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Re: Das Haus der Melitele
Verfasst: Donnerstag 1. September 2022, 20:52
von Jarel Moore
Iolas Verlegenheit verebbte eine Spur. Ihn in den Tempel begleiten. Das Mädchen strahlte gleich wieder und nickte heftig. Sie deutete auf den Korb und aufs das Gebäude, ging mit federleichten Schritten in Richtung der Schwester, gestikulierte einige Sekunden lang und verschwand im Gebäude, um den Korb zurückzubringen.
Sie kam zurück mit einem Umhang über dem Arm und ging zu Jakob. Kurz streifen ihre Finger Jakobs Hand, bevor sie Richtung Tor ging.
Die Schwester pfiff die Kinder zusammen und scheuchte sie ins Gebäude.
Dem Ausflug stand nichts mehr im Wege.
Iola war aufgeregt. In ihrer Brust flatterte es heftig. Ob sie ihn nochmal rum bekam? Er war so suß…
Jarel war noch immer unterwegs, doch sein Schritt wurde unsicherer. Nicht mehr lange und er war „angekommen“.
Re: Das Haus der Melitele
Verfasst: Freitag 2. September 2022, 17:09
von Jakob von Nagall
Iola schien sofort aufzuleuchten und Jakob zog innerlich den Kopf ein. Jarel hatte viel besser erkannt, was er die ganze Zeit nicht wahrgenommen hatte: sie war verknallt. Über beide Ohren. In ihn. Und er? Sicherlich fand er sie anziehend, wenn er sich auf den Gedanken einließ und vor allem wenn er die lückenhaften Bilder der letzten Nacht beschwor, aber über das körperliche hinaus fand er nichts in sich. Sein Herz gehörte einer anderen, die er allerdings weder erreichen konnte noch durfte - Iola als Ersatz zu benutzen war fürchterlich falsch.
Tu ihr nicht weh.
Er begann zu begreifen und verzweifelte zugleich daran. Wie sollte er das lösen? Doch bevor er weiter daran herum grübeln konnte, war Iola wieder bei ihm. Ihre Hand streifte wie beiläufig die seine, als sie sich dem Tor zuwandte und Jakob schickte ein stummes Stoßgebet aus.
Gib mir Kraft.
Er folgte ihr hinaus auf die Straße und schlug irgendeine Richtung ein, die allerdings nicht direkt zum Tempel wies. Und ohnehin ging er nicht weit, blieb im Schatten der Klostermauer schon wieder stehen, um sie anzusehen. Aus einem Impuls heraus nahm er vorsichtig ihre Hand, die so klein in der Seinen war, senkte kurz den Blick darauf und dann wieder in ihr Gesicht.
"Hab ich... also dir. War ich grob zu dir? Oder hab dich irgendwie bedrängt?" Er kam sich so unbeholfen vor, aber er hatte auch keine Ahnung, wie er sich anders ausdrücken sollte. Wie konnte er sich nicht entschuldigen für das, was ihm vor Augen stand, wenn er an die letzte Nacht dachte? Wer weiß gaukelte ihm seine Erinnerung nur vor, dass sie sich ihm willig ergeben hatte, so wie er es sich für derlei Übergriffe ausmalte. Andererseits: wäre sie ihm dann so bereitwillig hinaus auf die Straße gefolgt, fort von den Argusaugen ihrer Schwestern?
Also war sie wohl schon freiwillig in sein Bett gekommen... jetzt musste er es irgendwie schaffen, ihr keine falschen Hoffnungen zu machen und sie gleichzeitig nicht zu kränken. Tolle Wurst. Ihre Hand in der Seinen war schon mal der völlig falsche Anfang.
Aber da waren ihre Finger in seinen, ihre Haut... ein Teil von ihm wusste genau wie sie sich anfühlte, dort wo sie nicht rau von Arbeit und Sonne war. Wo es empfindsam wurde... Ihre Augen hingen an seinen - er musste loslassen! Jetzt! Ihre Hand und ihren Blick, doch beides misslang hoffnungslos (2/100). Ganz wie von selbst hob er ihre Finger an sein Gesicht, atmete den Duft, den er inzwischen kannte: Iolas Haut und die Kräuterseife daran, süß und herb. Tief inhalierte er ihn, ließ Iola nicht aus den Augen.
"Ich kann dir nichts bieten, Iola. Ich darf keine Frauen haben." Als ob sie das nicht wüsste. Als ob es ihn gestern Nacht noch gekümmert hätte. Dennoch kroch ihm das schlechte Gewissen schleimig den Nacken hinunter - hatte er nicht eben noch mit Jarel darum gestritten, was tugendhaft war? Was rein? Iolas Liebe mochte rein sein, aber sein Verlangen war es nicht, dessen war er sich völlig sicher und trotzdem konnte er sich der Wirkung nicht entziehen.
Sie warf einen hektischen Blick nach links, nach rechts,in seine Augen.
Ihr Zeigefinger huschte auf seine Lippen, während sie ihn ein Stück in die Ecke der Mauer schob, wo sie wirklich niemand sah.
Iola durfte Männer haben, das war nicht das Problem. Jakob wurde Schwierigkeiten bekommen, wenn man ihn in flagranti erwischte.
Ob er grob gewesen war.
Ihr Lächeln wurde noch beine Spur weicher.
Sie deutete auf ihn, schüttelte die Faust, deutete auf sich, schüttelte verneinend den Kopf.
'Du grob zu mir? Nein.'
Dann deutete sie auf sich, schüttelte die Faust und deutete auf ihn.
Dann hob sie die rechte und hielt Daumen und Zeigefinger etwas auseinander.
'Ich grob zu dir? Ein Bisschen.'
Sie legte die Finger vor den Mund, wie um ein Kichern zu unterdrücken und zwinkerte ihn zu.
Sie Strich zart mit den Fingern über seine Wange.
Wie sollte sie ihn sagen, dass sie ihn nicht heiraten wollen, sondern nur Spaß haben, so lange es währte?
Vielleicht mit einer Tat.
Flink stellte sie sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn auf den Mundwinkel.
Jarels Schritt wurde unsicher.
Er war angekommen.
Nicht WO er hin wollte, aber an den Punkt, den er angestrebt hatte.
Die Erschöpfung holte ihn ein.
Gut. Keine Energie mehr zu denken, keine mehr zu bedauern, keine Energie zu sehnen.
Nur nach Müdigkeit.
So war es richtig und recht.
Der Ritter taumelte und hielt sich an einem Baum fest, warf einen Blick nach oben. Nein, dass wurde er nicht schaffen. Ruckartig sank er auf die Knie.
Eines noch.
Niemand war in der Nähe ihn zu hören.
Und so hörte sich niemand, wie er seine Stimme hob und sang.
Sie zog Jakob beiseite, in eine Nische, die fast schon zu verfänglich war. Er trug einfacher Kleider, kein Hinweis auf seine Stellung oder den Orden, aber sicherlich hatte sie Recht. Jarel und er würden irgendwann auch ihr Ordenshaus besuchen - besser niemand sah ihn hier. So.
Dann lenkten ihre Bewegungen ihn ab und erst wusste er es nicht recht zu deuten, dann aber hellte sich seine Miene auf. Sie war also grob zu ihm gewesen, nicht andersrum? Der Gedanke hätte ihn fast schmunzeln lassen, da stellte Iola sich auf die Zehenspitzen und hauchte ihm einen Kuss auf ... den Mundwinkel. Ganz verdattert stand er, ihre Hand in seiner. Er brauchte nur den Kopf etwas drehen... Eine Winzigkeit.
Es kostete ihn alle Selbstbeherrschung, es nicht zu tun (55/100). Nicht einfach nachzugeben und der Intuition zu folgen, dem herrlich perlenden Bauchgefühl, das sich in seinem Unterleib sammelte. Statt dessen drückte er seine Lippen auf ihre Finger.
"Ach Iola..." Tonlos. Bedauern trübte seinen Blick, dann zog er sie wieder auf den Weg, ließ sogleich ihre Hand los.
"Mein Gott ist eifersüchtiger als deine Göttin.", murmelte er, wobei er nicht mal wirklich das Ewige Feuer meinte.
Sie sah ihn fragend an, legte die Hände aneinander sah hoch, blinzelte hielt sich die Augen zu sah ihn wieder fragend an.
Jakob ließ sich auf ihre Art der Kommunikation ein, verfiel selbst in Gesten statt Worte. Legte die Hände auf sein Herz, tippte sich dann an die Stirn und hob in hilfloser Geste die Hände.
Iola schmunzelte, nickte und ließ Zeige-und Mittelfinger in der Luft "laufen", deutete den Weg hinunter, schaute fragend.
Jakob nickte, schlug nun doch den Weg zum Heiligtum seines Ordens ein.
Wo das Heiligtum der Melitele mit Garten und Licht aufwartete, wirkte der Tempel des Ewigen Feuers trutzig und steinern. Nur der Vorhof bot einige Wandelgänge um einen Brunnen und ein paar Rosenbüsche. Jakob bat Iola hier auf ihn zu warten.
Diese schaute ihm etwas unwohl nach, ließ ihn aber laufen und drücke sich dann am Brunnen herum.
Abstecher
Re: Das Haus der Melitele
Verfasst: Dienstag 6. September 2022, 08:47
von ERZÄHLER
Von hier
Wie sie genau unbemerkt zurückgekehrt waren verschwand in einem pheromongeschwängerten Nebel und der Dunkelheit der Nacht.
Es war spät und doch war es im Tempel nicht gänzlich still, doch Iola verstand es ohne aufzufallen an ihr Ziel zu kommen: Sein Zimmer.
Kaum war sie Tür verschlossen schmiegte sie sich wieder an ihn, ganz im Kuss versunken, auch wenn sie seit der letzten Nacht wusste, dass es da viel mehr gab als
nur das.
Sie war zwar neugierig und voller Begierde, doch heute wollte sie ihn das Tempo bestimmen lassen und nach seinen Worten auch die Möglichkeit Nein zu sagen.
Auch ab ihr zart an ihn geschmiegter Körper ihn das verdammt schwer machen würde.
Es war ein Spiel mit dem Feuer, ein Tanz umeinander, während sie auf schmalen Pfaden zurück zum Melitele-Tempel gingen. Auf Küsse folgten Berührungen, auf Berührungen Küsse. Manchmal unschuldig, ab und an wagte er mehr, lockte ihn die unter dem weiten Kittel nur zu erahnenden Hügel, die er wie beiläufig streifte. Sie hatte ihn längst an der Leine.
Dass sie ihm in sein Zimmer folgte, ließ ihn zögern. Eine Dummheit im Rausch war die eine Sache, die gleiche Dummheit im Besitz - fast - aller geistigen Kräfte eine andere. Wie so oft wollte sich ihm sein Kopf in die Quere stellen. Er hatte Keuschheit geschworen, andererseits hatte er die eine Verfehlung nicht einmal
erlebt. Nicht bewusst jedenfalls.
Sie ließ sich Zeit, ließ ihn aber auch nicht laufen. Sacht löste sie den Kuss, strich mit den Fingerspitzen über seine Schläfe vor seinem Ohr vorbei, den Kiefer hinunter und fuhr verspielt die Kontur seiner Lippen nach.
Er zögerte. Vielleicht wollte er sie doch nicht. Hatte er sich doch dagegen entschieden. Einen Moment spielte sie mit der Idee, die gerade entdeckte winzige Macht gegen ihn auszuspielen.
Aber nein. Wenn er sich damit nicht wohl fühlte...
Sie nahm seine Hände in ihre, rückte ein Stück von ihm weg und sah ihn fragend und mit einer Spur Sorge im Blick an.
Er deutete den kleinen Abstand, auf den sie mit einem Mal ging, ala Spiegel seiner eigenen Unsicherheit und zugleich ließ es ihm Raum, die Reste seines Verstandes zusammen zu kratzen. Iola hielt seine Hände in ihren, sah ihm Halbdunkel zu ihm auf. Wie gerne hätte er jetzt ihre Haube gelöst, das weiche Haar zwischen seinen Fingern hindurch gleiten lassen. Stattdessen geriet als sein Tun mal wieder uns Stocken, weil er sich selbst in Frage stellte.
