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Re: Ferneck - das kleine Haus der Heilerin und der Alchemistin

Verfasst: Mittwoch 28. September 2022, 12:35
von Sarray Cestay
Den Vormittag verbrachten die beiden mit Essen, reden und gelegentlich im Bett.
Sarray ging es gut. Hervorragend sogar. Die Wunden waren bereits verheilt und nur noch feine rot leuchtende Striche zeugten davon, wie knapp sie dem Tod von der Schüppe gesprungen war. Die Zwergin ahnte, womit das zu tun hatte, sprach es aber nicht an. Noch nicht.
Sie futterte, trank, wusch sich und die zwei unterhielt sich. Bis Sarray sich am Mittag gut genug fühlte.
Sie kochte sich und ihrer Gefährtin Kaffee. Das Zeug, dass Ljerka selber anbaute. In ihrem konnte man einen Löffel aufrecht hineinstellen, so viel Zucker war darin.
Die Zwergin kletterte auf den hohen der beiden Stühle und sah zu Lysira. „Ich glaube…wir sollten reden…“, begann sie das längst überfällige Gespräch.

Re: Ferneck - das kleine Haus der Heilerin und der Alchemistin

Verfasst: Mittwoch 28. September 2022, 13:22
von Lysira
Je weiter der Tag voranschritt, desto stiller, nachdenklicher schien Lysira zu werden. Sie rechnete jeden Moment mit Ljerkas Rückkehr und sie hasste Abschiede. Zudem wusste sie, dass es eigentlich noch keinen triftigen Grund für sie gab, fortzugehen. Sie verspürte eine gewisse Wehmut, zugleich war ihr hier schon wieder zu vieles vertraut und es kam ihr vor, als konnte der Schmerz der Vergangenheit sie jederzeit einholen.
Sarray war ihr ans Herz gewachsen, daran gab es nichts zu leugnen. Und sie sehnte sich danach zu vertrauen, eine Freundin zu haben, mit der sie teilen konnte, was sie bewegte. Doch wusste sie auch, dass die Lebenszeit der Sterblichen begrenzt war. Auch trug die Bruxa die Lasten jahrhundertelangen Leidens auf den Schultern. In den frühen Morgenstunden hatte Sarray ihr erzählt, dass sie ein halbes Jahrhundert Lebenszeit zählte. Zeit hatte so unterschiedliche Dimensionen, je nachdem aus welchem Blickwinkel man sie betrachtete.
Dieses eigenartige Gebräu, das Sarray ihr da hinstellte riss Lysira aus ihren Gedanken. Sie schaute auf. Der Geruch stach ihr unangenehm in die Nase, aber sie bedankte sich und nippte an der noch kochend heißen Flüssigkeit. Der Schmerz den die Hitze verursachte half ihr, ins Hier und Jetzt zurück zu finden, doch kaum wirkte sie weniger abwesend, ließen ihre Augen eine tiefe Traurigkeit erkennen. Auch war da Sehnsucht… und… Müdigkeit?
Bitter war der Geschmack, erst war es ihr nicht aufgefallen, da die brennende Hitze jede andere Eigenschaft der Flüssigkeit in den Hintergrund zu stellen schien.
Metallisch glänzende Augen richteten sich auf Sarray.
„Worüber sollten wir reden?“, fragte Lysira. Die aufgesetzte Unschuldsmiene gelang ihr nicht. Sie senkte den Blick und wandte ihn dann zerknirscht ab. Schlechtes Gewissen…

Re: Ferneck - das kleine Haus der Heilerin und der Alchemistin

Verfasst: Mittwoch 28. September 2022, 17:35
von Sarray Cestay
„Über dich. Darüber, was dich umtreibt. Ich verstehe, dass du auf der Flucht bist. Aber wie kam es dazu? Was ist dir zugestoßen? Woher kommst du? Und willst du immer auf der Flucht bleiben?“
Sarray nahm einen großen Schluck Kaffee. Ein Getränk der Götter.
Das Koffein tat ihr fast genauso gut wie der Zucker.
Ich spüre, du sehnst dich nach etwas. Wenn es mir möglich ist es dir zu geben…sag es mir.“
Die Zwergin war angespannt, aber was raus musste, musste raus.
Es war nicht ihre Art, mit etwas hinter dem Berg zu halten. Sie war, wie sie war. Gerade heraus. Immer.

