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In Nubgorod (Noobtown)

Verfasst: Freitag 7. Januar 2022, 19:02
von Jessica Voss
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von/nach: Westlich, nahe des großen Sumpfs / Nubgorod (Noobtown)
Datum: 15. Mai 2021
Uhrzeit: 1800 OEZ (Zulu+2)
betrifft: jeden, der will!
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Es dämmerte bereits wieder, als Jessie durch das Objektiv der Kodak in der Ferne Häuser ausmachen konnte. Es schien sich um eine kleine, verfallene Siedlung zu handeln, in der sich allerdings vermummte Menschen aufhielten, auf und ab gingen und hier und da gemeinsam an einem Feuer saßen. Das war es also. Der Moment der Entscheidung. Vielleicht war das dieser Kordon, von dem sie gehört hatte. Vielleicht aber hatte sie sich auch verlaufen und würde gleich in eine Siedlung voller verrückter Endzeit Überlebender stolpern, die sie vergewaltigen und essen wollten. Es gab nur eine Möglichkeit herauszufinden, ob auch andere Leute zu oft Mad Max geschaut hatten.

Mit erhobenen Händen ging sie näher, die Kalaschnikow möglichst weit auf den Rücken um den kleinen Rucksack geschlungen, damit die Waffe nicht sofort als eine Bedrohung aufgefasst werden würde. Eine der patrouillierenden Wachen entdeckte sie, hob seine Waffe und ging ein paar Schritte auf sie zu.
"Halt!" rief der Mann, der einen blonden, kurzen Militärschnitt trug, sein Gesicht aber mit einem bandanaartigen Halstuch umwickelt hatte, der seine Züge nur schwer erkennen ließ.
"Frieden! Stalker!" wiederholte Jessie auf Russisch die Worte des Mannes, den sie gestern getroffen hatten und hoffte, dass es ihr helfen und sie nicht in Teufelsküche bringen würde.
Der Wächter runzelte die Stirn, machte aber keine Anstalten ihr deswegen zu vertrauen. Kurz fragte sie sich, ob der Typ ihr einfach nur grundsätzlich misstraute, oder ob es daran lag, dass er keine weiblichen Stalker gewohnt war.
"Du bist kein Stalker! Zumindest keiner, den ich kenne. Was willst du hier?"
Die Waffe des Mannes senkte sich keinen Zentimeter von ihrem Kopf weg und Jessie schluckte schwer, die Angst nicht siegen zu lassen, als sie daran dachte, wie schnell auch ihr Hirn und ihr Schädel das Gras hinter ihr sprenkeln konnten. Vielleicht war hier eine andere Herangehensweise angebracht. Vielleicht musste sie zeigen, dass sie einer dieser Stalker sein konnte. Dass auch eine Frau den Mumm hatte, sich der Zone zu stellen.

Zwar ließ sie nicht die Hände sinken, lächelte den Mann vor ihr aber überheblich an.
"Nur weil du mich nicht kennst, heißt das nicht, dass ich kein Stalker bin." bluffte sie und fragte sich wieder einmal in welche Lage sie das bringen würde.
Der Mann zog eine Augenbraue in die Höhe und Jessie hätte schwören können, dass auch er unter seinem Halstuch ein Grinsen zur Schau stellte. Er deutete mit dem Lauf seiner Waffe auf ihre um den Hals hängende Kodak.
"Ich glaube eher, dass du nur eine Touristin bist. Wir können hier keine Touristen gebrauchen. Touristen sterben oder bringen anderen den Tod. Das ist alles, was ihr könnt."
Er nickte in Richtung einiger Barrikaden und Militärfarzeuge in einiger Entfernung. Es sah beinahe so aus, wie ein militärischer Außenposten.
"Sei froh, dass die dich noch nicht entdeckt haben. Die sind nicht so freundlich zu Touristen und Frischlingen, wie wir."
So langsam wurde Jessie ärgerlich und sie spürte, wie der Drang in ihr aufkeimte, die Scheiße aus dem Typen herauszudiskutieren.
"Und trotzdem bin ich hier und brauche Hilfe und Unterschlupf. Ich brauche zumindest ein paar Informationen und dann seid ihr mich wieder los."

Dem skeptischen Blick nach zu urteilen, hatte sie den Kerl noch nicht überzeugt und würde mit ihrer Notlage auch nur weiter auf Granit stoßen. Also versuchte sie eine andere Taktik.
"Hör' zu! Ich habe einen toten Stalker gefunden und seinen PDA. Bring mich zu Deinem Chef und der soll entscheiden, ob der PDA einen Handel wert ist, klar?"
Sie hielt angespannt den Atem an, als sie bemerkte, wie der Mann sich ob ihres Befehlstons versteifte. Wenn der Typ so ein chauvinistisches Machoschwein, wie der ex-KSK Michael war, dann konnte sie sich schnell dafür eine Kugel einfangen. Dann lachte der Wächter vor ihr laut und herzhaft und senkte die Waffe ein Stück.
"Du hast echt Eier, Kleine! Gefällt mir!" stieß er hervor und Jessie knirschte angewidert mit den Zähnen, weil sie es einerseits nicht mochte, 'Kleines' genannt zu werden und sich andererseits vorstellen konnte, was dem Typen gerade durch den Kopf ging. Dennoch machte sie eine gute Miene zum bösen Spiel und lächelte ebenfalls, als würde ihr die Art des Mannes gefallen.

Er deutete mit der Waffe auf den inneren Bereich der Siedlung und gab ihr damit zu verstehen, dass sie an dem Schlagbaum, der die Straße absperrte, vorbei und vorgehen sollte. Sie nickte und ging voraus, schaute sich in dem kleinen Dorf um und bemerkte die überraschten Gesichtsausdrücke der Männer, die an Feuern Pause machten, Geschichten erzählten oder auf einer Gitarre melancholische, russiche Lieder spielten. Eine Bande hartgesottener Männer, wenn sie je welche gesehen hatte. Und sie hatte schon mit den Nachtwölfen, bulgarischen Schleppern und der russischen Mafia zu tun gehabt.

In diesem Moment fragte Jessica sich ernsthaft, ob sie diesen Ort jemals wieder lebend verlassen würde, oder ob sie ihre Neugier jetzt endgültig ins Verderben getrieben hatte.

Re: In Nubgorod (Noobtown)

Verfasst: Freitag 7. Januar 2022, 23:11
von ERZÄHLER
Der Gruppe an der Janow war das Verschwinden des Kommandanten in Pripyat relativ egal. Kovac und Starik, die die Außenstelle an der Janow Station bildeten waren grundsätzlich mit Sokolovs Methoden nicht einverstanden gewesen. Es mangelte ihm an Disziplin, am nötigen Ernst, an Verantwortungsgefühl und überhaupt er er im Grund selbst ein Verbrecher, nur dass er eben den nötigen Rang hatte der das alles unwichtig zu machen schien.
Er war Rangniedriger und hatte nicht viel zu melden und deshalb war er auch nur die Außenstelle an der Janow, Pripyat untergeordnet und nicht mehr als ein Handlanger der Jäger, vor allem Sokolovs.
Deshalb war er auch nicht weiter unglücklich, als der Oberst nicht mehr zurückkehrte, nicht nach Tagen, nicht nach Wochen, Monaten und auch nicht nach mehr als einem Jahr.
Es gab Untersuchungen, es wurden Fragen gestellt, er konnte so alle ehrlich beantworten.
Er musste keinen Hehl daraus machen, dass er Sokolovs Vorgehensweise nie sonderlich geschätzt hatte und ihm auch zutraute, dass er sich einfach aus dem Staub machte um irgendwo irgendeine Hure zu knallen. Irgendwo am anderen Ende der Welt wenn möglich, sollte ihm recht sein.
Er würde seine Arbeit hier weiter machen und sich Beförderung um Beförderung verdienen. Verdienen, jawohl, anders als dieser Emporkömmling, der alle Vorteile nur über die Familie erhalten hatte. Kein Arbeiterkind sondern Neureiche, die mit ihren dicken europäischen Wagen in zweiter Reihe parkten und glaubten, sie hätten das Recht dazu nur eil sie ein paar Rubel mehr auf dem Konto hatten. Er hatte sich nichts erarbeitet, alle nur geerbt.

Jetzt gerade stand Kovac dem Stalker gegenüber, den sie hier 'Wolf' nannten. Der war so etwas wie eine Institution hier, genauso wie der Händler, Sidorovitch, die der Rucksack. Irgendwie überlebten sie seit über 15 Jahre in der Zone und schlugen Profit aus den Neuankömmlingen. Auf ihre ganz eigene Weise.
Aber in der letzten Zeit hatte es sich eingebürgert, dass einerseits Touristen versuchten in die Zone zu gelangen - weniger optimal aber fast noch schlimmer, irgendetwas war wohl in den sozialen Medien durchgesickert und nun zog die Zone irgendwelche verrückten Instagrammer an wie Scheiße die Fliegen und wie Fliegen starben sie auch. Entweder weil sie bei einem dummen Selfie in eine Anomalie tappten oder weil irgendwelche Banditen auf den Trichter gekommen waren, dass diese Idioten leicht zu fangen waren und meist sogar ganz gute Ausrüstung mitbrachten, vor allem aber Smartphones auf denen man noch eine Weile Musik hören konnte. Gut, er übertrieb, aber 4 tote Influencer war schlimmer als ein ganzer Schulbus verschwundener Kinder, man musste sich etwas einfallen lassen um das in den Griff zu bekommen. Online wie offline.

Und Wolf und die Jungs hier hatten nicht vor auch nur irgend einen Finger krumm zu machen. Kovac konnte ihnen keine Anweisungen geben er musste versuchen, ihn zu überzeugen und das war bei diesen anarchistischen Sturschädeln schwer genug, da hätte er sich auf den Kopf stellen können. Wolf war nicht einen Finger breit zu bewegen.
Er wollte seine Leute nicht in Gefahr bringen und so weiter, er solle doch froh sein, die schnappen sich nur Touristen, um sie ist es nicht schade...
Was es draußen für Probleme machte konnte er ihm ja nicht erklären.
Daran zu denken, dass er vor 10 Jahren wohl noch anders entschieden hätte kam Kovac nicht, er war noch nicht so lange in der Zone.
So diskutierten sie noch eine Weile ehe sich Kovac dann entnervt zu den anderen ans Feuer setzte. Er würde es später mit seine Kollegen besprechen müssen, vielleicht kontaktierte er sogar den Armeeposten oder es gelang ihm, die Wächter aufzustacheln, irgendetwas musste geschehen.
Und dann wollte es der Zufall, dass gerade jetzt so ein Tourist auftauchte... schlimmer noch eine Touristin. Verdammte Scheiße noch eins.
Unschlüssig wie er vorgehen sollte blieb er erstmal am Feuer sitzen bei den anderen, lauschte ein wenig, es schadete nie, die Ohren offen zu halten.

Sascha.

Verfasst: Donnerstag 13. Januar 2022, 17:33
von Jessica Voss
Jessica folgte dem Mann wortlos und ließ den Blick über die verfallene Siedlung streifen. Die wenigen Gebäude waren nur noch Ruinen, Skelette ihrer einstmaligen Wohnlichkeit. Hier und da konnte sie durch Löcher in den Wänden oder Fensterrahmen, die schon ewig kein Glas mehr hielten, einige alte und vergammelte Möbelstücke erkennen, die wohl niemandem mehr einen anderen Nutzen bieten konnten, als stinkendes, stark qualmendes Feuerholz zu sein.
Sie folgten der Straße aus plattgetrampelter Erde, die zwischen den Gerippen der Häuser verlief, und sah die Männer an, die in kleinen Grüppchen verstreut, nahe der Gebäude verweilten, miteinander redeten oder sich an kleinen Feuerstellen etwas zu Essen warm machten. Der Geruch nach verschmortem Dosenfutter bewirkte, dass sich Jessies Magen sowohl vor Hunger, als auch Ekel regte. Die beschwingenden Klänge eines russischen Liedes drangen an ihr Ohr und sie lauschte mit geteilter Aufmerksamkeit dem Text, den der Gitarrenspieler zu seinen geübten Handgriffen mit rauer Stimme sang.

"Sasha ochen' lyubit knigi,..."
'Sascha liebt Bücher sehr,...'
Jessie musste sich ein spöttisches Grinsen verkneifen. Diese Männer sahen nun nicht gerade wie Gelehrte aus. Ihre Gesichter waren abgehalftert und wettergegerbt. Ein harter Schlag von Männern, die ihr Leben in einer todbringenden Umgebung verbrachten und nur die besten von ihnen kamen damit durch. Darwin hätte seine helle Freude an diesem Ort gehabt.

"... pro geroyev i pro mest',..."
'... über Helden und über Rache,...'
Na, das machte doch schon durchaus mehr Sinn. Das Kind im Manne. Der große Held zu sein, der Abenteuer erlebt und am Ende das Mädchen bekommt. Die Blicke, die die Stalker ihr zuwarfen kannte sie und sie hatten nichts mit einem romantischen Candlelight Dinner zu tun. Diese Blicke hatte sie schon hunderte Male auf sich gespürt. Allein als Frau in einer Männerdomäne. Da war es egal, wo man sich befand, sei es auf Informantensuche in einer russischen Straßengang, auf Newsflash-Suche bei ukrainischen Partisanen oder einfach nur in einem deutschen Werk, in dem Männer schwere, dreckige Arbeit verrichten mussten.

"... Sasha khochet byt' geroyem,..."
'... Sascha will ein Held sein,...'
Jessie empfand bei diesen Blicken weder Abscheu noch Ärger. Sie konnte es den Männern nicht einmal verübeln, so allein unter sich, monatelang von der Zivilisation entfernt. Zur Hölle, sie wollte keine Bilder von sich selbst sehen, wenn sie nach einer Woche im Büro den knackigen Typen im Fitnessstudio nachgaffte. Das war wohl die Natur des Menschen. Dennoch,... im Gegensatz zu all ihren anderen, bisherigen Einsatzgebieten hatte sie hier keine Chance auf Flucht oder darauf, dass rechtzeitig Hilfe kam. Sie hätte sich die Haare zu einem Knoten unter eine Mütze stecken sollen, verdammt!

"... a on takoy i yest'."
'... und er ist.'
Na, da konnte sie ja nur hoffen, dass die Männer sich auch so verhalten würden. Sie war ihrer Laune ausgeliefert, das wusste sie. Vielleicht würde die nahe Militärpräsenz ein wenig Disziplin bringen, aber Jessie glaubte nicht daran. Oft waren Soldaten noch viel schlimmer, als die niedersten Zivilisten. Aber sollte es zum Schlimmsten kommen, wäre sie bereit und würde nicht kampflos untergehen, das stand jedenfalls fest.