"Iola..." Ein sehnsuchtsvolles Flüstern, ein Unterton aus dem sie die Begierde wohl heraus hören konnte. Er sollte ihr nicht weh tun... Jarel hatte gut reden. Jakob hauchte einen Kuss auf ihre Finger.
"Du schweigst, um der Stimme deiner Göttin Gefäß und Ohr zu sein. Und ich habe den weltlichen Dingen entsagt, um mich ganz dem Göttlichen zuzuwenden. Würdest du, nur um der Versuchung einer Nacht Willen, dein Gelübde brechen?" Unendlich sanft und leise war seine Stimme, seine Worte kühner als er sich fühlte. Ihre Hände loszulassen allerdings, war zu viel verlangt. Ein großer Teil von ihm wünschte sich in diesem Moment nichts sehnlicher, als dass sie einfach Mann und Frau sein könnten und wenn es nur für eine Nacht wäre. Er sie berühren und sie ihm Worte der Zuneigung zuflüstern dürfte, die seine Zweifel zerstreuen konnten.
Er wollte sie nicht. Wollte sein Gelübde nicht brechen.
Hatte sie ihm am Tag zuvor etwas angetan, was er nicht gewollt hatte? Sie wurde rot – dunkelrot – und senkte ruckartig den Blick.
Hektisch schüttelte sie den Kopf. Obwohl sie nicht sicher war. Zumindest nicht vollständig.
Würde sie ihrem Gelübde entsagen? Sie horchte in sich.
Für ein Beziehung…vielleicht. Doch diese Geschichte würde nicht in einer Beziehung enden. Sie war vielleicht eine Spur naiv, aber nicht völlig verblödet.
Iola atmete durch. Und nein, auch wenn er ihr das Blaue vom Himmel versprach, sie würde ihr Gelübde nicht brechen. Wie konnte sie dann erwarten, dass er es tat?
Ohne den Blick zu heben, stürzte sie sich in eine Umarmung, klammerte sich an ihn, ihr wild pochendes Herz an seiner Brust, ihre Wange an seiner Schulter. Ihr Beben übertrug sich auf ihn.
Was war das? Erregung? Oder weinte sie etwa?
Eine gefühlte Ewigkeit später machte sie sich los, drückte sich etwas weg, legte die Handflächen vor der Brust zusammen und verbeugte sich, das Gesicht noch nass, aber keine weiteren Tränen auf der Wange.
Sie blieb lange in der Verbeugung, den Kopf gesenkt. Deutlicher entschuldigen konnte sie sich nicht.
Dann streckte sie ich wieder, rang sich ein Lächeln ab, wollte einen letzten flüchtigen Kuss von Jakobs Lippen haschen und dann weglaufen.
Er hatte es glorreich vermasselt - natürlich. Iolas Miene sprach Bände und dann flog sie auch schon in seine Arme, klammerte sich bebend an ihn. Er umfing sie, hielt sie einfach fest, wenn er sich auch hilflos fühlte. Mit einer weinenden Frau konnte er noch weniger umgehen als mit der Begierde zuvor. Sofort fühlte er sich schuldig. Wieso hatte er es auch so weit kommen lassen? Hatte dem Instinkt nachgegeben, vor dem ihn Demitrios schon immer gewarnt hatte - die zarte Berührung des schönen Geshlechts und was sie mit dem schwachen Fleisch des Mannes tat.
Sie war so klein und zierlich in seinen Armen... Und so warm. So weich. Er wollte zerbrechen, zerfließen, in sie sickern und sich auflösen. Es wäre ohnehin egal - Jarel würde ihn für diese Tränen einen Kopf kurzer machen.
Dann löste sie sich, trat zurück und neigte den Kopf so tief, dass er dieses Mal kaum missverstehen konnte. Eilig griff er wieder nach ihr, hielt ihr Gesicht ganz federleicht in seinen Händen, wischte die Nässe mit den Daumen fort.
"Nicht Violetta, nicht entschuldigen. Wenn einer um Verzeihung bitten muss, dann ich. Ich bin zu weit gegangen.", aus einem Impuls heraus verwendete er ihren ganzen Namen, wie Jarel ihn verwendet hatte.
"Ich bin dankbar, dass die Götter unsere Wege gekreuzt haben. Du tust mir gut. Ich genieße deine Gesellschaft und... das hier.", versuchte er sich irgendwie zu erklären und erkannte den Kern hinter dem, was er eigentlich sagte erst selbst, während er es sagte.
"Ich bin gern mit dir zusammen, nur das Eine kann ich dir nicht noch einmal geben. Ich hab es dir geschenkt, wie du mir deines und ich werde es ehren." Wieder nahm er ihre Hände in seine und sah sie unsicher an.
"Kannst du das verstehen?" Er hoffte es inbrünstig und dass sie sich nun nicht von ihm abwenden, ihn meiden würde.
Sie atmete tief durch. Sehr höflich von ihm, die Schuld auf sie zu nehmen.
Vielleicht meinte er es sogar so.
Aber wer weiß, vielleicht konnten sie sich ja trotzdem sehen. Vielleicht konnte sie ihm noch einen Kuss stehlen. Vielleicht. Sie seufzte.
Erst jetzt fiel ihr auf, dass sie eine Pflicht vernachlässigt hatte. Die Pflicht, auf die Jarel sie besonders hingewiesen hatte.
Sie lächelte, entzog ihm sanft die Hände, schaute fragend, hob die rechte Hand und machte eine schaufelnde Bewegung in Richtung ihres leicht geöffneten Mundes, rieb sich dann den Bauch und schaute fragend.
Re: Das Haus der Melitele
Verfasst: Samstag 10. September 2022, 11:26
von Jakob von Nagall
Er ging Iola zuliebe mit in die Küche, obwohl ihm eigentlich nicht nach essen zumute war. Brea gab ihnen von dem Eintopf, den sie zum Abendessen gekocht hatte und sie aßen schweigend am großen Tisch nahe des Herds. Der Knappe konnte sich nicht gegen das Gefühl wehren, ein Kanne Kaffee mit viel zu viel Zucker auf ex getrunken und dann den Adrenalinspiegel auf effektive Art zusätzlich in die Höhe getrieben zu haben. Er war kribbelig, aufgedreht bis an den Rand des erträglichen und wenn eines sicher war, dann dass er diese Nacht kein Auge mehr zutun würde.
Den Teller Eintopf aß er nur deshalb leer, weil er in der kurzen Zeit seines Hierseins gelernt hatte, wie ungehalten Brea darauf reagierte, wenn sie etwas wegwerfen musste. In der Küche der Schwester fand alles eine Verwendung - sehr zum Verdruss der örtlichen Schweine. Also löffelte er Graupen und Karotten, Erbsen und Speckwürfel in einen Magen, der alles durcheinander wirbelte und ihn mit einem flauen Gefühl strafte.
Später zog Iola sich zurück und hinterließ einen Jakob, der sich schlecht damit fühlte, sie von der Bettkante geschubst zu haben. Er hatte sie vor den Kopf gestoßen, sicher gekränkt und noch sicherer verletzt. Wieso hatte er auch nicht früher die Handbremse gezogen, sondern sich verführen lassen? Sein schwaches Fleisch hatte den Geist unterworfen, obwohl es andersherum sein sollte. Sein musste! In früheren Zeiten hätte er nun zu Geißel oder zum Bußgürtel gegriffen, wie Demitrios es ihm eingeimpft hatte, aber nichts davon war zur Verfügung. Außerdem waren Jarels Lehren andere, auch wenn sie noch nie offen über derlei Selbstkasteiung gesprochen hatten - die Narben auf Jakobs Körper erzählten ihre eigene Geschichte.
Der Knappe strich also rast- und ruhelos durch die dunklen Korridore und Säulengänge, hing seinen Gedanken nach und endete schließlich vor der Statue der dreifaltigen Göttin. Da an Schlaf nicht zu denken war und es auch sonst wenig gab, was er hätte tun können, kniete er sich vor den Aspekt der Mutter, setzte sich auf die Fersen und versenkte sich für die nächsten Stunden in Gebet und Meditation, den Durchblutungsstau in seinen Beinen dabei einfach hinnehmend als Ersatz für andere Mittel.
Re: Das Haus der Melitele
Verfasst: Samstag 10. September 2022, 12:28
von Jarel Moore
TOCK!
Etwas streifte Jarels Schulter, kullerte über das Schulterdach, fiel in sein Gesicht, rollte über seinen Bart und purzelte ins trockene Laub unter ihm.
„Hrmpf?“ Der Ritter wollte nicht erwachen. Der Tag war längst angebrochen, die Sonne aufgegangen und im Wald herrschte nervtötender Krach. Vogel brüllten sich ihre Meinung zu, Nager pfiffen, die Blätter lärmten in den Wipfeln. Etwas schimpfte ihm schrill meckernd ins Ohr.
Verdammt!
TOCK!
Etwas traf seine Schläfe und verfing sich in seinem Haar.
Der Ritter zog die Arme enger an die Schultern. Er hatte die Nacht auf der Seite liegend verbracht, mit angezogen Knien und um den Oberkörper geschlungenen Armen. Der Tag war warm gewesen, doch die Nacht empfindlich kalt. Beim Einschlafen war es ihm egal gewesen, doch jetzt wäre ihm ein wärmendes Feuer gerade recht. Oder ein Bad. Ja, ein Bad!
TOCK!
Etwas streifte seine Seite.
„Was zum…?!“ Stöhnend und gähnend richtete er sich auf. Fast wäre er beim Gedanken an das Bad wieder eingeschlafen.
TOCK!
Etwas landete direkt auf seinem Scheitel.
Steif und wie in Zeitlupe legte der Ritter den Kopf in den Nacken und schielte hoch in den Baum, dessen Wurzeln ihm in dieser Nacht das Bett ersetzen.
Und blickte direkt in zwei schwarze Knopfaugen über einem winzigen, rot befelltem Schnäuzchen darunter und Puschel besetzen spitzen Ohren darüber.
„Na, immerhin kein Elfhörnchen…“, murrte er und kassierte die nächste Nuss, während er sich über die eigene heisere Stimme wunderte. Hatte er in der Nacht zuvor geschrien? Oder gehustet?.
„Ist ja schon gut, ich geh ja schon.“
Während er sich erhob und am Baum hochzog, verschwand das Eichhörnchen meckernd und keifend weiter nach oben. Die nächste Nuss traf nicht.
„Ha! Daneben!“
Es dauerte einige Minuten, bis Jarel seine Knochen soweit ordnen konnte, dass er den Stamm losließ.
„Ich bitte gnädigst die Störung zu verzeihen, wertes Fräulein Eichhörnchen.“, flachste er, lüftete den imaginären Hut, sparte sich aber die Verbeugung. Dafür reichte die Beweglichkeit noch nicht.
Endlich richtig wach horchte er in sich hinein.
Ja. Es herrschte Ruhe. Erstaunlich Tiefe Ruhe. Jarel zog die Stirn kraus. Da war…nichts mehr.
Die Sehnsucht, die Trauer, die Angst…verschwunden.
Damit war nicht zu rechnen gewesen. Sich bis zum Umfallen zu verausgaben reichte immer dafür sein Mütchen zu kühlen, aber was auch immer heute Nacht geschehen war, jegliches Feuer in ihm war erloschen. Wie praktisch.
Weiter darüber nachdenken war müßig. Es wurde Zeit für die Rückkehr, hatte er noch eine Verabredung mit einigen Stunden Übelkeit und Halbschlaf, im Bett sitzend. Es wurde Zeit für sein Medikament. Wie so oft in dieser Situation spielte er mit dem Gedanken, den Wolf nach vorne zu lassen und sich durch seine Selbstheilungskraft die Tortur zu ersparen.
Üblicherweise war es seine Vernunft, die diese Idee in die Schranken verwies.
Heute war es anders. Heute war von der Bestie schlicht nichts zu spüren. Ob er fort war?
