte ihm zwar nicht viele Atempausen gelassen, aber wenn er so wie jetzt nur seine Hände arbeiten ließ, dann begab sein Kopf sich auf eigene Pfade und so langsam wurden aus den Bilderfetzen der letzten Nacht klarere Filmstreifen. Einer war besonders klar und allein der Gedanke wollte ihm die Schamesröte ins Gesicht treiben - zum Glück neigte er nicht zum Rot werden. Iola. Iolas nackter, schwitzender Körper auf seinem. Ihre Haut unter seinen Fingern. Er zweifelte inzwischen wirklich daran, dass das nur ein feuchter Drogentraum gewesen war.
Im Augenwinkel sah er Iola sich vertraulich von Jarel verabschieden. Klar, er musste sich für seinen Exzess ausgerechnet die Kleine vom Chef aussuchen. Jakob zog den Kopf ein und versuchte einfach nicht da zu sein, während Iola winkend im Tempel verschwand, vermutlich um ihren Pflichten nachzugehen.
Ein Pfeil taumelte knapp an ihnen vorbei. Jakob drehte den Kopf.
"Bren, du sollst nicht auf Menschen zielen! Letzte Warnung!", rief er einem Rotschopf zu. Jetzt klang er schon wie Jarel. Jakob seufzte tonlos und flocht weiter. Auf dem Hinterkopf des Mädchens entstand ein kompliziertes Rautenmuster begrenzt von kleinen Flechtzöpfen. Er er fertig war und den Blick hob, sah er ein durchaus seltenes, wenn überhaupt noch nie dagewesenes Bild: Jarel saß auf der Bank am Rand der Wiese und schlief. Kopf im Nacken, Hände ihm Schoß. Der sonst immer so achtsame Mensch war einfach inmitten des Trubels eingeschlafen, der um ihn herrschte. Jakob krauste die Stirn. Es machte ihm Sorgen, dass sein Mentor sich anscheinend so verausgabt hatte, dass ihm das passierte und gleich fühlte er sich schuldig. Jarel brauchte noch immer Ruhe und er als sein Knappe hatte nichts Besseres zu tun, als ihm Sorgen zu machen.
"Maery, sei gut, lauf in die Küche und hol' was von dem gekühlten Tee, den Schwester Brea gemacht hat, ja?", sagte er zu dem blonden Mädchen und diese nickte. Jakob stand auf und half derweil der Schwester die anderen Kinder zusammenzutreiben, um diese zum Mittagessen zu schicken. Maery balancierte ein Tablett mit einem Krug und zwei Bechern zu Jakob und dieser nahm es ihr dankend ab, um sie dann den anderen nach zu schicken. Von einer Sekunde auf die andere war es bedrückend still im Garten. Der junge Mann stellte das Tablett auf einer kleinen Säule in der Nähe von Jarels Bank ab, ohne diesen zu stören, und sammelte die Bögen, Sperschleudern, Pfeile und Spere ein, um alles für den Nachmittag beisammen zu haben. Vielleicht müsste er noch einen Ständer dafür bauen und Behälter für Pfeile und Spere, sinnierte er.
"Jakob? Hast du Ludo gesehen? Er fehlt.", weckte ihn die Stimme der rothaarigen Schwester aus seinen Gedanken. Seltsam, dass der inzwischen zwölf Kinder beim Namen kannte, aber ihren Namen einfach nicht behalten konnte. Ludo, ein zehnjähriger Junge mit braunem, borstigem Haar und dunkelblauen Augen. Er wusste gleich, wen sie suchte, schüttelte aber den Kopf. Er hatte ihn in der Tat schon eine Weile nicht mehr gesehen. "Geht wieder zu den anderen, ich suche ihn. Weit kann er nicht sein.", meinte Jakob zuversichtlich und begann den Garten abzugrasen. Und wirklich war es recht einfach. Die Kinder hatten einen Durchgang im Weißdorn, hinter dem sich ein fast kahler Bereich öffnete, den man vom restlichen Garten nicht einsehen konnte und der daher das perfekte Versteck darstellte. Aber wie Kinder nun einmal waren, zeigten sie solche 'Geheimverstecke' auch gerne her, daher kannte Jakob das Loch. Und als er hindurch spähte, sah er ein paar nackter Füße und drumherum die zerbrochenen Reste eines Pfeils.
Der Knappe ließ sich vor dem Eingang auf ein Knie sinken. "He Ludo, darf ich rein kommen?"
Keine Antwort. Es knackte, mehr Holz fiel zu Boden.
"Schießt du auf mich, wenn ich in deine Burg kommen will?", fragte Jakob weiter.
"Nee.", maulte es von drinnen.
Jakob duckte sich also tief und krabbelte durch das Loch in den dahinter liegenden Freiraum zwischen den Büschen. Der Junge hockte missmutig auf einem dicken Stein und verarbeitete einen Pfeil zu Zahnstochern.
"Die anderen sind beim essen. Hast du keinen Hunger?" Jakob setzte sich auf eine hoch stehende Wurzel.
Ludo schüttelte den Kopf.
Jakob sah sich um und entdeckte Ludos Bogen nicht weit von sich auf dem Boden. Der Junge hatte ein wirklich gutes Stück geschnitzt. Auch wenn das Holz natürlich nicht trocken gewesen war, hatte er sich wirklich viel Mühe gegeben und als einziger hinbekommen, einen kompletten Jahresring auf der Oberfläche stehen zu lassen.
"Ist dir der Pfeil zerbrochen?", fragte Jakob nach einer Weile.
Wieder ein Kopfschütteln.
Jakob wartete. Lange. Etwas an Ludo rührte an seinen Erinnerungen. Er blieb geduldig, nahm den Bogen in die Hand und fuhr mit den Fingern darüber, zog an der Sehne und sah zu, wie die Wurfarme sich bogen. Sehr gleichmäßig. "Den hast du wirklich toll hinbekommen, alle Achtung."
"Aber er trifft nicht.", kam es prompt.
"Nicht?"
"Nein."
"Was wolltest du denn treffen?"
"Den Apfel. Oliga wollte ihn haben, aber ich hab ihn nicht getroffen."
"Hm. Und darum zerbrichst du den Pfeil? Bisschen Schade um die Arbeit, findest du nicht?"
"Hmmm. Doofer Pfeil. Doofer Bogen."
Jakob betrachtete weiter den Bogen Ludos. Er hatte sogar ein kleines Symbol ins Holz geschnitzt. Ein L in einem Kreis.
"War dir Oliga böse?", fragte er schließlich.
"Sie hat gelacht. Blöde Ziege."
"Hm.", machte Jakob. "Wenn du ihn getroffen hättest, hätte sie ihn vermutlich nicht gewollt, weil ein Loch drin ist. So sind die Mädchen manchmal."
Ludo sah auf. "Ich wollte aber treffen. Mir doch egal, ob sie den doofen Apfel essen will oder nicht."
"Dann versuch es einfach wieder. Und dann am nächsten Tag. Irgendwann wirst du treffen. Es braucht Übung und ein bisschen Geduld."
"Blöder Bogen.", maulte Ludo weiter.
Jakob zuckte mit den Brauen. "Tja, dann machen wir ihn am besten auch kaputt.", und schon deutete er an, den Bogen über seinem Knie zerbrechen zu wollen. Ludo sprang auf. "Nein!"