Keiner der sie umgebenden Männer hatte das Wort an sich gerichtet. Nicht einmal Pfiffe oder unzüchtige Gesten hatte sie gesehen. Vielleicht führte dieser Wolf ja ein strenges Regiment. Vielleicht waren die Stalker auch einfach nur müde und ausgezehrt vom harten Leben in diesem Todeskessel. Die Worte ihres Führers durchbrachen ihre schauerlichen Gedanken.
"Wohin soll ich dich bringen, Kukolka?"
'Püppchen',... naja, man hatte ihr schon schlimmere Namen gegeben und der Tonfall des Mannes war weder unfreundlich noch herablassend, was sie ihm unter diesen Umständen durchaus hoch anrechnete. Er fuhr fort, ihr die Möglichkeiten aufzuzählen.
"Ich kann dich zu Wolf bringen. Er ist hier sowas wie unser Anführer und kennt die Zone, wie fast kein anderer. Allerdings ist er gerade in einem Gespräch, also müsstest du dich gedulden. Schwer für Touristen, ich weiß. Dann wäre da noch Sidorovich, ein Händler, der sich hier wie eine Zecke festgesetzt hat und dir wohl genauso viele Informationen geben kann. Beide sind schon seit über zehn Jahren hier und trotzen allen Widrigkeiten. Bei Sidorovich glaube ich allerdings, dass er einfach nur zu alt und fett geworden ist, um noch durch die Türen seines Bunkers zu passen."
Er lachte dreckig und schaute Jessie, wohl stolz über seinen eigenen Witz, vergnügt an. Sie gab ihm ein möglichst diplomatisches Lächeln zurück.
"Jedenfalls ist Sidorovich ruhig und nett, aber doppelzüngig wie eine Schlange. Alles hat für ihn einen Preis, also wäge gut ab, was du ihm bieten willst. Wolf hingegen ist ein harter, fieser Mistkerl. Hart aber gerecht. Kein Bullshit, direkt auf den Punkt. Aber er mag keine Touristen. Deine Entscheidung, Püppchen."

Jessie dachte einen Moment über ihre Optionen nach, während sie die Ausläufer von Noobtown erreichten. Ein Händler, der schon seit über einem Jahrzehnt hier sein Lager aufgeschlagen hatte und von allen namentlich erkannt wurde? Der klang nach einer hervorragenden Informationsquelle. Aber hatte sie etwas von Wert für ihn? Sie wusste nicht, wieviel so ein gestrandeter und dazu noch defekter PDA wert war. Vielleicht waren die Daten darauf ja noch zu retten und durchaus wertvoll. Dennoch,...
Dieser Wolf,... wenn sich ein Mann schon Wolf nannte und Anführer eines "Rudels" war, dann konnte man von ihm auch gewisse Alpha-Tier Eigenschaften erwarten. Zum Beispiel würde er es wohl nicht gut heißen, einfach so übergangen zu werden. Wahrscheinlich war es ratsam, sich erst einmal mit ihm zu beschäftigen und ihm die nötige "Aufwartung" zu machen. Ein Stalker, der schon so lange überlebt hatte, musste noch bessere Informationen besitzen und vielleicht wäre der Kerl einfach nur wieder froh, sie los zu sein, damit seine Männer nicht weiter abgelenkt wurden. Sie hatte sich entschieden.

"Bring' mich zu Wolf!" sagte sie entschieden und mit einem Selbstbewusstsein, welches sie nicht spürte. Sie hoffte nur, dass dieser Wolf nicht versuchen würde, ihr die Kehle heraus zu reissen.

Re: In Nubgorod (Noobtown)

Verfasst: Freitag 14. Januar 2022, 13:38
von ERZÄHLER
Er hockte am Feuer, wärmte sich kurz die Hände und lauschte den Gesprächen.
"...einen Seestern gefunden... Verdammtes Scheiß Glück."
"Baradatsch hat's erwisch, ja, gestern."
"...hat viele erwischt. Eine scheiß Apokalypse war das."
"...wieder das blasse Mädchen gesehen, bei Rostok... hat Hunde verjagt."
"...du spinnst..."
"Gib mal her das Zeug..."
"Halt du doch die Schnauze!"
"...hast du von Skif gehört?"
"Im Dezember wollte der wieder hier sein..."

...Die Frauen sind verrückt nach Sasha,
Sasha ist verrückt nach den Frauen...


Der Sänger, ein junger Mann mit ernsthaft Talent kannte das Lied offenbar komplett auswendig. Mal etwas anderes. Die anderen Hits von Zoi hörte man hier rauf und runter, "Sascha" war mal etwas neues.

Der Wächter, auch ihn hatte Kovac schon ein paar mal gesehen, aber der Name hatte ihn nie interessiert, führte die Touristin gerade zu Wolf. Er hatte ihr zuvor noch genau erörtert wer Sidorowitch war und wer Wolf. Er war dabei geduldiger als die meisten.
Aber der beste Rat für die Frau wäre gewesen, schmier dir Dreck ins Gesicht und versteck die Haare unter der Mütze, hier draußen sind sie noch halbwegs geduldig, aber wenn du Banditen in die Hände fällst...
Aber was kümmerte es ihn. Vielleicht kam sie ein Dorf weiter ehe Hunde sie fraßen, vielleicht kam sie an den Hunden vorbei und lief einer Militärstreife in die Arme oder doch wieder Banditen. Die Zone holte einen, so oder so.
Nur ein Wort ließ ihn dann doch aufhorchen. Sie wollte etwas verkaufen. Es lohnte sich vielleicht doch zuzuhören. Die wenigsten Touristen wollten etwas verkaufen, meist suchten sie etwas, einen Führer in der Regel. Sie ging anders vor.

Re: In Nubgorod (Noobtown)

Verfasst: Sonntag 23. Januar 2022, 18:41
von ERZÄHLER
Bis eben hatte sich der Mann, den alle 'Wolf' nannten noch mit dem Schmied unterhalten. Das war wohl der Name. Manche nannten ihn Kusnetz, andere Kovac, Aber egal ob russisch, slovakisch oder kroatisch, es war die gleiche Bedeutung. Vielleicht leitete sich das ja von seinem Familiennamen ab oder von einem Beruf, das mochte so sein oder auch nicht, hier interessierte das keinen. Der Bursche war reichlich jung und in Wolfs Augen ein Großmaul. Er sah es so: der Kerl wollte sich profilieren um irgendwann von den Jägern in Pripyat akzeptiert zu werden, zu denen er wohl losen Kontakt pflegte, aber nachdem er immer noch hier war und nicht in der großen Stadt war er ihnen wohl noch zu grün. Und so hatte er sich mit solchen wie dem herumzuschlagen.
Und der wollte ihm erzählen, dass man gegen Banditen vorgehen müsse... Schwachkopf.
Namen galten in der Zone etwas. Und ihn nannten sie den Wolf, das hatte er sich auch verdient.
Der fiel eindeutig in die Kategorie 'Wasja'.
Und bei der Gelegenheit schleppte ihm Nosik einen Touristen an.
Erst dachte er, es wäre so eine Schwuchtel von neuerdings 'metrosexuellem' Jungen, aber es war noch schlimmer. Es war ja wirklich eine Frau.
"Das Püppchen will was von dir, Wolf."
War die einzige Erklärung, die er erhielt. Und das nachdem er seit geschlagenen 15 Jahren den Job hier machte. Sie lernten einfach nicht dazu oder vergaßen schneller wieder als sie ihren Namen buchstabieren konnten. Sie fingen schwach an, nur um dann stark nachzulassen. Dämliche Wichser von Anfängern.
Wolf mustere ihn aus kleinen zusammengekniffenen Augen. Er war alt geworden und die Jahre in der Zone waren nicht spurlos an ihm vorübergegangen. Schlecht rasierte Bartstoppeln, fleckige Haut aber ansonsten ein Durchschnittsgesicht. Nur eben alt. In der Zone alt geworden.
"Und was?... ha? ...dann soll sie es mir erklären, Nosik, wenn du dazu nicht in der Lage bist."
bellte er, und zum Teil wurde klar, woher der Name kam.
So einen 'Hund' zu nennen traute sich einfach keiner.

"Säume nicht, dich zu erdreisten, wenn die Menge zaudernd schweift!" (JWvG)

Verfasst: Donnerstag 27. Januar 2022, 20:11
von Jessica Voss
Trotz des Halstuches, welches Nosiks Gesicht bedeckte, war ihm anzusehen, dass er über Wolfs Reaktion die Nase rümpfte, als er ansonsten wortlos Kehrt machte und wieder zu seinem Wachposten stapfte. Vielleicht war es nicht nur der Rest des nuklearen Fallouts, vor dem die Männer hier ihre Gesichter bedeckten. Vermutlich konnte es sich keiner der harten Jungs leisten, die wahren Gefühle zu zeigen, wenn sie nicht an der Position des Alpha Tiers standen. Und dieser Wolf machte trotz seines Alters noch eine gute Figur, was das anging. Sein grantiger Tonfall allerdings trat Jessicas Hoffnung auf eine gesittete Diskussion, ohne sich selbst erst beweisen zu müssen, mit Füßen.
Sie musterte den alten Mann für einen Augenblick und die Stille zwischen ihnen beiden tat ihr übriges, die Situation zuzuspitzen. Der Kerl sah krank aus. Wie jemand, der an Leukämie erkrankt war. Oder wie ein Strahlungsopfer. Von denen hatte sie bei ihrer Recherche einige Photos gesehen. Letztendlich lag es wohl daran, dass er bereits wie ein alter Mann wirkte, obwohl er sicherlich höchstens Ende vierzig sein konnte. Und sein grimmiger Gesichtsausdruck zeigte unverhohlen, was er von ihr, einer Touristin und Frau in seinem Camp hielt. Wie sollte sie vorgehen, wenn sie seine Hilfe benötigte? Die Jungfrau in Nöten spielen und an seine Männlichkeit,... seine Ritterlichkeit appelieren? Es war sehr unwahrscheinlich, dass der Kerl mit etwas anderem darauf reagieren würde, als mit Abscheu. Sie schätzte seinen Charakter so ein, dass er Stärke und Kompetenz respektierte und davon täglich nicht allzuviel zu Gesicht bekam. Also blieb erneut nur die Flucht nach vorn. Denn spielte sie das schwache Lamm zwischen Wölfen, war sie früher oder später eh das Opfer. Tat sie gar nichts, würde sie in der Zone verhungern oder ihren Gefahren erliegen. Sollte sie ihn mit ihrer Direktheit verärgern, anstatt seinen Respekt zu gewinnen, würde sie wenigstens kämpfend untergehen. Sie versicherte sich des vertrauensvollen Gewichts der Kalaschnikow, die am Gurt über ihrer Schulter hing. Es war unwahrscheinlich, dass sie die Waffe rechtzeitig in Anschlag bringen konnte, sollte der Veteran sich entschließen, sie für ihr loses Mundwerk bestrafen zu wollen. Aber ihre Präsenz war nichtsdestotrotz ein schwacher Trost.

Jessie starrte dem Mann direkt und herausfordernd in die Augen und zwang sich, trotz seines intensiven Blicks, nicht wegzuschauen. Sie sprach mit fester Stimme und einer Selbstsicherheit, die sie beinahe schon selbst überraschte, da sie diese gar nicht fühlte. Ebenso achtete sie darauf, dass ihr Russisch so perfekt wie möglich klang und keine Spur eines fremdländischen Akzents an den Tag legte. Wer weiß, wieviel Nationalstolz diese Männer und speziell ihr Anführer hegten.
"Oh, das werde ich, Gospodin* Wolf. Und ich werde versuchen, nicht ihre Zeit zu stehlen."
Vermutlich war es nicht verkehrt, vorerst eine formelle und höfliche Art zu wählen. Respekt war Anführern immer wichtig und oft ließen sie sich damit von vorn herein beschwichtigen. Natürlich konnte dies auch nach hinten losgehen. Sollte der Mann sie Duzen, würde sie ebenfalls schnell wechseln.
"Hauptsächlich benötige ich Informationen. Ich mag so etwas sein, was ihr einen Touristen nennt. Aber ich bin nicht wehrlos. Auf mein Konto gehen bereits einige dieser Mutanten."
Nun, mit Ruhm hatte sie sich nicht bekleckert und es war ein wenig heuchlerisch, die verzweifelten Versuche zu überleben, als tapferen Sieg darzustellen, aber sie hatte schließlich überlebt und sich alleine durchgeschlagen. War das nicht schon etwas wert?
"Dementsprechend will ich weiter in das Zentrum der Zone vorstoßen. Ich will mehr wissen! Was hier geschehen ist, wer dafür verantwortlich ist,... alles!"
Sie holte langsam und darauf bedacht, keine feindliche Reaktion zu verursachen, den beschädigten PDA aus ihrer Tasche und hielt ihn in die Höhe.
"Dies habe ich bei einem toten Stalker gefunden. Und ich denke mir, dass die Daten darauf wohl einiges Wert sein könnten. Zumindest einige grundsätzliche Informationen."
Nun versuchte sie es mit einem charmanten Lächeln. Ihr nächstes Argument sollte in neun von zehn Fällen Aufmerksamkeit erregen.
"Und ich kann ihnen noch mehr bieten. 100.000 Euro an Wert in einer Währung ihrer Wahl, Rubel, Dollar, BitCoins,... was auch immer. Natürlich habe ich sie nicht dabei. Sie liegen auf einem schweizer Nummernkonto und sind nicht zurückzuverfolgen. Sorgen sie für eine Online Verbindung und ich bin bereit, sie für ihre Dienste zu überweisen. Ich brauche einen Führer durch die Zone. Jemanden, der sich auskennt. Am liebsten natürlich sie selbst. Aber wenn ihre Pflichten sie hier binden, begnüge ich mich auch mit einem kompetenten Ersatzmann. Solange er mehr drauf hat, als meine vorigen Führer."
Natürlich war diese Verunglimpfung der beiden gestorbenen Söldner nicht unbedingt fair. Aber ein Mittel zum Zweck. Das Geld hingegen existierte wirklich. Der Spiegel hatte wohlweislich einiges an Schwarzgeld bei Seite gelegt, um Informanten sicher bezahlen zu können. Und Jessie hatte schon immer gut und verbissen handeln können. Im Laufe der Jahre hatte sie das ihr zugewiesene 'Spesenkonto' immer weiter füllen können und nun war sie an dem Punkt angelangt, an dem sie bereit war, alles auf einen Schlag herauszuwerfen.
"Hälfte jetzt, Hälfte nach Abschluss der Tour. Online-Verbindung vorausgesetzt. Eine grundlegende Ausrüstung und Verpflegung vorausgesetzt und wir können sofort los."
Es war unglaublich, wie hilflos sich ein Mensch heutzutage fühlen konnte, wenn man keine Möglichkeit hatte, das WWW zu nutzen. Ein paar Tage reichten bereits aus, um eine seltsame Art der Trauer und Verzweiflung hervorzurufen. Und abgesehen von der nötigen Geldüberweisung gelüstete es Jessie ungemein, einfach nur wieder das Gefühl von Zivilisation spüren zu können. Sie hoffte nur, ihr Handy Akku würde so lange überleben. Ihr Ladegerät war zusammen mit dem alten Rucksack verschollen und die altmodischen Geräte dieser PDAs würden ein modernes Handy wohl einfach nur grillen. Aber diese Stalker waren doch sicher nicht komplette Anachronismen. Der ein oder andere würde doch sicher auch mit moderner Technik spielen wollen, oder?
"Und falls sie Sorge haben, ständig das wehrlose 'Püppchen' beschützen zu müssen,..." Das Wort 'Püppchen' betonte sie bewusst mit besonders viel Verachtung, um ihm zu zeigen, was sie davon hielt. "... ich kann durchaus auf mich selbst aufpassen. Vielen Dank auch. Mit Sicherheit besser, als viele ihrer Anfänger hier."
Erneut ein starker Bluff. Aber sie war sich sicher, nur mit Eiern, die über den Boden schleiften, würde sie den Respekt des Mannes erlangen, den sie benötigte.
"Also,... was sagen sie? Deal?"
Sie runzelte die Stirn und deutete mit kreisendem Zeigefinger auf Wolfs Gesicht.
"Übrigens kann ich ihnen eine gute Hautpflegecreme empfehlen. Sie sehen nämlich echt scheiße aus."
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* Gospodin = formelle Anrede gemäß dem deutschen "Herr".