Re: Ferneck - das kleine Haus der Heilerin und der Alchemistin

Verfasst: Donnerstag 29. September 2022, 16:35
von Lysira
Schwere Wimpern senkten sich erneut, Lysira schluckte schwer. Als sie wieder aufsah, schien dieser traurige und müde Ausdruck in ihren Augen noch intensiver.
„Ich bin es dir wohl schuldig… wenn jemandem, dann dir…“, sagte sie leise.
„Meine Heimatstadt ist Marcuthe in der Welt Artumra. Einst riss die Sphärenkonjunktion ein Portal zwischen diese Welt und unsere. Viele Rasna wandelten zwischen den Welten. Auch ich kam oft in diese Welt, um die Sonnenaufgänge zu sehen. Und eines Tages, da war das Portal plötzlich verschlossen, meine Siostras und ich konnten nicht mehr zurück. Damals war ich noch ein Kind.“
Kurz machte sie eine Pause, schaute einen Moment ins Leere.
„Ich habe den Überblick über die vergangenen Jahrhunderte verloren, weiß nicht mehr, wie viele es waren. Irgendwann da kommt einem die Ewigkeit so vor wie ein einziger sehr langer Tag.“
Endlich wandte sich ihr Blick wieder Sarray zu. Sie holte tief Luft, denn nun kam der schwierigere Teil.
„Als Bruxae waren meine Siostras und ich den höheren Rasna in jeder Hinsicht unterlegen. Es gab einen besonders machthungrigen Rasna namens Khagmar, der sich diese Welt zu Eigen machen wollte. Er verpflichtete uns ihm zu dienen. Doch neigte er zu Wahnsinn und Willkür. Unsere Sitten sind generell rauer, als die meisten dieser Welt.“
Ein Funkeln trat in ihre Augen.
„Ihr Name war Orianna. Sie war meine Siostra. Stolz wie sie war, bereitete es ihr am meisten Schwierigkeiten, sich Khagmars Willen zu unterwerfen. Je belastbarer der Körper, desto brutaler können Bestrafungen ausfallen, ohne, dass eine Dienerin ausfällt. Ich ertrug es nicht, sie leiden zu sehen, also nahm ich alles auf mich, wurde zum Spielzeug seiner Launen und zum Zeitvertreib jener, die ihm ergeben waren.“
Wieder schluckte sie schwer, senkte den Blick. Plötzlich schien es sehr klar, woher die Narben, die Lysira zwischen ihren Schenkeln trug stammten und in welchem Zusammenhang es dazu gekommen sein mochte. Doch sie machte weiter, nun schien sich eine Distanz zwischen ihr und ihren Worten aufzubauen.
„Eines Nachts versuchten Orianna und ich zu fliehen, wir hatten zum ersten Mal wirklich Hoffnung, dass unser Plan gelingen konnte. Aber es ging einiges schief. Zumindest gelang Orianna die Flucht, während ich Khagmars Männer beschäftigte. Unsere Aktion kostete unserer Siostra Marya das Leben und ich wurde gefoltert. Ob Tage, Wochen, Monate oder Jahre vermag ich nicht zu sagen, denn irgendwann verließ ich meinen Körper. Ich erwachte auf einem Schlachtfeld, das ich selbst verursacht hatte. Khagmar wurde gestürzt und ich verbannt.“
Erst jetzt zeigte sich der Schmerz in voller Ausprägung in den metallischen Augen, die nun feucht glänzten.
„Was mich davon abhielt, Orianna wieder zu sehen, als ich endlich frei war, weiß ich nicht… ich konnte es einfach nicht. Vielleicht waren es die Erinnerungen, vielleicht lag es auch daran, dass jede Art von Gefühl unvorstellbar schmerzte. Ich habe sie geliebt, zu sehr… aber was geschehen ist, hat mich verändert. Lieber war es mir, dass sie mich in Erinnerung behielt, wie ich damals war. Bevor ich zu dem Monster wurde, das mich seither verfolgte. Es vergingen mehrere Jahrhunderte, bis ich entschied, zurückzukehren. Sie starb wenige Tage vor meiner Ankunft…“
Ihre Stimme brach ab. Sie erstarrte, schwieg, starrte ins Leere, schien nun sehr abwesend.

Re: Ferneck - das kleine Haus der Heilerin und der Alchemistin

Verfasst: Donnerstag 29. September 2022, 19:09
von Sarray Cestay
Die Bemerkung, Lysira schulde ihr etwas, verwirrte Sarray.
Die Bruxa war also eine Reisende. Eine Gestrandete. Davon gab es erstaunlich viele. Zumindest hier in Nowigrad. Vielleicht gab es hier irgendwo ein Nest. Oder eine Art Magnet für solche Wesen.
Wie auch immer. Sarray bemühte sich zu folgen.
Lysira sprach von Wahnsinn, Macht und Folter, von Flucht, von Verlust und Opfern. Und auch wenn die Bruxa es nicht aussprach…von Liebe. Selbstzerstörerischer, blinder Liebe.
Sie konnte also Lieben. Auf eine Art, auf der der Wert des eigenen Lebens nichts galt.
Sarray atmete durch, seufzte. Die Zwergin langte über den Tisch, legte ihre Hand auf die ihres Gegenübers und streichelte den Handrücken der Bruxa sanft mit dem Daumen.
Der Bruxa war so viel zugestoßen. Schreckliches. Verheerendes. Kein Wunder dass sie Angst hatte sich zu binden.
„Konntest du sie bestatten?“, war die einzige Frage, die noch offen war.
Zumindest die einzige, die sie zu fragen wagte.

Re: Ferneck - das kleine Haus der Heilerin und der Alchemistin

Verfasst: Donnerstag 29. September 2022, 21:15
von Lysira
Erst die Berührung Sarrays holte Lysira zurück in die Gegenwart. Sie schaute auf, noch immer lag in ihren Augen ein feuchter Glanz und darin lag unvorstellbarer Schmerz, doch zeigte sich keine Träne.
Sie konnte jetzt nicht antworten. Aus ihrem Inneren starrten die leeren Augenhöhlen ihre Schwester sie an. Jene Person, für die sie ganzes Leben lang mehr empfunden hatte, als es ihre Verwandtschaft gerechtfertigt hätte. Ein Geheimnis, von dem Orianna nie erfahren hatte.
Die Bruxa nickte nur. Ja, sie hatte sie selbst zu Grabe getragen und am liebsten hätte sie sich dazugelegt. Aber weder der Ungesehene noch Rhaena hatten ihr diesen Wunsch erfüllt.
Was war nun anders? Den Unterschied hatte Thalna gemacht, der Lysira ihr Leben verdankte. Und auch wenn es ihr eigentlich lieber gewesen wäre, hätte die Succubus sie einfach in Frieden sterben lassen, so schuldete sie ihr nun doch ihr Leben und deshalb musste sie darauf aufpassen. Wieder dachte Lysira daran, wie schön es doch wäre, Freundschaften erhalten zu können.
Sie spülte ihren Schmerz mit diesem bitteren Gebräu herunter und fing sich wieder. Eigenartiges Zeug. Es machte sie irgendwie nervös und hibbelig. Und noch rastloser. Ihre Pupillen vergrößerten sich ein wenig. Sie fragte sich, ob es eine so gute Idee gewesen war, das zu trinken, aber zumindest half genau dieser Gedanke ihr, aus der emotionalen Abwärtsspirale herauszukommen.
„Aber wo wir gerade dabei sind - was ist dir widerfahren?“, fragte Lysira ganz unverblümt.
„Im Fieber warst du zwischendurch fort, woanders… es hörte sich so an, als sei es keine besonders glückliche Erinnerung gewesen. Und du hattest mir im Eisvogel erzählt, dass du einst die Magie beherrscht hast aber dass deine Fähigkeiten verloren gegangen sind. Was hat zu diesem Verlust geführt?“