Jakob sah ihn fragend an. "Nicht?"
Etwas unschlüssig stand Ludo vor Jakob. "Bei dir - äh... Euch... sah das so einfach aus."
Jakob lächelte. "Du sagen ist schon in Ordnung. Ich mach' das auch schon seit vielen Jahren." Er reichte Ludo seinen Bogen. "Du darfst dich nicht wütend machen lassen, wenn du nicht triffst oder jemand lacht."
"Wenn sie wieder lacht, schieß ich auf sie."
Jakob wurde ernst. "Nein Ludo. Schieß nur auf einen Menschen, wenn du ihm auch wirklich schaden willst. Niemals zum Spaß, hörst du?" Der Griff des Knappen um den Bogen war noch so fest, dass der Junge ihn ihm nicht entwinden konnte. Schließlich nickte dieser.
"Zeigst du es mir nach dem Essen noch mal?", fragte er schließlich.
Jakob ließ den Bogen los und nickte. "Klar. Aber auf den Sack, nicht auf Oliga, einverstanden?"
Ludo grinste und nickte. "Also los, ab zum Essen. Den Bogen lass bei den anderen an der Tür."
Das Kind war deutlich schneller durch das Loch als der lange Jakob und schon außer Sicht, als dieser sich durch den Weißdorn mühte und im Sonnenschein unweit von Jarels Bank auf der Wiese sitzen blieb. Das ihm ausgerechnet ein Zehnjähriger die Wahrheit der Lektion vor Augen führen musste, die ihn hierher geführt hatte... und so vieles mehr. Er ließ sich rückwärts ins Gras fallen.
- Jarel Moore
- Spieler Level 5
- Beiträge: 1051
- Registriert: Freitag 25. März 2022, 23:06
- Lebenslauf: Jarel
Der Schattenläufer ritt stolz erhobenen Hauptes in Formation mit seinen Mitstreitern.
Er – als Mensch – inmitten von Blutelfen und Verlassenen saß auf seinem Reitwolf und ritt in einer Reihe mit den hohen Befehlsgebern der Horde.
War er anfangs nur geschickt worden die Reihen des ‚Feindes‘ zu infiltrieren, hatte er nicht nur ihre Ziele besser verstanden, er war auch ihrer charismatischen Anführerin nähergekommen, hatte ihre Ideale zu verstehen gelernt und war ihrem Enthusiasmus erlegen.
Und nun…ritt er mit ihnen in die Schlacht, nur geschützt durch ein magisches Medaillon, welches sein Aussehen mittels einer Illusion in das eines Sin´Dorei verwandelte. Eine kleine Panne, eine winzige Fehlfunktion und die Horde würde ihn erkennen und in Stücke reißen...
Genau diese stetige Gefahr, dieses unglaubliche Risiko gab ihm das Gefühl, endlich wieder am Leben zu sein. Das erste Mal, seitdem er verlassen worden war. Seitdem…
Er verdrängte den Gedanken und sah sich aus den Augenwinkeln um.
Sie ritten in einer perfekten Linie, wegen des engen Weges immer vier in einer Reihe. Diszipliniert bis ins letzte Glied. Zwei Verlassene auf untoten Pferden rechts von ihm, durch deren zerfetze Haut man die Knochen und die vertrockneten – wenn überhaupt noch vorhandenen- Eingeweide sehen konnte, ein Sin´Dorei auf einem braunen gepanzerten Reitwolf links von ihm. Und dann er. Ein Schaf unter Wölfen. Er fühlte sich großartig.
Hinter ihnen marschierten die Fußtruppen. Ihre Fußtruppen. SEINE Fußtruppen.
Er war in seiner Rolle nicht nur aufgegangen, er hatte sich sogar hochgedient und gehörte jetzt zur Führungsriege, zum Kader unter der Anführerin persönlich.
Und eben diese führte sie gerade in die Schlacht. Keine zehn Meter vor ihm Schritt ihr mächtiges gepanzertes Streitross dessen schwere, stampfende Schritte den Takt für ihren Marsch bildeten.
Eine beeindruckende Person. Willensstark, intelligent, auf eine unheimliche Art wunderschön, ein schier unerschöpfliches strategisches Geschick.
Dass sie eine Banshee war, ein Wesen ohne Blutdruck und Puls spielte für Jarel keine Rolle. Sie war die Anführerin. Und Jarel folgte mit Feuereifer.
Die Idee, sich auf der falschen Seite des Krieges zu befinden kam ihm nicht. Er kämpfte für das Gute. Für seine Überzeugung.
Sie waren unterwegs die Val´kyren zu vernichten. Diese mächtigen magischen Wesen, die durch das Land zogen, die Einwohner erschlugen und ihre toten Körper zurück in ein untotes Leben holten, um weitere Opfer zu generieren, die wiederrum ihre Arme verstärkten.
Ihnen musste Einhalt geboten werden bevor es zu spät war. Bevor die Zahl der geistlosen Untoten die der lebenden Überstieg. Bevor das Land verloren war oder gar der ganze Kontinent.
Und was einzelnen ungeordneten Gruppen nicht schafften, sollten nun die versammelten Truppen hinter der großen Banshee vollbringen. Das Land von dieser Gefahr zu befreien.
Sie ritten über Stunden und niemand brach aus. Niemand verpasste auch nur einen Schritt, einen Takt. Es war wie ein Rausch.
Die Stadt kam in Sicht und die Banshee hob ihren Bogen, um sie zum Anhalten zu bringen.
Doch Moment…die Stadt? Das war nicht der Silberwald!
Um der Schatten willen, dies war Theramore! Eine friedliche Hafenstadt! Nicht der Feind!
Dies war falsch! Grässlich falsch!
Und dann ertönte das Horn. Der Sturm begann.
Die Reiter sprengten los, über die schmale Brücke und Jarel wurde mitgerissen.
Unfähig gegenzusteuern konnte er nur zusehen, wie die Horde die Wachposten überrannte und alles niedermetzelte, was ihren Klingen, Äxten und Bögen zu nahekam.
Schreie, Feuer, Blut, Flehen. Eine Kakophonie des Grauens.
Theramore…er konnte die Stadt nicht retten. Aber es gab hier jemanden, dessen Tod er vielleicht verhindern konnte. Nein, verhindern musste.
In seine schwarze Lederkleidung gehüllt schaffte er es abzusteigen, sich in eine Seitengasse zu schlagen und im Schatten unterzutauchen.
Er musste ihn finden. Ihn aus diesem Schlachthaus herausschaffen. Lebend.
Er suchte, stieg über Leichen denen Extremitäten fehlten, erschlagene Frauen, geschlachtete Kinder.
Das war nicht richtig. Nichts war richtig.
Wenigstens IHN musste er retten.
Eine Unendlichkeit voller Blut und Tod später fand er ihn. Genau dort, wo er ich vermutet hatte.
Der Junge lag im Rinnstein, am Fuße eines der hohen Lagerhäuser, etwas abseits der Schlacht, die sich bald den Weg hierher fressen würde wie eine nimmersatte, Leben verschlingende Raupe.
„Jakob!“ Jarel ging in die Knie und zerrte seinen verlorenen Knappen hoch. Der Junge war bewusstlos, hatte in einer Lache seines eigenen Erbrochenen gelegen. Verdammte Drogen.
