Die Scherben | in den Straßen

Lange Zeit war Nowigrad kein Teil von Redanien, lange Zeit konnte die größte (mit ca. 30.000 Einwohnern) und zweifelsohne auch die reichste Stadt den Status einer freien Handelsstadt halten. Nach den letzten Kriegen aber ist sie mehr oder weniger zur inoffiziellen zur Hauptstadt der freien Nordländer, vor allem Redaniens geworden seit Dijkstra als Regent zusammen mit dem Handelsrat von hier aus die Fäden zieht.
Als Heimat des Kults des Ewigen Feuers hat in der Stadt allerdings auch das Wort des Hierarchen Gewicht.
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Milan Thaess enn
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Milan lächelte dezent über die Bemerkung der großen Klappe hinweg. Es war nicht leicht, ihn aus dem Knzept zu bringen oder erst recht aus der Reserve zu locken. Man sagte, der Vicomte ging zum Lachen in den Keller. Dabei war er doch immer freundlich, nur ausgelassen erlebte man ihn höchst selten bis nie. Nichtsdestotrotz war die junge Dame höchst erfrischend... bis sie von ihrem Erlebnis berichtete. Bei solche Dingen, verging dem Advokaten augenblicklich jedes Lachen und er wurde sehr ernst. Gerade Frauen suchten ihn des öfteren auf, sofern sie den Mut fanden und es ging fast immer um das Gleiche. Da kam ein ungeklärter Todesfall fast als erfreuliche Abwechslung daher. Eventuell war er zu schnell bereit, ihre Version der Vorgänge zu glauben, auch wenn die Entrüstung nicht so recht zum Bild des Mädchen passen wollte. Aber das sie nicht so unschuldig war, wie sie anfangs vorzugeben versucht hatte, lag ja bereits auf der Hand. Nur wieso ein Küchenmesser? So richtig wollte es noch nicht ins Bild passen, aber er konnte den Finger nicht auf das legen, was ihn an der Geschichte störte. In sich war sie schlüssig, aber da fehlte doch ein Detail. Oder nicht? Er besah sich das Profil seiner neuen Begleiterin, schwieg aber nachdenklich.
Und dann stellte sie die Fragen. Obwohl er weiter an dem herum grübelte, was das Gleichgewicht in dieser Wahrheit störte, bemühte er sich auch um eine adäquate Antwort. "Nein, ich erfreue mich bester Gesundheit, danke. Ich erweise einer Klientin einen Dienst." Wieder lächelte er, wobei es ihm wie meist gelang, nicht aufgesetzt zu wirken. "Und so gerne ich den Weg zu Fuß gemacht hätte, mein Zeitplän verlangt leider zu oft nach der Kutsche." Ein Zwinkern. Nein, die Bemerkung war nicht unter den Tisch gefallen.
Milan schwieg und wartete, bis ein erneuter Blick in seine Richtung erfolgte. Lange dauerte es nicht, zu unstet war ihre Aufmerksamkeit - ein neugieriges Wesen. Er blieb nun ernst, ganz sachlich. "Wenn Ihr die Sache auf sich beruhen lassen wollt, will ich mich nicht einmischen und empfehle nur, den Kniestoß zu verfeinern. Solltet Ihr allerdings den Wunsch haben, Euer Recht zu vertreten, seid Ihr bei mir ganz richtig gelandet. Die Männer dieser Stadt nehmen sich zu oft zu viel heraus, meint Ihr nicht?" Interessiert wartete er auf ihre Antwort, dann wies er noch unbestimmt auf den Wagen, in welchem sie saßen. "Während ich im Hospital bin, kann Pychon Euch nach Gildorf bringen. Wenn Ihr wollt." Seine grauen Brauen zuckten fragend nach oben. Selbstredend durfte sie auch laufen. Er drängte sich niemandem auf.