Re: Ferneck - das kleine Haus der Heilerin und der Alchemistin

Verfasst: Freitag 30. September 2022, 12:55
von Sarray Cestay
Die Kiefermuskulatur der Zwergin verhärtete sich einen Moment, bevor sie wieder in ihre Kaffeetasse starrte.
Es dauerte eine kleine Weile, aber dann antwortete sie leise.
Mein Bruder Saryn und ich waren die jüngsten von 9 Geschwistern. Eigentlich war Saryn der jüngste. Ich bin vier Minuten älter als er. Unsere Mutter starb bei der Geburt.“
Sie hob den Blick und auch die Hände zu einer beschwichtigenden Geste.
Kein Grund für Mitleid. Man vermisst nichts, was man nicht kennt.
Wir waren Frühchen, daher wohl etwas zarter geraten als unsere Geschwister.“

Das ihre Mutter eine Affäre mit einem anderen Anderling gehabt haben könnte zog Sarray nicht einmal ansatzweise in Betracht. Nicht ihre Mutter! Niemals!
„Wir wuchsen in den Stollen Mahakams auf. In der Pubertät fand ich dann zu meinen Magischen Fähigkeiten. Nichts großartiges, aber doch genug für eine Ausbildung zur Heilerin.“
Sie nahm noch einen Schluck Kaffee und verlor sich in Gedanken.
„Wir schlossen uns dem Mahakamer freiwilligen Haufen an, Saryn und ich. Er war unglaublich flink und ein begnadeter Kundschafter. Wir dienten gemeinsam in der Schlacht von Altenpupen. Es war ein furchtbares Gemetzel.“
Sie schluckte mehrfach.
„Am letzten Tag meines Dienstes verlor Saryn sein Leben und ich meine Magie.“
Da war noch etwas, dass spürte Lysira genau.
Sarray hielt mit etwas hinterm Berg. Etwas, dass sie entweder nicht aussprechen konnte, oder sich dieser Wahrheit nicht stellen wollte.
Etwas unausgesprochenes, das wie ein Elefant im Raum das Gespräch zu ersticken drohte.

Re: Ferneck - das kleine Haus der Heilerin und der Alchemistin

Verfasst: Freitag 30. September 2022, 13:07
von Voli
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von/nach: Östlich von Nowigrad - Eine verlassene Ruine abseits der Straße
Datum: 30. Juli 1278 gegen Mitternacht
betrifft: Sarray, Lysira
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Voli verfolgte die Fährte der vermeintlich hilfesuchenden Frau nun bereits eine ganze Weile und die Dinge wurden zunehmend seltsamer. Geradlinig führte die Spur in Richtung Westen, folgte kurz einer Straße und verließ diese dann wieder, was für den Vran unverständlich war, denn Straßen führten für gewöhnlich zu menschlicher Zivilisation, was ja nun etwas war, dass eine verstörte, verängstigte Frau auf der Flucht durchaus begrüßen würde.
Vielleicht fürchtete sie, weiter verfolgt zu werden und nahm an, dass sie auf einer Straße ein zu leichtes Ziel abgab? Unwahrscheinlich, jedoch nicht unmöglich. Es hörte damit aber nicht auf, denn alsbald kam die Spur in die Nähe des Guts eines Landwirtes, machte um das Gehöft aber einen großzügigen Bogen, statt dort Zuflucht zu suchen.

Dies war wohl der Zeitpunkt, die Sache als erledigt zu betrachten und umzudrehen. Die Fäden fügten sich nicht zu einem erkennbaren Muster zusammen, sondern webten ein Bild, das sich den Gesetzen von Vernunft und Logik widersetzte. Es wurde unberechenbar und damit gefährlich. Voli schnaufte verdrießlich, machte kehrt und tat ein paar Schritte in Richtung Osten. Dann blieb er stehen, züngelte an der Luft und drehte den Kopf über die Schulter wieder Richtung Westen. Was hatte es nur mit dieser Frau auf sich? Er würde es nicht erfahren, wenn er jetzt umdrehte. Vielleicht war das auch besser so. Es hieß, dass man seine Schnauze nicht in jeden Kaninchenbau stecken sollte, denn in manchen hausten Schlangen. Da war etwas dran. Voli verschränkte die Arme und senkte sein Haupt. Er hatte sich nie mehr als nötig aus Redewendungen und Lehren der Älteren gemacht und wahrscheinlich trug das auch dazu bei, dass er noch lebte und nicht wie so viele andere bei dem Massaker im Reservat, der Flucht oder der Zeit danach umgekommen ist.

Die Neugier gewann den Kampf, denn er würde sich sonst auf ewig grämen. Also führte die Reise weiter in Richtung Westen immer der Spur nach, bis sich ihm ein Hindernis bot, das er nicht überwinden konnte. Dies wären spätestens die Mauern der Stadt Nowigrad, welchen er, das wusste er, bereits sehr nahe gekommen ist.

Weitere Stunden der Suche vergingen, in denen Voli viel Zeit verlor, musste er doch die Spur ein ums andere Mal aufgeben und zu einem späteren Zeitpunkt wiederfinden, wenn sie zu nahe an menschlichen Behausungen vorbei führte oder einer belebten Straße folgte. Doch er fand sie immer wieder, auch wenn etwas in ihm, etwas Vernünftiges, die Hoffnung nicht aufgab, sie zu verlieren. Die Reise endete schließlich nahe der Mitternachtsstunde in einem Vorort von Nowigrad. Die hohen Mauern der Stadtfeste zeichneten sich gegen den finsteren Horizont des Nachthimmels ab und mahnten ihn zur Umkehr. Doch Voli hatte Glück, denn die Spur führte nicht nahe an die Mauern heran, sondern schlängelte sich zielstrebig zu einem kleinen Haus auf einer Anhöhe, welches der Vran erreichen konnte, ohne sich groß der Gefahr auszusetzen gesehen zu werden, auch wenn er dafür den Vorort betreten musste.

Er kannte diese Art von Ansiedlungen, denn sie hatten entfernt etwas von einem Reservat der Vran. Sie waren Zuflucht für alles, was nicht den Luxus hatte, als Mensch das Licht der Welt zu erblicken. Dieser Gedanke bestätigte sich auch mehr und mehr, als er sich geduckt näher an das Haus auf der Anhöhe schlich und dabei immer wieder anhielt um zu lauschen und den Geschmack der Luft zu prüfen; sie schmeckte nach Elfen und Zwergen. Andersartig.