„Wir müssen hier weg!“ Er erwachte nicht. Zu tief weggetreten. Zu weit weg. Fluchend warf sich der Schattenläufer den Jungen über die Schulter. Weg! Nur Weg!
Die Kanalisation. Wenn er es bis dorthin schaffte, konnte er sich vielleicht in die Sümpfe durchschlagen. Eine weitere Gasse, eine Kreuzung. Nur noch wenige Schritte. Dort, auf der anderen Seite der Straße ein Bogen in der Gebäudemauer. Ein Zugang zur Kanalisation.
Nur noch wenige Schritte. Doch der mordende Mob war nahe.
Das würde knapp. Jarel spurtete los.
Bis zu dem Zeitpunkt war es nur ein Sin´Dorei, der einen Menschenjungen verschleppte.
Wer weiß, vielleicht würden sie ihm sogar unbehelligt lassen. Schließlich war er einer der ihren.
Es kam, wie es kommen musste. Natürlich. Wie sollte es anders sein.
Kurz vor der Mitte der Kreuzung kam der Junge doch zu sich. Und wehrte sich. Vehement.
Jarel spürte einen scharfen, heißen Schmerz über der linken Hüfte, kam ins Straucheln.
Jake machte sich los und schlug schwer auf dem Pflaster auf.
„Nicht!“ schon war Jarel über ihm, doch sein Knappe erkannte ihn nicht. Wie denn auch. Über ihm stand ein Blutelf. Ein völlig fremder Mann in schwarzem Leder, das Gesicht hinter einem schwarzen Tuch verborgen.
Noch immer schenkte ihnen der näherkommende Mob kaum Beachtung.
Sie konnten es schaffen! Der Schattenläufer warf einen Blick in Richtung der rettenden Schwärze unter dem aus Sandstein gemauertem Bogen.
Sie konnten es schaffen. Jarel zog das Tuch vom Gesicht und wollte sich Jakob erklären, als er einen brennenden Schmerz in der linken Körperhälfte verspürte. Der Junge – SEIN Junge – hatte zugestochen.
Eine kurze, leicht gebogene Klinge. Ein gewöhnliches Küchenmesser steckte nahe seiner Schulter im Fleisch. Nicht schlimm. Nur eine Fleischwunde. Sie konnten es immer noch schaffen.
Doch dann sah der Schattenläufer in die Augen seines Schützlings. Die immer größer werdenden Augen, das blanke Entsetzen darin. Und dann sein Name, heiser geflüstert, kaum verständlich. „Jarel…“
Er hatte ihn erkannt. Doch wie… Schreckerfüllt zerrte der ältere das Medaillon hervor.
Das Messer hatte es beschädigt, den Zauber unterbrochen.
Nun standen sie hier. Zwei Menschen inmitten blanker Vernichtung.
Ein Blick in Richtung des Mauerbogens. Einer in Richtung des Mobs, der binnen Sekunden erkannt hatte, dass die beiden Männer auf der Straße zum Feind gehörten.
„Es tut mir leid, Jakob.“, hörte er sich sagen, bevor man sie beide niederriss und das Licht erlosch.
Ein lautes Schnaufen ließ Jakob aufhorchen. Hatte der Ritter gerade noch geschlafen, stand er nun schwankend vor der Bank und tastete hektisch an seinem rechten Oberschenkel herum.
Der Knappe wusste was er suchte. Doch da waren keine Dolche.
Panisch sah Jarel sich um, sichtlich desorientiert. Und es dauerte ungewöhnlich lange, bis sein Blick sich klärte. Dieser Alptraum saß offensichtlich tief.
Erst als sein Blick Jakob fand, hellte sich der Blick des Ritters auf und aus dem schwarz der Pupillen wurde das warme Braun mit den bernsteinfarbenen Sprenkeln.
Er atmete zwei Mal durch, musterte den Knappen noch einmal, nickte ihm zu und nahm dann schwer wieder Platz.
Den Tee hatte er nicht bemerkt. Aufmerksam war definitiv anders.
Er bekämpfte noch immer das schreckliche Gefühl der Schuld und des Verlustes.
Nur ein Traum. Nichts mehr als ein Traum. Kein Grund jetzt zu zittern und mit Mühe zu versuchen seinen Puls in den Griff zu bekommen.
Nur ein Traum.
Er – als Mensch – inmitten von Blutelfen und Verlassenen saß auf seinem Reitwolf und ritt in einer Reihe mit den hohen Befehlsgebern der Horde.
War er anfangs nur geschickt worden die Reihen des ‚Feindes‘ zu infiltrieren, hatte er nicht nur ihre Ziele besser verstanden, er war auch ihrer charismatischen Anführerin nähergekommen, hatte ihre Ideale zu verstehen gelernt und war ihrem Enthusiasmus erlegen.
Und nun…ritt er mit ihnen in die Schlacht, nur geschützt durch ein magisches Medaillon, welches sein Aussehen mittels einer Illusion in das eines Sin´Dorei verwandelte. Eine kleine Panne, eine winzige Fehlfunktion und die Horde würde ihn erkennen und in Stücke reißen...
Genau diese stetige Gefahr, dieses unglaubliche Risiko gab ihm das Gefühl, endlich wieder am Leben zu sein. Das erste Mal, seitdem er verlassen worden war. Seitdem…
Er verdrängte den Gedanken und sah sich aus den Augenwinkeln um.
Sie ritten in einer perfekten Linie, wegen des engen Weges immer vier in einer Reihe. Diszipliniert bis ins letzte Glied. Zwei Verlassene auf untoten Pferden rechts von ihm, durch deren zerfetze Haut man die Knochen und die vertrockneten – wenn überhaupt noch vorhandenen- Eingeweide sehen konnte, ein Sin´Dorei auf einem braunen gepanzerten Reitwolf links von ihm. Und dann er. Ein Schaf unter Wölfen. Er fühlte sich großartig.
Hinter ihnen marschierten die Fußtruppen. Ihre Fußtruppen. SEINE Fußtruppen.
Er war in seiner Rolle nicht nur aufgegangen, er hatte sich sogar hochgedient und gehörte jetzt zur Führungsriege, zum Kader unter der Anführerin persönlich.
Und eben diese führte sie gerade in die Schlacht. Keine zehn Meter vor ihm Schritt ihr mächtiges gepanzertes Streitross dessen schwere, stampfende Schritte den Takt für ihren Marsch bildeten.
Eine beeindruckende Person. Willensstark, intelligent, auf eine unheimliche Art wunderschön, ein schier unerschöpfliches strategisches Geschick.
Dass sie eine Banshee war, ein Wesen ohne Blutdruck und Puls spielte für Jarel keine Rolle. Sie war die Anführerin. Und Jarel folgte mit Feuereifer.
Die Idee, sich auf der falschen Seite des Krieges zu befinden kam ihm nicht. Er kämpfte für das Gute. Für seine Überzeugung.
Sie waren unterwegs die Val´kyren zu vernichten. Diese mächtigen magischen Wesen, die durch das Land zogen, die Einwohner erschlugen und ihre toten Körper zurück in ein untotes Leben holten, um weitere Opfer zu generieren, die wiederrum ihre Arme verstärkten.
Ihnen musste Einhalt geboten werden bevor es zu spät war. Bevor die Zahl der geistlosen Untoten die der lebenden Überstieg. Bevor das Land verloren war oder gar der ganze Kontinent.