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Valjan Novka
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Der Klientin einen Dienst? Klar, das Schreiben, das er dort in die Mappe gepackt hatte. Die Handschrift könnte gut von einer Frau gewesen sein und man liest sich ihr Anliegen noch einmal durch, während man unterwegs ist. Kommt auch dem Zeitplan zu gute. Nur welches Anliegen benötigt einen Juristen im Krankenhaus? Krank werden war nicht verboten, außer… es war von dritter Stelle gewünscht? „Wurde jemand vergif…“ Sie unterbrach sich. Weder war sie im Dienst noch ging es sie etwas an. Sie konnte sich nicht erinnern, dass auf der Wache etwas gemeldet worden war, aber die Kreise, die solches Briefpapier verwendeten, melden sich meist nicht dort. „Verzeiht Ser, ich denke zu viel… hat meinen Vater schon immer Sorgen bereitet.“ Was sogar der Wahrheit entsprach. Andrusch war klasse im Sorgen machen. Teilweise zurecht. Sie zog ihren Beutel an sich, um nicht weiter aufzufallen. Ein schüchternes Mädchen bekam weniger Ärger. Sie konnte allerdings nicht verhindern über ihre eigene Situation nachzudenken.

Dazu dass die Männer sich zu viel herausnehmen, hatte sie vielleicht heftig genickt und beinahe sich darüber ausgekotzt, dass sie Nachts selten niemand in den Kerker stopfte, der irgendwie gemeint hatte eine Frau oder Kind anfingern zu müssen. Jetzt war es anders herum. Sie das Opfer. Hatte sie den Wunsch ihr Recht zu vertreten? Er würde das machen? „Ich… hab kein Geld.“ Gerüchteweise war diesem Herrn, das nicht so wichtig. Dennoch. War es auch wahr? Sollte das stimmen, könnte sie dafür sorgen, dass mehr Mädchen den Mut fanden.

„Wenn ich Sjevik anzeige…“ Könnte er vielleicht weniger schmieden, wäre aber auch mehr auf der Hut. Außerdem würde er sie so ganz sicher nicht vergessen und am Ende die Gesamtlage noch verschlimmern. Wahrscheinlich nicht sinnvoll. Sjevik sollte den Vorfall besser ignorieren. Man konnte ihr beim Denken zusehen. Vor allem wurde ihre Sitzhaltung lässiger. Der Beutel hatte als Versteck ausgedient, stattdessen rutschten die Ellenbogen auf die Knie als sie sich zum Grübeln vorbeugte und die Beine wenig weiblich auseinander klappten, um bequemer zu sitzen.
„...hätten sie nur wieder etwas um auf Anderlinge loszugehen. Ihre Frauen wollen sie selbst belästigten, oder? Wenn jetzt so etwas passiert, dann kommt nur all der Hass wieder hoch und in den Scherben wird es unruhiger… es trifft die Falschen… wird zu… bunt.“ Um bei der Farbe im Leben zu bleiben.
Bei genauer Betrachtung zeigte ihr Profil neben den auffälligen Sommersprossen, dass ihre Haare bis auf ein paar Strähnen im Gesicht sorgfältig unter dem Häubchen stecken mussten, das nach dem Gerenne allerdings nicht mehr ganz perfekt saß. Ganz ausschließen, dass sie nie in Schlägerei verwickelt war konnte man nicht. Ein Teil von ihr wirkte ein wenig grob. „Aber… wie ginge es weiter, wenn ich den Wunsch hätte?“ War vielleicht praktisch zu wissen. Gab es Formulare? Könnte sie ihn zukünftig bei Anzeigen wegen Missbrauch und so einfach als Rechtsvertreter eintragen? Dann hätte er keine freie Minute mehr.

„Mich nach Gildorf fahren lassen?“ Auch ihre Augenbrauen zucken nach oben. Verlieh er wirklich seine Kutsche? Unabhängig davon wer sie war, ein Erlebnis, dass sie nicht häufig hatte. „Sehr gerne, Vicomte. Möglichst weit weg von der Hundenase wieder den Boden berühren klingt gut.“ Sie grinste. Diesmal mal wirklich wie ein kleines Mädchen.
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Milan Thaess enn
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Milan ließ die junge Frau auf sich wirken, beobachtete ihr Mienenspiel, vor allem die unbewussten Augenbewegungen. Zu seinen Unterlagen, zu ihm, zum Fenster, zum Boden. Sie war sofort gedanklich bei der Stelle, als er eine Klientin erwähnte und zog ihre Schlüsse aus einem ihm noch nicht bekannten Kontext heraus. Ihn hätte jetzt interessiert, wie sie auf Gift kam. Es gab tausend andere Gründe, Joachims Hospital aufzusuchen - aber gut, er hatte bekanntermaßen eine Leichenhalle. Weitere Fragen standen dem Mädchen auf die Stirn geschrieben, aber sie bremste sich selbst mit einer Entschuldigung und Milan überging alles schweigend, weil die Belange seiner Klienten - ob nun tot oder lebendig - stets vertraulich behandelte. Er schenkte ihr allerdings ein Lächeln, bevor er gedanklich zum nächsten Punkt ging.