Erst steif und unsicher, später mit festerem Schritt brachte Jarel den Rückweg hinter sich.
Kurz vor dem Mittagsleuten tauchte er am Haupttor des Tempels auf.
An dem Tor, an dem Jakob ihn vor einer Ewigkeit auf einer Trage her geschleift hatte.
Vollkommen schmutzig und zerzaust klopfte der Ritter an die schweren Türen.
Kaum ein gelassen lief – nein wehte – etwas auf ihn zu. Iola, und sie schien über alle Massen aufgebracht und stürzte sich ihm in die Arme.
In einer anderen Situation hätte er sich augenblicklich gesorgt, doch heute spulte er stattdessen angewöhnte Verhaltensweisen ab. Er nahm sie in die Arme, drückte sie vorsichtig an sich und streichelte ihr über den Rücken, wartete, bis sie die Umarmung löste um sie anzusehen.
„Was ist passiert?“, fragte er heiser.
Iola begann mit Händen und Füßen zu erzählen, stockte irgendwann, änderte ihre Körpersprache, deutete in der nächsten Zeichenfolge immer wieder auf Jarel.
„Mir geht’s gut. Bin nur beim Spazieren gehen eingeschlafen.“ Sie legte den Kopf schräg, glaubte ihm offensichtlich nicht.
„Ich brauch nur ein Bad und meine Medikamente. Dann bin ich wieder der alte.“ Sie glaubte ihm immer noch nicht und das Lächeln des Ritters, dass seine Augen nicht erreichte, beunruhigte sie noch mehr.
Das Mädchen starrte ihn noch etwas mit halb offenem Mund an, dann wand sie sich um und lief Richtung Gebäude.
Wenig später klopfte es heftig an Arvijds Behandlungszimmer.
Die Art, wie sich Ritter und Tempelschwester verständigten war im Laufe der Jahre wirklich effektiv geworden.
Iola machte sich Sorgen um Jakob. Sie war verängstigt, er könne Dummheiten machen und sich selber Leid zufügen. Genauer darauf eingehen wollte sie nicht. Musste sie auch nicht.
Der Ritter kannte die selbstzerstörerische Art des Jungen. Hätte sie durchaus nachfühlen können.
An einem anderen Tag.
Trotzdem trieb es ihn an, nach Jakob zu suchen. Er war ein pflichtbewusster Junge. Sicherlich war er wie ihm gewiesen wurde bei den Kindern.
An einem anderen Tag hätte Jarel sich erst umgezogen und gewaschen. Doch heute war es ihm egal, dass man ihn so sah. In der Kleidung vom Vortag, schmutzig, abgerissen und mit einer Eichel in den Haaren, die einem Krähennest erstaunlich ähnelten.
Gemessenen Schrittes durchsuchte er sie Gärten, bis er Jakob in mitten der Kinder fand, die ihn so vergötterten. Unter der dichten Blätterkrone eines Baumes blieb er im Schatten stehen, lehnte sich an den kräftigen Stamm und versuchte herauszufinden, ob der Junge tatsächlich gefährdet war.
Jakob wirkte furchtbar müde. Steif. Als hätte er Schmerzen. Wenn er sich etwas angetan hatte, dann war es längst geschehen. Die Kinder bemerkten dies nicht oder ignorierten es gekonnt, denn sie bestürmten ihn auf die Kindern ganz eignen, selbstvergessene Art, die die Bedürfnisse der anderen komplett übersah.
Eine Weile hing der Ritter seiner erstaunlich nüchternen Gedanken nach, für andere schlecht sichtbar im Schatten an den Baum gelehnt, und beobachtete seinen Schützing.
Re: Das Haus der Melitele
Verfasst: Samstag 10. September 2022, 23:43
von Arvijd Kostjunari
Es war kurz vor dem Mittagsleuten, als es heftig und mit Nachdruck an der Tür des Zimmer klopfte, hinter der sich Arvijds Behandlungszimmer - und aktuell Jarels Schlafraum - befand.
Arvijd kannte die Art des Klopfens bereits. Es konnte nur Iola sein, sie sprach nicht, dafür überkompensierte sie oft in ihren Gesten, so auch dem hektischen Klopfen.
"Herein!" rief er.
Ja, die Kleine war aufgeregt als sie herein stürmte, wollte dem Heiler hektisch etwas mitteilen.
Die ersten Zeichenfolgen waren zu unkoordiniert und hektisch, doch dann holte sie zwei Mal Luft und konzentrierte sich.
Zwei Mal kurzes Klopfen‘ mit der Faust auf die linke Brust beschrieb Sorgen.
Dann machte sie sich so groß wie sie konnte, Schultern nach hinten, Brust raus, Haltung als hätte sei einen Stock im Hintern, die Augenbrauen zu einem übertrieben düsterem Gesicht zusammen gezogen, die rechte Hand an einem imaginären Schwertgriff gelegt.
Ungeduldig wartete sie, ob er erkannte, wer gemeint war.
Arvijd war weder geistesgegenwärtig, noch ein besonders gute Beobachter, es erforderte tatsächlich noch ein paar weiterer Gesten, bis er verstand. Hinzu kam auch noch, dass er Jakob nicht gut kannte, weder seinen üblichen Gesichtsausdruck, noch seine Haltung. Aber irgendwann fiel der Groschen dann doch, zumindest glaubte er das.. "Also... irgendetwas mit Jakob... es geht ihm nciht gut? Krankt? Kopfschm... nein, Bauchschmerzen... Herzinfarkt? Das wäre seltsam, dazu ist er zu jung. Ach... bring mich einfach zu ihm."
Iola schüttelte den Kopf. Sie hob beide Hände über den Kopf, markierte eine größere Person, dann mit parallel nach unten geführten Händen eine breitere.
Im Anschluss legte sie den Kopf schräg, schielte mit beiden Augen in Richtung Nase, streckte die Zungenspitze zum Mundwinkel heraus, hob den rechten Zeigefinger an die Schläfe und drehte mit der Fingerspitze kleine Kreise.
"Er ...spinnt?" Arvijd hatte absolut keine Ahnung, was sie meinte.
Iola nickte heftig.
"Ah... ja, das mag sein, er ist noch jung, sehr jung." Er zuckte mit den Schultern. Wenn er daran dachte, was er in dem Alter getrieben hatte... gut er hatte sich freiwillig zu einem Krieg gemeldet, der ihn im Prinzip nichts anging...
Iola schüttelte wieder den Kopf und wiederholte die Gesten für "größer" und "breiter". Dann fuhr sie sich noch mit den Fingern seitlich an den Augen entlang, zeichnete mit Daumen und Zeigefinger einen Bart an ihren Kinn.
Die Brauen des Arztes zogen sich zusammen. Der Knappe hatte sich einen Bart wachsen lassen? Einen soo langen? Nein, irgendetwas anderes.... "Ach, Jarel? Er spinnt?"
Sie machte einen kleinen Hüpfer und nickte so heftig, dass ihre Haare flogen.
Sie wollte den Heiler an die Hand nehmen und mit sich zerren.
"Ah... sag das doch gleich. Gut, dann bring mich besser zu ihm, ehe er noch etwas dummes tut."
Sie nahm ihn an die Hand und führte ihn nach draußen. Jakob kümmerte sich um die Kinder, Jarel stand an einem Baum in der Nähe gelehnt im Schatten.
Iola blieb etwas zurück und Rang unschlüssig mit den Händen.
Der Ritter trug die Kleidung vom Vortag, mit der er aufgebrochen war um mit Iola gemeinsam Jakob zu suchen. Er wirkte abgerissen und schmutzig, aber weder krank noch übergeschnappt. Was also hatte die Kleine?
Er war zwar in dieser Nacht nicht aufgetaucht, aber schließlich war er erwachsen und wusste durchaus auf sich aufzupassen.
Von übergroßen giftigen Insekten abgesehen.
Eher ungeniert trat der alte Arzt auf den Ritter zu. "Was ist los mit dir? Irgendetwas musst du getan haben, dass Iola sich Sorgen macht..." kam er gleich zum Punkt
Jarel riss seinen Blick von Jakob los und sah zu Arvijd. "Ich weiß nicht, was du meinst.", setzte er mit heiserer Stimme an. Der Ritter wirkte vollkommen ruhig. Vielleicht zu ruhig. Oder auch nicht. "Ich habe die Nacht im Wald verbracht. Brauchte etwas Abstand. Je intelligenter die sind, desto schwieriger sind sie.", erklärte er ohne besonderen Betonung und deutete mit dem Kopf in Richtung seines Knappen.
Arvijd nickte verständig, blickte dann zu Iola. "Siehst du, es hat doch mit dem Jungen zu tun. Mach dir keine sorgen, Kindchen, es wird sich schon alles einrenken. Mit der Zeit wird schon alles gut."
Jarel verspürte den Impuls Arvijd nach der Gesundheit des Jungen zu frage, ihn zu bitten unter irgendeinem Vorwand eine ausgiebige Untersuchung anzuleiern. Aber so schnell wie der Impuls erschienen war, so schnell versandete er wieder.
Er sah Iola einen Moment an. "Es gibt keinen Grund sich zu sorgen.", versuchte ihr zu erklären, doch sie verschränkte nur die Arme und zog einen Flunsch.
Der Ritter beachtete das nicht, sondern wandt sich an den Arzt.
"Ist es in Ordnung, wenn ich ein Bad nehme?"
Arvijds Blick wurde durchdringender. "Sicher kannst du baden... ist wirklich alles in Ordnung?"
"In Allerbester.", sagte Jarel trocken, drehte ab und ging in Richtung Hauptgebäude. Wasser holen, Zuber anheizen. Baden, Medikamente nehmen.
Ausruhen. Etwas essen.
Gute Reihenfolge.
So recht glaubte Arvijd nicht daran. Andererseits, wer war er, Jarel hier das Urteilsvermögen abzusprechen.
"Wenn du reden willst, weißt du ja, wo du mich findest."
Re: Das Haus der Melitele
Verfasst: Sonntag 11. September 2022, 19:33
von Jarel Moore
Er nickte nur kurz. Mehr Reaktion kam nicht. Er sah auch Iola nur nach, die weinend weglief.
Darum würde sich sicher Jakob kümmern. Oder einer der Schwestern.
Und dann verschwand der Ritter im Gebäude, ging gemessenen Schrittes in Richtung der Bäder und begann selber das Wasser vom Brunnen im Haus zum Zuber zu schleppen.
Es war immer noch seltsam ruhig in ihm. Keine Aufregung, keine Gefühle, die ihn einschränkten.
Er dachte darüber nach, doch nur so lange, bis er sich endlich entkleiden und sich mittels einem neben dem Zuber stehendem Eimer und eines Tuches grob reinigte und endlich…ENDLICH in den Zuber stieg.
Mit einem lauten Seufzten versank er im warmen Wasser und leerte seine Gedanken, nahm stattdessen die Wäre in sich auf, die die überanstrengten Muskeln lockerten und ihn entspannten.
Seinen Kopf zu leeren viel ihm nicht schwer. Heute nicht.
Nichts fiel ihm schwer.
Re: Das Haus der Melitele
Verfasst: Montag 12. September 2022, 19:58
von Jakob von Nagall
Jakob erwachte aus seinem Zustand zwischen Gebet und Meditation, als die Sonne durch die Fenster der Apsis – oder eben der Entsprechung dieser im Tempel – fiel. Etwas, was die Tempel dieser Welt mit den Kirchen der Seinen gemein hatte: die Apsiden und damit Altäre waren meistens nach Osten gerichtet, sodass das Licht der aufgehenden Sonne auf jene geheiligten Bereiche fiel. In diesem Fall verlieh das goldene Morgenleuchten der Göttin Melitele eine Corona aus mildem Leuchten. Er blinzelte.
Um ihn herum hatten sich die Schwestern zum Morgengebet versammelt. Sie achteten nicht auf ihn, war er doch inzwischen ein stetig wiederkehrender Geist in ihrer Mitte, unaufdringlich und offensichtlich so andächtig wie sie. Die Frauen intonierten melodische Gebete, Jakob ließ sich noch etwas darin treiben, zumal er nicht stören wollte.