Und was einzelnen ungeordneten Gruppen nicht schafften, sollten nun die versammelten Truppen hinter der großen Banshee vollbringen. Das Land von dieser Gefahr zu befreien.
Sie ritten über Stunden und niemand brach aus. Niemand verpasste auch nur einen Schritt, einen Takt. Es war wie ein Rausch.
Die Stadt kam in Sicht und die Banshee hob ihren Bogen, um sie zum Anhalten zu bringen.
Doch Moment…die Stadt? Das war nicht der Silberwald!
Um der Schatten willen, dies war Theramore! Eine friedliche Hafenstadt! Nicht der Feind!
Dies war falsch! Grässlich falsch!
Und dann ertönte das Horn. Der Sturm begann.
Die Reiter sprengten los, über die schmale Brücke und Jarel wurde mitgerissen.
Unfähig gegenzusteuern konnte er nur zusehen, wie die Horde die Wachposten überrannte und alles niedermetzelte, was ihren Klingen, Äxten und Bögen zu nahekam.
Schreie, Feuer, Blut, Flehen. Eine Kakophonie des Grauens.
Theramore…er konnte die Stadt nicht retten. Aber es gab hier jemanden, dessen Tod er vielleicht verhindern konnte. Nein, verhindern musste.
In seine schwarze Lederkleidung gehüllt schaffte er es abzusteigen, sich in eine Seitengasse zu schlagen und im Schatten unterzutauchen.
Er musste ihn finden. Ihn aus diesem Schlachthaus herausschaffen. Lebend.
Er suchte, stieg über Leichen denen Extremitäten fehlten, erschlagene Frauen, geschlachtete Kinder.
Das war nicht richtig. Nichts war richtig.
Wenigstens IHN musste er retten.
Eine Unendlichkeit voller Blut und Tod später fand er ihn. Genau dort, wo er ich vermutet hatte.
Der Junge lag im Rinnstein, am Fuße eines der hohen Lagerhäuser, etwas abseits der Schlacht, die sich bald den Weg hierher fressen würde wie eine nimmersatte, Leben verschlingende Raupe.
„Jakob!“ Jarel ging in die Knie und zerrte seinen verlorenen Knappen hoch. Der Junge war bewusstlos, hatte in einer Lache seines eigenen Erbrochenen gelegen. Verdammte Drogen.
„Wir müssen hier weg!“ Er erwachte nicht. Zu tief weggetreten. Zu weit weg. Fluchend warf sich der Schattenläufer den Jungen über die Schulter. Weg! Nur Weg!
Die Kanalisation. Wenn er es bis dorthin schaffte, konnte er sich vielleicht in die Sümpfe durchschlagen. Eine weitere Gasse, eine Kreuzung. Nur noch wenige Schritte. Dort, auf der anderen Seite der Straße ein Bogen in der Gebäudemauer. Ein Zugang zur Kanalisation.
Nur noch wenige Schritte. Doch der mordende Mob war nahe.
Das würde knapp. Jarel spurtete los.
Bis zu dem Zeitpunkt war es nur ein Sin´Dorei, der einen Menschenjungen verschleppte.
Wer weiß, vielleicht würden sie ihm sogar unbehelligt lassen. Schließlich war er einer der ihren.
Es kam, wie es kommen musste. Natürlich. Wie sollte es anders sein.
Kurz vor der Mitte der Kreuzung kam der Junge doch zu sich. Und wehrte sich. Vehement.
Jarel spürte einen scharfen, heißen Schmerz über der linken Hüfte, kam ins Straucheln.
Jake machte sich los und schlug schwer auf dem Pflaster auf.
„Nicht!“ schon war Jarel über ihm, doch sein Knappe erkannte ihn nicht. Wie denn auch. Über ihm stand ein Blutelf. Ein völlig fremder Mann in schwarzem Leder, das Gesicht hinter einem schwarzen Tuch verborgen.
Noch immer schenkte ihnen der näherkommende Mob kaum Beachtung.
Sie konnten es schaffen! Der Schattenläufer warf einen Blick in Richtung der rettenden Schwärze unter dem aus Sandstein gemauertem Bogen.
Sie konnten es schaffen. Jarel zog das Tuch vom Gesicht und wollte sich Jakob erklären, als er einen brennenden Schmerz in der linken Körperhälfte verspürte. Der Junge – SEIN Junge – hatte zugestochen.
Eine kurze, leicht gebogene Klinge. Ein gewöhnliches Küchenmesser steckte nahe seiner Schulter im Fleisch. Nicht schlimm. Nur eine Fleischwunde. Sie konnten es immer noch schaffen.
Doch dann sah der Schattenläufer in die Augen seines Schützlings. Die immer größer werdenden Augen, das blanke Entsetzen darin. Und dann sein Name, heiser geflüstert, kaum verständlich. „Jarel…“
Er hatte ihn erkannt. Doch wie… Schreckerfüllt zerrte der ältere das Medaillon hervor.
Das Messer hatte es beschädigt, den Zauber unterbrochen.
Nun standen sie hier. Zwei Menschen inmitten blanker Vernichtung.
Ein Blick in Richtung des Mauerbogens. Einer in Richtung des Mobs, der binnen Sekunden erkannt hatte, dass die beiden Männer auf der Straße zum Feind gehörten.
„Es tut mir leid, Jakob.“, hörte er sich sagen, bevor man sie beide niederriss und das Licht erlosch.
Ein lautes Schnaufen ließ Jakob aufhorchen. Hatte der Ritter gerade noch geschlafen, stand er nun schwankend vor der Bank und tastete hektisch an seinem rechten Oberschenkel herum.
Der Knappe wusste was er suchte. Doch da waren keine Dolche.
Panisch sah Jarel sich um, sichtlich desorientiert. Und es dauerte ungewöhnlich lange, bis sein Blick sich klärte. Dieser Alptraum saß offensichtlich tief.
Erst als sein Blick Jakob fand, hellte sich der Blick des Ritters auf und aus dem schwarz der Pupillen wurde das warme Braun mit den bernsteinfarbenen Sprenkeln.
Er atmete zwei Mal durch, musterte den Knappen noch einmal, nickte ihm zu und nahm dann schwer wieder Platz.
Den Tee hatte er nicht bemerkt. Aufmerksam war definitiv anders.
Er bekämpfte noch immer das schreckliche Gefühl der Schuld und des Verlustes.
Nur ein Traum. Nichts mehr als ein Traum. Kein Grund jetzt zu zittern und mit Mühe zu versuchen seinen Puls in den Griff zu bekommen.
Nur ein Traum.
- Jakob von Nagall
- Spieler Level 4
- Beiträge: 667
- Registriert: Sonntag 7. November 2021, 10:18
- Lebenslauf: Jakob von Nagall
Jakob lag im Gras und schaute dem Spiel der Blätter über sich zu, das den Strahlen der Sonne ihre Schärfe nahm und die Temperaturen trotz der Mittagszeit erträglich machte. Was es für ein Baum war, der Jarel und ihm seinen Schatten spendete, wusste der Knappe nicht. Er war ein Stadtkind - schon mit der Flora seiner Welt wäre er nach Eiche, Buche und Tannenbaum überfragt gewesen, aber hier war er komplett ahnungslos, auch wenn Jarel ihm immer wieder Dinge beibrachte. Zumindest was essbare Pflanzen und Kräuter anging. Selbst der Hartriegel war eher ein zufälliges Wissen gewesen, weil er es von irgendwem aufgeschnappt und abgespeichert hatte. Eben weil es ein recht gutes Bogenholz war - nicht das Beste, aber auch nicht das Schlechteste.