Das Haus kam nun in greifbare Nähe und so auch die Quelle des Geruchs, den er nun so lange verfolgt hatte. Der Duft von Patchouli und Vergissmeinnicht.

Re: Ferneck - das kleine Haus der Heilerin und der Alchemistin

Verfasst: Samstag 1. Oktober 2022, 13:12
von Lysira
Einige Stunden bevor Voli das Haus erreichte, war es in etwa um die Mittagszeit.

Lysira hatte Sarray aufmerksam zugehört, sie beobachtet während sie sprach. In gewisser Weise teilten sie ein ähnliches Leid, beide hatten sie einen schweren Verlust erlitten. Die Bruxa spürte auch, dass dies nur die Spitze des Eisbergs gewesen sein musste.
Sie sagte nichts. Es gab keine Worte, die in einer solchen Situation hilfreich waren. Nichts vermochte die Verstorbenen zurückzubringen.
Sanft legte sich Lysiras Hand auf die von Sarray. Ihr Blick suchte den der kleinen Blondine, ein Blick der aussagte, dass sie nicht alleine war.
Tatsächlich war ihr der Mahakamer Haufen ein Begriff. So viele Schlachtfelder hatte sie gesehen, so viel Grausamkeit. Natürlich hatte sie nicht gekämpft, was interessierte sie schon die Politik der Sterblichen? Sie war immer nur auf den Schlachtfeldern aufgetaucht, nachdem es vorbei gewesen war. Hatte nach Verwundeten gesucht, die zum Sterben zurückgelassen worden waren. Es war stets leichte Beute gewesen, zumindest nach logischer Betrachtung und sie hatte sich selbst in dieser Zeit sehr in Sicherheit wiegen können, aber das bedeutete nicht, dass die Anblicke nichts mit ihr gemacht hätten.
Hier war sie sanft gewesen, zärtlich nahezu, während sie die zurückgebliebenen erlöste, ihnen einen friedlichen Tod gewährte.
Die Traumata, die Sarray im Krieg durchlebt haben könnte traten der Bruxa innerlich vor Augen. Wie schaffte es diese kleine quirlige Person trotz allem meist so optimistisch und positiv gestimmt zu sein? Woher kam diese unbändige Lebensfreude, die sie so oft ausstrahlte?
Mit sanftem Druck streichelte Lysira Sarrays Hand, sie sagte nichts, doch ihr Blick sagte klar aus, dass die Bruxa jetzt für sie da war und zuhören würde, wenn sie jetzt fortfuhr. Aber auch, dass sie Sarray nicht bedrängen würde und genauso da wäre, wenn die kleine Blondine nichts weiter sagen würde.

Re: Ferneck - das kleine Haus der Heilerin und der Alchemistin

Verfasst: Samstag 1. Oktober 2022, 17:38
von Sarray Cestay
Mit einem Mal war die melancholische Art der Zwergin vorbei.
Sie lächelte, als wäre nichts gewesen.
„Ich hab Hunger. Das Brot ist alle. Soll ich dir die Scherben zeigen? Da gibt es einen Bäcker, der macht Törtchen, das hast du noch nicht…ähm…also ich mag die gern.“
Und den kleinen Jungen mit dem Bauchladen und den gerösteten Nüssen hoffte sie dort auch zu finden.
„Und wir können uns nach Kleidung für dich umschauen. Ein paar Münzen habe ich noch.“

Re: Ferneck - das kleine Haus der Heilerin und der Alchemistin

Verfasst: Sonntag 2. Oktober 2022, 15:10
von Lysira
Es fiel Lysira schwer zu ergründen, ob es einfach Sarrays Art war schnell in ihrer Stimmung umzuspringen, ob sie eine Fassade aufgebaut hatte, so wie die Bruxa sich selbst gern hinter einer Fassade verbarg oder ob es ihr nun verzweifelt nach Ablenkung verlangte. Ganz leicht hob Lysira eine Augenbraue, aber sie hakte nicht weiter nach.
„Vorletzte Nacht hast du mir doch die Scherben gezeigt, weißt du nicht mehr?“, fragte sie und schmunzelte dabei ein wenig.
„Aber lass uns gern nochmal dorthin gehen“, fügte sie hinzu, als ihr in den Sinn kam, dass Sarray das möglicherweise gerade einfach brauchte, um ihren Kopf wieder freizubekommen. Sie selbst fühlte sich nicht so ganz wohl dabei in der Mitte des Tages in die voll belebte Stadt zu gehen. Zu viele Gerüche, Geräusche, Menschen. Und Licht, so viel Licht. Es ist nicht so, dass es ihr schaden würde, aber das hieß noch lange nicht, dass sie sich darin wohl fühlte. Aber vermutlich war es wirklich das Sinnvollste. Sarray brauchte etwas zu essen und Lysira ein neues Kleid. Und vielleicht brauchte ja auch Ljerka irgendetwas, was sie ihr mitbringen konnten, was sie vielleicht zumindest ein wenig von der Tatsache ablenken konnte, dass Lysira abreisen würde, nachdem die Heilerin zurück gekehrt war.
Es kam der Bruxa bereits jetzt schon merkwürdig vor, dass Ljerka so lange fort geblieben war. Natürlich kannte sie die Sitten und Gebräuche der sterblichen Rassen nicht gut genug, um klar zu erkennen, dass irgendetwas hier nicht stimmen konnte, dennoch wunderte es sie, sie hätte die Heilerin doch etwas anders eingeschätzt angesichts des Zustandes, in dem Sarray sich zu diesem Zeitpunkt befunden hatte. Jedoch entschied sie fürs erste über diese Gedanken Schweigen zu bewahren, nun galt es erstmal, Sarray dabei zu helfen durch positive Eindrücke die Schatten der Vergangenheit zurück in ihre Käfige zu drängen und Sorge wäre dabei nun sicherlich nicht hilfreich.