Die innere Einkehr hatte Frieden in seine Seele gebracht. Sie lag still und spiegelglatt da, wie ein See, in den ein riesiger Fels gefallen war und der nach langem Wellenschlag endlich wieder zur Ruhe gekommen war. Er fühlte der seltenen Empfindung eine Weile nach, bis sich seine taub gewordenen Beine in den Vordergrund drängten und er sich stumm leidend seitlich auf den Hosenboden fallen ließ, um sie mühsam unter sich hervor zu ziehen. Niemand achtete weiter auf ihn, als er sich auf dem Hintern rutschend in den Schatten einer seitlichen Wand zurück zog.
Wie lange hatte er vor der Statue gesessen? Wohl eine Weile. Ihm war, als seien seine Beine vom Knie abwärts nicht existent und er begann seine Schenkel zu massieren, mulmig auf das unangenehme Gefühl wartend, wenn die Durchblutung wieder einsetzten würde.
Es war schmerzhaft.
Jakob mahlte mit den Zähnen und massierte stoisch weiter, während die Messe voran schritt. Taub waren ihm seine Beine lieber gewesen als gefüllt mit tausend Ameisen. Außerdem schmerzten seine Knie vom Beugen und dem harten Boden. Trotzdem fühlte er sich ungewöhnlich ausgeglichen, sodass er die rothaarigen Schwester mit offenem Blick und einem freundlichen Nicken begegnete, als diese nach dem Ende der Andacht zu ihm kam, um ihn zu seinem Dienst im Waisenhaus zu holen.
Richtig. Die Gören. Innerlich seufzend rappelte er sich auf und folgte der Frau noch etwas unsicher hinaus. Zum Glück sollte er heute nur aus der Schrift vorlesen, während die Kinder um ihn herum saßen und dauernd dazwischen quakten, sie wollten die Geschichte von irgendeinem Wolfshexer hören oder von einem Drachen oder von Gnomen.
Jakob las, die freundliche Schwester mahnte die Kinder immer wieder zuzuhören, was keinerlei Effekt über eine Minute hinaus hatte. Der Knappe hörte sich selbst nicht zu, mit den Gedanken woanders und immer wieder gestört von Krämpfen in seinen Waden, bis er sich entschuldigen musste, um ein paar Schritte zu tun und sich in dem Zuge erst einmal etwa zu trinken zu organisieren.
Als er zurück kam, standen drei ihm vertraute Gestalten unter einem Baum und wechselten ein paar Worte. Die Entscheidung, ob er dazu treten oder wieder zu den Kindern gehen sollte, nahmen letztere ihm ab, weil sie ihn zurück in den Kreis zerrten und lauthals verkündeten, Schwester Margerita (ah ja, richtig!) habe ihnen eine Märchengeschichten zwischen den Psalmen erlaubt und er solle sie lesen. Eher unelegant plumpste er also wieder ins Gras und begann halb bei der Sache zu lesen, was sie ihm in die Hand drückten.
Nicht lange, dann eilte plötzlich Iola durch sein peripheres Sichtfeld und brachte den Lesefluss zum Stocken. Wieder entschuldigen, Buch weg legen...
Etwas linkisch kam er auf die Beine, blickte kurz zwischen Jarel und Iola hin und her, um sich dann für das Mädchen zu entscheiden. So viel zum Thema nicht weh tun. Jakob eilte ihr nach. "Iola! Warte."
Sie regierte zwar nicht, doch sie lief nicht weit. Hinter einer kleinen Baumgruppe verschwand sie, versteckte sich auf der Rückseite. Aber er konnte sie hören. Sie weinte leise.
Vorsichtig umrundete Jakob die Baumgruppe. Weinende Frauen. Langsam wurde das so etwas wie sein persönlicher Endgegner. Vor allem diese, die er nicht mal fragen konnte, was eigentlich los war. Er berührte sie ganz leicht an der Schulter. Wenn sie seine Gesellschaft nicht wollte, würde sie ihm das schon begreiflich machen.
Sie wollte seine Gesellschaft. Kaum spürte sie seine Hand auf der Schulter wirbelte sie auf dem Absatz herum und fiel ihm im selben Atemzug um den Hals. Sie hatte es sich gewünscht. Hatte darauf gehofft das er ihr folgte, dass er genug Sympathie für sie hegte. Und sie brauchte ihn jetzt. Jetzt, wo sie das Gefühl nicht loswurde, dass in dieser Nacht noch mehr geschehen war, als nur zu erfahren, dass Jakob sie nicht lieben durfte. Weinend hielt sie sich an ihm fest und langsam wurde Jakob klar, dass es hier nicht um ihn ging. Aber worum dann?
Iola flog in seine Arme und diese schlossen sich ganz von allein um die schmale Gestalt. Sein Hemd tränkte sich augenblicklich mit der Nässe ihrer Tränen. Noch einen halben Tag zuvor hätte ihr warmer, weicher Körper tausend feine Nadeln in seine Haut gebohrt, ihr Duft ihm sämtliche Sinne geraubt, doch die Nacht unter den Augen der Mutter hatte den Knappen zurück zum Gleichgewicht geholfen und so konnte er sie halten, konnte sein Gesicht an ihren Kopf schmiegen, ohne sich schuldig zu fühlen oder niedere Gedanken zu hegen. Sein Herz schlug ruhig, sein Körper blieb entspannt und sein Kopf ganz bei ihr und der Frage, was sie so aufgebracht hatte. Immerhin war er verständig genug, zu erkennen, dass diesmal nicht er der Grund für die Tränen war. Aber wer oder was dann?
"Ich würde dich zu gern fragen, was passiert ist.", sprach er leise gegen den Stoff ihrer Haube. "Hat dich jemand gescholten?"
Seine Ruhe übertrug sich auf sie. Vielleicht sah sie einfach nur alles viel zu schwarz Aber...es stimmte etwas nicht. Aber wie sollte sie sich Jakob mitteilen? Und sollte sie sich mitteilen? Sie sah Jakob lange in die Augen, während ihre Tränen endlich versiegten. Ja. Er musste es wissen. Vielleicht konnte er helfen. Vielleicht kannte er dieses Seltsamkeit sogar. So begann sie zu gestikulieren. Erst viel zu schnell und zu wild. Bis sie sich besann, dass Jakob nicht Arvijd war, der ihre Zeichensprache 'kannte'. So atmete sie tief durch und begann von vorne. Nahm Haltung an, plusterte sich regelrecht auf, stand gerade als hätte sie einen Stock im Hintern, schaute verkniffen und zeigte mit Daumen und Zeigefinger einen Bart an ihrem Kinn.
Sie beruhigte sich nach einigen Momenten und sah ihn schließlich aus völlig verheulten Augen an.... und fing an zu fuchteln. Doch bevor er sie einbremsen konnte, hielt sie selbst inne, sammelte sich. Scharade. Himmel, wo er so ein riesiger Gesellschaftsspieler war... Gut, das erste war einfach, so wie Iola auf ihn geprägt war. "Jarel? Es geht um ihn?"
Sie nickte, atmete auf, küsste ihm einen Impuls folgend auf den Mundwinkel und setzte wieder an zu gestikulieren. Sie legte sich beide Hände flach auf die linke Brust, ballte dann beide Hände zu Fäusten, schlang plötzlich die Arme um den Oberkörper, rieb sich heftig die Oberarme und klapperte gespielt mit den Zähnen.
Schon bei diesen nächsten Gesten geriet Jakob ins schwimmen. "Brust, Herz... Herzattacke... Nein, grad stand er noch... Frieren, hm, Erkältung?" Immerhin war er die ganze Nacht fort gewesen...
Sie lies einen Moment die Arme hängen und dachte nach. Immerhin wusste Jakob schon, wer gemeint war. Ob sie ihn zu Meister Arvijd schleifen sollte? Der schien etwas bemerkt zu haben. Nein...noch ein Versuch. Sie amete durch und dann nochmal. Sie machte ein trauriges Gesicht, schüttelte den Kopf und sah ihn mit leerem Blick an. Dann machte sie ein erfreutes Gesicht, schüttelte wieder den Kopf und sah ihn abermals mit leerem Blick an. Zuletzt hob sie den Zeigefinger zur Schläfe und drehte dort mit der Fingerspitze drei kleine Kreise. Verflixt...in diesem Moment war ihr ihr Gelübde wirklich im Weg.
Jakob krauste die Stirn. Leere Augen... Leerer Blick, Trauer, Freude, die Hände zuvor auf dem Herzen geballt. Dann die Geste am Kopf. In seinem Magen entstand ein unangenehmes Gefühl. Was Iola andeutete ließ ihn innerlich sofort auf Abstand gehen - dafür hatte er weder Talent noch Gefühl. "Eeer... War abweisend zu dir? Oder irgendwie... verwirrt?"
Sie nickte langsam. Nicht ganz das, was sie hatte sagen wollen, aber nah genug dran. Langsamer als vorher, jedoch genauso gefühlvoll flüchtete sie abermals in seine Arme.
Immerhin weinte sie nicht mehr.
Er hielt sie und grübelte. Was auch immer Jarel gesagt oder getan hatte, es schien Violetta Angst zu machen. Was genau mit seinem Mentor ihrer Meinung nach nicht stimmte, würde er aber wohl nur heraus finden, wenn er ihm selbst gegenüber trat. Diese Konfrontation scheute er allerdings noch etwas.
Es war die Glocke zum Mittagsgebet und Essen, die ihn aus der Runde rettete. Iola mache sich los, wischte sich mit dem Ärmel das Gesicht trocken und atmete durch. Sie deutete in Richtung des Tempels und sah ihn fragend an. Die Kinder wurden bereits von zwei Schwestern zusammengetrieben. Sie durften als erstes Essen, während die "großen", in der Messe beteten.
Jakob nickte. Messe. Mittagessen. Schlaf oder Unterricht. Der ewige Takt des Tempels, Tag für Tag. Ein Eigenes Uhrwerk. Der Knappe folgte Iola mit den anderen Schwestern in den Tempel, saß im hintersten Eck und kritzelte auf einer kleinen Tafel, die er sich aus dem Schulzimmer der Kinder geliehen hatte. Immer wieder kniff er die Augen zusammen, dachte nach, schrieb wieder. Die Messe störte er dabei nicht.
Jarel tauchte nicht auf.
Nach der Andacht versammelten sich die Schwestern um den großen Küchentisch. Das Heiligtum war nicht so groß, dass es ein eigenes Refektorium besessen hätte. Brea reichte ihnen frisches Brot und gestampfte Hirse mit Schmalz und Zwiebeln. Dazu ein Beerenmus.
Jarel blieb auch dem Essen fern.
Schließlich beschloss Jakob nach ihm zu sehen. Er bat Brea um etwas Brot, Käse, Zwiebelschmalz ohne die Hirse und einer Schale mit dem Mus. Alles stellte er zusammen mit einem Becher von Jarels schrecklichem Tee auf ein Brett und machte sich auf den Weg zu jenem Behandlungszimmer, dass der Ritter seines Wissens nach noch immer „bewohnte“.
Im Flur stellte er seine Fracht zunächst auf den Boden, um dann die Tür leise zu öffnen und hinein zu spähen. Jarel lag halb sitzend auf seinem Bett, oben eingewickelt in seinen Mantel, unten lugte die Decke aus dem Mantelsaum. Den Zustand kanne Jakob und er hieß zweierlei: ritterliche Levitation und hoffen oder sich bemerkbar machen und… naja, auch hoffen. Jakob, noch immer tiefenentspannt und ein wenig auch neugierig, ob Meister Yahuros Methoden auch bei einem Menschen wie Jarel funktionierten, entschied sich für Variante eins.
Er ließ sein Ich von sich abfallen.
Zog es in sich hinein.