Re: In Nubgorod (Noobtown)

Verfasst: Montag 31. Januar 2022, 20:04
von ERZÄHLER
Wolf hörte zu, er versuchte es jedenfalls.
Man konnte ihm anmerken, dass wohl schon seit längerer Zeit niemand mehr so viele Sätze an ihn gerichtet hatte, zusammenhängende, sogar mit Grammatik und deutlicher Aussprache.
Es fiel ihm fast schwer zu folgen.
Aber er hörte zu. Jedes Wort.
"Wolf, einfach nur Wolf, kein verdammtes 'Gospadin' ich tu was für mein Geld."
Schon nach wenigen Sätzen war klar, dass die keine Russin sein konnte, kein Russe sprach so sauber die eigene Sprache, aber es nötigte ihm doch Respekt ab dafür. die meisten Touristen verssuchten es doch in englisch und obwohl er sogar ein paar Brocken verstand, immerhin hatte er früher englische Musik gehört und auch Fernsehen auf Englisch gesehen, da stellte er sich dann doch stur. Aber Sie hatte sich die Mühe gemacht, die Sprache zu lernen. Gut, ein Pluspunkt. Aber nur einer, und allein ihr Geschlecht hatte sie noch mit ein paar mehr davon aufzuwiegen.
Großspurigkeit gab es hier genug, die Hälfte aller Anfänger hier brüstete sich damit, irgendwas erledigt zu haben. Meist waren es Ratten oder Hunde. Wenn die wüssten was noch alles kam.
Sie zeigte sich selbstbewusst.
Aber bei BitCoins war er raus. Er hatte davon gehört, dass man sie nicht einfach kaufen konnte, dass sie mehr wert waren als der Rubel, aber nur virtuell... das begriff er nicht, das war ihm suspekt. Er wollte nur Scheine, oder den Gegenwert.
"Hör zu, Püppchen, mich bezahlt man mit echtem Geld, mit Munition, Futter oder einem guten Gewehr. Nicht mit Bits und Bytes. Aber abgesehen davon...
Du musst nicht mich überzeugen, Püppchen, überzeug die Zone. Mir ist es egal, wer hier herumrennt, und dein Geld brauch ich nicht. Aber..."
Und der Gedanken war zwar nicht ganz spontan, aber er kam ihm deswegen nicht weniger genial vor.
"Ich hab wen für dich. Hält sich auch für den besten. Gib dem Dein Geld, der bringt dich bis nach Pripyat wenn du ihn mit deinen Kulleraugen ganz lieb bittest."
"He, Kovac, schwing mal deinen Arsch rüber, gibt Arbeit für dich!"

Letzterer hatte am Feuer gesessen und versucht ein wenig zuzuhören.
Viel hatte er nicht verstanden, aber er hatte lange Ohren gemacht. Beim PDA war er schon aufmerksam gewesen und erst recht, als sie von BitCoin sprach, von Euro und Dollar. Sie brauchte eine Begleitung, und Wolf war gut, wenn auch aus den falschen Motiven. Aber was soll's, diese Touristin konnte interessant werden, wenn jemand solchen Mengen an Kohle zur Verfügung hatte war das auch interessant für seine Leute.
Und er stand Geweht bei Fuß.

"Das Püppchen braucht Begleitschutz, da kannst du dich nützlich machen und was gegen deine Banditen tun. Du erledigst das, ich bin raus, aber ich bekomm nen Anteil. kapiert?"
Er hatte auch Wolfs Antwort gehört.
"Munition und Proviant, ganz oldschool... schon kapiert. Bekommst du."
Er grinste und Wolf nickte.
"Was für ne Schule auch immer, ihr verpisst ihr euch jetzt, hab zu tun."
"Was denn? Hier rumstehen und bellen?" Wollte Kovac wissen.
"Nein, ich muss zu meiner Kosmetikerin, das Püppchen meint ich sähe scheisse aus."
"Dann zieh halt die Mütze über Gesicht und die Hose unter, dein Arsch ist vielleicht schöner."
"Ach verpiss dich du Wichser, erzähl deine dummen Witze nem Blutsauger!"
Kovac lachte und klopfte Wolf auf die Schulter.
"Danke alter Junge. du hörst von mir."
"Klar."

Er führte die Frau... junge Frau? Schwer zu sagen, aber vermutlich schon... etwas weg vom Wolf.
"Nennt man dich echt Püppchen oder hast du noch nen Namen? Mich nennen sie Kovac." Er war eindeutig ein wenig gesprächiger als die meisten anderen Stalker.
"Und dann erklär mir mal genau was du willst."

Forderungen.

Verfasst: Mittwoch 2. Februar 2022, 12:19
von Jessica Voss
Wolfs barsche Worte und die Erwähnung ihrer 'Kulleraugen' ließen Jessie relativ kalt. Sie war diese Reaktion gewohnt und je weiter man durch Osteuropa in die mehr russisch stämmigen Länder kam, desto schlimmer wurde es. Ein halber Kontinent von chauvinistischen Proletenschweinen. Naja, zumindest sprachen sie das ehrlich aus, was die Männer in anderen Ländern nur dachten. Höflichkeit, Dreistigkeit, Ehrlichkeit? All das war relativ unwichtig und der Mann hatte definitiv Recht. Überzeuge mit Taten, nicht mit Worten.
So nickte sie ihm einfach nur dankbar zu und wendete sich an den jungen Mann, den er Kovac genannt hatte. Schmunzelnd verfolgte sie das verbale Geplänkel zwischen den beiden Männern und nutzte die Zeit, ihren vorgeschlagenen Führer ein wenig zu mustern. Was Wolf mit 'Blutsauger' meinte, wusste Jessie nicht. Auch nicht, warum man einem Moskito Witze erzählen sollte, aber manchmal war der Humor der Russen sehr direkt und unverständlich.
Kovac war jedenfalls noch recht jung. Definitiv jünger als Wolf und er wirkte auch gesünder. Sah gar nicht mal schlecht aus, der Typ. Markantes Gesicht, noch volles Haar mit einer erstaunlich modernen Frisur an diesem Ort, der nur so nach CCCP und Alter schrie. Durchtrainiert. Ein Bock, auf dem man sich sehen lassen konnte, dachte sie vergnügt, rügte sich dann aber selbst, wie schnell plötzlich Lukas vergessen war, wenn so eine Sahneschnitte vor einem stand. Das hatte er als seinen Nachruf nun auch nicht verdient.

Nun, etwas fernab von Wolf, beantwortete sie seine Fragen.
"Ist mir letztendlich völlig egal, wie ihr mich nennt, wenn es euch Spaß macht. Verletzen könnt ihr mich damit nicht." gab sie etwas barscher von sich, als eigentlich geplant. Vielleicht kränkte sie diese Behandlung doch mehr, als sie zugeben wollte. Kurz überlegte sie, ob sie auch den Spitznamen nutzen sollte, den ihre Freunde damals manchmal genutzt hatten. 'Fox' oder 'Rotfuchs' wegen ihrer roten Haare und ihrer Schläue. Aber mit einem Typen namens 'Wolf' direkt nebenan, war das wohl ein wenig einfallslos und kindisch.
"Mein Name ist Jessica. Kannst mich Jessie nennen."
Sie streckte die Hand zur Begrüßung aus. Nur keine Scheu. Keine Angriffsfläche bieten.
"Kovac,... hast du auch einen Vornamen, oder nennt man dich nur beim Nachnamen?"
Mit unbefangenem Blick musterte sie den Mann von oben bis unten.
"Deine Ausrüstung sieht weniger zusammengeschustert aus, als bei den anderen,... Stalkern hier."
Noch immer stolperte sie über diese seltsame aber dennoch passende Bezeichnung der Bewohner dieser Sperrzone.
"Bist du Soldat? Ich dachte, Soldaten wären Touristen nicht sonderlich aufgeschlossen gegenüber. Auf dem Weg hier hin habe ich gesehen, wie einige Kampfhubschrauber kurzen Prozess mit einer Menschenmenge gemacht haben."
Die Erinnerung sorgte noch immer für Übelkeit in ihr. Sie hatte schon oft Grausamkeiten gesehen. In Osteuropa waren die an der Tagesordnung. Aber diese direkte Verachtung von Leben,... diese Zustände wie im Krieg? Eine reine Kriegsberichterstatterin hätte Jessie niemals werden können.

Aber sie hatte ja die große Frage noch gar nicht beantwortet. Wieder hob sie den defekten PDA in die Höhe und musterte Kovacs Reaktion darauf. Ein gieriger Blick würde ihr schon verraten, ob so ein Ding was wert war. Sie hoffte nur, dass der Kerl nichts von dem Geldkonto mitbekommen hatte. Ihr war nämlich noch während sie gesprochen hatte aufgefallen, welch beschissener Plan das mit 'Hälfte jetzt' war. Fünfzig Riesen waren genug Geld, um sie unter die Erde zu bringen und auf die andere Hälfte zu scheißen. Und sie würde das wartende Geld erst einmal nicht mehr ins Gespräch bringen, sofern Kovac nicht zuerst davon sprach.
"Der hier ist deiner, wenn du mir die Informationen gibst, die ich über die Sperrzone wissen muss. Warum existiert sie. Seit wann existiert sie? Seit dem Reaktorunfall? Was sind das für Mutanten dort draußen? Wissenschaftliche Experimente? Strahlung? Oh,... und wo die Fragen herkommen, gibt es noch tausend andere, also bereite dich darauf vor, den Mund fusselig zu reden für deinen Lohn."
Die letzten Worte waren barsch und ernst gemeint, doch mit einem freundlichen Lächeln verpackte sie sie für den Kerl in rosa Zuckerwatte.
"Und dann, wenn ich weiß, was hier abgeht, will ich zum Zentrum des ganzen. Pripyat ist schonmal ein guter Anfang, nehme ich an. Ich brauche einen Führer, der mehr drauf hat, als meine vorigen. Ich bin kein 'Püppchen',..." das Wort sprach sie mit voller Verachtung aus. "... und muss nicht dauerhaft beschützt oder auf einer Sänfte getragen werden. Ich trage meinen Teil bei, keine Sorge."
Mit der Handfläche tappte sie beinahe schon zärtlich auf den hölzernen Schaft der Kalaschnikow auf ihrem Rücken und hoffte, dass die Geste vertrauenserweckender aussah, als sie sich für sie anfühlte. Große Erfahrung hatte sie mit der Waffe jedenfalls nicht. Nur ein weiterer Bluff von vielen. Wenn sie jemals wieder lebend nach Deutschland zurückkehren würde, sollte sie wohl eine Karriere als professionelle Pokerspielerin in betracht ziehen.
"Aber ich will handfeste Beweise sehen. Sehen und dokumentieren."
Diesmal hob sie kurz die Kodak auf ihrer Brust an, um zu verdeutlichen, was sie meinte.
"Nur Worte und Geschichten reichen mir nicht. Ich bin mir sicher, es gibt hier in der Zone ebenso viele Schauergeschichten wie Männer, oder?"

Jessie hoffte, sie hatte den Mann nicht zu sehr mit ihrem Redeschwall und all den Gegenfragen überrumpelt. Mal schauen, ob die sexy Schale auch ein Hirn bot, welches er nutzen konnte. Schweigend musterte sie ihn mit ihren meerblauen Augen und wartete auf seine Reaktion.

Re: In Nubgorod (Noobtown)