"Wisst Ihr, mein Beruf ist zu einem großen Teil auch Berufung. Das Geld steht nicht an erster Stelle." Manche zahlten, andere profitierten davon, dass es solche zahlenden Kunden gab und sein eigenes Vermögen war Dank Ländereien und Zöllen stabil, sodass er die Lücken einfach stopfen konnte. Aber es war nicht nur das Geld, was diese junge Seele in ihre Überlegungen einbezog. Er wartete gespannt, ob er die Schlüsse noch zu hören bekam oder ob sie sie für sich selbst behalten wollte. Der Weitblick, den sie dann in wenigen Sätzen an den Tag legte, machte ihn fast betroffen. Die Gerechtigkeit für sich selbst um des lieben Friedens Willen zurück stellen. Ausgerechnet der Anderlinge wegen - selten, dass ein Mensch der Stadt so dachte.
Das Grinsen angesichts seines Angebots hatte er mit einem offenen Lächeln quittiert und den 'Vicomte' hingenommen. Sie wusste also inzwischen, wen sie vor sich hatte.
Milan lehnte sich zurück und betrachtete die junge Frau einen Moment nachdenklich.
"Eure Selbstlosigkeit in allen Ehren. Aus meiner Sicht ist der Schmied zunächst ein Bürger dieser Stadt, Mitglied der Gilde der Schmiedemeister und irgendwann danach Mann und Zwerg. Als Bürger hat er sich an die Gesetze zu halten, die diese Stadt ihm wie auch allen anderen auferlegt. Ihr seid ebenso Bürgerin Nowigrads und ich plädiere immer dafür, dass auch jede Frau ihre Stimme erheben muss, wenn ihr Unrecht geschiet. Und ich sage das nicht, weil Ihr Mensch seid. Ich habe auch Elfen und Halblinge unter meinen Klienten. Die Damen der Aen Sidhe sehen sich ebensolche Übergriffen ausgesetzt und ich bin überzeugt, dass ich die persönlichen Racheakte reduzieren kann, indem ich ihnen ebenso zu ihrem Recht verhelfe wie jeder Menschenfrau. Andersherum sehe ich mich aber auch verpflichtet, keine besonderen Umstände für einen übergriffigen Zwerg einzuräumen. Gerechtikeit kann nur herrschen, wo alle unter dem gleichen Gesetz stehen." Er lächelte wieder. "Vergebt mir meinen Idealismus - Ich weiß natürlich, dass es so einfach nicht ist und ich bin geübt im Scheitern." Zumal es mehr als ein Rechtssystem in dieser Stadt gab. Etwas, was ihn immer wieder über die Maßen strapazierte.
Er warf einen kurzen Blick nach draußen, bevor er seine Begleiterin wieder ansah. "Nun, üblicherweise kommt man in meine Kanzlei und berichtet mir in allen Details über den Vorgang." Der Ausdruck in seinen Augen bekam kurz etwas Listiges. "Und zwar wahrheitsgemäß und ohne etwas auszulassen." Ein kleiner Seitenhieb? Nicht doch. "Danach kümmere ich mich um den Rest." Gespräche mit den Beteiligten, Sammeln von Indizien und Beweisen, Anklage und so weiter. Da konnte aus dem Advokaten sehr schnell ein privater Ermittler werden.
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Valjan Novka
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Sie musste leise auflachen. Hatte sie den anderen Idealisten in dieser Stadt gefunden? Nur mit viel mehr Geld? Verdammte Axt, warum konnte sie jetzt nur nicht frei reden. Vielleicht hätte sie ihn einfach mal kontaktieren sollen, nachdem sie angefangen hatte seine Abhandlung zu lesen. Eine Kleinigkeit, die ihr in Oxenfurt in die Hände gefallen war. Dem Autor zu begegnen hätte sie nicht so schnell erwartet. Hatte sie unterbewusst sein Familienwappen wahrgenommen, irgendwie positiv besetzt und war deshalb ohne weitere Überlegungen aufgesprungen?