Dann erst nahm er das Brett wieder auf und schob sich durch den Türspalt, setzte es allerdings auf einem Tisch direkt neben der Tür sofort wieder ab. Seine nur mit Lederstreifen umwickelten Füße verursachten kaum ein Geräusch, als er zu jenem Stuhl ging, auf dem er während Jarels Genesung nächte- und tagelang ausgeharrt hatte. Lautlos setzte er sich, betrachtete den Ritter, von dessen Gesicht im Schatten der Kapuze kaum etwas zu erkennen war.
Jakob wusste, dass dieser Zustand eine ganze Weile andauern konnte, je nachdem wann Jarel seine Medikamente genommen hatte. Er würde also warten.
So hatte er zumindest vor.
Es dauerte nicht lange und dem übermüdeten Mann sank das Kinn auf die Brust.
Re: Das Haus der Melitele
Verfasst: Montag 12. September 2022, 21:28
von Jarel Moore
Er hatte geschlafen. Tief und traumlos wie selten. Nicht einmal die Übelkeit und das Herzrasen hatten ihn geweckt.
Ja, er war verschwitzt und seine Muskeln waren verkrampft, aber das schlimmste hatte er schlicht verpennt.
Eine Überraschung. Und eine weitere wartete, als er die Augen öffnete.
Jakob. Er saß schlafend auf einem Stuhl.
Und er hatte ihm etwas zu Essen mitgebracht.
Ebenso lautlos wie vorher sein Knappe holte dich Jarel das Tablett und setzte es auf das Bett. Als Jakob erwachte, saß Jarel im Schneidersitz auf dem Krankenbett und schmauste die von Jakob gebrachten Speisen.
Er erwachte vom Klappern des Geschirrs, schreckte hoch, weil er eigentlich nicht hatte einschlafen wollen. Müde rieb er sich den schmerzenden Nacken.
"Mahlzeit. Gut geschlafen?"
"Hervoragend.", antwortete Jarel mit vollem Mund ohne Aufzusehen.
"Und du?" Er wischte mit dem letzten Rest Brot seinen Teller leer.
"Danke für das Essen."
Endlich sah Jarel auf. Ja, sein Gesicht spiegelte nicht viel Emotion. Eigentlich gar keine. Aber...was hatte Iola so beunruhigt?
Jakob sah Jarel beim Essen zu und ihn dann einige Herzschläge lang stumm an. Irgendwie fühlte sich das schlagartig nach verkehrter Welt an. Er war der mit dem 'Klar - in Klammern fuck you' - Ton, während Jarel auf ihm herum kaute, um dieses Klar zu zernagen, bis es zu etwas von Substanz wurde. Nach dem Krach gestern hätte er entsprechend irgendwie was anderes erwartet.
"Kein Ding.", hörte er sich erwidern. Es kam nicht oft vor, dass er sich unwohl damit fühlte, nicht mehr zu sagen zu haben.
Der Ritter stellte das Essen ein und spülte alles mit dem Tee hinunter, den er in einem Zug leerte.
"Du kommst gut mit den Kinder klar." Eine Feststellung. Keine Frage.
Würden sie sich erst seit ein paar Tagen kennen, Jakob wäre in sein übliches Muster gefallen und hätte keinen weiteren Gedanken an das Gespräch verschwendet. Das Muster drohte bereits, aber wohl fühlte er sich damit in diesem Fall nicht.
"Ja. Wie lange bleiben wir noch?"
"Noch ein paar Tage." Der Ritter nickte und kletterte aus dem Bett.
Etwas steif bewegte er seine Arme und Beine "Ich werde heute mit leichtem Training beginnen."
"Ist der Dok damit einverstanden?"
"Hab nicht gefragt.", antwortete Jarel knapp. "Ich denke ich beginne mit dem Stab."
Jakob erhob sich ebenfalls. Er kannte diesen Ritter, aber er sah sich ihm selten selbst gegenüber. Unbewusst begann er zu spüren, was Iola wohl mit einem Blick gleich aufgegangen war. Etwas fehlte? Jakobs Lippen wurden zu zwei blassen Strichen. Hatte er sich so weit aus dem Fenster gelehnt? Jarel so tief beleidigt? Und wenn dem so war, wie sollte er das jemals wieder ausbügeln?
"Wird ihm nicht gefallen. Gefällt den Ärzten nie, wenn man ihnen auf der Nase rumtanzt." Ein schwacher Versuch.
Jarel lächelte. Nein. Er zog die Mundwinkel hoch. Die Augen erreiche das nicht.
"Arvijd wird nichts dagegen haben. Ich geh ihn suchen. Er hat den Schlüssel für den Raum, in dem die Waffen untergebracht sind."
Ohne zu warten wand der Ritter sich um und ging.
Sein Knappe blieb mit gemischten Gefühlen zurück.
Re: Das Haus der Melitele
Verfasst: Donnerstag 15. September 2022, 17:55
von Arvijd Kostjunari
Der 'Dok' kam zurück in sein Behandlungszimmer. Er hatte den ganzen Tag zu tun gehabt, hier einen Rat, dort einen Kratzer behandeln, Hausbesuche und unterwegs hielt man ihn auf, dazwischen Besorgungen erledigen. Das waren die vielen kleinen Dinge, die einen am Ende des Tages ermüdeten aber nicht das befriedigende Gefühl zurückließen, tatsächlich etwas erreicht und etwas geleistet zu haben.
Anders als eine komplizierte aber gelungene Operation, die zwar ungleich anstrengender war, aber gleichzeitig auch ein deutlich besseres Gefühl hinterließ.
doch dies war nun zu großen Teilen sein neues Leben. Operationen gab es kaum, meist starben die Leute ehe man sie zu ihm brachte.
Zurück in seinem Räumlichkeiten nahm er sich vor, seinen Gast bald auszuquartieren, denn anders als Zuhause in seinem Anwesen hatte er hier nicht massenweise Platz und wenn ein anderer Patient kam hätte er keine Möglichkeiten mehr, den unterzubringen... so sagte er sich. Nur kam tatsächlich selten jemand. Tatsächlich ging es um etwas ganz anderes.
Er selbst bewohnte nämlich einen Nebenraum zur dem Zimmer, über Großen Luxus verfügte er hier nicht. Und so sehr er nun die Gesellschaft des eigenwilligen Ritters auch schätzte, es gab Zeiten, da wollte auch er einfach nur alleine sein.
Und im übrigen war der Ritter bei weitem nicht mehr so instabil, dass er weiter unter Beobachtung bleiben musste. Er konnte durchaus eines der anderen Zimmer im Tempel beziehen in dem üblicherweise Gäste einquartiert waren.
An Tagen wie diesen machte ihn jedoch di Tatsache besonders unglücklich, auf all das verzichten zu müssen, was er sich aufgebaut gehabt hatte.
Die Räume, die er nun bewohnte und in denen er arbeitete waren von den dicken Mauern des Tempels umgeben, ein etwas größerer Raum und eine kleine Zelle, die anschloss. Es gab nicht einmal Platz für das was er unter einem ordentlichen Bücherregal verstand. Und wie sehr vermisste er seine Bibliothek. Allein gedruckte Bücher, keine Abschriften von Hand, die zwar kunstvoll waren, aber oft auch schwer leserlich, alles in Prosa, keine Nachschlagewerke. Und dann der geringe Umfang an verfügbarem Wissen über Krankheiten, all das machte ihm schwer zu schaffen. Er hatte immer auch bei der Diagnose gerne die Nachschlagewerke konsultiert, Differentialdiagnosen fielen leichter und er konnte ähnliche Symptomatik viel präziser unterscheiden. Aber viele Erkrankungen, die man in seiner Heimat bereits waren hier noch nicht identifiziert. Was nicht bedeutete, dass es sie nicht gab. Aber die Menschen unterschieden praktisch nur zwischen einem gebrochenen Knochen und Fieber. Dazwischen gab es für sie nicht viel.
Allein die verschiedenen Formen, die Herzerkrankungen annehmen konnten... die verschiedenen Lungenleiden und all die anderen... fast hätte er in Gedanken von 'wunderbaren' internistischen Befunden gesprochen, all diese waren hier unbekannt. Und die meisten Menschen starben lieber als zu einem Arzt zu gehen. Oder sie ließen sich von einer falschen Hexe einen Talisman für teures Geld verkaufen, der keinerlei Wirkung hatte. Den hängten sie über's Bett und wunderten sich dann wenn sie am nächsten Tag nicht mehr aufwachten, weil sie doch dem Leiden erlegen waren.
Es war zum Haare raufen, hätte er noch welche gehabt.
Es war nicht anders in Worte zu fassen. Er vermisste sein Zuhause, sein Archiv seiner eigenen Tode, als Erinnerungsstütze, die auch für ihn ein immenser Wissensschatz geworden waren. All das war verloren.
Das und... er vermisste Emyja. Seine wissbegierige Schülerin, Kollegin, Stellvertreterin... Freundin.
An einem Tag wie diesem wäre er mit ihr zusammen gesessen und hätte Rotwein getrunken. aber auch das war schon dort nicht mehr gewesen, was er in Gedanken noch abgespeichert hatte, schon längst nicht mehr.
Mit Jarel konnte man nicht einmal in Ruhe Wein trinken...
Aber er fand den Ritter gar nicht vor, statt dessen saß dort der Knappe.
Er hatte sich bisher kaum mit ihm unterhalten, Jarel hatte ihm auch nicht verraten, dass auch er ein Reisender war, insofern wusste er auch gar nicht, was er mit ihm anfangen sollte. Er war still... Soviel hatte er bereits beobachtet. Anscheinend ging er den Schwestern und Priesterinnen zur Hand, war eigentlich ganz fleißig, kam gute mit den Kindern klar, und Iola hatte ein Auge auf ihn geworfen. Das wiederum ging ihn nichts an. Darum, welcher Schwur ihn eventuell band, darüber dachte der alte Arzt nicht nach. Er wußte zwar in der Theorie, dass es so war, aber weiter hatte er sich keine Gedanken gemacht. Jarel selbst passte so gar nicht in das Schema, dass er als selbst Fremder mit ihm die Ausnahme beinahe schon als Regel erkannt hatte. Alles Dinge, die ihn nichts angingen.
Was er mit dem Jungen Mann nun in seinem Zimmer anfangen sollte wußte Arvijd daher selbst nicht genau.
Etwas ratlos lehnte er sich an einen Schrank, die Arme verschränkt, und musterte den jungen Mann. Dass er bereits etwas alt war für einen Knappen, war ein Gedanke, den er fasste. Er zog keine Schlüsse, er nahm die Dinge wie sie waren. Vor einem wie ihm konnte man auch verheimlichen, dass man schwanger war, und das bis kurz vor der Geburt.
"Wie gefällt es dir im Kloster?"
War also das beste was ihm an Konversation einfiel.
Re: Das Haus der Melitele - inneres Heiligtum
Verfasst: Sonntag 18. September 2022, 15:00
von Jakob von Nagall
Jakob stand einen Moment unschlüssig herum, drehte sich dann um und ging zum Fenster. Ein unangenehm dunkles Gefühl ließ seinen Magen schwer werden und drückte auf seine Stimmung. Woher die Empfindung kam, vermochte er noch nicht ganz einzugrenzen, nur das es - natürlich - mit Jarel zu tun hatte. Aufmerksam wie der Knappe war, irritierte ihn natürlich die abweisende Haltung des Ritters. Das kühle "Servicelächeln", die knappen Worte. Gut, Redeschwälle waren bei Jarel immer selten, aber kleine Frotzeleien ließen immerhin jenen Funken in die braunen Augen treten, nach dem Jakob insgeheim schon fast süchtig war. Dieses Gefühl von Verschworenheit, was damit einher ging, war neu für ihn, aber er genoss es, saugte es auf. Sicher hatten sie oft genug ihre Meinungsverschiedenheiten, aber das Jarel ihn dermaßen in den kalten Wind stellte war selten bis niemals vorgekommen.
Der junge Mann fühlte sich damit unwohl und überfordert. Nachdenklich blickte er in den Garten hinaus, denn das warme Wetter machte es nicht nötig, dass man die Fenster mit Membranen verschloss. Lange blieb er mit seinen Gedanken allerdings nicht allein. Das Geräusch der Tür und eine Bewegung in seinem Rücken ließ ihn sich umwenden - der Doktor war zurück und wirkte so überrascht ihn zu sehen, wie Jakob seinerseits.