Verfasst: Sonntag 6. Februar 2022, 10:28
von ERZÄHLER
Er schüttelte vehement den Kopf als sie ihre Fragen stellte.
"Ich glaub, du hast die Zone nicht verstanden..."
Nein, natürlich nicht, wie auch, niemand verstand sie so recht, aber sie schien ja so gar nichts gehört zu haben. Funktionierte die Nachrichtensperre nach draußen doch so gut? Musste man sich schon in kriminellen Kreisen bewegen um mehr zu wissen? Dann schien Slavas Einsatz doch zu fruchten. Er vergönnte es ihm nur nicht.
U d wo setzte man an?
"Du brauchst nen Namen, und lass die Zone am besten nicht wissen, wer du bist. Ist wie mit dem Internet, keine Realnamen, nur Nicknames. Die Zone sucht dich sonst Zuhause heim, Stalkeraberglaube. Glaub es oder glaub es nicht, aber lass die Zone nicht wissen wer du bist. vielleicht auch einfach das Militär, denn allein hier zu sein verstößt gegen... hm... jede ne Menge Gesetze."
Das sollte als Andeutung reichen, wo er sich positionierte. Natürlich wusste er ziemlich genau, gegen welche Gesetze verstoßen wurde, aber das zu äußern hätte ihn ins falsche Licht gerückt. "Und... keine zu hochtrabenden Namen. Wolf hat sich seinen verdient... Bleiben wirr bei 'Püppchen' Nosik hat ihn dir gegeben, bewahr ihn gut auf bis dir ein anderer einen besseren gibt. So läuft das hier. Und du kannst dir sicher sein, Nosik wird auch nicht gern wegen seiner Nase so genannt. Ist nichts persönliches, nicht einmal gegen dich, auch wenn ihr Freund das immer gerne glaubt. Tscherv beschwert sich auch nicht, dass er 'Wurm' heiß weil er bleich ist wie ein Mehrwurm. Und Mucha... naja, der ist fett und eben alles andere als ne Fliege. Püppchen ist nciht der schlechteste Name."
Und er selbst plapperte viel zu viel... er gefiel sich selbst nicht dabei, er wollte auch der coole wortkarge Stalker sein aber er gelang ihm nciht was er sagen wollte in weniger Worten auszudrücken.
"Und ich bleibe Kovac. Egal ob das mein Name ist oder nicht."
Und er nahm die Hand nicht an... irgendwie war das aber eine Gewohnheit. Auch sein Vater hatte nie Frauen zur Begrüßung die Hand geschüttelt. Auch wenn das Ausländerinnen oft brüskierte.
Sie gingen weiter, er führte sie in Richtung Bahndamm, bog dann aber von der Straße an. Er blickte sie dabei nciht an, nicht weil er nicht sehen wollte, wie die Frau aussah, das wollte er nur zu gern, aber die periphere Wahrnehmung musste reichen, in der Zone sah man besser nur nach vorn, sonst konnte schnell jeder Schritt der letzte sein.
"Dann gleich drei Grundregeln..." eine kurze dramatische Pause... "Du wirst jede meiner Anweisungen befolgen, und zwar ganz präzise, jeder Schritt. Wenn ich sage 'Stop' dann rennst du nicht noch zwei Schritte weiter, auch nicht einen, du frierst an Ort und Stelle ein. Udn wenn ich sage 'renn' dann rennst du, keine Diskussion..."
Auf ihre Fragen ging er erst einmal gar nicht ein.
Und weil er merkte, dass er noch einen Punkt offen hatte:
"Und zweitens. Keine unnützen Fragen.
Hier läuft es so wie ich sage. Du bekommst deine Antworten, mit der Zeit, aber garantiert nicht alle, weil es die nicht gibt.
Und drittens. Ich setz voraus, dass du dich verteidigen kannst. Wenn du mit ner Waffe nicht umgehen kannst dann nimm keine in die Hand, denn die anderen die dich hier damit sehen können es und fragen nicht nach.
Und Viertens..."
Er blieb stehen und lachte und nun musterte er sie auch. Nicht schlecht für eine frau, nur konnte man bei der Kleidung bei weitem nicht genug sehen. Allerdings fiel ihm auf, dass sie wohl nciht zum ersten Mal eine Waffe in der Hand hielt. Weder hielt sie das Ding so martialisch als hätte sie es aus Filmen gelernt wie viele der Angeber die hier ankamen, noch packte sie es wie einen stinkenden Kadaver, wie er es von Frauen eher erwartete. Die hier kannte sich wohl aus. Gut, er würde sich das ansehen, die Gelegenheit kam sicher schneller als gut war.
"Ich weiß, ich kann schon zählen. Ist halt mehr geworden. Also... während wir gehen hältst du die Klappe, kein Gequassel. Hier draußen ist es noch ok, aber weiter drin kann dich jedes Wort umbringen, Wirst es schon noch verstehen. Und ich kann dir beibringen das zu verstehen... aber Beweise... was für Beweise... da gibt es nichts. Die Zone ist die Zone.
Und die Ausrüstung... hier draußen klauen sie sich alles zusammen was sie finden können bringen auch mal nen Neuankömmling dafür um, leichte Beute halt, und verkaufen den Kram dann wieder an die Anfänger... Ausrüstung wie deine. Das Gewehr, das hast du gefunden, oder? Gehörte dem alten Kren. Ich kenn ihn. Aber behalt es, dir nützt es mehr. Aber... gib mir seinen PDA. Du kannst eh nichts damit anfangen. Dafür waren die Ratschläge. Und für deine BitCoins bring ich dich nach Pripyat."

‘Hell hath no fury like a woman scorned’

Verfasst: Dienstag 8. Februar 2022, 00:36
von Jessica Voss
Ernsthaft? Jetzt kam der Typ wirklich mit Schauergeschichten an? Abergläubische Märchen, die am Lagerfeuer vom tapferen Kind im Mann zu tapferem Kind im Mann weitergegeben wurden? Eigentlich hatte sie dies zuvor nur halb im Scherz gesagt. Und jetzt machte der Kerl sich beinahe in die Hosen, weil irgendjemand diese 4000km² große Sperrzone antropomorphisiert hatte. Unglaublich. Auch sprach er von den Gesetzen des Militärs, beantwortete aber nicht ihre Frage zu seiner Zugehörigkeit. Im Allgemeinen plauderte er viel aus dem Nähkästchen, ohne dabei auch nur eine ihrer Fragen zu beantworten.
Und dann sollte sie sich 'Püppchen' als dauerhaften Spitznamen zulegen, weil er gar nicht mal schlecht war? Für wen hielt der Typ sie? Eine Stripperin aus einem ukrainischen Club? Was war es nur mit Männern und diesem Drang Spitznamen zu 'verdienen'? So wie Callsigns in den Luftwaffen aller Nationen. Da wird ein armes Schwein beim Wichsen erwischt und schon muss er bis zur Rente mit dem Spitznamen 'Spritzer' rumrennen. Was ein Kindergarten, echt jetzt!
Aber wie schon zuvor, schluckte sie darüber ihren Ärger hinunter. Sie wurde schon schlimmer beleidigt und wenn der Idiot sich wohlfühlte, wenn er seinen Chauvinismus raushängen lassen konnte,... Jessie stand da drüber.

"Na gut, einfach nur Kovac,..."
Sie zog ihre Hand wieder zurück. Der Stalker oder Soldat, oder was auch immer er hier machte, war zwar freundlich und redselig, aber doch irgendwie abweisend. So ganz durchschaute sie ihn noch nicht. Auf jeden Fall war es extrem ärgerlich, dass er von dem Geldkonto Wind bekommen hatte. Seine Vorstellung von einem fairen Handel spielte aber wohl in der gleichen Liga, wie ein Freihandelsabkommen mit Afrika. Vielleicht musste sie ihn zwingen, nicht das Püppchen in ihr zu sehen, nur weil sie lange Haare und zwei Brüste hatte. So ganz konnte sie ihre Wut nicht unter Kontrolle halten, was sich in ihrer abgewandelten Rekapitulation seiner Regeln äußerte. Sie gab sich jedenfalls alle Mühe, trotz all dessen, ihr Russisch sauber und verständlich und möglichst ohne ausländischen Akzent zu halten. Russen mochten sowas in der Regel.

"Zu Regel eins,... geht klar." bestätigte sie nur knapp. Sie sah durchaus ein, dass sie auf die Erfahrung eines dieser Stalker, oder die Fähigkeiten eines Soldaten, hören sollte. Die Hunde waren wie aus dem Nichts aufgetaucht und auch dieses seltsame Flimmern, was das Wildschwein und beinahe auch sie selbst umgebracht hatte, war nur schwer zu sehen gewesen. Sollte Kovac etwas bemerken, bevor sie es sah oder hörte, würde sie definitiv auf ihn hören.

"Zu Regel zwei,... fick dich! Alle sagen immer, 'Püppchen, du weißt gar nichts'." sie äffte einen neunmalklugen Ton nach, der die Abweisung des Gesagten deutlich bestätigte.
"Ist ja auch klar, wenn keiner auch nur eine beschissene Antwort auf eine Frage gibt. Hätte ich in meinem Leben für jeden dieser Kommentare auch nur eine beantwortete Frage erhalten, dann wäre mein neuer Spitzname nun 'Wikipedia'!"

"Regel drei. Wie gesagt, ich trage meinen Teil bei. Keine Sorge."
Wie, um ihre Worte zu bestätigen, nahm sie die Kalaschnikow vom Typ II von der Schulter, entnahm ihr das Magazin, prüfte den Füllstand mit kritischem Blick und lud die Waffe wieder teil. Dann zog sie den Verschlusshebel zurück und stellte die Flügelschraube zur Feuerwahl auf Einzelschuss. Das ganze hatte sie bereits auf dem Weg nach Nubgorod geübt und die gesamte Ladetätigkeit war schon eine einzige, flüssige Bewegung, die den Zweifler hoffentlich ein wenig zuversichtlicher ob ihrer Fähigkeiten stimmen würde. Auch, dass sie die Waffe nicht sofort auf 'AB' für den Vollautomatikmodus, sondern auf 'OA' für Einzelfeuer stellte, war bei einer so sehr streuenden Waffe mit viel Rückstoß eine kluge Entscheidung, die Munition sparen und zu deutlich mehr Treffern führen sollte, solange eine Gefahr nicht direkt vor einem stand.

Sie hielt die Waffe locker im Anschlag, da sie bereits die Grenzen von Nubgorod verlassen hatten und unterwegs zum Bahndamm waren. Doch blieb sie einfach stehen und schaute Kovac trotzig an.
"Zu Regel vier. Dann bleiben wir noch etwas in Nubgorod. Ich brauche eh noch Proviant, wenn es schon keine sonstige Ausrüstung mehr gibt. Und ein paar Fragen kann ich nicht aufschieben. Völlig planlos in die Gefahr zu stolpern sollte auch dir als idiotisch vorkommen, oder? Wenn ich meinen Teil beitragen soll, muss ich wissen, was mich da draußen erwartet. Und wieso zur Hölle gibt es keine Beweise? Ich habe Mutanten photographiert. Ich habe ein Massaker des Militärs photographiert. Und ich kann auch,..."
Sie ließ mit der Linken die Waffe los und fuchtelte mit ihr aufgebracht in der Luft herum.
"... was weiß ich?! Geheime Forschungslabore oder in Schutzanzügen Strahlungslecks vom Reaktor photographieren. Also komm mir nicht mit 'Keine Beweise'! Das ist Bullshit!"

Sie schnaubte gereizt und besann sich wieder ein wenig zur Ruhe. Sie musste einen klaren Kopf bewahren. Jetzt kam der Teil, der um das Geld ging. Zudem musste sie aufpassen und bereit sein, falls Kovac ihr ihre Worte krumm nahm und sich dafür rächen wollte.
"Und hier kommt Regel fünf,... von mir an dich. Halt' dich an den Deal und setz' keinen neuen auf! Ratschläge standen nie zur Debatte. Es hieß, Informationen für den PDA, und wenn du glaubst, ein simpler Trip nach Pripyat würde dir 100 Riesen einbringen, dann hast du dich aber ganz schön geschnitten. Für 100 Riesen will ich nicht nicht nur einen Touristenführer, der mir das Riesenrad, den Autoscooter und das Schwimmbad zeigt. Ich will wissen, was hier los ist und ich will Photos machen. Videos machen. Einen Augenzeugenbericht von all der Scheiße anfertigen. Fuck! Wenn hier ein Ufo gelandet und für all die abgedrehten Sachen verantwortlich ist, will ich ein Stück vom Antrieb haben."
Mit festem Blick starrte sie Kovac in die Augen und zwang sich, nicht als erste wegzuschauen. Es war gut, dass sie wieder beide Hände an der Waffe hatte, um im Notfall sofort bereit zu sein, denn sonst hätte sie ihm wohl noch herrisch mit einem Zeigefinger auf die Brust getippt.
"So läuft das ganze, und wenn das nicht deiner Art von fairem Handel entspricht, dann gehe ich halt zu Sidorovich und feilsche mit ihm für meine Ausrüstung und schlage mich alleine durch. Ich habe nichts mehr zu verlieren, bis ich nicht die große Story in der Tasche habe."

Das stimmte zwar nicht so ganz und sie bereute es auch sofort, sich mit den letzten Worten direkt als Reporterin geoutet zu haben, aber ob sie nun auf eigene Faust ins Zentrum vorstieß oder mit eingekniffenem Schwanz nach Deutschland zurückkehrte, blieb wohl gleich gefährlich. Aber wenn sie es lebend nach Deutschland zurück schaffte, würde sie einigen Leuten Rechenschaft ablegen müssen, die von ihr die ganz große Story erwarteten. Zudem würde sie sich ein Leben lang Vorwürfe machen. Immerhin war sie für drei Tode verantwortlich. Und sie würde sich bis in alle Ewigkeit die Frage stellen, was sie hier in der Zone verpasst hatte. Also blieb wieder einmal nur die Flucht nach vorn. Und sie hoffte, ihre brüske Art hatte Kovac nicht komplett verschreckt oder schlimmer noch, gegen sie aufgebracht. Er war nicht nur süß, sondern wirkte auch halbwegs kompetent. Es wäre eine Schande ihn gehen zu lassen und noch viel schlimmer - und gefährlicher - ihm eine Kugel verpassen zu müssen. Falls sie das überhaupt schaffen konnte.

Sollte er aber trotz ihrer Jammerei noch auf ihren Deal eingehen, so würde sie wohl auch Gebrauchtwagen an Millionäre oder Kühlschränke an Eskimos vekaufen können.

Re: In Nubgorod (Noobtown)

Verfasst: Samstag 12. Februar 2022, 11:14
von ERZÄHLER
Natürlich glaubte sie ihm nicht, nahm ihn nicht ernst. Aber so reflektiert war er dann doch, dass er verstand dass er selbst auch nicht davon geglaubte hätte. Er hätte vermutet da habe jemand zu viele schlechte Zombiefilme und Serien gesehen und dazu ein wenig zu oft gekifft.
Stalker Schauermärchen.
Man mußte es sehen um es zu glauben, aber begreifen konnte man es dann noch lange nicht. Aber man gewöhnte sich trotzdem daran. Es wurde zu etwas wie einer neuen Wirklichkeit.
Was hier stattfand ließ sich wissenschaftlich einfach nicht erklären, vor allem weil die Wissenschaft gar nicht zu den Dingen hinkam die sie hätte erklären sollen. Während diejenigen, die vor Ort waren mit Empirie wenig am Hut hatten, wie auch Überleben ging vor. Wer hier überlebte hatte bis auf wenige Ausnahmen keinen akademischen Abschluss.
Und was die Chaoten und Verbrecher sich dann zusammensponnen...
Es gab eine unendlich Vielzahl von Schilderungen der seltsamsten Vorfälle. An jedem Lagerfeuer hörte man neue. Dass die Frauen der Stalker oft deformierte Kinder gebaren war nicht einmal das Absonderlichste. Höchstens dass es über das Maß an Strahlenschäden hinausging... Und das erschreckende dabei war auch vielmehr, das vieles davon lebensfähig war. Er hatte nur Fotos gesehen, bei einem Vortrag der den Rekruten der 'Nachtwache' hatte einschärfen sollen wofür sie das taten, dass sie die Menschheit vor dem Übel der Zone bewahrten. Und er hatte kaum Zweifel daran, dass man auch die Mütter der Kinder vor allem Übel bewahrt hatte. Sorgfältigst.
Aber er begann abzuschweifen...
Irgendwann verfiel man eben darauf, auch die einfachsten Regeln zu befolgen zu glauben.
Er erinnerte sich nun an einen elendig langen Vortrag Slavas... Nein, da war er wohl Oberst Sokolov gewesen, zu den Zusammenhängen von magischem Glaube und tatsächlichem Ursache-Wirkung Effekt, der Ökonomie der Signifikanz und anderen Dingen von denen er sich nur Schlafworte gemerkt hatte und einen groben Kontext, weil er hoffte in der Bar damit Mädels beeindrucken zu können. Deshalb konnte er es auch jetzt nicht erklären und über eine Abstrakte Vorstellung ging sein Bild nicht hinaus, auf eine Diskussion dazu würde er sich nicht einlassen.

