Die Türe war nicht ganz geschlossen und so hörte er den letzten Teil der Unterhaltung. Er ließ Cyron noch trinken, dann öffnete der Wachmann sie ganz für ihn.
Cyron war aufgebracht, verständlich, aber er würde sich der Wut des Mannes stellen, er konnte sein Handeln begründen.
"Danke, Doktor Kostjunari. Wartet noch einen Moment, aber wenn möglich draußen. Danke." Er sprach mit ruhiger Stimme, bewusst ruhig gehalten, nicht schnell.
Als der Arzt weg war setzte Slava sich auf den Stuhl, den dieser verwendet hatte.
"Entschuldigt, Meister Cyron. Ich kann es euch erklären... Wenn ihr wollt. Woran könnt ihr euch denn erinnern?"
"Ein Bote kam und erklärte...er...erklärte..." Gerade noch vor Wut kochend, kamen die Gedanken des Elfen ins straucheln.
Er atmete durch. "Ein Bote überbrachte die Nachricht, Aevne wollte mich vor ihrer Hinrichtung noch einmal sehen. Ich hatte doch gebeten, sie am Leben zu lassen."
Er verzog wütend das Gesicht und funkelte Slava an. "Nicht sie frei zu lassen. Am Leben. Für Gespräche." Er setzte an zu gestikulieren, überlegte es sich doch schnell. Keine gute Idee.
"So wird hier also mit meinem Wunsch nach mehr Zeit umgegangen?" Dass der Bote ihm mitgeteilt hatte, dass noch kein Befehl dazu vorlag, war bei ihm nicht im Ansatz angekommen.
"Ich darf brav dienen, aber sobald ich nicht in der Spur laufe, werde ich erschossen? Ist das die Botschaft?"
"Nein." ein einziges Wort als Antwort. Slava schüttelte langsam den Kopf. Ließ sich Zeit.
"Ich hatte noch gar keine Anweisung dazu gegeben. Weder zu einer Hinrichtung, noch was mit ihr geschehen sollte. Erinnert ihr euch sonst noch an etwas? Das ihr Jarel angreifen wolltet weil er euch daran erinnert hat, dass es keine gute Idee wäre, Nachts alleine in den Kerker einzudringen um mit dieser Elfe zu sprechen? Ihr habt sie verhört und es liegt kein Protokoll vor... Nach außen sieht das so aus, als wolltet ihr sie befreien. Das zumindest würden die Wachen denken, und wenn sie euch dabei erwischt hätten, wie ihr einen Ritter der Flammenrose angreift... deshalb habe ich nicht gezögert und geschossen. Ich weiß was ich mache und wohin ich zielen muss, damit ihr keinen bleibenden Schaden davontragt. Hätten die Wachsoldaten nur etwas davon mitbekommen... es wäre jetzt anders um euch bestellt."
Cyron brauchte etwas, um das zu verarbeiten.
Er musst umdenken. Er war hier nicht er Patriarch, nach dessen Pfeife alle tanzten. Er war der 'Anderling', der immer gefährdet war auf dem Scheiterhaufen zu landen.
Wie Aevne.
Er wollte das Gesicht in die Hände legen, aber auch das ging nicht.
"Ich war wütend. War bereit ihn wegzuschicken und dann...wurde es schon dunkel"
Er starrte irritiert auf seine Hände. Verunsichert.
"Es ging alles so schnell..."
Kein Wort über ihre Tränen. In exakt diesem Moment kam ihm erst die Idee, dass er eventuell einem Trick auf dem Leim gegangen war. Wie ein dummer, verliebter Schuljunge.
Er schloss stöhnend die Augen.
"Ich glaube, ich bin auf den ältesten Trick der Welt reingefallen."
"Oder auch auf einen sehr perfiden... Erinnert ihr euch daran, dass ihr mir erklärt habt, dass ihr nicht mehr wisst, ob es eure Gedanken sind oder ob diese Magierin sie euch eingibt? Erinnert ihr euch daran, wie ihr in meinem Verstand gelesen habt... die Kontroller in der Zone. Genau so sah es für mich aus. Diese Magierin hat euren Verstand beherrscht... deshalb habe ich euch die Handschellen anlegen lassen. Ich muss sicher gehen, dass ihr nicht mehr unter ihrem Einfluss steht." War er jetzt frei von ihrem Einfluss? Es sah so aus, denn diese Erkenntnis wäre ihm wohl noch vor einigen Stunden nicht gekommen.
"Und wie wollt ihr das machen? Sichergehen? Es fühlt sich nicht so an, als würde ich beeinflusst. Aber das fühlte sich vorher auch nicht so an." Er wollte sich die Schläfen reiben...aber...nein...