Ob es ihm gefalle. Im Kloster.
Kloster. Irgendwie betrachtete er die Komturei nicht wirklich als Kloster, obwohl es genau genommen zum Teil eines war. Zum anderen Teil war es eine Kaserne, fast ein eigenes, kleines Dorf inklusive Befestigung. Der Gedanke kam und ging, doch statt zu antworten kam er wie so oft direkt mit einer Gegenfrage.
"Mein Mentor kommt öfter her, oder? Kennt Ihr ihn schon länger?" Smalltalk war noch nie seine Stärke gewesen, daher schlidderte er an der Frage des Doktors zunächst einfach vorbei und kam gleich zu dem Punkt, der ihn beschäftigte. "Kommt er Euch... verändert vor?" Vielleicht lag es ja auch an ihm und seiner zeitweilig schon mal störenden Überempfindlichkeit. Am Ende deutete er einfach zu viel in seine Wahrnehmung und schuf sich mal wieder Annahmen aus aus der Luft gegriffenen Scheinwahrheiten. Immerhin hatte er über die letzten Monate und gefühlt tausenden von Gesprächen angefangen zu begreifen, dass er oft genug genau das tat. Was nicht hieß, dass er es so einfach abschalten konnte. Er nahm einfach zu vieles ungefiltert wahr und konstruierte sich dann daraus eine Wirklichkeit, die zu seiner Befindlichkeit oder einem Vorurteil, einer Erwartung, passte. Er erwartete, dass Jarel mit ihm gebrochen hatte oder andersrum, dass dieser meinte, er habe sich von ihm los gesagt, weil sie in diesem einen Punkt ihrer Glaubenswelt nicht einer Meinung waren. Anfangs mochte es so gewesen sein, aber inzwischen hatte Jakob sich beruhigt, die Worte des Bewahrers verinnerlicht und die Umstände vorerst akzeptiert. Ausdruck verleihen konnte er dem allerdings nicht und entsprechend fiel es ihm schwer, wieder auf Jarel zuzugehen, was dieser ihm durch seine ungewohnt unterkühlte Art auch nicht gerade leichter machte.
Etwas verspätet nickte er dann doch noch. "Ja, schon. Der Orden nennt es Komturei."
Re: Das Haus der Melitele - inneres Heiligtum
Verfasst: Montag 19. September 2022, 14:17
von Arvijd Kostjunari
Statt seine Frage zu beantworten stellte der Junge eine. Irgendwie erinnerte ihn das an wen, aber der Gedanke war schon wieder weg, ehe er ihn vertiefen konnte. Wie gut kannte er Jarel.
Bisher hatte er gedacht, einigermaßen gut, aber dennoch war ihm zu vieles verborgen geblieben - essentielle Dinge wie dass der Ritter aus einer anderen Welt stammte... und dass er ein Lebertransplantat trug. Kannte er ihn also?
"Er kommt alle paar Monate für ein paar Tage her... um abzuschalten und zu entspannen... Und um Iola zu sehen. Bisher dachte ich, ich würde ihn kennen, aber ich habe mich wohl ein wenig in der Einschätzung getäuscht."
Wie die meisten Reisenden trug auch Arvijd noch immer einen starken Akzent, nachdem er aber immer behauptete, er käme aus einer entfernten Gegen wie Kovir, viele akzeptierten das, wenn sie nicht gerade selbst au der Gegend kamen, hier hatte er sich angewöhnt, etwas vorsichtiger zu sein, nach einem peinlichen Vorfall mit einem Scherenschleifer.
Und der Ritter? Verändert?
Eine gute Frage. Arvijd nahm sich die Zeit darüber nachzudenken. Verändert... Wie kannt er ihn? Nun, wach, interessiert, fürsorglich und immer hilfsbereit... Sicher, manchmal auch angespannt, aber das legte sich meist nach einigen Tagen. Aber nun... angekommen war er bewusstlos, insofern, ja, er kannte ihn anders. Bei Bewusstsein nämlich. Sonst...
"Er hat eine schwere Verletzung erlitten, natürlich verändert einen das. Aber er hat alles überstanden und wohl auch ohne Folgeschäden... Er wird sicher wieder ganz der Alte, gebt ihm etwas Zeit."
Und kurz dachet er an einen jungen Mann, dessen Leben er zwar hatte retten können, der aber für immer an den Rollstuhl gefesselt bleiben würde. Wie oft hatte er sich schon gefragt, was aus ihm geworden war?
Und trotzdem. Zuversicht war vielleicht das wichtigste Gut das der Arzt bei sich trug, ihn selbst hatte es ja auch entwurzelt, aus seiner Welt gerissen zu sein, bar all dessen was er sich aufgebaut hatte, nur mit dem was angewachsen gewesen war, nicht einmal war er an Kleidung am Leib getragen hatte hatte dieser Übertritt ihm gelassen - was nur bedeuten konnte, dass er gestorben war. Sich selbst konnte er durchaus als Traumatisiert bezeichnen, seinen Zustand damals. Und Jarel hatte das auch erlebt, allerdings viel früher. Aber möglicherweise nagte es noch immer und hatte er nicht gesagt, er habe erst vor kurzem einen anderen Reisenden getroffen? War es das, hatte das altes wieder hoch gewühlt?
Er fühlte sich ja immer für alle verantwortlich...
"Er hat sicher einiges zu verarbeiten... aber so wie ich ihn einschätze wird er einen Weg finden, damit klar zu kommen."
Er wusste selbst nicht genau ob er sich irrte, aber als unverbesserlicher Optimist wollte er aber daran glauben und oft genug schuf allein der dies später die dazu passende Tatsache.
Oft... nur nicht immer.
Und erst dann ging dem Arzt auf, dass ihn der Junge wohl missverstanden haben musste... er dachte an den Orden, ja, richtig Komturei nennen sie es. Er hatte vom Haus der Melitele gesprochen, es war aufgebaut und Strukturiert wie ein Kloster, daher dachte er auch so davon.
Allerdings wollte er ihn jetzt nicht verunsichern und ließ das Missverständnis unaufgelöst.
"Gibt es denn konkret etwas, dass euch Sorgen macht?"
Re: Das Haus der Melitele - inneres Heiligtum
Verfasst: Mittwoch 21. September 2022, 21:04
von Jakob von Nagall
Jakob hörte zu und kämpfte gleichzeitig gegen den Reflex, den er Ärzten gegenüber irgendwann entwickelt hatte: abschalten, rieseln lassen, was sie an weltklugen Ansichten über anderer Leute Zustand so zu vermelden hatten. Darüber, wie man sich machte, fühlte, wie man war oder eben nicht. Optimimus heuchelnd, wo keiner war - Zuversicht nannten sie das. Jakob wankte auf dem Rand eines gut eingefahrenen Gleises entlang und gab sich Mühe, nicht hinein zu gleiten, denn immerhin hatte er gefragt. Entsprechend sollte er sich die Antwort auch anhören und irgendwie verwerten. Somit ließ er die Worte unterbewusst in einen untergeordneten Speicher laufen, während er anfing sich mit der Person dieses Doktors zu beschäftigen. Jarel hatte gesagt, er sei auch ein Reisender und dass er sich gern mit anderen Reisenden austauschen wollte. Daher kam dann wohl auch der Akzent und die überdurchschnittlich gute Ausstattung diess Behandlungsraums. Vielleicht kam er nicht aus Jakobs und Slavas Zeit, aber doch von einem Ort, der dieser Welt hier technologisch voraus war.
Wollte er sich deswegen mit ihm unterhalten? Darüber? Fraglich.
Wie so oft wünschte sich Jakob ein paar Hosentaschen, um die Hände hinein zu vergraben. Statt dessen stützte er sich mit einer Hand auf den breiten Fenstersims und blickte kurz hinaus. Dort war die Bank, einsam und friedlich. Gab es konkret etwas, was ihm Sorgen machte? Wenn er nur den Finger darauf legen könnte, dann müsste er nicht mit einem wild Fremden darüber reden, sondern könnte versuchen, die Lösung selbst zu finden. Aber ein vages Gefühl ließ sich schlecht in einen Faktenrahmen zwängen, anhand dessen sich Lösungen erarbeiten ließen. Es blieb ein Gefühl.
Jakob blickte auf seine Hand, die sich dunkel gegen den Stein des Fenstersimses abhob, dann wandte er dem Arzt wieder das Gesicht zu. Bei ihm musste man einfach Geduld haben. Irgendwann kam was - oder eben nicht.
"Bis gestern war alles bestens. Dann hatten wir..." Er überlegte. Wo hörte eine Diskussion auf und fing ein Streit an? In seinem Fall lagen die Grenzen wohl anders als in Jarels, was die Abgrenzung an sich doppelt erschwerte. "...eine Auseinandersetzung.", entschied er sich. Ein ratloses Schulterzucken folgte und hinter seiner Stirn zogen zum hundertsten Mal die Worte durch, die er gesagt hatte. Die er nicht mehr zurück nehmen konnte, aber auch nicht sicher war, ob er das wollte. War nicht Jarel es immer gewesen, der Offenheit wollte? Keine Geheimnisse, als Basis für gegenseitigen Respekt? Aber wenn es so endete, wenn er offen war, wie sollte es dann nur weiter gehen? Er war in der Gosse gelandet und Jarel benahm sich ihm gegenüber wie ein Fremder. War das der Preis von Offenheit? Dann blieb er lieber weiter verschlossen.
"Er greift solche Sachen normalerweise wieder auf, wie eine verfluchte Katze, die die Maus einfach tot spielen muss. Aber vorhin hat er gegessen und ist dann abgezogen, weil er sich von Erzpriesterin Varelia ein Trainingsgerät holen wollte. Kein Wort." Er stutzte einen Herzschlag lang, aber war ja auch schon egal, ob er Jarel hiermit an den Arzt verpfiff. Er war erwachsen. Wenn er meinte, sich belasten zu können, dann tat er das und würde sich sowieso nicht reinreden lassen. Da tickten sie viel zu ähnlich, als das Jakob sich dahingehend Illusionen machen würde. Doch der Gedanke erinnerte ihn an einen weiteren Punkt, der ihm quer lag. "Sein Lächeln war... unecht. Aufgesetzt, irgendwie. So kenne ich ihn einfach nicht. Entweder ist er sauer oder er lacht über einen dummen Witz, aber er spielt einem nichts vor. Mir jedenfalls nicht. Wisst Ihr, was ich meine?"
Arvijd kannte Jakob wohl noch nicht gut genug, um zu erkennen, dass dieser gerade erstaunlich viele Worte aufwendete, um sein Problem zu schildern. Und das auch noch einem Arzt gegenüber. Er musste wirklich ratlos, aber Willens sein, die Sache zu ergründen. Jarel war ihm inzwischen eindeutig zu viel Wert, um die Sache mit einem Schulterzucken abzutun, wie er dies vielleicht noch zu Beginn seines Aufenthalts in dieser fremden Welt getan hätte.
Re: Das Haus der Melitele - inneres Heiligtum
Verfasst: Donnerstag 22. September 2022, 16:22
von Arvijd Kostjunari
Und Jakob kannte Arvijd nicht. Der Arzt versuchte Problem oft und lange und sehr hartnäckig unter den Teppich kehrte, aber wenn sich etwas als beständig genug erwies, und wieder und wieder hervorkam dann war er auch genauso gewissenhaft bei dessen Lösung. Und etwas an dem Jungen war ungewöhnlich genug um sich darauf einzulassen und auch zuzuhören.
Sein Blick folgte unbewusst dem seines Gastes hinaus in den Park zu der Bank... eine Geste der Solidarisierung vielleicht. Der junge Mann wirkte... ungelenk, wusste wohl nicht wohin mit den Händen. Ein wenig fasziniert beobachtete er ihn dabei. Das kannte er so gar nicht. Selbst Ion, Emyjas kleiner Bruder hatte etwas mit seinen Händen anzufangen gewußt. Und Kolja spielte mit seinen Ringen wenn er nervös war und angespannt.