Er träumte vor sich hin, versuchte sich zu motivieren aufzustehen und nach Iola zu suchen, auch wenn er nicht so richtig wusste, wie er diese Kuh wieder vom Eis holen sollte. Außerdem machte ihn die Wärme und das Lichtflimmern müde, sodass er gerade am weg dösen war, als Jarel schnaufte und plötzlich aufsprang als habe ihn die Endriage erneut gestochen. Jakobs Reflexe brachten ihn auf die Beine, bevor er auch nur einen klaren Gedanken gefasst hatte und seine ganze Aufmerksamkeit richtete sich auf den Ritter, der im ersten Moment völlig neben sich zu stehen schien. Hektisches Suchen, ein Herzschlag, dann noch einer und endlich schien der Eindruck des Traums ihn loszulassen. Er wirkte müde und noch immer angegriffen, was in Jakob eine Mischung aus Sorge und Schuldgefühlen aufwallen ließ. Betont ruhig ging er zu der kleinen Säule, schenkte einen Becher Tee aus und ging damit zu Jarel, der wieder auf der Bank saß.
"Unsere Waffen sind in der Obhut der Mutter Oberin. Alle.", erinnerte er den Ritter beiläufig, während er Jarels Hand nahm und dessen Finger behutsam um den Becher schloss, dabei Acht gab, dass der Mann diesen mit der leicht zitternden Hand auch wirklich fest griff. Seine beiden Hände lagen noch eine Sekunde lang um die große Pranke des Älteren, bevor er es wagte, loszulassen. Es war seltsam, fast beunruhigend, den sonst so ruhigen und sicheren Mann so neben sich stehend zu erleben. Jakob setzte sich zu ihm, sehr nah, aber ohne ihn noch einmal zu berühren. Sein persönliches Maximum an körperlicher Nähe, noch immer. Eines von vielen kleinen Zugeständnissen an diese seine Vertrauensperson, vermutlich ohne das der es wirklich als solches wahrnahm. Zumindest hatte er durch den Nebel der letzten Nacht das Gefühl zurück behalten, dass sie seit fast einem Jahr eher nebeneinander her lebten, anstatt einander besser zu verstehen. Sicher gab es viele Dinge, die Jakob inzwischen wusste und kannte - Marotten und Gewohnheiten, Jarels Art von Humor, seine Hobbies und Abneigungen. Aber die Untiefen hinter all dem hatte er nie hinterfragt, weil er seine eigenen nicht hinterfragt haben wollte. Er fürchtete das Geben, dass auf das Nehmen folgen könnte. Und er ahnte bereits lange, dass es in Jarels Vergangenheit tiefere Schatten gab, als er sie sich auch nur vorstellen konnte - er hatte es angedeutet und ja, Jakob hatte Angst davor, den Menschen neben sich in einem anderen Licht ansehen zu müssen. Vielleicht auch davor, dass seine eigenen Ängste und Schatten nur Kinkerlitzchen waren. Kindereien, um seinen schlechten Charakter zu kaschieren.
Jakob achtete den Menschen neben sich, wenn er ehrlich zu sich wäre, würde er sogar soweit gehen zuzugeben, dass er ihn liebte wie einen Vater. Nur belog er sich dahingehend lieber weiter selbst, denn es war so eine Eigenheit von ihm, Menschen, die er zu sich durch ließ, nicht mehr loslassen zu wollen und zugleich jedes Wort auf Zurückweisung und Ablehnung zu untersuchen. Er fand auch meistens etwas. Mit der gleichen Vehemenz wie er fast jeden von sich stieß, begann er zu klammern und sich zugleich Fehlinterpretationen hinzugeben. Er wusste das, wollte anders sein, wollte es lassen und verletzte am Ende auch die, die er eigentlich nicht verletzen wollte, indem er aufgrund seiner eigenen Falschannahmen abweisend und kalt wurde. Daher wägte er nun gut ab. Was wollte er? Wie und in welchem Maß? Erwachsen sein, selbst stehen, eigenverantwortlich? Ja, schon. Trotzdem kam er sich gerade vor wie ein Kind. Distanz also?
Selber laufen lernen.
Er war ratlos.
Dennoch wandte Jakob den Kopf. "Schatten aus der Vergangenheit?", versuchte er vorsichtig irgendwie anzufangen. Er war unbeholfen darin, auf jemanden einzugehen. Jarels letzte Worte in der Nacht zuvor klangen noch in seinem Kopf... es war einfacher gewesen, als er noch in seinem Glashaus gesessen hatte, allein mit sich und nur beobachtend, wie die Welt draußen sich weiter drehte. Allein in seinem Kopf, rücksichtslos allem und jedem gegenüber. Das hier alles war furchtbar kompliziert.
Er träumte vor sich hin, versuchte sich zu motivieren aufzustehen und nach Iola zu suchen, auch wenn er nicht so richtig wusste, wie er diese Kuh wieder vom Eis holen sollte. Außerdem machte ihn die Wärme und das Lichtflimmern müde, sodass er gerade am weg dösen war, als Jarel schnaufte und plötzlich aufsprang als habe ihn die Endriage erneut gestochen. Jakobs Reflexe brachten ihn auf die Beine, bevor er auch nur einen klaren Gedanken gefasst hatte und seine ganze Aufmerksamkeit richtete sich auf den Ritter, der im ersten Moment völlig neben sich zu stehen schien. Hektisches Suchen, ein Herzschlag, dann noch einer und endlich schien der Eindruck des Traums ihn loszulassen. Er wirkte müde und noch immer angegriffen, was in Jakob eine Mischung aus Sorge und Schuldgefühlen aufwallen ließ. Betont ruhig ging er zu der kleinen Säule, schenkte einen Becher Tee aus und ging damit zu Jarel, der wieder auf der Bank saß.
"Unsere Waffen sind in der Obhut der Mutter Oberin. Alle.", erinnerte er den Ritter beiläufig, während er Jarels Hand nahm und dessen Finger behutsam um den Becher schloss, dabei Acht gab, dass der Mann diesen mit der leicht zitternden Hand auch wirklich fest griff. Seine beiden Hände lagen noch eine Sekunde lang um die große Pranke des Älteren, bevor er es wagte, loszulassen. Es war seltsam, fast beunruhigend, den sonst so ruhigen und sicheren Mann so neben sich stehend zu erleben. Jakob setzte sich zu ihm, sehr nah, aber ohne ihn noch einmal zu berühren. Sein persönliches Maximum an körperlicher Nähe, noch immer. Eines von vielen kleinen Zugeständnissen an diese seine Vertrauensperson, vermutlich ohne das der es wirklich als solches wahrnahm. Zumindest hatte er durch den Nebel der letzten Nacht das Gefühl zurück behalten, dass sie seit fast einem Jahr eher nebeneinander her lebten, anstatt einander besser zu verstehen. Sicher gab es viele Dinge, die Jakob inzwischen wusste und kannte - Marotten und Gewohnheiten, Jarels Art von Humor, seine Hobbies und Abneigungen. Aber die Untiefen hinter all dem hatte er nie hinterfragt, weil er seine eigenen nicht hinterfragt haben wollte. Er fürchtete das Geben, dass auf das Nehmen folgen könnte. Und er ahnte bereits lange, dass es in Jarels Vergangenheit tiefere Schatten gab, als er sie sich auch nur vorstellen konnte - er hatte es angedeutet und ja, Jakob hatte Angst davor, den Menschen neben sich in einem anderen Licht ansehen zu müssen. Vielleicht auch davor, dass seine eigenen Ängste und Schatten nur Kinkerlitzchen waren. Kindereien, um seinen schlechten Charakter zu kaschieren.