"Könnt ihr mir die Abnehmen? Ruhig mit Feuerwaffe im Anschlag. Ich würde die Wunde gern heilen. Das nervt..."
"...ich weiß nicht, wie ich sicher sein kann." Noch zögerte er. "Ihr seid mächtig... wenn sie euch kontrolliert... Sagt mir... gibt es theoretisch eine Möglichkeit einen Verstand zu manipulieren ohne eine Verbindung zu diesem zu haben?" Er suchte fieberhaft nach Metaphern, ihm fielen aber nur Dinge wie 'WLAN' und ähnliches ein. "Angenommen, es ginge um einen völlig Fremden und ich fragte euch um Rat... Dieser sitzt in dieser Zelle, die Magie abschirmt und träg Handschellen die Magie blockieren... Gibt es theoretisch eine Möglichkeit, dessen Verstand zu beeinflussen, indem irgendetwas magisch... eingepflanzt wird?"
Cyron zog die hohe Stirn kraus.
"Ja.", antwortete er ehrlich. "Es muss allerdings vor der Magieblockade gepflanzt worden sein. Man kann eine Beeinflussung verankern und mittels eines Bildes, einer Tonfolge oder eines anderen Auslösers Aktivieren. Aufwändiger, extrem starker Zauber. Ich kenne sogar einen Fall, in dem der Zauber darauf programmiert war, den Wirt zu wechseln. Aber...in eintausendsechshundert Jahren ist das meines Wissens nach ein einziges Mal einem Hexenmeister gelungen. So etwas passiert nicht im vorbeigehen. Oder innerhalb eines Gesprächs. Das erfordert eine von langer Hand vorbereitetes Ritual...und eine unglaubliche Menge Energie. Der Zauber muss für Jahre im Voraus 'gefüttert' werden. Zumindest meines Verständnis nach."
Cyron seufzte. "Ich glaube nicht, dass sich so etwas in mir befindet." Nicht in dieser Welt, nicht in diesem Körper zumindest.
Wenigstens dieses Problem war er beim Weltenwechsel los geworden.
Slava nickte. Er hoffte inständig, dass er seiner Menschenkenntnis vertrauen konnte. Seiner Elfenkenntnis. Was auch immer. Er glaubte diesen Mann zu kennen und er wollte ihm vertrauen. Den Schlüssel zu den Handschellen hatte er sich geben lassen. Nun öffnete er sie tatsächlich.
"Entschuldigt den Schuss. Aber ich musste euch stoppen. Die offizielle Version wird bleiben, dass sie euch unter ihrer Kontrolle hatte... aber bitte erklärt mir, was geschehen ist... Hatte sie? Oder warum gab es kein Protokoll? Warum wolltet ihr zu ihr? Alleine? Und wer war der Bote, der euch holte?"
Cyron massierte seine Handgelenke. "In Ordnung, wenn ich mich um die Wunde kümmere?", fragte er und musterte Slava skeptisch. Würde er wieder schießen?
Slava nickte. Nein, schießen würde er nicht. Aber die Tokarev hielt er trotzdem bereit.
In Zeitlupe hob Cyron die Hand und legte sie auf die Verwundete Schulter. Der Elf atmete mehrfach tief durch, schloss die Augen. Zwei Liedschläge später erleuchtete ein sanfter grüner Schein den Raum, bleib einige Sekunden pulsierend in der Luft stehen und verlöschte dann wieder.
Der Elf streckte den Nacken und drehte die Schulter im Gelenk. "Die Muskulatur ist noch gereizt. Und ich glaub...da sind Fäden im Fleisch. Aber darum kümmere ich mich später."
Er nahm sich den Becher und trank, dabei immer einen Blick auf die Tokarev gerichtet.
Erst danach begann er zu erklären.
"Es gibt keinen Bericht, weil es Tage dauern würde, dass alles aufzuschreiben. Die Unterhaltung fand nicht durch Worte statt. Sie hat mich in ihre Erinnerungen geholt, mir den Fall ihres Volkes gezeigt. Den Kampf, das sterben und morden. Ich konnte es nicht aufschreiben. Es war zu viel.. und sehr intim..."
"Wenn es gewünscht ist, werde ich es noch einmal versuchen. Es wird Zeit brauchen. Innen und außen vergeht die Zeit unterschiedlich."
Slava nickte. "Ich brauche ein Protokoll. Den Rest biege ich gerade. Nur keine Alleingänge mehr. Ich bedauere was geschieht... aber ich kann die Menschen nicht ändern, nicht so schnell. Und wenn ihr eure Position behalten wollt... Bitte... tut was ich sage." In dem 'bitte' lag viel, die Erkenntnis, dass es ihn einiges kosten konnte, wenn er einem Grosskomtur auf die Füße trat oder eine Gräfin beschloss, Elfen in seiner Ahnenreihe zu sehen, so absurd das auch war. Er würde das nicht alles erklären... nur: "Ich lehne mich selbst schon weit aus dem Fenster, sorgt nicht dafür, dass wir am Ende beide fallen."