Aber er kam nicht umhin, ihm nun zuzustimmen. der junge Mann hatte recht, definitiv.
Der Arzt verschränkte die Arme, blickte einen Moment in die Leere.
"Er war auch bei mir, weil er Übungswaffen wollte, aber wir sind keine Kampfschule... ich habe auch gar keinen Schlüssel. Ich habe ihn zu Oberin geschickt..."
Ein unnützer Hinweis, dieser diente nur dazu Zeit zu gewinnen... und vielleicht dazu klarzumachen, dass er nichts gegen Training einzuwenden hatte, Kanne er doch dieses Verhalten nur zu gut, Frust in Bewegung umwandeln.
"Training gegen schwere Gedanken ist nicht die schlechteste Strategie..."
...und er musste an einen jungen Dämon denken, der mit gerade enervierender Beharrlichkeit mit einem Holzschwert geübt hatte.
"Aber ja, ihr habt recht... es klingt so gar nicht nach ihm, einfach zu gehen. Er geht normalerweise einer Diskussion nicht aus dem Weg... Darf ich fragen, worum sich die Unterhaltung drehte? Ich will nicht neugierig sein, aber es gibt nicht viele Themen, von denen ich vermute, dass sie ihn wirklich treffen..."
Aber der Arzt merkte auch, dass er eben Chirurg war und kein Psychologe. Wenn Kolja bockig war hatte er ihn einfach gelassen bis er sich von selbst ausgesponnen hatte. Er hatte nur verhindert, dass er dabei etwas in Brand steckte oder kaputt schlug, sonst hatte er ihn sich austoben lassen.
Aber Kolja war ein kleiner unbeherrschter Dämon gewesen, er hatte ein anderes Temperament gehabt und vor allem war er eben ein Kind gewesen.
Jarel war ein erwachsener Mann.
Er konnte nur versuchen zu reflektieren, was bei ihm der Fall sein musste um das zu tun. Ein unechtes Lächeln... Ausweichen...
Er dachte am Emyja... als sie ihr Kind verloren hatte... Koljas Kind, sein Enkelkind. Auch sein Lächeln war damals unecht gewesen, die Versicherung, dass alles wieder gut werden würde auch, denn auch für ihn war eine Welt zusammengebrochen. Aber er hatte sie schützen wollen, hatte den eigenen Schmerz geschluckt, weil er ihn nicht noch auf ihren draufladen wollte. Was konnte den Ritter so verletzen und welchen Schmerz vermutetet er bei dem jungen Mann?
Und wie sollte er das nun erklären?
"Vielleicht wollte er dich schützen."
Es gelang ihm nicht, aber etwas an der Stimme des Arztes hatte sich verändert.
Re: Das Haus der Melitele - inneres Heiligtum
Verfasst: Samstag 24. September 2022, 17:16
von Jakob von Nagall
Der Doktor trat zu ihm ans Fenster und sah ebenfalls hinaus, als wäre da irgendwo die Lösung verborgen. Jakob wartete schweigend, das immerhin konnte er gut. Die Fingerspitzen fühlten derweil die Oberfläche des Fenstersimses, folgten einem Kratzer. Hin und zurück. Die narbige Rechte hing einfach herab, wie das nutzlose Anhängsel, als das er sie schon lange betrachtete. Schwach, gut genug zum Schreiben, aber für alles andere bestenfalls eine kleine Unterstützung. Nicht einmal den Kratzer würde er mit der anderen Hand ertasten können, darum war die Linke immer die, mit der er den ersten Griff tat, egal um was es ging. Und die eben jetzt die Zeit überbrückte, bis Doktor Kostjunari antwortete.
Bewegung zum Ausgleich... ja, dem würde auch Jakob uneingeschränkt zustimmen, wenn seine Variante auch die war, die diesen Ausgleich bis zum Umschlag trieb. Nötigenfalls bis aus seelischem eben körperlicher Schaden wurde. Und Jarel neigte ebenfalls dazu, dass Ende nicht sehen zu wollen und die Grenzen auszureizen. Daher beruhigte ihne die Bemerkung nicht wirklich, ganz im Gegenteil.
Das helle Augenpaar richtete sich prüfend auf die Züge des Älteren, die Hand verharrte mitten auf dem Kratzer. Die Frage führte dazu, dass Jakob sich selbst zwei Fragen stellte: erstens - war das, was Jarel und er dort draußen besprochen hatten wirklich der Kern des Problems, dass er jetzt vor sich hatte? Zweitens - wie konnte er dieses Gespräch hier weiter führen, ohne Jarels Geheimnis, auf das er eher zufällig gekommen war, auszuplaudern? Entsprechend lange überlegte er wieder, was den Doktor wohl dazu brachte, einfach weiter zu sprechen und zu spekulieren, weil er nicht sofort Fakten bekam. Für ungeduldig hatte er ihn bis hierhin eigentlich nicht gehalten, aber wie lange kannte er ihn schon...
Ihn schützen...
Etwas zuckte hinter den Pupillen des Knappen, ließ diese kurz weiter werden, die Augen etwas größer. Dann schwenkte sein Blick wieder hinaus ins Grüne.
"Oder sich selbst.", sprach er mehr zu sich. Was war er nur für ein Esel? Sicher könnte er zu seiner Verteidigung anführen, dass er noch nie eine Beziehung geführt und in so einer auch noch nie verletzt worden war, aber das war so nicht ganz richtig. Er war nur gut darin, all diese Dinge in eine dunkle Ecke seines Selbst zu stopfen und es tunlichst nicht zu beachten.
Und jetzt begriff er allmählich, dass er etwas angerührt hatte. Eine Angst, die sich zuerst in jenem Fiebertraum geäußert hatte und mit der er Jarel gnadenlos konfrontiert hatte. Im Anschluss an eine Diskussion, die schlechter nicht passen konnte - oder besser. Jakob blinzelte, schüttelte leicht den Kopf, als müsse er sich selbst wieder ins Jetzt rufen.
"Eine Frage der Auslegung unseres Glaubens und der Gelübde, die wir ablegen.", erwiderte er zerstreut, denn ihm war klar geworden, dass das nicht der eigentliche Punkt war. Er blinzelte erneut und sah den Doktor endlich wieder an, zwang sich, auch die Gedanken wie zusammen zu nehmen. "Ich fürchte, ich habe etwas in einen falschen Zusammenhang gestellt. Etwas, was ihn schon vorher belastet hat.", er krauste die Stirn. "Genauer kann ich es Euch nicht sagen. Er ist mein Ritter und ich sein Knappe - seine Geheimnisse sind die meinen und umgekehrt. Nur glaube ich, dass er dieses Geheimnis lieber nicht geteilt hätte." Jakob verstummte und ließ den Blick auf seine Finger fallen. Vielleicht hatte er schon wieder zu viel gesagt. Hart presste er die Zähne aufeinander. Wieso war er nur manchmal so brutal zu den Menschen? Gerade zu jenen, an denen ihm eigentlich gelegen war? Gut, er diskutierte mit anderen auch kaum oder interagierte überhaupt mit Leuten, die ihn nicht interessierten, was relativ viele waren.
"Ich hab nur keine Ahnung, wie ich das wieder gut machen soll. Darin... bin ich nicht sonderlich... talentiert." Und außerdem hatte er das Gefühl, dass mehr in die Brüche gegangen war. Das Jarel ihm nicht einfach nur zürnte. Das kannte er durchaus, aber es war anders. Spürbarer. Konkreter. So wie in der Nacht vor diesem Streit - dunkel und emotionsgeladen, nicht so nichtssagend.
Er sieht mich nicht mehr., schoss es ihm durch den Kopf, Er sieht niemanden mehr. Und das Gefühl, welches mit diesen Gedanken einher ging, war beißend vertraut.
Re: Das Haus der Melitele - inneres Heiligtum
Verfasst: Samstag 24. September 2022, 19:31
von Arvijd Kostjunari
Arvijd betrachtete den jungen Mann aufmerksam, wie er den Kratzer abtastete.
Wie er da hingekommen war wußte er selbst nicht, er war immer schon da gewesen. Vielleicht war er beim einsetzen der neuen Scheibe zustande gekommen, nach den Unruhen waren die meisten Fenster auch hier zu Bruch gegangen gewesen. Man hatte die Trümmer weggeräumt, die Toten begraben und die Fenster ersetzt.
Vielleicht stammt er auch von einem Schwert, als sich erst die Elfen, dann die Ritter hier verschanzten. Oder er war noch viel länger hier, hätte etwas von Tragödien erzählen können... Wenn sich nur jemand erinnert hätte.
Was spielte das noch für eine Rolle?
"Eine Frage der Auslegung also."
So recht glaubt er nicht daran.
Aber er glaubte auch nicht ganz daran, dass es dem Ritter nur darum ging, sich selbst zu schützen. wie sehr er sich dabei vielleicht irrte.
"Vielleicht auch sich selbst. Gut möglich."
Auch wenn er nicht glaubte, er wollte die Treue des Jungen nicht untergraben. Er respektierte es, dass er nichts preisgeben wollte, was ihn oder den anderen in irgendeiner Weise bloßstellte. Er r würde also auch nicht nachbohren.
Der Arzt glaubte sogar zu wissen worum es ging, aber das sollte ihn nun wirklich nichts angehen.
"...ich weiß auch nicht, wie ihr es wieder gutmachen könnt. Ich kann euch nur raten... das Gespräch zu suchen. Er wird Verständnis haben... Aber wenn ich raten müsste, dann lasst ihm Zeit. Auch wenn es platt klingt... Manchmal muss erst Grass über etwas wachsen."
Dass er mit seiner Vermutung es ging um Jake und das mit Iola, die immerhin etwas wie ein Mündel des Ritters war, und die ein Auge auf den Jungen geworfen hatte, dass er damit vollkommen auf dem Holzweg war, dass es vielmehr um eine Liebschaft des Ritters selbst ging... Hätte man es ihm gesagt, er hätte es vermutlich erst nicht geglaubt und sich dann sehr gewundert. In seinen Augen war es eindeutig der junge Mann, der wohl nicht so sehr an dem Gelübde festhielt wie es der Ritter vielleicht forderte. Nicht zuletzt aus dem Grund hatte er geraten zu warten.
Wie sehr man sich doch irren konnte.
Re: Das Haus der Melitele - inneres Heiligtum
Verfasst: Montag 26. September 2022, 21:12
von Jakob von Nagall
Jakob presste die Kiefer nur fester aufeinander, bis die Muskeln an den Gelenken und am Hals hervor traten. Floskeln, da waren sie mal wieder. Der Arzt war so ratlos wie er oder er hatte doch noch nicht begriffen, was der jüngere Mann sagen wollte. Jarel würde Verständnis haben... sicher. Er würde sich genauso aufgesetzt den Anschein geben, zuzuhören, wie eben noch hier in diesem Raum. In Jakob verdichtete sich die Gewissheit, dass er einmal mehr fallen gelassen worden war und er begann bereits das weitere Szenario für sich im Geiste durchzuspielen. Wie Jarel die Pflicht mit ihm durcharbeiten würde, um danach mit irgendwem anders zu scherzen, zu lachen und auch zu streiten. Es war nur eine Frage der Zeit und er stünde wieder am Rand, musste sich wieder für irgendwelche Psychospielchen hergeben.
Er blinzelte angestrengt, wobei sein Kopf leicht zuckte, als müsse er eine lästige Mücke vertreiben. Nein, so war Jarel nicht. Oder? Er würde gern überzeugt sein, dass er Recht hatte, aber so in sich selbst gefestigt war er noch lange nicht. Gerne redete er sich ein, dass er alleine stehen, sich seiner selbst bewusst und stark sein konnte. Aber in Momenten wie diesen zeigte ihm die Realität, wie sehr er sich noch an seinem Ritter abstützte. An diesem, an dem er sich überhaupt erst jemals gewagt hatte, abzustützen...
Gras wachsen lassen...