Doch sie unterdrückte ihre Gefühlsregung und lehnte sich leicht Kopf schüttelnd wieder zurück auf die Bank. Vom ängstlichen Sitzen auf der Kante war sie zu einem resignierten Lümmeln gekommen. Irgendwie würde sie ihm gerne mehr sagen, aber für ‚ich glaube der Schmied stellt Waffen für eine Art Anderlingaufstand her‘ war ihre Bekanntschaft zu frisch und Slava würde da sicher ein Wörtchen mitreden wollen, bevor sie davon herumerzählte. Deshalb vielleicht kürzer.

„Na ja, wir hatten eine handgreifliche Auseinandersetzung, der Zwerg und ich. Danach lag er am Boden und nicht ich. Unter Männern wäre dann doch jeder Streit geklärt, oder? Objektiv betrachtet hatte er mehr Schmerzen als ich.“ Darauf wer angefangen hatte, wollte sie nicht weiter eingehen. Den Seitenhieb hatte sie schon verstanden und das durfte er auch merken. Ihre Geschichte war wahr, hatte ihre Lücken und verschwiegene Details. Mehr konnte oder wollte sie dem Vicomte nicht sagen. „Deshalb war er ja so pissig. Wenn ich jetzt Streit suche – unabhängig von der Gesamtsituation in den Scherben – dann wird ihn das sicher nicht beruhigen, sondern er wird mir nur irgendwas vorhalten wie, dass ich ihm die Kohle klauen wollte.“ Ein Innehalten. Zugegeben hat sie ihm nun nebenbei ein Stück Kohle geklaut. „Und ich in seiner Schmiede nichts zu suchen hatte und er seine Gehilfen als Zeugen anbringen kann und dann ist er eben ein Schmiedemeister der Gilde und ich… niemand.“ Schulterzucken. „Mein Idealismus muss nicht daran bröckeln.“ Ja. Eine interessante Erkenntnis. Lieber die Kraft woanders reinstecken. Selbstlosigkeit. Klang nach viel, aber ein bisschen ja, manchmal. Bestimmt nicht immer. Aber wenn sie anderen Frauen besser helfen könnte. Nur

„Wenn ich Mädchen abends ein… treffe und man mitbekommt, dass etwas ähnliches vorgefallen ist, trauten sie sich doch nie in eine… schicke Kanzlei, um eine Aus… um davon zu erzählen. Wenn man nicht dazwischen geht. Sobald man zu spät kommt, fällt es ihnen oft schwer darüber zu reden. Aus Scham, aus Angst oder ja der Aussichtslosigkeit eines Erfolgs. Die suchen sich ja nicht die Frauen raus, wo man mit Gegenwehr rechnen könnte. Oder stehen eh so weit oben, dass sie machen können, was sie wollen.“ Sie redete zu viel und musste sich bremsen. Aber offenbar hatte sie Redebedarf und eine gewisse Erfahrung? „Bin am Hafen aufgewachsen… wenn da ein Schiff kam, hieß es immer geh lieber nicht raus wegen der unterfickten Seeleute auf Landgang.“ Nachdenklich wand sie den Blick nach draußen, beobachtete die Häuschen und Leute an denen sie vorbei fuhren. „Idyllisch, wenn die Stadt so an einem vorbeizieht.“ Ob ihm das noch auffällt?
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Milan Thaess enn
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Milan gab die ideale Gegenprojektion zum hin gelümmelten Straßenmädchen ab - sehr aufrecht, mit geradem Rücken und hätte man eine Winkelschmiege unter seine Kniekehle gesetzt, man wäre wohl bei genau neunzig Grad gelandet. Die Hände vor dem Unterleib ineinander verschränkt, das Gesicht nun wieder seiner Begleiterin zugewandt, hörte er deren Worten durchaus interessiert zu. Sie hatte nicht ganz Unrecht, allerdings gab es für ihn als Juristen einen gravierenden Haken. "Ich darf schon aufgrund meiner Profession nicht zustimmen, denn Selbstjustiz entbehrt dem juristischen Rahmen und dem habe ich nun einmal mein Leben gewidmet.", er lächelte dabei allerdings freundlich, weil er so gut wie sie wusste, dass es unter den Lebewesen dieser schönen Welt niemals das Ideal geben würde, das sich jeder zu jeder Zeit an alle Gesetze hielt. Und wenn man in die Blumen des Nachbarn schiss, weil der einem beim Kartenspielen betrogen hatte. "Aber im Duell wie man es in Toussaint versteht, wäret Ihr die Siegerin." Viel interessanter war am weiteren Verlauf des Gesprächs ohnehin, dass sie scheinbar nicht wusste, dass Sjevik keiner Gilde angehörte - zumindest keiner der Freien Handelsstadt. Ignoranz oder bewusste Gesprächsführung? Warum dort ein Messer kaufen? Noch war die Geschichte nicht ganz konsistent und die junge Dame wusste das genau.