"Es gäbe etwas effektiveres als einen Bericht. Ich wage nur zu bezweifeln, dass ihr mir so weit vertraut. Und dass ich das heute fertigbringen würde.", murmelte er und nahm noch einen Schuck aus dem Becher.
"Wie sieht es mit der Elfe nun aus? Bleibt sie am Leben?"
Er wählte die Bezeichnung 'die Elfe' ganz bewusst um zu suggerieren, dass er nicht unter dem Einfluss Aevnes stand.
Vielleicht funktionierte es. Slava nahm sich wenigstens vor, seine Anordnung zu widerrufen, sie standrechtlich zu exekutieren.
"Nein, besser nicht." Nicht unbedingt, weil er ihm nicht vertraute, vielmehr wollte er verhindern, dass der Elf sah, was in hm gerade los war. "Ich sehe was ich tun kann. Versprechen kann ich nichts. Sie war bei den Terroristen und die haben Menschen getötet. Diese Welt... die Gesellschaft... man ist nicht darauf ausgelegt, Verurteilte lange im Gefängnis zu halten. Meist wird zwischen Tod und Freilassung entschieden und ein breites Spektrum an Verstümmelungen liegt dazwischen. Aber ich werde selbst mit ihr reden, so lange bleibt sie in Gewahrsam... und heute habe ich keine Zeit, sie zu befragen und morgen auch nicht."
"Und ich?", fragte Cyron und drehte den Becher zwischen den Händen. "Bin ich festgesetzt?"
War er das? Slava spielte durch, was er aussagen würde. "Bleibt ein paar Tage, dann lasse ich euch raus."
Cyron wand mit missmutiger Miene den Blick ab.
Was für eine Demütigung.
Vom geistigen Führer eines Ordens zum Häftling.
"Verstehe.", antwortete er zähneknirschend.
Er sah nicht auf. Er versuchte auch seine Wut nicht zu zeigen.
Ob diese Entscheidung Slavas klügste gewesen war, würde einzig die Zukunft zeigen.
"Wer war der Bote?" Wollte er noch wissen.
Er beschrieb den Boten kurz angebunden. Der Name wollte ihm partout nicht einfallen. Dafür war die Beschreibung recht präzise.
Slava nickte, müde, es fiel ihm selbst schwer, all die Fäden in der Hand zu behalten. "Ich sorge dafür, dass ihr alles bekommt, was ihr braucht. Ein Wachmann wird da sein."
Cyron hob den Blick eine Spur, sah ihn kalt an. "Ihr sperrt mich also tatsächlich ein..."
"Nicht lange... nur lange genug um später begründen zu können, dass ihr wieder vertrauenswürdig seid."
Er wusste selbst nicht ob es funktionieren würde, ob man ihm die Geschichte abnahm. Ein Elfe würde immer in Verdacht stehen, andere Elfen befreien zu wollen. Es war dünnes Eis, auch für ihn.
Cyron prostete ihm mit dem Becher zu. "Was hält euch dann noch hier?"
Der Elf war wirklich...sehr...verstimmt. Und sein Blick kalt wie Eis. Wenn man bedachte, dass er sonst immer lächelte ein wirklich gravierender Unterschied.
Was hielt ihn... gute Frage. Nur kurz zuckte ein Mundwinkel. "Wir sprechen Morgen noch einmal."
Cyron wartete stumm ab. Er hatte nichts mehr zu sagen.
Das geschah also, wenn er nicht in der Spur lief, die ihm vorgegeben war.
Nun denn. Er hatte es begriffen.
Slava war müde aber bemüht um Geduld. Er wünschte, Cyron würde besser begreifen wie diese Welt funktionierte. Auch er sagte jedoch nichts mehr, ging einfach.
Er gab noch Anweisungen, das Urteil auszusetzen und Meister Cyron gut zu behandeln, er wäre kein Gefangener sondern nur in Schutzhaft, aber es gelang ihm auch nicht, den Unterschied genau zu erklären.
Er entließ auch noch den Arzt, dann kehrte er zu seiner Wohnung zurück. Es war spät geworden, er rechnete weder damit, dass Jarel auf ihn wartete noch damit, ihn so schnell wieder zu sehen. An diesem Tag hatte er vieles verspielt, da war es auch schon egal, wenn er wenigstens die Schmerzen bekämpfte.
Als er eintrat hatte er eine frische Dose Fisstech bei sich.
<geht dann hier weiter>