Jakob achtete den Menschen neben sich, wenn er ehrlich zu sich wäre, würde er sogar soweit gehen zuzugeben, dass er ihn liebte wie einen Vater. Nur belog er sich dahingehend lieber weiter selbst, denn es war so eine Eigenheit von ihm, Menschen, die er zu sich durch ließ, nicht mehr loslassen zu wollen und zugleich jedes Wort auf Zurückweisung und Ablehnung zu untersuchen. Er fand auch meistens etwas. Mit der gleichen Vehemenz wie er fast jeden von sich stieß, begann er zu klammern und sich zugleich Fehlinterpretationen hinzugeben. Er wusste das, wollte anders sein, wollte es lassen und verletzte am Ende auch die, die er eigentlich nicht verletzen wollte, indem er aufgrund seiner eigenen Falschannahmen abweisend und kalt wurde. Daher wägte er nun gut ab. Was wollte er? Wie und in welchem Maß? Erwachsen sein, selbst stehen, eigenverantwortlich? Ja, schon. Trotzdem kam er sich gerade vor wie ein Kind. Distanz also?
Selber laufen lernen.
Er war ratlos.
Dennoch wandte Jakob den Kopf. "Schatten aus der Vergangenheit?", versuchte er vorsichtig irgendwie anzufangen. Er war unbeholfen darin, auf jemanden einzugehen. Jarels letzte Worte in der Nacht zuvor klangen noch in seinem Kopf... es war einfacher gewesen, als er noch in seinem Glashaus gesessen hatte, allein mit sich und nur beobachtend, wie die Welt draußen sich weiter drehte. Allein in seinem Kopf, rücksichtslos allem und jedem gegenüber. Das hier alles war furchtbar kompliziert.
- Jarel Moore
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- Registriert: Freitag 25. März 2022, 23:06
- Lebenslauf: Jarel
Jakob war schnell bei ihm. Er hatte es mitbekommen. Mist.
Hatte genau die Panik gesehen, ganz sicher. Seine Angst. Seine Schwäche.
Beruhigen… er musste sich beruhigen. Nur ein Traum. Es war nur ein Traum.
Doch ehe sein Puls sich normalisiert hatte und er das verfluchte Zittern in den Griff bekam war der Junge bei ihm, drückte ihm einen Becher in die Hand.
Sorgsam, mit beiden Händen, fürsorglich. Es fühlte sich furchtbar falsch an.
Es war seine Aufgabe für Jakob zu sorgen. Nicht andersherum.
Und doch war es genau diese kleine Geste, die seinen Puls beruhigte und das Zittern abflauen ließ.
Er trank tatsächlich etwas gierig einen großen Schluck, hätte fast gehustet. Nicht auch noch das. War es nicht ohnehin schon seltsam genug?
„Danke.“, brummte der Ritter und riss endlich den Blick vom Becher los.
In dem einem Wort lag viel mehr als eine höfliche Platitude als Antwort auf einen Becher Tee.
Er war dankbar. Jakob kam trotz der Streiterei am morgen auf ihn zu und wandte sich nicht ab.
Damit hatte Jarel gerechnet. Mit einer Trotzreaktion, vielleicht einer Flucht. Damit, dass sein Knappe sich über Wochen verschloss.
Nein. Er saß hier, neben ihm, die Augen offen für das was um ihn herum geschah und signalisierte sogar eine selten dagewesene Offenheit. Reiner Balsam für die Seele des Ritters.
Und er wusste sogar, wie er sich dafür bedanken konnte, wie er dem tapferen Jakob eine Freude zu machen vermochte.
Nur noch eine Spur zittrig wechselte er den Becher in die linke Hand und kramte mit der rechten in seinem Beutel.
„Ein Alptraum.“, antwortete er erstaunlich leise auf Jake Frage. „Eine Erinnerung, gemischt mit einer völlig neuen Angst. Böse Mischung. Aber nur ein Alptraum.“
Der Ritter in der seltsamen Aufmachung drehte den Oberkörper zu seinem Knappen und hielt ihm die geschlossene Faust hin, um ihm etwas zu überreichen, öffnete aber die Faust noch nicht.
„Geht es dir besser?“, fragte er unsicher lächelnd und sah den neben ihm sitzenden Knappen in die Augen.
Ein guter Junge. Er würde ein hervorragender Ritter werden. Und – auch wenn er es nicht wahr haben wollte – ein ehrbarer Großkomtur. Da war Jarel sich ganz sicher.
Hatte genau die Panik gesehen, ganz sicher. Seine Angst. Seine Schwäche.
Beruhigen… er musste sich beruhigen. Nur ein Traum. Es war nur ein Traum.
Doch ehe sein Puls sich normalisiert hatte und er das verfluchte Zittern in den Griff bekam war der Junge bei ihm, drückte ihm einen Becher in die Hand.
Sorgsam, mit beiden Händen, fürsorglich. Es fühlte sich furchtbar falsch an.
Es war seine Aufgabe für Jakob zu sorgen. Nicht andersherum.
Und doch war es genau diese kleine Geste, die seinen Puls beruhigte und das Zittern abflauen ließ.
Er trank tatsächlich etwas gierig einen großen Schluck, hätte fast gehustet. Nicht auch noch das. War es nicht ohnehin schon seltsam genug?
„Danke.“, brummte der Ritter und riss endlich den Blick vom Becher los.
In dem einem Wort lag viel mehr als eine höfliche Platitude als Antwort auf einen Becher Tee.
Er war dankbar. Jakob kam trotz der Streiterei am morgen auf ihn zu und wandte sich nicht ab.
Damit hatte Jarel gerechnet. Mit einer Trotzreaktion, vielleicht einer Flucht. Damit, dass sein Knappe sich über Wochen verschloss.
Nein. Er saß hier, neben ihm, die Augen offen für das was um ihn herum geschah und signalisierte sogar eine selten dagewesene Offenheit. Reiner Balsam für die Seele des Ritters.
Und er wusste sogar, wie er sich dafür bedanken konnte, wie er dem tapferen Jakob eine Freude zu machen vermochte.
Nur noch eine Spur zittrig wechselte er den Becher in die linke Hand und kramte mit der rechten in seinem Beutel.
„Ein Alptraum.“, antwortete er erstaunlich leise auf Jake Frage. „Eine Erinnerung, gemischt mit einer völlig neuen Angst. Böse Mischung. Aber nur ein Alptraum.“
Der Ritter in der seltsamen Aufmachung drehte den Oberkörper zu seinem Knappen und hielt ihm die geschlossene Faust hin, um ihm etwas zu überreichen, öffnete aber die Faust noch nicht.