Ihre weiteren Worte waren durchzogen von kleinen Versprechern, ob nun bewusst gesetzt oder wirklich aufgrund der Müdigkeit nach den Aufregungen der letzten Minuten. Da war ein Verstand, der sich anders ausdrücken wollte, als die derzeit gewählte Rolle es erlaubte. Was war echt und was Rolle? Ein Mädchen, dass klüger war, als seine Umgebung ihr zurgestand oder etwas, auf das er so einfach gar nicht kommen konnte. Seine Vorstellungskraft war zwar nicht gerade bescheiden, aber er hielt sich auch stets mit Spekulationen zurück. Ihm fehlten Indizien, erst recht Fakten.
Das beschriebene Dilemma war ihm bewusst und er begegnete diesem durch sein Netzwerk in der Stadt. Die ersten Kontakte knüpfte meistens nicht er, sondern all die Leute, die in seinem Namen handelten. Dazu gehörten Straßenburschen ebenso wie Wäscherinnen, Huren, Schankwirte oder sogar der ein oder andere Stadtwächter. In seine Kanzlei verirrte man sich selten zufällig oder nur wegen anderen Dingen als einer Ehrbeschmutzung, weil genau das zum Tragen kam, was die junge Frau ansprach. Das Prinzip war eher eines von Mundpropaganda und diskreten Nachrichten, Briefen und eben dann doch einem Termin bei ihm, denn am Ende war es seine Schwäche, dass er ungern die sicheren vier Wände verließ, in denen es so war, wie er es für optimale Funktion seinerseits benötigte. Ein Stück weit musste er sich auch eingestehen, dass es gewisse Filter geben musste, sonst würde er der Arbeit nicht mehr Herr werden. Es war ohnehin schon so, dass er nur wenige Stunden am Tag schlief oder für anderes verwandte, als seine Fälle.
Der Vicomte lächelte wissend. "Wir sind gleich da." Vom Hafen kam sie also. Und wollte nach Gildorf. "Letzten Endes, junge Sera, gilt der eine überführte Mörder. Der eine übergriffige Offizier. Meinetwegen auch ein Kohledieb...", seine hellen Augen schmunzelten dabei, "...wie auch immer er zum Henkersmeister gelangt. Ich leiste meinen Beitrag und das in einer Form, dass Schuldige überführt und Unschuldige nicht grundlos bestraft werden. Es wird noch lange dauern, bis mein Tun und das anderer Leute in diesem Metiér Früchte trägte und die sich auch unterfickte", er wog das Wort auf der Zunge wie ein schmieriges Gemüse, "Seemänner jeden Handgriff zweimal überlegen, aber ich möchte daran arbeiten. Und ich versichere Euch, dass es mehr als einen Weg zu mir gibt. Ihr erschient mir allerdings als gestandene Frau, die vermutlich direkt die Vordertür nimmt, notfalls am Hausdiener vorbei. Oder eben meinen Wagen okkupert.", provozierte er ein bisschen. Sie hatte das schüchteren Mädchen einfach nicht lange genug durchgehalten. Nur wohin stecken? Hafendirne? Fischweib? Letzteres wischte er wieder fort. Ihre Hände waren gerade nicht sauber, aber auch nicht rau von Salz und Schuppen. Köchin?
Während der Wagen in die Zielstraße einbog, fragte er noch: "Was macht Ihr in Gildorf? Geht Ihr einer Profession nach?" Vielleicht ergab sich ein Nutzen.