Er schnaubte unwillkürlich, doch bevor er etwas erwidern konnte, was er später vielleicht doch bereut hätte, schlugen alte Mechanismen zu und er verkniff sich jede weitere Bemerkung. Statt dessen sog er die Luft durch die Nase ein, blickte kurz Richtung Tür, dann wieder auf den Garten, dann auf Arvijd.
"Danke Dok. Wird sich schon einrenken. Bin dann mal weg, die Pflicht ruft." Und er wurde das Gespräch dann doch wieder Leid. Es war nicht das gleiche, es war nicht hiflreich - der Arzt war eben doch nur ein Arzt. Fast konnte man die Schublade zufallen hören, als Jakob sich abwandte, um sich mit einer für seine Verhältnisse höflichen Geste zu empfehlen.
Ebenso wie Jarel verbrachte er die Zeit bis zur Messe mit körperlicher Arbeit, allerdings in seinem Fall als Pferd für die kleinsten Kinder, die er Huckepack im Gallopp um die Bäume schleppen musste, während eine wilde Horde mit Bögen und Pfeilen ihnen dicht auf den Fersen war. Das jubelnde Kreischen klingelte ihm in den Ohren und er war gottfroh, als endlich die Glocke zum Abendgebet läutete. Anders als Jarel allerdings ging er einfach so wie er war ins Heiligtum, auch wenn sich dunkle Flecken auf seinem Hemd abzeichneten. Das einzig Sinnvolle, was er je von Dimetrios mitgenommen hatte, war der Satz: was interessiert es Gott, wenn dein Äußeres glänzt, wenn doch die Seele schmutzig ist?
Wie immer setzte er sich an die hintere Mauer, dicht an die seitliche Wand, eine Stelle, die er inzwischen als 'seine' Ecke betrachtete. Sie lag im Schatten, dennoch hatte er Sicht auf die Statue am anderen Ende des Heiligtums, wurde aber von den Schwestern kaum beachtet. Er schlug die Beine unter und zog das kleine Bündel zusammen geknoteter Blätter aus dem Wams, das er sich zusammen gebeten hatte. Ein kleines Stück Kohle hing daran und die ersten Seiten bedeckten Worte, Satzfetzen, Notenzeilen. Er schrieb darin herum, bis die Erzpriesterin erschien und die Andacht begann.
Jarel kam ebenfalls hinzu und blieb wie sein Knappe im hinteren Teil des Gebetsraumes. Jakob betrachtete ihn eine Weile und gewann den Eindruck, der Ritter hatte ihn ebenso wenig wahrgenommen, wie er alles andere um sich wahrnahm. Er sang nicht, folgte der Liturgie auch nicht wirklich. Gut, sie hatten noch nie eine Andacht in diesem Haus gemeinsam besucht, also wusste Jakob nicht, wie Jarel diesem anderen Glauben normalerweise folgte. Zu Hause war er inbrünstiger bei der Sache. Jakob senkte den Blick, ratlos, verwirrt und seltsam traurig. Er steckte die Zettelsammlung weg, legte die Hände auf den Knien ab und schloss die Augen, um dem Gebet zu folgen und Ruhe in sein Selbst zu bringen.
Der Singsang der Schwestern begleitete ihn die Meditation hinein, wie bei fast allen Andachten seit er mit den Übungen des Zenmeisters wieder begonnen hatte. Es öffnete wie stets etwas in ihm, was sonst von der strengen Ratio bewacht wurde, half ihm das Ich zurück zu stellen. Ein Punkt, von dem aus man weiter schreiten könnte, sich aufweiten, um das Große einzulassen - die Allmacht, das Göttliche. Aber bis dahin war Jakob noch nie gekommen und es genügte ihm auch, den praktischen Nutzen aus der Meditation zu ziehen. Das Verbergen der Aura.
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Das Haus der Melitele - Arvijd's Operationsraum
Verfasst: Dienstag 27. September 2022, 16:40
von Arvijd Kostjunari
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von/nach:
aus dem Kräutergarten
Datum: Ende Juli 1278
betrifft: Viktor, Jake, Jarel, Iola, Nikolavo, Arvijd
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Die Wachen waren eben dabei, Kolja die Handschellen anzulegen, Blut troff ihm aus den Mund. Er hatte zugebissen. Das war seine alleinige Schuld, doch wohl nur Arvijd konnte ermessen was es bedeutete.
"Nein. Wartet." versuchte der Arzt zu intervenieren.
"Ich brauche ihn um das Leben des Verletzten zu retten. Ich brauche ihn dazu. Erzpriesterin... bitte..."
"Ser... das geht nicht, ihr habt gesehen... was er auch ist, er hat einen Ritter der Flammenrose attackiert."
"Ich brauche ihn. Sonst stirbt der Verletzte. Wir haben keine Zeit... Ich brauche seine Magie... Danach... danach könnt ihr ihn verhaften."
Die letzten Worte gingen ihm schwer über die Lippen, er schluckte.
Die Pikeniere schienen sich kurz zu beraten, dann nickte der Korporal. Dann nickte auch die Erzpriesterin.
"Wir begleiten euch." beschied der Korporal.
Arvijd musste notgedrungen zustimmen.
Aber so brachte er Nikolavo in seinen Arbeitsrum, dort hatte einige der Schülerinnen Amir soweit entkleidet, dass man die Verletzungen sehen konnte. Er lag auf dem Bauch, nur ein Tuch bedeckt die seine Lenden abwärts, die Stelle unmittelbar über der Hüfte, wo das Armiereisen eingedrungen war war deutlich zu sehen und auch die Stelle am Rückgrat, wo er auf der Mauer eingeschlagen war.
"Schaffst du es? Wenn ich dich anleite?"
Arvijd blickte Nikolavo an. Der nickte nur, fast zaghaft.
"Ich sage dir was du tun musst..."
Wortlos reichte er ihm ein feuchtes Tuch und gebot ihm, sich wenigstens den Mund abzuwischen.
Was getan werden musste musste getan werden.
Der Preis war schon bezahlt, aber wenigstens das Leben musste gerettet werden, sonst wäre alles vergebens gewesen. Und konnte er helfen... In dem Moment unterschied sich das Denken des Arztes in keiner Weise von der eines gewissen Leutnants, den er seinerzeit dafür kritisiert hatte. Man musste alles in die Waagschale werfen, was man aufbieten konnte. Wenn es ihnen nur gelänge das eine Leben zu retten.
"Dann rette ihn..." flüsterte er.
Und sie begannen.
Nikolavo stand neben dem Verletzten, er hatte die Augen geschlossen, nur seine Hände ruhten auf dem Rücken des Mannes, ruhig. Es hätten auch die Hände eines Arztes sein können oder die eines Musikers. Er hatte schöne Hände, kräftige Hände... und doch konnten sie zu klauen werden und zerfetzen.
Arvijd stand am Kopfende, betrachtete den Dämon.
Es hätte ein erhabener Anblick sein könne, voller Ehrfurcht und Würde, doch dies wussten die Pikeniere in absoluter Perfektion zu konterkarieren. Die hatten um den Dämon herum Aufstellung bezogen, ihn umringt und waren bereit zuzustoßen, sollte er sich auch nur ein wenig falsch bewegen.
Es sprach nur Arvijd.
"Siehst du die Bauschlagader..." Nikolavo nickt nur. "...zieh die Ränder zusammen... kannst du sie zusammenfügen..."
Oder etwas in der Art "Ist die Leber verletzt?" er schüttelte den Kopf, Arvijd ging eine lange Liste an Organen durch, die er im Kopf hatte, der Dämon schien zu wissen was der Arzt meinte. Manchmal schüttelte er den Kopf, dann wieder nickte er.
Er vergingen bange Minuten, daraus wurde wohl eine Stunde.
Doch am Ende war der Kampf verloren.
Amir war nicht wieder zu sich gekommen. Alles was der Dämon hatte reparieren können war zwecklos gewesen denn das Herz des Mannes hatte aufgehört zu schlagen. In dem Moment war auch Nikolavo erschlafft, als hätte man ihm selbst den jede Kraft geraubt.
Bedauern stand in seinem Blick.
Dann hob er die Hände und ließ sich die Handschellen anlegen. Die Wachen führten ihn ab.
Einen Moment jedoch blieb er stehen, die Wachen wurden bereits nervös, manche griffen nach ihren Schwertern.
"Arvijd... sag mir eines... kanntest du sie? Hast du sie gesehen? Carolyn...? Hat sie gelebt?"
Nun standen Tränen in den Augen des Arztes als er den Kopf schüttelte.
Dann führten sie Nikolavo ab.
Re: Das Haus der Melitele - Kräutergarten
Verfasst: Dienstag 27. September 2022, 17:34
von ERZÄHLER
Während Jakob Jarel noch vom Dämon weg zog, war plötzlich jemand neben dem Knappen und half.
Iola. Natürlich wortlos, mit schockgroßen Augen starrte sie abwechselnd auf den bewusstlosen Ritter , Jakob und dem Dämon. Sie hatte es gesehen. Nicht nur, was für ein Wesen Nikolavo war sondern auch, dass Jarel ihn angefallen hatte.
Was von beiden sie mehr verstörte, konnte sie selbst nicht festmachen.
Nur dass es falsch war. Schrecklich falsch. Und dann hatte Jakob ihn niedergeschlagen. Iolas Augen waren schreckgeweitet, aber trocken.
Sie konnte nicht ordnen, was sie gesehen hatte, aber sie wusste der Ritter brauchte Hilfe.
Am ganzen Körper zitternd half sie Jakob, den schweren Klotz in die Behandlungsräume zu schleifen und kam gerade noch rechtzeitig, dass Ableben des verletzen jungen Mannes mitzukommen.
Und nun? Wohin mit dem Ritter?
Hilfesuchend – und verängstigt – sah Iola Jakob an.
Re: Das Haus der Melitele - Kräutergarten
Verfasst: Mittwoch 28. September 2022, 18:51
von Jarel Moore
Der Ritter war nicht erwacht. Seitdem sein Knappe ihn mit dem gezielten und wohl dosierten Schlag ins Land der Träume geschickt hatte, war er nicht erwacht, während an seinem Hinterkopf eine bemerkenswerte Beule wuchs.
Er lehne reglos an der Wand, an der Jakob und Iola ihn abgelegt hatten, das Kinn auf die Brust gesunken, die Arme hingen an seinen Seiten herab. Und niemand hatte bemerkt, dass er aus der Bewusstlosigkeit längst ins Land der Träume hinaufgetrieben war.
Der Schattenläufer erwachte schlagartig. Er lag auf der rechten Seite in seinem Bett, den Kopf auf dem ausgestreckten Arm abgelegt, trug nicht einmal die beinlangen Leinenhosen, sondern war nackt. Die Decke war ihm bis zur Hüfte heruntergerutscht, und doch war ihm warm. Herrlich warm.
Jemand lag hinter ihm, ein Bein besitzergreifend auf seiner Hüfte abgelegt, einen Arm auf seiner Taille. Der Ritter schloss die Augen. Er spürte die warme Haut hinter sich, den Atem des Mannes in seinem Nacken, sie Hüfte seines Geliebten an seinem Hintern.
„Vyacheslav…“, formten seine Lippen lautlos, während er seine Hand auf die des anderen legte, seine Finger mit dem des Mannes hinter ihm verschränkte. Tief zog er den herben Duft ein, schloss die Augen, wäre beinahe wieder eingeschlafen, doch da…
Ein seltsames Geräusch, ein Schmatzen, Knirschen und Krachen.
Und der Mann hinter ihm war fort. Jarel sprang sofort auf, warf sich herum.
Und da stand er. Nein, er hing. Leblos hing Slava in den Klauen des Dämons. Das Unwesen hatte seine Fänge in den Hals des Mannes geschlagen, den er liebte. Trauer, Wut und Entsetzen überfluteten ihn. Er wollte dem Dämon den Leib des Toten aus den Armen reißen, wollte…
Doch er konnte nicht. Er konnte sich nicht rühren. Unbändig kämpfte er gegen die Lähmung an. Er würde…würde…