Das alles brachte ihn aber nciht weiter. Wie sollte er reagieren?
Sie hielt sich dagegen wohl für witzig. Würde sie ihn jetzt immer ''Einfach nur Kovac' nennen. Nicht ausgeschlossen.
"Ich nenn dich gerne auch Wiki... wie wär's damit, Wiki und die starken Männer, hm? Wenn du alles wüsstest wär's du wohl nicht hier. Und über die Zone... da weiß keiner was. Ich nahm mich nicht aus. Du kannst jeden Tag froh sein, den du überlebst. Du wirst es aber bald sehen, was ich meine."
Sein Blick war etwas finsterer geworden und er sah zu, wie sie die AK durchlud. Und sie wusste schon, wie man Munition sparte. Dann waren zumindest nicht Hopfen und Malz verloren.

"Also...4tens... Wenn du es auf deine Weise machen willst, mir alles egal. Dann rüste dich eben beim alten Sidorovich aus, am meisten hilfst du damit ihm. Oder du sparst dir dein Geld und wir finden unterwegs alles. Ich bleibe jedenfalls nicht hier. Siehst du die dort?" Er deutet zum Bahndamm. Dort gab es eine Unterführung während der relativ hohe Damm eine Art natürliche Barriere bildete. Den Durchgang blockierte ein nach Jahren immer noch provisorischer Stützpunkt der Armee.
"Dahinter fängt die Zone erst an... Sie dort... die schießen auf alles was sich bewegt. Und dort hinten..." er deutet in eine andere Richtung. "Wartet so ein verlauster räudiger Haufen Arschlöcher nur drauf, einen Leckerbissen wie dich vor den Schwanz zu bekommen. Da ist dann Ausrüstung das letzte worum du dir Sorgen machen musst. Wir holen noch Starik ab, dann gehen wir zum Zentrum."
Vielleicht reichte das als Antwort. Die Armee stand auf der anderen Seite. Ihn würden die Soldaten genauso erschießen wie sie. Berufsrisiko.
Er selbst wollte auch nicht gleich die Fakten auf den Tisch legen. Verbergen würde es sich über kurz oder lang nicht lassen, aber dazu hatte er ja seine Legende.
Er wollte nicht viel mehr erklären, das meiste würde sie schon sehen.
Viel wichtiger war, wie sie es sah und was sie später mit dem Wissen machte. Darauf kam es an.
Und er tappte sich dabei, dass er dachte wie Sokolov.
Natürlich galt es zu verhindern, dass sie zu viel vom gesehenen nach draußen trug, aber nciht weil er es ihr verbot, sondern weil sie selbst zu dem Schluss kam, dass das das beste wäre.
Keine Beweise. Fast hätte er gegrinst. Natürlich gab es nichts, denn alles was sie in die Finger bekamen wurde... Ja, was auch immer. Markin kassierte es ein. Er glaubte nicht, dass es vernichtet wurde, aber zu Gesicht bekam es auch niemand mehr.
Und es hatten schon ganz andere den Kopf dafür verloren, dass sie glaubten irgendetwas an die Presse geben zu können. Ausgerechnet. Nur einen Bruchteil eines Augenblicks hätte er es vorgezogen, diese lästige Reporterin einfach an Slava weitergeben zu können. Der wusste, wie man mit denen umsprang. Aber er würde das schon schaukeln.
"Fünftens... wir haben bisher keinen Deal. Ich zeig dir was du will, das Riesenrad, das Schwimmbad und wir machen auch noch eine schöne Wohnungsbesichtigung. Wenn du lange genug lebst find ich auch jemanden, der dir den Reaktor zeigt, all inclusive... aber, Schätzchen, und dazu musst du mir leider erstmal vertrauen und bluff mich nicht so an... Die Strahlung ist hier echt das geringste Problem.
Ich würde dich auch zum Anführer meiner Fraktion bringen, Ochotnik, aber selbst eine Legende wie der hat mittlerweile das zeitliche gesegnet... Und hier..."
Er kramte kurz in seinem Rucksack, fischte eine etwa Handtellergroße Aluminiumdose heraus, schraubte sie auf und warf ihr zu, was darin gelegen hatte.
"...da ist schon mal ein Teil des Antriebs... keine Angst, ist leer."
Es war ein unförmiges Gebilde, schwach phosphoreszierend und die Oberfläche weich und gummiartig, das Innere jedoch hart. In unregelmäßigen Abständen pulsierte es und das Licht wurde ein wenig stärker.
"Hinter der Scheiße sind alle her. Und wenn du wissen willst was es ist... Vermutlich wirklich Scheiße... oder ein Kadaver."
Es war halbwegs wertlos und emittierte kaum Strahlung, trotzdem war es immer besser, Artefakte sicher zu transportieren. Sie waren kaum erforscht und wer konnte schon ahnen welche Eigenschaften sie plötzzlich zeigten, hielt man das richtige Messgerät dran.
"Alles was du brauchst sind Ein Geigerzähler und ein Anomalidetektor und nen eigenen PDA. Nen Geigerzähler hast du hoffentlich, nen Detektor bekommst du von mir und ich richte dir auch nen eigenen PDA ein. Proviant kannst du auch von mir haben. Im Tausch gegen den PDA von Kren. Und wenn ich dir zeigen soll was das ist und wo es herkommt, dann für deine BitCoins, dann haben wir nen Deal."

Curiosity killed the fox.

Verfasst: Samstag 23. April 2022, 12:28
von Jessica Voss
Wickie und die starken Männer? Ernsthaft? Gott,... wie alt war die Serie? Und wieso kannte ein verdammter Russe,... nein, Slowene oder Kroate wohl eher dem Namen nach. Wieso kannte so einer diese alte Serie? Oder meinte er sich und seine Stalker-Truppe mit den starken Männern? Wäre ein seltsamer Zufall. Aber sicher nicht so gruselig, wie sich vorzustellen, dass die Sahneschnitte dort vor ihr, in seiner Freizeit, im Schneidersitz mit der Nase am Fernseher klebt und Kinderserien schaut.
"Nenn mich, wie du willst, Kovac." sagte sie völlig gleichgültig. "Man hat mir schon schlimmere Namen gegeben als Püppchen. Und letztendlich sagt es mehr über euch Kerle aus, als über mich."

Sie folgte seinen in die Umgebung weisenden Handbewegungen mit dem Blick und hörte aufmerksam zu. Tatsächlich musste sie Kovac zustimmen. Überall wo man hin schaute, konnten sogleich Gefahren für Leib und Leben auf einen warten. Das hatte sie in den letzten zwei Tagen nur zu deutlich erleben müssen. Und das war nur der Rand dieser seltsamen Zone gewesen! Wenn Kovac sagte, dass man hier froh sein konnte, einen weiteren Tag überlebt zu haben, dann glaubte sie ihm dies ohne jeden Zweifel.

Ihr Blick blieb an der militärischen Präsenz voraus haften. Sie hob die Kodak an und schaute durch das vergrößernde Objektiv, um mehr Details erkennen zu können. Eine Barriere aus Sandsäcken, Stacheldraht, alten Möbeln und Fässern. Dahinter standen zwei Männer Wache, lässig rauchend an eine Wand gelehnt. Weiter hinten konnte man den Schein eines Lagerfeuers erkennen. Vermutlich die Wachen, die gerade nicht im Dienst waren. Alles in allem eine recht ärmliche Befestigung. Und dies war offizieller Militärgrund? Das hielt Jessie für äußerst unwahrscheinlich und nahm sich vor, Kovac später über die maroden Zustände des russischen und ukrainischen Militärs auszufragen.
Der erhöhte Bahndamm war jedenfalls das perfekte Hindernis, um jeden durch die Unterführung zu zwingen. Allerdings war er jetzt auch nicht so steil, als dass man ihn nicht hätte erklimmen können. Mit einem Bolzenschneider oder einer stabilen Kneifzange wäre auch der Stacheldraht, der links und rechts die Schienenstrecke flankierte, kein Problem. Dass gerade dort oben eine Vielzahl gefährlicher Anomalien präsent waren, die nahezu jeden Versuch, den Damm zu überwinden tödlich enden ließ, konnte Jessica allerdings nicht wissen. Und so fragte sie sich, warum man die Unterführung so streng bewachte. Naja, Wachposten machten in den seltensten Fällen irgendeinen Sinn, wenn man das zu bewachende Areal verglich. In der Regel ging es nur darum, Präsenz zu zeigen.

Kovac nannte einen Namen. 'Ochotnik'. Klang markant und wichtig. Und war vielleicht eine Spur, der man später nachgehen konnte. Sie war auch überzeugt davon, diesen Namen bereits bei ihren Recherchen um die Stalker gelesen zu haben. Aber wenn, dann hatte es nicht viel gegeben, was mehr Licht auf die Sache geworfen hätte.
Sie hob eine Braue, als Kovac sagte, sie hätten noch keinen Deal und dass er sie nur für den defekten PDA ausrüsten und nach Pripyat bringen würde. Diese Einstellung empfand die Reporterin als noch weniger vertrauenswürdig, als jemanden, der Mondpreise für seine Dienste verlangt hätte. Altruismus war nun wirklich das letzte, was sie hier von den dreckigen, harten Männern erwarten würde. Gerade wollte sie ihre Skepsis zum Ausdruck bringen, da warf er ihr etwas zu. Sie war so überrascht, dass sie das Objekt beinahe nicht gefangen hätte. Und als ihr Strahlungsdetektor an der Brust anfing, leise vor sich hin zu knattern, hätte sie dieses merkwürdige Ding beinahe vor Panik wieder von sich geschleudert. Glücklicherweise war die Neugier stärker, als der Drang, sich des möglicherweise gefährlichen Objekts zu entledigen. Und dann setzte auch das Hirn wieder ein und Jessie realisierte, dass der Detektor nur geringe Mengen Strahlung maß. Nicht viel mehr, als die eh bereits erhöhte Umgebungsstrahlung und kaum gefährlicher, als eine dieser alten Uhren, deren Ziffernblätter mit Radium-226 versehen worden waren.

Voller Staunen wog sie das Artefakt in ihren Händen. Obwohl es nicht größer als ein Golfball war, hatte es ein recht hohes Gewicht. Die seltsame Haptik, mit Mischung aus Weichheit und Festigkeit, war ein wenig verstörend. So, als wenn das Objekt sich in einem stetigen Wandel befand. Dass es leicht von innen heraus leuchtete, machte die ganze Sache bezüglich der Radioaktivität nicht gerade vertrauenserweckender. Sie schluckte schwer bei dem Gedanken, dass es sich vielleicht um einen Teil des sogenannten 'Elefantenfußes' handeln konnte. Dieses unförmige Gebilde aus reinem Corium befand sich laut Photos und Videos im Keller des havarierten Reaktors. Und seine Nähe war wohl, gleich nach einem aktiven Vulkan oder zehn Kilometern unter dem Meer, der tödlichste Ort der Welt.
Beinahe schon verträumt flüsterte sie, ohne den Blick von dem Artefakt zu nehmen.
"Was ist das? Sowas habe ich noch nie gesehen."

Dann riss sie den Blick von dem Objekt los und schaute ihren Führer in Spee nickend an. Widerwillig gab sie ihm das Artefakt zurück.
"Das ist es, was hier alle suchen? Ist es also nichts anderes, als ein atomares Klondike? Eine Art Goldrausch?"
Sie hatte so viele Fragen! Was machte das Zeug? Woher kam es? Wie baute man es ab? Wer hat es zuerst entdeckt? Und tausende mehr. Was Kovac nicht mit Worten geschafft hatte, vermochte dieses kleine Ding nun innerhalb kürzester Zeit zu erledigen. Ihre Neugier in unbekannte Höhen zu katapultieren, die jede Vorsicht und logisch-rationales Denken über Bord warf. Und anstatt die wirklich wichtigen Fragen zu stellen, begnügte sie sich momentan mit einem:
"Kann ich ein Photo oder Video davon machen?"
Eine Hand griff bereits nach der Kodak, die andere kramte nach ihrem Handy, in der Hoffnung, dass der Akku noch lang genug halten würde, um ein kurzes Video von dem pulsierenden Glühen machen zu können.

Dann hatte sie sich auch schon entschieden. Sie wusste nicht, was Kovac in Wirklichkeit wollte. Es schien ihm nicht in erster Linie um das Geld zu gehen. Und seine Bereitwilligkeit ihr auszuhelfen war verstörender, als die abweisende Haltung des Wolfs zuvor. Wollte der Typ ihr vielleicht an die Wäsche? Zur Not würde sie auch diese Währung einsetzen, zumal er nicht wirklich schlecht aussah. Oder wartete er nur darauf, diesen Starik zu holen, damit er einen Helfer hatte, der sie entwaffnen und festhalten konnte? Seltsamerweise traute sie dem Kerl sowas nicht wirklich zu. Aber auch wenn slawische Menschen nur schwer ihre Gefühle zeigen oder auch verbergen konnten, gab es doch gute Schauspieler unter ihnen. Wenn Jessica eins in ihrer Zeit als Auslandsreporterin in Osteuropa und Russland gelernt hatte, dann dass man kaum jemandem vertrauen konnte. Und das würde sie auch nicht. Sie würde stets wachsam in der Nähe der beiden Männer bleiben. Für Ruhephasen und den nötigen Schlaf musste sie sich noch was einfallen lassen. Aber trotz all dieser Probleme und Unsicherheiten war ihre Neugier geweckt. Die Hoffnung, dass Kovac es ernst meinte und das Wissen und Können hatte, sie tiefer in die Zone zu bringen.

Sie ließ die Kodak los und kramte stattdessen nach Krens defektem PDA. Ohne zu zögern reichte sie Kovac diesen.
"Eins muss ich dir lassen, Kovac. Für einen raubeinigen Kerl bist du ganz gut mit Worten. Abgemacht! Du bringst mich nach Pripyat und ich werde mich benehmen und versuchen, dich nicht zu sehr mit Fragen zu löchern. Dort angekommen, erhältst du einen Teil des Geldes, sofern wir eine Netzverbindung bekommen können. Und danach entscheide ich, ob ich dir zutraue, mir für mehr Geld mehr Details zu liefern."

Wieder blickte sie zu der Unterführung und runzelte die Stirn. Der Drang einfach voraus zu gehen und damit Tempo und das Sagen zu bestimmen, war groß. Aber die trotzige Zicke zu spielen, würde nur ihrem eigenen Ego gut tun, nicht ihrem angespannten Verhältnis zu ihrem Führer.
"Also? Wie gedenkst du, durch den Wachposten zu kommen? Klettern und daran vorbei oder gibt es noch andere Durchgänge?"