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Valjan Novka
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„Ein Duell? Dürfen sich in Toussaint Frauen duellieren? Ihre Ehre selbst verteidigen ohne sich irgendeinen Gockel suchen zu müssen? Der sich bereiterklärt für sie die Klingen zu kreuzen?“ Der Vicomte hatte ihre volle Aufmerksamkeit mit der Gewissheit, was auch immer er weitergab bei ihr hängen bleiben würde. Wie ist die Stellung der Frau dort? Sie hatten eine… Gräfin, oder? Aber sonst doch eher ganz viel männliches Rittergehabe. Und es gab Wein. Sonst hatte Valeska nicht wirklich eine Ahnung und ärgerte sich mal wieder darüber, dass sie nur sehr zufällig Bücher zur Verfügung gehabt hatte. Erst dieses Lesen lernen und dann nur das, was der Orden Jamal gelassen hatte. Sie würde nehmen was der hohe Herr geklärte und bis jetzt schien er mit Wissen nicht sehr geizig zu sein.

Als er behauptete, sie würde ebenso am Diener vorbei gehen, sah Novka empört unschuldig aus dem Fenster und gleichzeitig wissend, dass sie im Zweifel auch Türen eintrat. „Meine O-kku-pa-tion…“ Nein, in ihren Kreisen verwendete niemand solche Wörter und sie musste auch zugeben, dass ihr Wortschatz durch Sokolovs Nähe zugenommen hatte, obwohl der nicht einmal Muttersprachler war. „…schien Euch ja nicht ungelegen gekommen zu sein, Ser. Als eine Art willkommene Abwechselung. Den Brief habt ihr eh schon oft genug gelesen und wisst genau, was Ihr näher in Erfahrung bringen wollt.“ Nein, sie machte sich nichts vor, was er bemerkt hatte. Der Vicomte war aufmerksam was gefährlich war, aber sie gleichzeitig faszinierte und reizte mehr mit ihm zu plaudern. Eigentlich waren sie sich sehr ähnlich nur hatte dieser ganz andere Mittel zur Verfügung.

„In Gildorf?“ Was machte sie dort? Heimgehen, das PDA raus kramen, Slava eine Nachricht schreiben, Schura nach den richtigen Vokabeln fragen, überlegen, ob man irgendwie ein Foto von außen durch das kleine Giebelfenster machen könne. Aber wahrscheinlich nicht. Deshalb umziehen zur Wache, sich abmelden. Aufs Abendessen freuen. Und vorher? „Darauf hoffen, dass es weit genug weg ist, sodass der blöde Hund meine Fährte nicht wiederfindet und der Schmied das zerlumpte Mädchen nicht im schicken Gildorf vermutet.“ Sie grinste, zuckte mit den Schultern. Das war alles soweit richtig, allerdings nur ein winziger Teil der Wahrheit. „Jaaaa“, sie ging einer Profession nach. Die Antwort kam nach einem langen Abwägen. „Ich halte unsere Beziehung jedoch noch nicht für reif genug, um das nun weiter zu vertiefen.“
Aber ein Teil von ihr hatte das vor. Sie musste sich genauer über ihn informieren. Der redanische Adelskatalog sollte bei Jamal rumliegen und seine Abhandlung hätte sie ebenfalls noch, nicht wissend, dass es nicht viele Exemplare davon gibt. Da würde ein wenig über den Autor stehen und dann müsste sie einen Weg finden ihn mit Arbeit zu überschütten. Ganz offiziell, nicht den Hausdiener übergehend.
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Milan Thaess enn
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Nun hatte Milan schon so einige vorwitzige Burschen und auch Mädchen in seiner Stube oder der Kanzlei gehabt, aber diese hier verblüffte ihn dennoch. Weniger mit Schlagfertigkeit - diese besaßen auch andere - aber mit Wortgewandtheit und schneller Auffassungsgabe. Der Vicomte ließ ein leises, wohl dosiertes Lachen zu. Was für ein famoses Geschöpf der Zufall ihm da vor die Füße gespült hatte.
"Die Herzogin macht sich zuweilen selbst die Hände schmutzig, munkelt man. Aber das Herzogtum ist voll von Rittern, die ihre Sporne nur zu gerne für die Ehre von was auch immer wetzen und die Frauen betrachten es eher als eine Art Sport, Gründe zu erschaffen." Er hob leicht die Schultern. Die Macht der Frauen von Toussaint war nicht zu unterschätzen, aber sie manifestierte sich anders als die junge Frau vermutlich meinte. Kurz kam ihm seine Mutter in den Sinn und ihr kraftvolles Naturell. Niemand im Hause hatte sich ihr straflos widersetzt und dass ohne die geringste Notwendigkeit von Gewaltandrohung. Sein Blick schweifte kurz in die Ferne, dann zwang er sich selbst zurück ins Hier und Jetzt.