Re: Ferneck - das kleine Haus der Heilerin und der Alchemistin

Verfasst: Dienstag 4. Oktober 2022, 02:53
von ERZÄHLER
Und so machten sich die beiden auf den Weg in die Scherben. Sarray wurde nicht müde, Lysira erneut alle Läden, Händler und Gaststuben zu zeigen, von der sie ihr die meisten bereits gezeigt hatte, aber doppelt hielt bekanntlich besser und außerdem war es natürlich auch ein Unterschied, ob man sich diese bei Tag oder bei Nacht anschaute. Der Zwergin schien das Ganze so gut zu tun, dass Lysira das Spiel mitspielte und sich so interessiert zeigte, als sähe sie alles zum ersten Mal. Zudem hatte sie selbst nun einige Kronen dabei, die sie alleine schon aufgrund ihres großen Gewichts loswerden wollte und auch Sarray trug ihre Geldkatze recht locker.
Am Ende des Tages war die Bruxa neu eingekleidet, dieses Mal in ein tannengrünes Kleid, das nicht weniger knapp geschnitten war als das Letzte. Durch die leichte daran angebrachte Schnürung schmeichelte es ihrer Figur ganz besonders, obgleich ihr etwas weniger Beengendes lieber gewesen wäre, aber man musste Kompromisse eingehen. Dafür kaufte sie sich aber auch einen neuen langen Reisekapuzenmantel, der deutlich weniger zerschlissen war, als der Alte.
Auch waren beide auf dem Rückweg voll beladen mit einem großen Vorrat an Nüssen, Backwaren, anderen haltbaren Lebensmitteln und allerlei Kräutern, die sie nun in Jutesäcken über den Schultern zurück nach Ferneck schleppten. Lysira hatte angemerkt, dass Ljerka nach ihrer langen Abwesenheit sicherlich eine volle Vorratskammer zu schätzen wissen würde. Vielleicht war es aber auch bloß ein Vorwand gewesen, um die letzten Momente noch etwas herauszuzögern.
So kam es, dass sie erst in den Abendstunden nach Ferneck zurückkehrten. Schon war der Bruxa anzumerken, dass die letzte Mahlzeit bereits wieder einige Zeit zurücklag. Ihre Körpertemperatur war wieder in einen Bereich abgefallen, der für einen Menschen bereits kritisch gewesen wäre und ihre Lippen waren deutlich blasser geworden, nur die Schatten unter den Augen hielten sich noch in Grenzen. Einige Stunden hatte sie noch, bis der Durst zu einer Qual werden würde.
Als das Haus in Sichtweite kam, ahnten die Beiden noch nicht, dass von Ljerka noch immer jede Spur fehlte. Und auch den Vran, der Lysiras Spuren zu dem Haus gefolgt war, bemerkten sie zunächst nicht.

Re: Ferneck - das kleine Haus der Heilerin und der Alchemistin

Verfasst: Dienstag 4. Oktober 2022, 09:01
von Sarray Cestay
Tatsächlich gab es in den Scherben auch viel Neues zu sehen. Manche Läden und Stände waren am Tage ganz anders bestückt als in der Nacht und natürlich hatten des nachts nicht alle geöffnet.
Dementsprechend war Sarray ebenso schwer bepack wie Lysira zurückgekehrt. Während sie ihre ‚Beute‘ verstaute war sie erstaunlich still. Einerseits machte sie sich sorgen um Lysira, andererseits – und das wog in diesem Moment schwerer – war Ljerka immer noch nicht zurück.
An der Unterlippe kauend durchsuchte sie erst noch einmal alles, auf der Suche nach einem Hinweis oder einer Nachricht. Nichts. Überhauptnichts.
Das war alles nicht gut. Gar nicht gut. Ljerka war noch nie verschwunden. Ob ihr etwas zugestoßen war? Ob der Oberspion sie kassiert hatte, um sie mit Fragen zu löchern?
„Ich mache mir Sorgen um Ljerka.“, teilte sie nach dem ungewöhnlichen langen Schweigen der Bruxa mit.
„Ich denke, du musst bald wieder jagen. Hättest du vorher noch Zeit, mit mir nach ihr zu suchen? Du hast da bestimmt Fähigkeiten, oder? Ich hätte eine Idee, wo ich anfangen möchte zu suchen.“
Sie seufzte und sah die Bruxa ernst an.
„Dazu muss ich dir aber etwas erklären. Wir sind vor kurzem in etwas hineingeraten. Ljerka hat einen Kumpel, und der hat einen Freund, und der ist Spion und hat mich letztens…nennen wir festgesetzt und befragt.“
Das ließ sie einen Moment wirken, bevor sie fortfuhr. „Sollte er sich jetzt Ljerka gekrallt haben, wüsste ich wo ich anfangen könnte zu suchen. Bevor du antwortest…ich muss man kurz nach hinten.“
Hinten, im Hinterhof, stand das kleine Holzhäuschen mit dem Herz in der Tür, das wusste Lysira.
Immer noch tief in Gedanken wuselte die Gnomin los. Sie hatte es eilig, starrte nur zu Boden und übersah auf dem Weg hin etwas Essentielles. Und das würde sich schnell rächen.
Schon auf dem Rückweg zu der Schwengelpumpe mit dem Eimer darunter traf es Sarray wie einen Blitz. Ein riesiger Schatten in der Form einer….Gurke?...war gerade im Begriff, die Blase zur Seite zu schieben, die als Fenster zu der kleinen Hütte diente.
Was war denn das?!
Die Zwergin gab einen leisen Schreckenslaut – ähnlich dem Quieken eines Ferkels – von sich und erstarrte an Ort und Stelle, käseblass und beide Hände am Griff der Pumpe.

Re: Ferneck - das kleine Haus der Heilerin und der Alchemistin

Verfasst: Dienstag 4. Oktober 2022, 11:29
von Voli
Es war eindeutig: der Duft von Patchouli und Vergissmeinnicht, den er nun so lange verfolgte, war hier an diesem Haus am stärksten. Klar, er zweigte in dünnen Fäden in verschiedene Richtungen ab und verlief sich im Vorort vor den Stadtmauern, aber am konzentriertesten war er hier. Volis Zunge schnellte nun in immer kürzeren Abständen durch die Luft, während er die kleine Anhöhe erklomm, immer geduckt, immer mit kurzen Pausen, in denen er inne hielt und seine Umgebung prüfte. Die Nacht war bereits soweit fortgeschritten, dass sich die Welt vor Volis Augen, welche das infrarote Spektrum wahrnehmen konnten, in Grautöne hüllte und ein gänzlich anderes Bild vermittelte, als es am Tag der Fall war.