„Geht es dir besser?“, fragte er unsicher lächelnd und sah den neben ihm sitzenden Knappen in die Augen.
Ein guter Junge. Er würde ein hervorragender Ritter werden. Und – auch wenn er es nicht wahr haben wollte – ein ehrbarer Großkomtur. Da war Jarel sich ganz sicher.
- Jakob von Nagall
- Spieler Level 4
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- Registriert: Sonntag 7. November 2021, 10:18
- Lebenslauf: Jakob von Nagall
Ein Dank, den Jakob nur am Rand wahrgenommen hatte, weil er alles bis hierhin irgendwie als selbstverständlich empfunden hatte. Der komplizierte Teil fing danach an, wenn sich Wort an Wort zu reihen begann und Satz auf Satz folgen musste. Er blickte über die Wiese, die eben noch voller Leben gewesen war und nun so still; ließ Jarel damit die Momente des Abstands, um sich etwas zu sammeln. Doch der sprach erstaunlich schnell wieder und erstaunlich leise. Jakob hatte irgendeinen Punkt gefunden, auf den er sich fokussieren konnte, als er nicht minder leise erwiderte: "Mein Vater sagte immer, Träume sind nur Aufräumarbeiten im Gehirn. Nichts wovor man bange sein müsste." Er verzog die Lippen. "Das zu wissen, hilft aber auch nicht wirklich, stimmts?" Er erwartete keine Antwort, weil er sie kannte. Aus dunklen, kalt verschwitzten Nächten auf salzig nassen Kissen.
Der Blick des Knappen kehrte zurück zu Jarel, als dieser zu kramen begann, forschte über das vertraute Profil. "Was für eine neue Angst?", hörte er sich fragen, bevor er es verhindern konnte und dann begegnete Jarels Blick dem seinen, ließ ihn die Frage bereuen, weil er die Antwort nicht hören wollte. Die hellen Augen kippten auf die Faust hinab, die Jarel geschlossen zwischen sie hielt, während sein Kopf an der Frage herum arbeitete, die ihm nicht wie eine nach dem körperlichen Befinden vorkam. Wieder war da der Impuls, mit einem Wort alles zu beenden. Sicher. Klar. Alles in Ordnung. Etwas unwohl noch, aber sonst...
Er schüttelte den Kopf, wandte den Blick wie automatisch in die Richtung, in der Iola vor fast einer Stunde verschwunden war. Nichts war in Ordnung. Er hatte mit einer einzigen dummen Aktion so viel verspielt, wie schon lange nicht mehr.
"Diesmal hab ich wirklich Scheiße gebaut." Eine Feststellung, keine Frage.
Er wandte wieder den Kopf und diesmal war die Faust offen - Jakobs Augen weiteten sich vor Erstaunen, eilten zwischen Jarels Gesicht und dem zerbrochenen Schmuckstück in dessen Hand hin und her. Zwei Teile, der Schild halb gespalten, das Kreuz fast ganz abgetrennt. Er nahm die beiden Hälften vorsichtig an sich, betrachtete sie eine schier endlos scheinende Weile auf der eigenen Handflächen liegend, bevor er die Faust darum ballte und diese an seine Stirn presste.
Er hatte es verloren geglaubt, gestohlen. Eine gerechte Strafe für seine Sünden. Wert war es hier oder auch anderswo ja nur das Gold, aus dem es gemacht war, selbst in seiner Heimat, war es nicht irrsinnig besonderes. Ein Schmuckstück, gemacht für zwei Neugeborene, eines in silber und eines in gold. Seines war ursprünglich das Silberne gewesen, etwas weniger filigran - eben Herrenschmuck, wie man so schön sagte. Nichts besonderes und doch für Jakob so wertvoll wie die eigene Seele. Er hatte sie gestern verspielt und Jarel gab sie ihm zurück, so kam es ihm vor. Wie viele Chancen sollte er noch bekommen? Wie viel Schuld auf sich laden?
Der junge Mann rollte sich nach vorn ein und begann lautlos zu weinen.
Der Blick des Knappen kehrte zurück zu Jarel, als dieser zu kramen begann, forschte über das vertraute Profil. "Was für eine neue Angst?", hörte er sich fragen, bevor er es verhindern konnte und dann begegnete Jarels Blick dem seinen, ließ ihn die Frage bereuen, weil er die Antwort nicht hören wollte. Die hellen Augen kippten auf die Faust hinab, die Jarel geschlossen zwischen sie hielt, während sein Kopf an der Frage herum arbeitete, die ihm nicht wie eine nach dem körperlichen Befinden vorkam. Wieder war da der Impuls, mit einem Wort alles zu beenden. Sicher. Klar. Alles in Ordnung. Etwas unwohl noch, aber sonst...
Er schüttelte den Kopf, wandte den Blick wie automatisch in die Richtung, in der Iola vor fast einer Stunde verschwunden war. Nichts war in Ordnung. Er hatte mit einer einzigen dummen Aktion so viel verspielt, wie schon lange nicht mehr.
"Diesmal hab ich wirklich Scheiße gebaut." Eine Feststellung, keine Frage.
Er wandte wieder den Kopf und diesmal war die Faust offen - Jakobs Augen weiteten sich vor Erstaunen, eilten zwischen Jarels Gesicht und dem zerbrochenen Schmuckstück in dessen Hand hin und her. Zwei Teile, der Schild halb gespalten, das Kreuz fast ganz abgetrennt. Er nahm die beiden Hälften vorsichtig an sich, betrachtete sie eine schier endlos scheinende Weile auf der eigenen Handflächen liegend, bevor er die Faust darum ballte und diese an seine Stirn presste.
Er hatte es verloren geglaubt, gestohlen. Eine gerechte Strafe für seine Sünden. Wert war es hier oder auch anderswo ja nur das Gold, aus dem es gemacht war, selbst in seiner Heimat, war es nicht irrsinnig besonderes. Ein Schmuckstück, gemacht für zwei Neugeborene, eines in silber und eines in gold. Seines war ursprünglich das Silberne gewesen, etwas weniger filigran - eben Herrenschmuck, wie man so schön sagte. Nichts besonderes und doch für Jakob so wertvoll wie die eigene Seele. Er hatte sie gestern verspielt und Jarel gab sie ihm zurück, so kam es ihm vor. Wie viele Chancen sollte er noch bekommen? Wie viel Schuld auf sich laden?
Der junge Mann rollte sich nach vorn ein und begann lautlos zu weinen.
- Jarel Moore
- Spieler Level 5
- Beiträge: 1051
- Registriert: Freitag 25. März 2022, 23:06
- Lebenslauf: Jarel
Der Ritter zog überrascht die Augenbrauen hoch, als Jakob sich fallen ließ und zu weinen begann.
Eine neuerliche Überraschung. Dass das Schmuckstück ihm so viel bedeutete, damit hatte er auch nicht gerechnet. Aber ahnen hätte er es können. Eigentlich sogar müssen.
Es war wahrscheinlich nicht einmal seines…
Mit einem mitfühlendem Lächeln legte er einen Arm um die bebenden Schultern de Jungen.