"Ich denke, diese Bekanntschaft ist es wert, erweitert zu werden." Die Kutsche hielt an und der Vicomte richtete Kopfbedeckung und Kleidung, obwohl beides bestens saß. Dann nahm er alle seine Unterlagen auf, just als die Tür aufschwang und Pychon seinem Herrn heraus half.
"Bring die junge Dame nach Gildorf und dann hol mich in einer Kerze wieder ab.", wies Milan den Kutscher an, bevor er sich noch einmal in die Kutsche beugte. "Es war mir eine Freude.", verabschiedete sich der Vicomte und ging dann davon, ohne wirklich auf eine Antwort zu warten. Die Tür wurde geschlossen.
Auf der Stelle, auf der er zuvor gesessen hatte, lag ein kleines Etui aus Zinn, gerade so groß wie ein Handteller.
Nicht besonders wertvoll, aber mit dem Wappen der Thysseniden von Kovir und Poviss.
Sollte die Besucherin es wagen, einen Blick hinein zu werfen, würde sie eine kleine Sammlung an Karten finden, auf die in der akkuraten Handschrift, die ihr bereits von der Abhandlung bekannt war, Zitate von Lebioda und anderen Philosophen notiert waren. Zuoberst war zu lesen: "Unsere Wahrhaftigkeit offenbart sich durch die Blicke und die Worte. Denn die Seele ist unsere Wahrheit, unsere Augen sind ihre Fenster und unsere Lippen ihre Boten."
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Valjan Novka
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Natürlich wagte es die Besucherin. Der Vicomte hatte das Etui mit voller Absicht dort liegen lassen, damit sie hinein sehe. Es war wie der Brotkrumen, den man beim Gehen fallen lässt, um das scheue Reh doch noch anzulocken. Nur um zu wissen, was es damit macht. Also tat sie ihm den Gefallen, sobald sich die Kutsche wieder in Bewegung setze. Sie nahm es und ließ sich dabei auf seinen Platz nieder. Ihre Finger strichen über das Wappen der Thysseniden. Kovir und Poviss. Das Königreich war ihr schon lange ein Begriff. Julia Abatemarco kam von dort. Behutsam klappte sie es auf, zog sorgfältig die Karten hervor, roch auch mal daran, so edel waren sie und überflog die Zitate. Lebioda. Geschichten über den Propheten kannte sie. Nachvollziehbar waren sie nicht immer, aber sie hatte wenig bis keine Bildung genossen und Philosophie war nicht die Literatur, die der Orden Jamal viel gelassen hatte.
War die oberste Karte Zufall? Oder wusste er genau, in welcher Reihenfolge er sie aufbewahrte? Möglich. Gut möglich. Der Mann war korrekt. Sie las alle und sortierte sie danach, welche Weisheiten ihr am Besten gefielen. Die oberste Karte stecke sie ein. Sie ging davon aus, dass es ihm auffallen würde. Eine Art toter Briefkasten. Wohin diese Beziehung führen sollte, wusste sie noch nicht, aber vielleicht hätte sie einen weiteren Verbündeten gefunden.

Als sie den Wagen verließ, lag das Etui auf ihren Platz und daneben das kleine Stück Kohle, das ihr Rock geklaut hatte. Beim Kutscher Pychon bedankte sie sich artig mit einem angedeuteden Knicks „Und sagt, Euren Herren meinen Dank für seine weisen Worte, Ser“, bevor sie in die nächste Seitenstraße außer Sichtweite verschwand. Als sie die Kutsche nicht mehr hörte, wagte sie sich wieder weiter, um eiligst Schura aufzusuchen. Sie durfte nicht noch mehr Zeit verlieren.
Zuletzt geändert von Valjan Novka am Donnerstag 24. April 2025, 15:34, insgesamt 1-mal geändert.
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Die beiden Gesellen und der Hund durchstöberten die Scherben doch einige Dochte lang, bis der Hund anfing, nach Ratten und anderem Getier zu jagen. Da war klar, dass sich die Spur im Dreck der Stadt verloren hatte. Mit leeren Händen kehrten sie in die Schmiede zurück, schlossen diesmal das Tor zum Hof und ließen den Hund in diesem laufen.