Re: In Nubgorod (Noobtown)

Verfasst: Mittwoch 4. Mai 2022, 21:24
von ERZÄHLER
Er grinste, als er die Gedanken förmlich auf ihrem Gesicht sah, auch wenn er nicht erriet was sie dachte. Tatsächlich kannte er die Serie, schlecht synchronisiert, oder besser drüber gesprochen ohne die original Tonspur vollkommen auszublenden. Und es gab auch nur immer einen Sprecher, egal ob ein Kind, ein Mann oder eine Frau sprachen. Da wären sogar Untertitel besser gewesen.
"Dann bleibt es bei 'Püppchen', Püppchen. Sei dir sicher, es gibt auch hier schlimmere Namen. Dass alle Anfänger so rumzicken müssen..." Er schüttelte den Kopf.
Aber dass Frauen immer alles umdrehen musste... 'das sagt mehr über euch als über mich' - 'Und was? Was sagt es? Ach Fick dich doch! - Das sag ich dir'. Aber er tat gut daran, das nur zu denken.
Er sah ihr statt dessen zu, wie sie durch ihr Objektiv blickte. Sollte sie nur. Sollte sie Fotos machen, er wusste welche Auswirkungen die Strahlung auf einen Speicherstick hatte, auch auf Digitalfotos und Filme. Diese Sache würde sich von selbst erledigen. Und selbst wenn nicht, er würde wissen nachzuhelfen. Es ihr jetzt zu verbieten machte ihn nur verdächtig.
"Ich bin mir nicht sicher, ob das schon einen Namen hat, aber Effekt hat es keinen mehr. Hab schon mal eines gefunden, der hat die schönsten Träume beschert. Und ja, hinter dem Scheiß sind hier alle her. Manches ist ein Vermögen wert, manches nicht die Kugeln die du verschwendest um ranzukommen. Aber so ist das nun mal."
Zum Glück stellte sie nicht alle Fragen auf einmal sondern nur die wichtige. Nicht mehr als ein atomarer Goldrausch. Ganz genau darauf lief es hinaus.
Er zuckte nur mit den Schultern. "Mach ruhig."
Er achtete nur darauf, nicht seine Hand im Bild zu haben. Er wußte wozu moderne Software in der Lage war. Ein Foto von einer Hand, daraus einen Fingerabdruck generieren... Manche mochten glauben, das existierte nur im Film, aber er wußte dass so über unbedacht in TikTok gepostete Schnappschüsse schon Betrüger überführt wurden.
Und ein wenig wurde ihm klar, wie kompliziert es war, sich nciht um Kopf und Kragen zu reden, sich nicht zu verplappern, zuzugeben, dass er zu viel wusste.
Sie kannten alle Artefakte, wenn er eines nicht kannte war das ungewöhnlich, aber ein normaler Stalker? Für den musste das Alltag sein, der katalogisierte die Dinger auch nicht.
Kovac war noch unerfahren in verdeckten Ermittlungen und in der Kaserne hatte alles noch total cool und einfach geklungen. Jetzt stellte er fest, dass man dazu einen extrem wachen Verstand brauchte, fokussiert sein musste und sich nicht ablenken lassen durfte. Man musste immer jeden Kommentar genau abwägen, auch dessen Folgen, nicht impulsiv drauflos plappern...
Er hoffte, er kam mit improvisieren genauso gut durch wie Slava. Es konnte doch wohl nicht sein, dass einer wie der all das im Kopf ausrechnete?
Er nickte aber nur.
"Meinetwegen. Und wir gehen aussenrum. Manchmal klappt es die dort zu schmieren, mit Drogen oder Geld... manchmal klappte es aber auch nicht, und ich habe keine Ahnung wie die drauf sind wenn die ne Frau sehen... Es gibt aber nen Durchgang, den kontrollieren sie nicht, du wirst auch sehen warum. Und eh du dran denkst obenrum zu klettern, wenn du vorher schon über deinen Geigerzähler erschrocken bist, dort oben..." Er machte eine Geste, mit zwei Fäusten, die sich schnell öffneten, er meinte etwas wie eine Explosion, hatte kein Lust genauer zu erklären.
"Der Durchgang wird gleich die erste Übung. Wenn du dich genauso bewegst wie ich überlebst du es."
Er meinte die Unterführung, die aus gutem Grund von der Armee nicht bewacht wurde. Aber letztlich wusste jeder, dass es einige hindurchschafften, andernfalls hätte das Lager im Kordon kaum einen Sinn gemacht. Aber es kostete auch fast genauso viele Leben. Die Elektoanomalie darin hatte einen bestimmten Rhythmus und hatte sich - und das war doch erstaunlich - schon seit unzähligen BlowOuts nicht bewegt und verändert. Ein Stalker hatte irgendwann einmal den Rhythmus durchschaut, wie vielen er dazu beim Sterben zugesehen hatte wusste keiner. Aber über einen gewissen Strelok war dieser Tipp auch zu ihnen gelangt.
Dorthin führte er Jessica nun.
Auf dem Weg schwieg er, auch wenn die paar Schritt noch halbwegs ungefährlich waren... die Straße entlang, ein kurzer Blick zur LKW-Werkstatt, ob sich Banditen draußen herumtrieben, dann weiter. Ansonsten musste man sich hier fast nur vor Hunden in Acht nehmen, aber auch die waren nicht ohne. Weiter.
Immer wieder die Prozedur, ein Stück gehen, umsehen, lauschen, weiter. Einigen Anomalien, kleineren Karussellen wich er aus, er wusste auswendig wo die waren noch ehe der Detektor anschlug. Trotzdem hatte er ihn draußen und blickte immer wieder drauf, längst glaubte er nicht mehr daran, dass sie sich nur mit dem BlowOut veränderten. Man war hier besser mehr als vorsichtig.
Und dann hatten sie auch schon die Unterführung erreicht. Auch hier zögerte er, wartete ab und blickte zuerst auf den PDA. Es waren keine Signaturen in der Nähe, keine Lebenden und auch keine Toten, die sich bewegten, das war schon mal ein gutes Zeichen.
"Gut. Sieh genau zu was ich mach, wohin ich trete und worauf ich stehenbleibe und präge dir ein wie schnell ich gehe. Ich warte drinnen auf dich und sage dir wann du losgehen kannst. Verstanden?"
Auf ihre Bestätigung hin wartete er die erste Entladung an und ging dann los, zügig ohne zu rennen, am Rand entlang, dann sprang er auf den Betonklotz und vor dort auf das Rohr und wieder auf den Boden, zur anderen Seite bis zum Container.
Dort wartete er, drehte sich um, wartete auf die nächste Entladung.
"Und jetzt los."

Ein kleiner Schritt für die Menschheit,...

Verfasst: Freitag 6. Mai 2022, 16:36
von Jessica Voss
Sie nickte Kovac dankbar zu, holte ihr Handy hervor und schaltete es an. 12%. Null Empfang. Ob sie ihren Führer nach einer Powerbank oder Ähnlichem fragen konnte? Sollte? Vielleicht später, wenn sie sich besser kennen gelernt hatten. Noch reichte der Saft im Akku. Zumindest für ein paar kurze Videos. Und davon machte sie nun eins, welches das pulsierende Glühen des Artefakts festhielt. Danach schaltete sie das Gerät wieder aus und verstaute es sorgsam in der Beintasche ihrer Hose.

Interessiert hörte sie Kovacs Schilderungen bezüglich der Artefakte zu, während sie weitergingen. Es gab also viele verschiedene Varianten von dem Zeug? Alle mit anderen Eigenschaften? Das hörte sich nach extremem Sci-Fi-Shit an! Stufe 10 auf der Enterprise-Skala. Woher kam das Zeug wohl? Wenn es radioaktiv war, lag die Reaktorexplosion natürlich nahe. Vermutlich wusste niemand so genau, was im Inneren eines Atomreaktors wirklich vor sich ging. Die Wissenschaft tat immer so aufgeklärt, musste aber, wenn es um quantenmechanische Vorgänge ging, mit Erklärungen klein bei geben. Manche Dinge konnte man nicht beobachten, ohne sie dadurch zu verändern. Gab es eine Verbindung zwischen Radioaktivität und Quantenmechanik, die physikalische Gesetze beugen konnte? Die Liste der Experten, die sie bei ihrer Rückkehr nach Deutschland aufsuchen musste, wurde länger und länger und bestand zu einem Großteil bereits aus Wissenschaftlern.
Sie schmunzelte, als Kovac von einem Artefakt erzählte, dass ihm die schönsten Träume beschert hatte.
"Die schönsten Träume? Wie sah sie denn aus?"
Sie zwinkerte ihm mit einem Lächeln zu. Sie wollte ihn mit der Frage nicht verhöhnen oder reizen. Einfach nur ein kleiner Spaß zwischendurch, der hoffentlich die Kluft zwischen ihnen schmälern konnte.

Der Weg zur Unterführung war nicht lang, aber Jessie empfand es als unglaublich nervig, immer wieder zwischendurch anzuhalten, auch wenn sie die Notwendigkeit dieser ganzen Vorsicht durchaus verstand. Das Gefühl, nicht voran zu kommen, war dennoch wie ein ungemütlicher Druck in ihrem Hinterkopf. Sie hatte nun Blut geleckt und war einfach viel zu aufgeregt und ungeduldig, um einfach nur untätig irgendwo herum zu stehen. Dennoch riss sie sich am Riemen und folgte jeder Anweisung ihres Führers. Immer wieder blickte sie bei einem Stopp durchs Objektiv der Kodak und suchte die Umgebung nach Gefahren oder interessanten Dingen ab. Einmal sah sie sogar ein Rudel dieser mutierten Hunde. Allerdings führte es diesmal keines der größeren Exemplare an. Sie deutete Kovac die Richtung. Der nickte nur und behielt die Tiere für eine Zeit lang noch im Auge. Das Rudel drehte aber in eine andere Richtung ab und stellte für den Moment keine Gefahr mehr dar.

"Wo treffen wir denn deinen Kameraden, von dem du gesprochen hast?" durchbrach sie die langsam ungemütlich werdende Stille zwischen ihnen, achtete aber darauf, nicht zu laut zu sprechen.
"Habt ihr ein Lager hinter dem Bahndamm? Operiert ihr nahe Pripyat? Seid ihr nur Goldgräber,... äh,... Artefaktjäger? Oder macht ihr auch noch andere Dinge?"
Sie verzog ein wenig verlegen das Gesicht.
"Entschuldige den Schwall an Fragen. Berufskrankheit."
Noch ein Zwinkern, dann war sie erst einmal wieder still. Ihr Bauchgefühl sagte ihr, dass an dem Kerl mehr dran war, als dass er nur ein Glücksjäger war. Er verhielt sich zu,... hmm,... zu kompetent? Etwas an seinen Bewegungen und Handlungen hatte etwas militärisches an sich. Naja, wohl kein Wunder. Jessie vermutete, dass ein Großteil dieser Stalker Ex-Militärs waren. Allerdings konnte sie nicht einschätzen, ob Kovac nur als normales Kanonenfutter oder vielleicht in einer Spezialeinheit, wie den SpezNas gedient hatte. Dafür hatte sie ihn noch nicht in Aktion gesehen.
"Du warst mal bei der Armee, oder?" platzte es aus ihr heraus, ohne dass sie es wirklich kontrollieren konnte.

Dann waren sie an dem Durchgang im Bahndamm angekommen.
Während Kovac seinen PDA konsultierte, spähte Jessie mit nervösem Blick in die Unterführung. Sie konnte schemenhaft Leichen dort drinnen erkennen. Menschen und Tiere, die versucht hatten, den Tunnel zu durchqueren und entweder nicht mit der von ihrem Führer angesprochenen Anomalie gerechnet, oder ihr Geschick im Umgang mit dieser überschätzt hatten. Was Jessica nicht wusste war, dass hier schon viel, viel mehr Leute umgekommen waren, als die geringe Anzahl an Leichen vermuten ließ. In der Regel konnten sich die Todgeweihten noch ein Stück weiter schleppen oder wurden von der Anomalie wie ein Spielzeugpüppchen fortgeschleudert. So konnten sich Tiere um die Leichen kümmern. Oder Stalker und Banditen, die sich in regelmäßiger Gewohnheit daran machten, mit langen Haken an Stäben und Stielen nach den Toten zu angeln, sie zu sich zu ziehen und ihre Wertsachen für sich zu beanspruchen. Auch dabei gab es oft Tote und Verletzte, wenn jemand die Reichweite seines Stabes überschätzte, oder dieser so schnell aus der Hand gerissen wurde, dass das Gelenk wie ein dünner Ast dabei brach.
Für Jessie war der Anblick der fünf sichtbaren Leichen allerdings mehr, als genug. Sie schluckte schwer und je länger sie in den bedrohlichen Schlund der Unterführung schaute, desto unbehaglicher wurde ihr. Der Durchgang maß etwa 20,... maximal 30 Meter. Und es fiel noch genug Licht hinein, um alles zumindest einigermaßen auszuleuchten. Dennoch kam es der Reporterin so vor, als stünde sie vor dem Eingang des Elbtunnels. Oder als ob sie dieser Larry-Typ in Stephen Kings Buch 'The Stand' wäre, der sich seelisch darauf vorbereitete, sich durch den stockfinsteren, leichenübersäten Lincoln-Tunnel zu arbeiten.

Schweiß lief ihren Rücken hinunter, als sie Kovac dabei zuschaute, wie er abwartete und zählte. Der klare, sonnige Spätnachmittag hatte sich bewölkt und die Luft viel zu schwül für ihren Geschmack gemacht. Es dämmerte bereits, was die Sicht in die Unterführung hinein mit jeder Minute schlechter werden ließ.
Dann, nach einem kurzen Zischen der Luft, setzte sich ihr Führer in Bewegung. Es war ein wenig, als schaute man einem Kind bei einem Himmel-oder-Hölle-Spiel zu. Vermutlich war das eine bessere Analogie, als sich Kovac mit einem roten Klempneroutfit, Mütze und dichtem Porno-Bärtchen vorzustellen. Wie sich wohl Russisch mit italienischem Akzent anhören mochte?

Dieser Gedanke war zwar belustigend, konnte sie aber nicht von der imminenten Gefahr ablenken. Die Luft in der Unterführung schien an einigen Stellen zu knistern und zu wabern. Ganz ähnlich der Anomalie bei dem alten Bauernhaus, bei derem Gedanken der Reporterin noch jetzt die Schulter schmerzte. Kovac war am anderen Ende angekommen und rief ihr zu, sich bereit zu machen. Jessie holte tief Luft und spannte ihre Muskeln an, wie eine olympische Kurzstreckenläuferin, kurz vor dem Startschuss. Dabei musste sie gar nicht rennen. Kovac war auch nur zügig gegangen.
"Und jetzt los!" rief er ihr plötzlich zu. Mit einem Ruck setzte Jessie sich in Bewegung. Je weiter sie sich in die Unterführung vor wagte, desto dramatischer knatterte ihr Strahlungsdetektor drauf los. Das hätte sie beinahe direkt wieder zurück weichen lassen. Aber sie nahm all ihren Mut zusammen und ging weiter vorwärts. Wer wollte schon Kinder haben? Störten nur bei der Karriere!