Er erreichte schließlich die Wand auf der Rückseite des beschaulichen Gebäudes, positionierte sich neben einem Fenster und lauschte. Kein Geräusche, kein Licht. Nur der Geruch des Parfums und die Düfte der Nacht. Es schien niemand anwesend, doch war dies von seiner Position aus schwer zu sagen, ohne dass er einen Einblick ins Innere des Gebäudes bekam und prüfen konnte, wie warm der Raum und wie alte die Gerüche waren. Ein kurzer Blick würde genügen. Voli richtete sich halb auf, um auf der Höhe des Fensters zu sein, welches von einer Tierblase, gespannt in einem Holzrahmen, verschlossen wurde. Normalen Augen würde die Blase einen milchigen, grob umrissenen Einblick auf das Innere des Raums ermöglichen, doch für Volis Augen, welche momentan auf Wärme reagierten, war alles schwarz. Mit einer Klaue kratzte er prüfend über die trockene, raue Oberfläche, rüttelte dann am Holzrahmen. Er ließ sich aufschieben. So leise wie irgend möglich schob der Vran ihn zur Seite und steckte dann ganz ungeniert den Kopf in den Raum. Ließ alle Sinneseindrücke auf ihn wirken. Patchouli, Vergissmeinnicht, Zwerg, Mensch, frisches Brot, verschiedenste Kräuter und Wurzeln, tierische Fette, Extrakte und Öle, Blut in unterschiedlichem Alter, diverse Seifen, Alkohol, Wunden, Eiter, Tod. Der Raum zeigte Spuren von Wärme, doch Voli sah niemanden. Er wollte seinen Kopf noch weiter in den Raum stecken als plötzlich.

Ein Schrei, nein, ein Quieken, hoch und schrill, direkt hinter ihm. Den Vran überraschte es so sehr, dass er hochfuhr und dabei sein dicker Hals mit einem dumpfen ‘RUMS’ gegen den Fensterrahmen schlug, bevor er sich erfolgreich aus der Öffnung winden konnte. Als er es dann doch schaffte und sich umdrehte, war die Quelle des Geräuschs unverkennbar. Eine Zwergin nur wenige Schritte von ihm entfernt. Woher kam sie und vor allem, wie konnte Voli sie übersehen, wo sie sich ihm jetzt doch so hell und intensiv zeigte wie ein Leuchtfeuer? Keine Zeit für eine Antwort. Der Vran reagierte instinktiv, drückte sich, kaum dass er seinen Kopf aus dem Fenster gezogen hatte, von der Hauswand ab, riss die Kiefer zu einem drohenden, markerschütternden Fauchen weit auf und stürmte das kurze Stück gleich einer Gerölllawine auf allen Vieren auf die Zwergin zu.

Es ging alles sehr schnell. Sie war wie erstarrt vor Schreck und in nur wenigen Augenblicken war Voli bei ihr. Dicke Arme schlangen sich um das kleine Geschöpf, drehten es von ihm weg und hoben es an mit der Leichtigkeit, mit der man ein Kleinkind hochheben würde. Ein Arm drückte die Zwergin dabei grob an seine Brust, dass es ihr die Luft aus den Lungen presste, die freie Pranke erstickte dabei einen anschwellenden Schrei, indem er sie einfach auf ihr Gesicht presste. “Ssstill” zischte er ihr ins Ohr und sie konnte die gegabelte Zunge an ihrem Nacken spüren, als der Vran beiläufig ihren Geruch kostete. “Kein Laut” Voli blickte sich hastig um. Es war nicht unwahrscheinlich, dass noch jemand hiervon etwas mitbekommen hatte.

Re: Ferneck - das kleine Haus der Heilerin und der Alchemistin

Verfasst: Dienstag 4. Oktober 2022, 12:56
von Lysira
Sarray sprach genau das aus, was Lysira bereits durch den Kopf ging. Ljerka hatte ihre Rückkehr zu einem deutlich früheren Zeitpunkt angekündigt und war noch immer nicht hier. Und eigentlich war sie schon darauf vorbereitet gewesen, in dieser Nacht weiterzuziehen, eigentlich hatte sie auch gerade schon überlegt, wo sie ihre nächsten Opfer suchen würde. Sie wusste nicht mit Sicherheit, ob die Banditen dort sein würden, wo sie sie vermutete und hatte sie auch noch nicht beobachtet. Natürlich gehörte es zwangsläufig zum Raubtiersein dazu, auch mal Beute zu schlagen, die es weniger verdiente als andere, aber trotzdem bestand ohne vorherige Beobachtung immer auch die Gefahr eines Hinterhalts.
Hinzukam, dass die Bruxa wusste, dass die Zeit tickte. Denn hatte der Durst erst ein gewisses Level erreicht, war sie eine Gefahr für jeden, der sich in der Nähe aufhielt. Käme es später zu einer handgreiflichen Auseinandersetzung, noch dazu mitten in der Stadt, konnte dies verheerende Folge haben. Sowohl für Sarray, als auch für die Bruxa selbst, denn sie wusste ja nun, dass es in der Nähe einen Hexer gab.
Doch der ernste Blick der Zwergin, ihre Sorge… wie hätte Lysira da ,nein‘ sagen können? Dennoch wog sie ihre Antwort sorgfältig ab und ehe sie sprechen konnte, verschwand Sarray an einem Ort, von dem die Bruxa wusste, dass man sie dort besser nicht störte.
Sie seufzte. Dann ließ sie den Blick durch die Räumlichkeiten schweifen. Er blieb an einem über einen Stuhl gehängten offensichtlich getragenen Hemd in Menschengröße hängen. Lysira ging darauf zu, nahm es und versenkte die Nase darin, sog den Geruch tief ein. Kräuter. Krankheit, eine Spur von Fäulnis. Beides von außen, die Trägerin hatte einen anderen Geruch. Schweiß… Haut… längst vergangene Körperwärme… Ihre innere Bestie gab ein wohliges Schnurren von sich. Blut, nur ein einziger Hauch, das Blut der Trägerin. Der Ursprung dessen verdiente es wohl nicht einmal, als Kratzer bezeichnet zu werden. Aber es war genug um festzustellen, dass sie ziemlich lecker roch.
Im Normalfall hätte sie sich dafür gescholten, dass sie Ljerka für lecker befand, doch in diesem Moment war es von Vorteil, sie würde nur rechtzeitig die Kurve kriegen müssen.
Die Bruxa schaute auf, ihre Augen waren Pechschwarz. Sie schloss sie wieder. Wo war die Fährte? Zu alt… der Geruch haftete am Hemd und erstarb in der Umgebung. Verdammt…
Dann plötzlich ein spitzer Schrei von draußen, er kam eindeutig von Sarray. Mit einem Ruck war die Schnürung des Kleides geöffnet und ehe es auf dem Boden der Stube auftraf, stand Lysira draußen vor dem Vran, der ihre Freundin im festen Griff hielt, die Krallen zu ganzer Länge ausgefahren, die rasiermesserscharfen haifischartigen Zähne gebleckt und fauchte wie eine Raubkatze.
„Lass sie los!“, zischte sie in einer bedrohlichen, unnatürlich verzerrten Stimmlage, Augen und Lippen pechschwarz, der Körper nicht länger der einer Frau sondern nun der eines Monsters, das bereit war zu töten.