Sjevik saß inzwischen wieder auf einem Stuhl, den Hammer neben sich am Boden stehend. Der Goldschmied stand dabei und blickte grimmig unter buschigen Brauen hervor. Als die beiden erfolglosen Jäger zu ihnen traten, brummte Sjevik: "So ein Dreck, hätte schwören können, dass die Hundsfot ein verkleideter Bursche war."
Kurzes Schweigen. Feuer knackte.
"Hoffen wir mal, dass ihr Vater hier nicht mit einem ganzen Mob Mistgabel schwingender Freunde auftaucht, dreckige Menschenbrut.", grollte der Goldschmied.
Sjeviks Sorge war allerdings eine andere. Was hatte sie gesehen? Und was machte sie mit der Information. Mit etwas Glück hatte er sie genug erschreckt, dass sie zunächst vergaß, was im Lager stand. Aber irgendwann... Seine gelben Zähne mahlten aufeinander.
"Ardinn. Geh zur Sirene, bring ihr die Kette und sag ihr, jemand muss den Kram holen. Und zwar schnell.", wies er den alten Feinschmied an.
"Aber sie ist noch nicht fertig."
"Dann mach sie fertig. Heute Nacht. Alles andere muss warten."
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Sjevik saß noch eine kleine Weile auf seinem Stuhl und brütete vor sich hin. Das ganze schmeckte ihm nicht. Es stank. Etwas sagte ihm, dass er nicht die Zeit hatte, bis zur Nacht zu warten. Etwas würde passieren, das hatte er in den Eiern und seine Eier logen nie. Weitere fünf Minuten vergingen, dann stemmte er sich in die Höhe. "Ardinn, die Kette muss warten. Broggo, hohl den Wagen. Jago, die Schwerter in Bündel, die Fässer mit den Pfeilen schließen." Schon die Art, wie er Anweisungen machte, erzeugte beiden anderen dreien eine gewisse Geschäftigkeit. Der Geselle holte einen Karren, den ein Zwerg oder auch zwei an einer Querstange gut ziehen konnten. Von dessen ladefläche entfernte er eine Lage Bretter, die einen Zwischenboden kaschierten, auf den Sjevik die größeren Waffen wie Hellebarden und Äxte auflud. Dann wurde der Bretterboden wieder verlegt und die Fässer mit den Pfeilen darauf gelegt. Die Beschriftung sprach von Pech und Öl. Material für den Schmied eben und die Fässer rochen auch ganz wie man es erwarten würde nach Feuer, Eisen und kaputtem Öl. Aus dem Rest machten sie vier Teile - Schwerter, Lanzenspitzen, Helme, Platten, Arm- und Beinschützer. Letztere ließen sich gut ineinander schachteln und in Tücher wickeln. Vor allem die Platten waren sperrig und schwer zu verbergen.
"Ardinn, geh zur Sirene. Sag ihr, der Plan hat sich geändert. Sie soll Bescheid geben. Dieses Paket bringt ihr zu ihr und verbergt es gut." Der alte Goldschmied nickte grimmig und schulterte ein in Tuch und Leder geschnürtes Bündel, an dem er offenkundig schwer zu tragen hatte. Ohne weitere Worte machte er sich auf den Weg. "Broggo, das hier bring zu Hattori. Wenn dich jemand unterwegs behelligt, sag ihm, es sind Stücke, die vom Meister ausgebessert werden müssen." Broggo hatte Platten und ein paar Schwerte rauf eine Art Schubkarre geladen und sich zusätzlich ein Bündel umgehängt. Schweren Schrittes machte er sich auf den Weg ins Hafenviertel. "Jago, die Sachen versteckst du in Bennos Lager. Ist nicht mehr viel übrig, aber vielleicht schauen sie nicht nach. Das zeug ist zu groß, um es weit zu tragen. Wenn du fertig bist, geh mit dem letzten Bündel zu Elihal.", damit nahm er die Stange des Wagens, bereit diesen aus der Stadt zu bringen. Ihm blieb wenig Zeit und die Hoffnung, dass die Wachen kaum auf Wagen achteten, die Nowigrad verließen. in der Regel wurde nur angeschaut, was rein kommen sollte.
So begann der Wettlauf gegen die Zeit.
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