[91/100] Glücklicherweise hatte die Reporterin ein sehr gutes Gedächtnis und konnte jeden Schritt, den ihr Führer gemacht hatte, haargenau so nachahmen. Erst an der Wand entlang, als wenn sie sich auf dem schmalen Sims eines Wolkenkratzers befand. Gut, Kovac hatte sich nicht an die Wand gedrückt, aber sicher war sicher, oder? Der Sprung auf den Betonklotz war ebenfalls ein Kinderspiel. Das Rohr war zum Glück schwer und stabil. Entgegen Jessies Befürchtung, rollte es keinen Milimeter zu einer Seite, als sie mit den schweren Kampfstiefeln darauf balancierte. Breit grinsend sprang sie davon ab und landete - ein wenig stolz auf sich selbst - direkt vor Kovac.
[2/100] Allerdings hatte es hier drinnen wohl einmal ein Feuergefecht gegeben. Der Boden war stellenweise mit alten Patronenhülsen übersät. Und eine solche Stelle traf Jessies Stiefel, als sie auf dem Boden aufkam. Der sichere Stand entglitt ihr, Hülse und Dreck sprühten in die Luft und langsam beugte sich ihr Körper nach hinten durch, vom Gewicht des Rucksacks zusätzlich zu Boden gezogen. Währenddessen ruderte sie verzweifelt mit den Armen, um ihr Gleichgewicht zurück zu erlangen. Sie musste gerade so lächerlich aussehen, schoss es ihr zusammenhanglos durch den Kopf. Die Welt um sie herum verlangsamte sich zu einer Zeitlupe. Das stakkatoartige Knattern des Detektors an ihrer Brust erschien ihr, nun im Augenblick der Gefahr, nur noch wie der ruhige Takt einer Trommel. Sie konnte die statische Elektrizität spüren, die sich hinter ihr entladen wollte. Sie konnte fühlen, wie ihre Haare sich eigenständig in eben diese Richtung bewegten, als wäre sie eine Taucherin unter Wasser.

Ein weiterer Schritt nach hinten und die Anomalie würde sie wie einen Sonntagsbraten verschmoren und wie ein Spielzeug herum schleudern.

Re: In Nubgorod (Noobtown)

Verfasst: Mittwoch 11. Mai 2022, 11:49
von ERZÄHLER
"Schalt das WLAN aus, und die Mobilen Daten... hier bekommst du eh keinen Empfang das saugt dir nur den Akku leer."
Gab er ihr einen Tipp, er hatte erst ein wenig darüber nachdenken müssen, tat es dann aber doch. Dass in Pripyat immer noch der Strom floss und dass keiner so genau sagen konnte warum, und sie dort auch wieder laden konnte, das würde sie wohl noch früh genug sehen.
Und sie wollte allen ernstes Wissen, wovon die schönsten Männerträume handelten. Kovac konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, aber sie zwinkerte immerhin.
"Wovon schon? Schnaps, ein Lamborghini, eine deutsche Autobahn und keine Miliz weit und breit... Und Titten, jede Menge Titten." Jetzt zwinkerte er. Wovon er wirklich träumte würde er ihr nicht verraten. "...oder wovon träumst du. Sag mir allen ernstes, dass Frauen nie von Schwänzen träumen!"
"...und Starik treffen wir... er blickte kurz auf seinen PDA, das Signal näherte sich ihnen und er deutete drauf "Da... er ist bald beim Bahnhof. Wenn wir schnell sind wohl bei der Müllhalde... vielleicht wartete er aber auch beim Bahnhof und säuft dort mit den Jungs." Den PDA steckte er wieder weg.
"Operieren..." wiederholte er. "...das klingt so hochprofessionell. Wir sind keine Ärzte. Wir sind... Stalker eben, und was man als Stalker so tut... Wir sammeln was nicht festgeschraubt ist... wobei, auch das manchmal. Wir bekommen Aufträge und dann holen wir's, egal von wem. Und wenn wir es in einem Labor abschrauben oder aus ner Anomalie ziehen müssen. Egal. Deswegen. Wir sind einfach nur Stalker. Irgend'n Witzbold hat mal gemeint, das wär ein Dings... Akkor... so ne Abkürzung. Warte mal... das war englisch... Mir fällt's noch ein..." Er zählte die Begriffe an den Fingern ab. "Soldier? Nein... Scavenger, Trespasser, Adventurer, Lover..." Wieder zwinkerte er. " Nein... Loner, Killer, Explorer und Robber. Du kannst sicher Englisch." Er selbst hatte de Begriffe mit einem fürchterlichen russischen Akzent ausgesprochen. "In Wirklichkeit heißt der Beruf immer schon so." Natürlich kannte er die eigentliche Etymologie des Begriffes. Aber zu viel zu wissen passte eben nicht zu seiner Legende. "In erster Linie sind's aber arme Schweine. Die meisten haben ihr Leben draußen nicht auf die Reihe gebracht, haben Schulden, saßen im Knast oder beides. Das ist die Zone noch besser. Ich brauch einfach die Kohle, und wenn ich sie hab... ab in den Westen. Man darf aber nicht gierig werden sonst holt einen die Zone."
Er redete recht viel, aber eigentlich war er auch nicht der Stille und in sich gekehrte Typ, war er nie gewesen. "Und jeder Russe war bei der Armee. Bei uns gibt es keine Verweigerer."
Die gab es natürlich, aber es war, und vielleicht nicht nur für ihn, nicht üblich. Dass die Wehrpflicht in Deutschland zur Gänze abgeschafft worden war, das wusste er natürlich beruflich auch, aber als Stalker hatte er davon keine Ahnung. Insgesamt begann es für ihn jedoch langsam kompliziert zu werden. Die zwei Identitäten, so stellte er fest, waren unter Kollegen nie zur Sprache bekommen, und andere Stalker stellten selten so viele Fragen und prüften die Antworten auch noch später auf Kohärenz, er würde es noch schwer haben mit dieser Frau und ein wenig bereute er es schon.

In der Unterführung beobachtete er, wie sie seinem Schritt folgte, sie machte ihre Sache recht ordentlich, bis sie dann bei ihm war und fast ausrutschte. Er hätte sie auch fallen lassen können, denn an der Stelle war der Tunnel zwar zur vollen Breite frei, aber sie stand ungünstig am Rand und natürlich konnte man sich auch allein durch den Sturz verletzen, und retten war immerhin heldenhaft, nicht?
Er erwischte einen Riemen ihres Rucksacks und zog sie wieder in die Senkrechte, womit sie nun sehr nahe bei ihm stand. Eine Situation, die man hätte ausnutzen können, aber nach Machtspielchen war ihm nicht und an Sex dachte er in der Zone tatsächlich eher selten.
"Aufpassen, Püppchen. Sonst waren meine ganzen Antworten umsonst und ich werd nie berühmt." Er grinste.
"Weiter."
Das gleiche Spiel noch mal, er führte sie, immer noch am Rucksackriemen gepackt, um die Container herum, in der anderen Hand das Sturmgewehr im Anschlag. Er spähte zuerst nach draußen, da war sonst niemand. Aus dem Tunnel raus und gleich einer Bande an Hunden in die Arme zu laufen - vier oder zweibeinige, egal, beides wäre mehr als unangenehm gewesen.
Er ließ sie los und ging wieder voran, zügig. Draußen sicherte er die Umgebung, blickte zurück und gab das Kommando. "Und los."

Danach kamen sie an Ruinen vorbei, und es ging einen Abhang hoch, dahinter lag ein Sperrzaun mit einem großen verrosteten Tor, einst war es grau lackiert und ein großer Sovjetischer Stern prangte noch immer in der Mitte.
"Zum Glück grade in der Hand der Stalker. Wären es Banditen, wir müssten und durchschießen." er deutete auf die Barriere. Dort bewegten sich Personen und auf seinem PDA leuchteten kleine Punkte.

Titten & Schwänze!

Verfasst: Freitag 13. Mai 2022, 16:39
von Jessica Voss
Die Zeit dehnte sich, wie ein Kaugummi. Und man sagte, dass in solchen Situationen das Leben an einem vorbei zog. In diesem Fall kamen Jessica allerdings nur einige unzusammenhängende Gesprächsfetzen in den Sinn, die sie mit Kovac zuvor noch geführt hatte. Wie ein Flashback dachte sie über diese Gespräche und ihre Gedanken nach, während sie langsam nach hinten, direkt in die Elektroanomalie fiel.

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'Jede Menge Titten' hatte er gesagt. Immerhin hatte er nicht von großen Titten gesprochen. Jessie war dahingehend nicht sonderlich reichlich bestückt. Sie war eher schlank und athletisch mit einer kleinen Körbchengröße. Und wenn sie eines aus ihrer Erfahrung im Umgang mit Männern gelernt hatte, dann war es eine ganz einfache, mathematische Formel. Die gewünschte Tittengröße stand in der Regel im antiproportionalem Verhältnis zum Intelligenzquotienten des Wünschenden. Was Jessie durchaus Recht war. Immerhin wurde sie damit von vorn herein von all den Neanderthalern ausgesiebt und nicht beachtet, für die kulturelle Bereicherung ein Wet-T-Shirt-Contest am Ballermann war.
"Klar träumen wir auch." antwortete sie ihm. "Auch SOLCHE Träume."
Er warf ihr grinsend einen Seitenblick zu und Jessica rollte seufzend mit den Augen.
"Ja, auch von Schwänzen! Wobei ihr da irgendwann mal was in den falschen Hals bekommen habt. So größenfokussiert sind wir nicht."
Sie deutete auf ihre AK.
"Man kann auch mit einem kleinen Kaliber sein Ziel erreichen, wenn man es geschickt anstellt."

Neugierig lauschte sie seinen Ausführungen, was Stalker so machten und woher der Name eingentlich herrührte. Sie musste gegen ihren Willen schmunzeln, als Kovac sich einige Male verhaspelte und überhaupt war es so typisch für Männer,... gerade in der Armee, allem eine Abkürzung aufzwingen zu müssen. Wenn sie daran dachte, wie sie oftmals über die irrsinnigen Abkürzungen lachen musste, die ihr Vater zum Besten gegeben hatte, wenn er über das Leben bei der Marine sprach.
ABCAZBw, die ABC-Auswertezentrale der Bundeswehr, die wohl mit Kampfstoffen zu tun hat und weniger damit, Kindern das Lesen und Schreiben beizubringen.
Oder MAD, der militärische Abschirmdienst. Das Wort für Geheimdienst, weil Abschirmdienst ja soviel mehr Sinn macht. Und mad - also verrückt - war dort wohl auf alle Fälle jeder.
Ebenso, wie die Klassiker, die bereits vor langer Zeit aus den Vorschriften gestrichen worden waren, aber noch immer unter den Soldaten die Runde machten. 'Falle-Schnapp-für-Kleintier-Grau' als Bezeichnung für eine Mausefalle war so ein Highlight.
Oder für Leute mit schwarzem Humor kam 'Sack-Latex-für-Soldat-Totalausfall' auch nicht schlecht.

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Der Flashback brach ab, als sie einen Ruck an ihrer Schulter spürte und die Zeit sich für sie wieder normalisierte. Kovac hatte sie am Riemen des Rucksacks gepackt und zu sich gezogen. Etwas verlegen trat sie auf der Stelle und senkte den Blick zu Boden, während ihr Herz nur langsam wieder normale Schlagfrequenz annehmen wollte. Was ein Scheiß! Klar war sie froh, dass Kovac sie gerettet hatte, aber verdammt nochmal! Jetzt stand sie noch mehr in seiner Schuld und die Chance, letztendlich das Ruder an sich zu reißen und bestimmen zu können, wohin es ging und was er für sie tun und lassen sollte, schwand immer weiter dahin.
Sie stand ihm so nahe, dass er ohne weiteres die Arme hätte um sie schlingen können. Aber er benahm sich und nutzte die Situation nicht aus, was sie ihm hoch anrechnete. Für einen Kerl, der in der Wildnis lebte und sich schwer bekleidet, ebenso schwer körperlich ertüchtigen musste, roch er nicht einmal schlecht, fiel ihr auf, da sie ihm so nahe stand. Sie hatte eigentlich erwartet, dass ihr der Geruch nach altem Schweiß und über die Haut ausgedünstetem Alkohol entgegen wabern würde.
Erneut senkte sie den Blick verlegen zu Boden. Nicht, weil die Situation, nahe bei ihm zu stehen, peinlich gewesen wäre. Sondern weil sie ärgerlich auf sich selbst war. Es war nur etwas mehr, als vierundzwanzig Stunden her, dass ihr Freund, Gefährte und Liebhaber auf brutalste Weise gestorben war und hier stand sie nun und verhielt sich wie ein lechzender Teenager. Wann war sie solch eine Bitch geworden? Oder war es die Angst und Verzweiflung, die sie hier, in dieser abgefuckten Zone ständig spürte? Der animalische Instinkt, der langsam in den Vordergrund trat und den man sonst nur den Männern nachsagte?

Sie versuchte etwas Abstand zwischen Kovac und sich selbst zu bringen, doch er hielt sie weiterhin am Schulterriemen des Rucksacks fest. Nicht dominant, sondern weisend. Nur deshalb ließ sie diese weitere Peinlichkeit über sich ergehen. Sie wäre um ein Haar schon zuvor in diesem Tunnel umgekommen. Sie musste auf seine Führungsqualitäten vertrauen und wenn es bedeutete, sich wirklich 'führen' zu lassen, dann war es eben das, was geschehen musste.

Endlich waren sie aus der Unterführung hinaus und obwohl es sich nicht um einen langen, tiefen Tunnel gehandelt hatte, schmeckte die Luft am Ausgang doch so viel besser als da drinnen. Der rationale Teil Jessies vermutete, dass der Elektrosmog innerhalb der Unterführung die Luft verpestete, doch der klaustrophobische Teil von ihr, der vor der Durchquerung Angst gehabt hatte, genoss nun einfach wieder die Freiheit. Sie nahm einen langen, gedehnten Atemzug, der sie teilweise beruhigte. Und als Kovac sie ohne ein Wort ihrerseits losließ, entspannte sie sich nochmals sichtlich.

Sie gingen für eine Weile schweigend und sie hing ihren eigenen Gedanken nach.
'Mit den Jungs saufen' hatte ihr Führer gesagt. Also noch mehr Kerle, die mit ihr reisen würden. Sie hoffte nur, dass dieser Starik und die 'Jungs' ebenso anständig sein würden, wie Kovac bisher den Eindruck gemacht hatte. Die Vorstellung, dass ihr Führer sich nur nicht allein an sie heran traute, ließ sie schmunzeln. Sie konnte ein ziemliches Biest sein, das wusste sie. Aber einen ehemaligen Soldaten und vor allem als Frau einen Russen einzuschüchtern,... das war dann doch wohl nur ein Wunschgedanke. Sie wusste, dieser Kovac hatte ein Geheimnis, welches er ihr nicht erzählte. Sie war immerhin Journalistin und wusste meist ganz genau einzuschätzen, wenn jemand etwas sagte oder verschwieg. Aber sie hoffte inständig, dass das Geheimnis ihres Führers kein schreckliches war, welches sie noch bereuen würde.