Re: Ferneck - das kleine Haus der Heilerin und der Alchemistin

Verfasst: Dienstag 4. Oktober 2022, 14:21
von Voli
Es hatte jemand etwas mitbekommen. Kaum hatte Voli der Zwergin die Pranke aufs Gesicht gepresst, was sicher zur Folge hatte, dass diese schlecht, wenn nicht sogar gar nicht atmen konnte, tauchte ein weiteres Wesen auf. Voli nahm es zuerst gar nicht so recht wahr, denn es hob sich nicht so hell von der Dunkelheit ab, wie es die Zwergin tat. Es war kälter.

Der Anblick brachte Voli dazu, seinen Griff zu verhärten und jeden Muskel in seinem Körper anzuspannen. Sein Herz begann zu rasen, sein Atem ging schneller. Die Alten sollten recht behalten: Dies war kein Kaninchenbau, sondern der Bau einer Schlange, in den Voli seine Schnauze gesteckt hatte. Patchouli und Vergissmeinnicht. Er roch Spuren davon an der Zwergin, aber die Quelle des Geruchs war eindeutig dieses Wesen vor ihm. Er ist nicht einem vermeintlichen Überlebenden des Massakers in den Ruinen gefolgt, sondern dem Täter. Ein Monster.

“Lass sie los!” zischte es drohend und schürte damit längst vergessene Glut, die unter tiefen Schichten erkalteter Asche verborgen lag. Etwas, was jeder in sich trug. Angst. Die Angst eines Kaninchens in der Schlinge, die Angst einer Hirschkuh, die von einem Rudel Wölfe durch den Wald gehetzt wurde, die Angst, die Beute empfand. In Voli zog sich alles zusammen und fast hätte er auf das Monster gehört. Sein Griff lockerte sich einen Augenblick, bevor er sich wieder verhärtete. Nein. Wenn er die Zwergin losließ, würde er sterben. Sie war das einzige, was ihn am Leben hielt.

Stattdessen hob er die Zwergin höher, drückte ihren Kopf etwas zur Seite und entblößte ihre Kehle neben seinem Maul. Die Geste war deutlich. Eine falsche Bewegung und er würde zubeißen. "Nein", zischte er. Seine Stimme bebte dabei unsicher; er hoffte nur, dieses Wesen war mit seiner Art nicht vertraut genug, als dass sie seine Angst lesen konnte. “Hab gesehen, was du getan hassst.” Sein Kopf nickte einmal unmerklich in Richtung Osten “Bin dir gefolgt. Habe… was anderes erwartet. Was bissst du?” Der Körper der Zwergin wurde plötzlich schlaff in seinem Griff. Erst jetzt merkte der Vran, dass er ihr die Möglichkeit zum Atmen nahm und zog die Pranke zurück, welche bisher das gesamte Gesicht der Frau verdeckt hatte. Sollte sie doch schreien. Gut möglich, dass das zu seinem Vorteil war.

Re: Ferneck - das kleine Haus der Heilerin und der Alchemistin

Verfasst: Dienstag 4. Oktober 2022, 15:37
von Lysira
Tiefschwarze von dunklen Schatten umgebene Augen fixierten den Vran, erfassten jede Bewegung, jedes Muskelzucken. Lysira zögerte. Würde sie jetzt angreifen, konnte das übel für Sarray enden. Ihr erster Gedanke war, dass dieses Geschöpf die toten Banditen rächen wollte, doch wäre Wut sein Antrieb, wäre die kleine Blondine bereits tot.
Im nächsten Moment sackte die Zwergin in seinen Armen zusammen, Lysira setzte zum Sprung an, ohne nachzudenken, als sie durch ihre geschärften Sinne den Atemzug ihrer Freundin vernahm. Das Muskelzucken der Kreatur, das die Kleine ein Stück weit freigab wirkte eher erschrocken, die Bewegung eines eingepferchten Raubtiers. Die Bruxa verstand, sie selbst kannte dieses Gefühl. Er war ein Monster wie sie selbst und er hatte eigentlich gar nicht vor, Sarray zu töten. Er hatte Angst.
Lysiras Muskulatur schien sich ein wenig zu entspannen, trotzdem war sie noch immer bereit für einen möglichen Angriff und in ihrer Stimme klang ein Hauch mehr der Weiblichkeit mit, als sie sagte: „Sehr gut. Dann weißt du ja in etwa, wie dein Ende aussehen wird, wenn du sie tötest.“ Ihre Stimme klang wie ein seidenweiches und zugleich eiskaltes Schnurren.
„Was ich bin, werde ich dir erklären, wenn du sie herunterlässt. Die Art und Weise in der ich das tue, bestimmst du selbst. Du bist für mich als Nahrung nicht relevant. Ich werde dich nicht töten, solange du mir keinen Grund dafür gibst.“