„Wir haben uns an deine Spur geheftet, weil ich mit demjenigen, der dich zu dem Zeug verführt hat eigentlich die Fresse polieren wollte.“ Eine ungewöhnlich aggressive Wortwahl aus dem Munde des Ritters. Er nahm zwar selten ein Blatt vor den Mund, aber so direkt…
„In der Taverne hat er seine Zeche mit deinem Gold bezahlt. Den Rest hatte er bei sich. Leider nicht mehr am Stück. In den Scherben kenne ich jemanden. Wir können versuchen es reparieren zu lassen.“, versuchte er seinen Knappen zu trösten.
Doch noch hatte Jakob sich nicht beruhigt. Verständlich.
‚Schatten der Vergangenheit.‘, hatte er gesagt.
Die hatten sie beide. Seine standen bis zu den Knöcheln in Blut, Jakobs in Glut und Asche.
„Alte Schatten und neue Ängste…“
Er zögerte merklich. Würde Jakob das eher helfen zu verstehen oder ihn mehr belasten?
Er wusste es nicht. Aber Jarel wollte, dass Jakob es wusste. Er wollte das der Junge erfuhr, dass er nicht allein war mit der unangenehmen Erfahrung im Rinnstein, dass der ältere recht gut wusste, wie sich so ein Absturz anfühlte.
„Vor einer Ewigkeit lebte ich ein zügelloses Leben, gemeinsam mit meiner großen Liebe. Alkohol, gelegentlich Drogen. Besonders meine bessere Hälfte feierte gern die Nächte durch und hielt von Monogamie nicht viel. Ich kam damit klar. Irgendwie. So lange wir danach wieder zueinander fanden.“
Ilarion hatte eine wirklich lebendige Libido gehabt, mehr als nur eine Hand voll Kinder gezeugt.
Zumindest die Zahl, von denen er wusste war fast noch überschaubar.
Und Jarel hatte ihn ziehen lassen. Egal wie weh es ihm tat.
Einen so schönen Vogel sperrte man nicht ein. Er musste fliegen. Und das Glück, wenn er zurückkam war das, wofür er gelebt hatte.
Vielleicht ungesund. Aber dies war seine Wahl.
„Wir lebten lange zusammen, bis die Beziehung durch mein Verschulden zerbrach. Ich stürzte ab, geriet tief in den Drogensumpf, landete in der Gosse. In meinem Gedächtnis fehlt fast ein Jahr. Ich erinnere mich nur noch Bruchstückhaft daran gebettelt und gestohlen zu haben, nur für die Sucht.
Irgendwann beschloss die Person, die ich immer noch liebte mich zu suchen. Und fand mich. In einer Hafenstadt, im runtergekommenensten Viertel unter einer Plane im Rinnstein, erkannte mich fast nicht wieder. Der Entzug war hart, ohne Unterstützung hätte ich es nicht geschafft. Meinen Körper hatte ich da bereits zu Grunde gerichtet.“ Er tippte auf die Stelle, unter dem sich die Operationsnarbe befand.
„Mein Vater – mit dem ich seit Jahren nicht gesprochen hatte- spendete einen Teil seiner Leber.“
Der Ritter sah zu Jakob.
„Das sollst du nicht mitmachen müssen. Und wenn ich dich an den Ohren aus dem Dreck ziehe, das lasse ich nicht zu.“
Von Iola kein Wort. Kein Vorwurf. Keine Anspielung.
Ein wenig zog Jarel Jakob an sich, damit er sich anlehnte, atmete durch.
Jedes weitere Wort war zu viel. Vielleicht war es ohnehin schon zu viel.
Der Ritter presste die Lippen fest aufeinander und wartete ab.
Eine neuerliche Überraschung. Dass das Schmuckstück ihm so viel bedeutete, damit hatte er auch nicht gerechnet. Aber ahnen hätte er es können. Eigentlich sogar müssen.
Es war wahrscheinlich nicht einmal seines…
Mit einem mitfühlendem Lächeln legte er einen Arm um die bebenden Schultern de Jungen.
„Wir haben uns an deine Spur geheftet, weil ich mit demjenigen, der dich zu dem Zeug verführt hat eigentlich die Fresse polieren wollte.“ Eine ungewöhnlich aggressive Wortwahl aus dem Munde des Ritters. Er nahm zwar selten ein Blatt vor den Mund, aber so direkt…
„In der Taverne hat er seine Zeche mit deinem Gold bezahlt. Den Rest hatte er bei sich. Leider nicht mehr am Stück. In den Scherben kenne ich jemanden. Wir können versuchen es reparieren zu lassen.“, versuchte er seinen Knappen zu trösten.
Doch noch hatte Jakob sich nicht beruhigt. Verständlich.
‚Schatten der Vergangenheit.‘, hatte er gesagt.
Die hatten sie beide. Seine standen bis zu den Knöcheln in Blut, Jakobs in Glut und Asche.
„Alte Schatten und neue Ängste…“
Er zögerte merklich. Würde Jakob das eher helfen zu verstehen oder ihn mehr belasten?
Er wusste es nicht. Aber Jarel wollte, dass Jakob es wusste. Er wollte das der Junge erfuhr, dass er nicht allein war mit der unangenehmen Erfahrung im Rinnstein, dass der ältere recht gut wusste, wie sich so ein Absturz anfühlte.
„Vor einer Ewigkeit lebte ich ein zügelloses Leben, gemeinsam mit meiner großen Liebe. Alkohol, gelegentlich Drogen. Besonders meine bessere Hälfte feierte gern die Nächte durch und hielt von Monogamie nicht viel. Ich kam damit klar. Irgendwie. So lange wir danach wieder zueinander fanden.“
Ilarion hatte eine wirklich lebendige Libido gehabt, mehr als nur eine Hand voll Kinder gezeugt.
Zumindest die Zahl, von denen er wusste war fast noch überschaubar.
Und Jarel hatte ihn ziehen lassen. Egal wie weh es ihm tat.
Einen so schönen Vogel sperrte man nicht ein. Er musste fliegen. Und das Glück, wenn er zurückkam war das, wofür er gelebt hatte.
Vielleicht ungesund. Aber dies war seine Wahl.
„Wir lebten lange zusammen, bis die Beziehung durch mein Verschulden zerbrach. Ich stürzte ab, geriet tief in den Drogensumpf, landete in der Gosse. In meinem Gedächtnis fehlt fast ein Jahr. Ich erinnere mich nur noch Bruchstückhaft daran gebettelt und gestohlen zu haben, nur für die Sucht.
Irgendwann beschloss die Person, die ich immer noch liebte mich zu suchen. Und fand mich. In einer Hafenstadt, im runtergekommenensten Viertel unter einer Plane im Rinnstein, erkannte mich fast nicht wieder. Der Entzug war hart, ohne Unterstützung hätte ich es nicht geschafft. Meinen Körper hatte ich da bereits zu Grunde gerichtet.“ Er tippte auf die Stelle, unter dem sich die Operationsnarbe befand.
„Mein Vater – mit dem ich seit Jahren nicht gesprochen hatte- spendete einen Teil seiner Leber.“
Der Ritter sah zu Jakob.
„Das sollst du nicht mitmachen müssen. Und wenn ich dich an den Ohren aus dem Dreck ziehe, das lasse ich nicht zu.“
Von Iola kein Wort. Kein Vorwurf. Keine Anspielung.
Ein wenig zog Jarel Jakob an sich, damit er sich anlehnte, atmete durch.
Jedes weitere Wort war zu viel. Vielleicht war es ohnehin schon zu viel.
Der Ritter presste die Lippen fest aufeinander und wartete ab.