Re: Ferneck - das kleine Haus der Heilerin und der Alchemistin

Verfasst: Dienstag 4. Oktober 2022, 16:34
von Voli
Es war schnell. Extrem schnell. Es setzte zum Sprung an, Muskeln spannten sich wie die Sehnen eines Bogens und Voli zweifelte nicht, dass sie schnell wie ein Pfeil bei ihm sein konnte. Würde er die Zwergin so schnell töten können? Würde das überhaupt einen Unterschied machen? Er würde so oder so sterben. Doch das Monster hielt inne und sprach weiter auf ihn ein. Voli spürte, wie der Kopf der Zwergin zur Seite weg nickte und der Körper schlaff und reglos blieb. Er züngelte vor ihrem Gesicht. Ein Atem war noch da, ebenso ein Herzschlag. Voli machte Fehler, er verlor die Nerven, er musste sich zusammenreißen. “Ich denke es hat Gefühle für Zwerg” Sprach Voli das Offensichtliche aus. Er interessierte sich schon dafür, was sie war, aber er würde sein Leben dann doch nicht für seine Neugier aufs Spiel setzen. Zumindest nicht zwei Mal an einem Tag.

“Ich werde sie nicht verletzen. Aber ich werde sie auch nicht aussshändigen.” Er schluckte schwer. Überlegte angespannt. “Ich werde sie mitnehmen.'' Schloss er. “Eine Stunde von hier, Südosten, alter Hof. Verlasssen. Dort wird es sie finden. Lebendig. Mich wird es dort nicht finden. Folgen kann es in einer Stunde. Danach jeder geht seinen Weg.” Seine Pranke packte den schlaff zur Seite hängenden Kopf der Zwergin und richtete ihn wieder auf wie eine Puppe, sodass die geschlossenen Lider der Frau in Richtung des Monsters zeigten. Die Hand des Vran war dabei so groß, dass man meinen könnte, er könne den kleinen Kopf der Zwergin einfach zerquetschen wie eine Tomate. “Abgemacht?”

Re: Ferneck - das kleine Haus der Heilerin und der Alchemistin

Verfasst: Dienstag 4. Oktober 2022, 17:28
von Lysira
Lysira seufzte. Eine Pattsituation. Garantiert würde sie den Vran nicht mit Sarray gehen lassen, aber sie durfte auch nicht riskieren, dass er sie an Ort und Stelle tötete. Mühsam fing sie die innere Bestie ein, das Monster verwandelte sich zurück in die nackte junge Frau, die Körpertemperatur stieg wieder auf das Maß eines unterkühlten Menschen an.
Statt seine Pranke anzunehmen verschränkte sie die Arme hinter ihrem Rücken, drehte sich um und legte den Kopf etwas auf die Seite, offenbarte ihren Hals.
„Ich bin eine Bruxa. Meine physischen Kräfte haben Grenzen. Wir beide wissen, dass die Zwergin nichts mit unserem gegenseitigen Missvertrauen zu tun hat. Leg sie ab. Ich werde nicht angreifen.“
Ihre Stimme war wieder ganz die einer Frau, während sie auf die Knie sank. Nun in einer Position, aus der sie sich nicht allzu schnell herausbewegen konnte. Beinahe auffordernd streckte sie dem Vran ihre auf dem Rücken sorgsam ineinander verschränkten Arme entgegen. Mit einem Griff würde er sie nun fixieren können, sofern er Sarray losließ.
Lysira war sich nicht klar, ob das eine so gute Idee war, ihr blieb nur, sich auf ihr Urteilsvermögen zu verlassen. Schlimmstenfalls würde er mit Sarray fliehen, dann würde sie immer noch schnell genug hinterher kommen. Aber vielleicht konnte sie auch bewirken, dass er sich darauf einließ. Die Geste war schließlich eindeutig. Sie lieferte sich aus.

Re: Ferneck - das kleine Haus der Heilerin und der Alchemistin

Verfasst: Dienstag 4. Oktober 2022, 18:27
von Voli
Das war keine gute Idee. Voli hatte gesehen, zu was dieses Wesen imstande war. Es hatte einen Menschen in zwei Hälften zerrissen und die übrigen waren auch nicht in einem bedeutend besseren Zustand. Dieses Wesen war ihm nicht so unähnlich, musste er gestehen. Es war eine geborene Tötungsmaschine, wie ein Winter-Vran. Nur besser. Vielleicht konnte er es festhalten, vielleicht würde dieses Wesen, das plötzlich die Gestalt einer blassen, unbekleideten, ja fast schon zerbrechlich wirkenden Menschenfrau annahm, dies auch zulassen. Aber was dann? Dann war er direkt in seiner Reichweite und es befand sich keine schützende Zwergin mehr zwischen ihm und diesem Monster. Ob er es töten konnte? Ob ein gezielter Biss oder ein kräftiger Hieb mit seiner Gabelschwanzkeule ausreichen würden? Er hatte seine Zweifel.

Nein, Voli würde sich nicht auf die Bedingungen dieser Kreatur der Nacht einlassen. Es spielte mit ihm wie eine Katze mit der Maus, das sagten ihm seine Instinkte. Es zeigte sich unterwürfig und schwach, weil es wusste, dass eine Maus einer Katze nichts anhaben konnte, selbst wenn die Katze ihre Krallen einfuhr und ihre Kehle entblößte. “Es spricht mit zwei Stimmen und besitzt zwei Gesichter. Es versucht seine Natur mit Duftstoffen zu verdecken, doch es kann mich nicht täuschen.” Sagte er nur. “Ihr wird nichts passsieren.”

Der Vran machte einen Schritt rückwärts, dann noch einen. “Es hat mein Wort. Wenn der Mond am höchsten steht, kann es nachkommen. Ein alter, verlasssener Hof, zwei Meilen südöstlich. Hinter einem schnell fließendem Bach und einem Feld mit einer einsamen Eiche. Es wird sie in der Scheune mit dem zerfallenen Dach finden.”
Die Entscheidung war gefallen. "Merke ich, dasss es mir folgt, stirbt erst die Zwergin und danach einer von uns" und damit verließ Voli rückwärts schreitend die Anhöhe mit der bewusstlosen Zwergin fest im Griff. Er ließ die Bruxa dabei nicht aus den Augen.

<geht hier weiter>