"Danke." murmelte sie plötzlich vor sich hin und blickte zu Boden.
"Für deine Hilfe da drin."
Das war nur fair, sich bei ihm dafür zu bedanken. Und würde vielleicht ihre geschäftliche Beziehung ein wenig verbessern. Letztendlich hätte sie sich auch ganz offen dafür bedanken können, dass er ihr Leben gerettet hatte. Aber einerseits wollte sie keine SO große Schuld ihm gegenüber eingestehen, wenn sie es nicht unbedingt musste. Und zum anderen,... mal ehrlich! 'Danke, dass du mein Leben gerettet hast!' klang so geschwollen, teenie-haft anhimmelnd und filmreif, dass einem übel werden konnte, oder nicht?
Dann drückte sie plötzlich den Rücken durch, hob stolz das Kinn an und war wieder ganz die professionelle Frau, die sie hier in der Zone sein musste. Ihr Blick wanderte über die Ruinen, blieb kurz auf dem Sowjetstern hängen und richtete sich dann voller Neugier auf Kovacs PDA. Schon seltsam, wie alt diese Technik war und dass sie letztendlich das einzige sein sollte, was hier funktionierte. Aber es war auch logisch. Alte Technik war weniger anfällig für Ausfälle und Störungen. Aus dem Grund hatte man auch damals einen Waschmaschinen-Chip für den ersten Marsrover benutzt.
"Ist das schon der Bahnhof? Sind das deine Leute?"

Re: In Nubgorod (Noobtown)

Verfasst: Mittwoch 18. Mai 2022, 18:27
von ERZÄHLER
Wenn die jungen Frau auch nur ansatzweise geahnt hätte, auf welchen Typ Frau Kovac stand, oder besser, welche er im speziellen im Auge hatte... vermutlich hätte sie zunächst auch gar nichts begriffen, erst später, wenn sie etwas mehr über die Jäger erfahren hätte. Allerdings wuchs auch der Respekt für seine neue Begleiterin fast minütlich, so dass er bereits begann, nach einem passenderen Namen zu suchen. Ihm war auch schon etwas eingefallen, aber voreilig wollte er sie auch nicht adeln, so sehr er sich gegen den Aberglauben sträubte, den Mut ihm die Stirn zu bieten hatte er dann doch nicht.
...und von großen Schwänzen hatte er nie etwas gesagt, er wusste längst, dass es mehr auf die Technik ankam. wobei es trotzdem hilfreich war, ein Jagdgewehr zu Hand zu haben, wenn ein anderer eine Pistole auf einen richtete, vor allem in den Duschräumen.

Ihm kam auch nicht in den Sinn, dass er sich eben durch mangelnden Körpergeruch verraten haben könnte. Sein Denken reichte nicht weit genug, Natürlich war ihm noch im Gedächtnis, wie abgerissen sein Chef immer herumgelaufen war und wie der zuweilen stank, als hätte er sich in allem gewälzte, was die Zone so am Wegesrand liegen ließ, aber er hatte es immer dessen desolater Psycho zugeschoben und mangelndes Bewusstsein für Körperhygiene als der Tarnung. Ihm war auch nicht klar, und das wohl bis heute, welche Kaliber und Suchscheinwerfer auf ihn gerichtet gewesen waren, und welche Taschenlampen dagegen nur auf ihn... wenn überhaupt.

Und ja, ein wenig hatte er Angst. Weniger vor ihr als Person als vor dem wofür sie stand, die westlichen Medien, die das was sie aus dem Osten hörten oft mehr als frei interpretierten und eigene Geschichten daraus strickten. Und so wurden aus einer Einheit, die dafür sorgte, dass sich die Zone nicht weiter ausbreitete schnell eine Horde von Kriegsverbrechern.
Er beglückwünschte sich daher dafür, sie sofort eingesammelt zu haben, aber was er nun mit ihr tun sollte, so weit hatte er noch nicht nachgedacht. Darum, so hoffte er, würden sich erfahrenere kümmern. Wenigstens Schura oder Wolodja.

Und sie bedankte sich. darauf konnte er erst einmal gar nicht wechseln. Kaum jemand hier bedankte sich. Auch nicht dafür, das Leben zu retten. Man wusste, der andre hatte etwas gut, das eigene Leben vielleicht. Deshalb blickte er sie einen Moment an. Wie verstand eine Deutsch das? War es für sie damit getan?
Ihm kam der Spruch wieder in den Kopf 'Ein Danke kann man nicht in die Hosentasche stecken' Sprach ihn allerdings nicht aus.
Er sah ihren Blick wandern.
"Nein, der Bahnhof ist noch ein Stück... das ist mal ein weiterer Grenzposten gewesen, aber die Soldaten haben sie aufgegeben. Zu viele Banditen und Hunde und anderes Viehzeugs. Im Moment halten es die Stalker..." Und weil er ihren fragenden Blick sah. "Lass mich raten, du hast noch nie von den Fraktionen hier gehört, oder? Wie im Knast und auf der Straße haben sich hier auch Gruppen gebildet. Wenn du die Soldaten als eine sehen willst... die wichtigsten sind die Wächter, die haben sich in Rostok festgesetzt und dort bekommt man ihren Arsch auch nicht mehr weg. Die Freiheit wechselt alle paar Monate den Unterschlupf, die beiden sind Todfeinde. Die freien Stalker sind nicht in dem sinne eine Fraktion, die Banditen eigentlich auch nicht oder sie Söldner, die Wissenschaftler, aber irgendwie versucht sich doch jeder abzugrenzen... Das kennt ihr in Deutschland ja. Mein Handtuch, mein Liegestuhl."
Er schob das Tor ein Stückweit auf und trat vor, die Waffe erhoben, die freie Hand ebenfalls. mehrere AKs und ein paar kleiner Sturmgewehre waren sofort auf ihn gerichtet.
"Keine Panik, ich bin's nur." sprach er sie an. Und als hätte das schon gereicht, senkten sich die Waffen.
"Das ist Kovac." erklärte einer, der auf seinen PDA geblickt hatte.
"He, was machst du so weit draußen? suchst du deine Eier?"
Ein paar lachten über den dummen Witz.
Dann entdeckten sie die Frau bei ihm, wohl erst auf den zweiten Blick, denn keiner hätte so etwas erwartet.
"Oha, der Junge hat sich was zum spielen mitgebracht..." - "Frischfleisch für den Cheffe, hm?" - "Jetzt weiß ich was ihr den ganzen Tag dort so treibt..." Und ähnliches war nun zu hören und dummes Lachen und noch dümmere Gesten, manche davon bedurften nur der Hände, andere erforderten ganzen Körpereinsatz.
Kovac ignorierte sie, ging einfach weiter, durchquerte das Wachhäuschen und wenn sie versucht war stehenzubleiben zog er sie einfach mit sich. Keinen Moment länger hier verweilen.
Erst später fiel ihm ein, dass er vielleicht dem einen oder anderen die Fresse hätte polieren sollen, das wäre wohl normal gewesen, ein zu beherrschtes vorgehen verriet ihn, aber da war es schon zu spät. Sie waren vorbei.
Vor ihnen lag wieder die unglaublich schlechte Straße, an manchen stellen von kleinen Bäumen durchbrochen, die allerdings einen teil grotesken Wuchs zeigten, an anderen Stellen fehlten einfach ganze Bentonstücke und dort wo es sie noch gab zeigte sie Spurrinnen die an das Profil eines Kamelhöckers heranreichten. An anderen Stellen war die Straße einfach gänzlich unbeschädigt, diese Bereich allerdings umging er großräumig und wenn man genau hinsah konnte man ein Flirren wie von heißer Luft erkennen

Fleischbeschau und noch mehr Fragen.

Verfasst: Montag 23. Mai 2022, 15:44
von Jessica Voss
Es gab also verschiedene Fraktionen hier. Und wie es nun einmal die Art des Menschen ist, kamen sie nicht miteinander aus. Was eine Überraschung. Jessica hatte vor einigen Jahren mal in der Unterwelt Moskaus recherchiert und am eigenen Leib die brutalen Machtkämpfe und Bandenkriege miterlebt. Diese Männer gingen vielleicht ein wenig subtiler vor, als zum Beispiel die Kartelle in Südamerika, aber wenn man mal von den Clans in den deutschen Großstädten absah, war der Moskauer Untergrund ein heißes Pflaster.
So scheinbar auch hier.
"Diese Wächter gehören also zum Militär? Ganz offiziell? Welche Länder? Nur die Ukraine? Oder hat auch Russland oder Weißrussland seine Finger im Spiel? Gibt es da politische Abkommen, diese Zone zu vertuschen und einzugrenzen?"
Die Worte überschlugen sich beinahe vor Eifer. Sie stellte wieder zu viele Fragen, das wusste sie. Aber sie konnte es einfach nicht lassen. Hoffentlich würde Kovac nicht irgendwann die Schnauze von ihr und ihrer Wissbegier voll haben.
"Und die Freiheit? Wofür stehen die? Anarchie? Das sind aber wieder andere, als die von dir angesprochenen 'freien Stalker', oder?"
So listenartig heruntergeleiert, konnte die Reporterin, trotz ihrer hervorragenden Russischkenntnisse, nicht klar zwischen diesen Fraktionen differenzieren und sich vorstellen, wofür sie standen. Dennoch war ihr absolut klar, dass sie über sie bescheid wissen und ihre Ambitionen kennen musste, um hier in der Zone weiter zu kommen.
Und es gab noch Banditen, Söldner,... Wissenschaftler? Das klang interessant. Doch bevor sie fragen konnte, musste sie erst einmal den kleinen Seitenhieb kontern, den Kovac ihr zugeworfen hatte.
"Ey,... wer hat uns denn ab '61 mit 'ner Mauer abgegrenzt, hmm? Und immerhin sind wir nicht so schlimm, wie die Tommys. Die schmeißen dein Handtuch einfach weg."

Sie machte große Augen, als sie mit den verschiedensten groß- und kleinkalibrigen Waffen begrüßt wurden, als das Tor sich öffnete. Für einen langen Moment war Jessie unentschlossen, ob sie Kovac nachahmen sollte. Der Drang, sich zu verteidigen und ihre eigene AK zu heben, war beinahe übermächtig. Doch glücklicherweise besann sie sich zur Ruhe und hob, die AK am Riemen von der Schulter baumelnd, beide Hände in die Höhe.

Sie schwieg, als Kovac sich vorstellte und kein Wort über sie verlor. Vermutlich war es besser, wenn die Kerle keine Details wussten. Weder über ihren Job, noch über den Deal mit ihrem Führer. Und vor allem war sie froh, dass Kovac sie nicht vor allen Männern offen 'Püppchen' nannte. Sie ballte unwillkürlich die Fäuste und hielt den Blick starr geradeaus. Das waren die einzigen Zeichen, die sie nach außen abgab, die anzeigten, dass die dummen Sprüche und Gesten sie nicht völlig kalt ließen. Sowohl unter den Banden Moskaus, wie auch in den Unterwelten aller anderen Städte, in denen sie zuvor für den Spiegel recherchiert hatte, war sie solchen Reaktionen ausgesetzt gewesen. Es war nie einfach gewesen und würde es wahrscheinlich auch nie werden. Aber mittlerweile war sie etwas abgehärtet und ließ sich nicht mehr so leicht aus der Fassung bringen. Auch hier kam eine ganz einfache mathematische Formel für sie ins Spiel, die ihr ebenso den Stress nahm, wie einem vor einer Gruppe Redenden, der sich vorstellte, sein Publikum sei nackt.
Je mehr ein Kerl vulgäre Äußerungen und Gesten machte, so kleiner war sein Schwanz, so beschissen seine Erfahrung im Bett und wenn einer ganz besonders laut schrie, dann hatte er für gewöhnlich noch nie eine Frau abbekommen. Aus gutem Grund.

Solange von den Idioten keiner handgreiflich wurde, würde ihr Stolz das überstehen. Auch musste Kovac sie gar nicht mit sich ziehen. Sie selbst hatte nicht vor, einen Moment länger als nötig, hier bei der Fleischbeschau zu verweilen. Interessanterweise hatte sie aber für einen Moment den gleichen Gedanken, wie ihr Führer. War es nicht ein wenig, wie im Knast? Sollte man an seinem ersten Tag nicht direkt Stärke zeigen und jemanden zusammen schlagen? Kurz war Jessie hin- und hergerissen, ob sie einen der Kerle zu Boden schicken sollte. Einfach nur, um ihren Standpunkt und den einer jeden Frau zu verdeutlichen.
Aber letztendlich entschied sie sich dagegen. Wer wusste schon, ob der Typ fair kämpfen würde, oder ob sich der ganze Mob auf sie stürzen würde. Sie war im Training ganz gut. Aber Training war bei Weitem kein Ersatz für richtige Kampferfahrung. Und das wusste sie auch. Wenn der Kerl, den sie sich ausgesucht hätte, was drauf hatte, würde ER mit IHR den Boden wischen. Und wer weiß, ob er sich damit begnügen würde, sie nur auf die Bretter zu schicken.
Also schluckte sie ihren Stolz und folgte Kovac mit starr auf dessen Rücken gerichteten Blick.

Als sie das Tor passiert und die Wachen hinter sich gelassen hatten, holte Jessica tief Luft, als hätte sie ein zweites Mal die klaustrophobische Umarmung der Unterführung durchleben müssen. Dann hatte sie sich wieder unter Kontrolle und grinste mit einem Seitenblick schief zu ihrem Führer hinüber.
"Bezaubernd,..."
Sie folgte ihm über die oftmals zerstörte Straße und achtete darauf, seine Bewegungen möglichst genau zu imitieren. Das Flimmern um sie herum kannte sie bereits schon und das lauter werdende Knacken ihres Messgerätes verhieß ebenfalls nichts Gutes.
"Wird wohl Zeit, dass jede dieser Fraktionen mehr Frauen als Rekruten bekommt, was? Euer Druck muss ja schon schrecklich sein."

Sie überlegte kurz und entschied sich, zwei Photos ihrer begrenzten Filmrolle für diese Straße zu nutzen. Die Kraft aufzuzeigen, die diese Anomalien entwickeln konnten. Das Flimmern der Luft würde sie zwar nicht auf das Photo bannen können, aber momentan sparte sie ihren Handyakku dann doch lieber für wichtigere Entdeckungen.
"Schon bemerkenswert, was hier für Mächte am Werk sind." sagte sie leise, als sie die Kodak wieder sinken ließ.
"Ich meine,... klar, auch eine Pflanze kann Beton durchbrechen, aber diese Anomalien? Waren das diese Wissenschaftler von denen du gesprochen hattest? Haben sie abgefahrene Experimente durchgeführt oder war es doch der Reaktorunfall? Wurde hier sowas wie Raumzeit gekrümmt? Die physikalischen Gesetze verändert? Sehen wir vielleicht subatomare Vorgänge plötzlich vergrößert?"
Jessie musste lächeln, als sie sich fragte, ob ihr Begleiter wohl ihr Technobabbel überhaupt verstand. Breit grinsend drehte sie sich zu Kovac um und fragte, beinahe so enthusiastisch, wie ein wissbegieriges Kind.
"Gibt es Anomalien, die einen teleportieren können? Das wär' total cool!"

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Weiter geht's an der Müllhalde.

Re: In Nubgorod (Noobtown)

Verfasst: Montag 6. Juni 2022, 11:10
von Konstantin Krylow
Kovac lachte. "Zum Militär gehört keiner offiziell... außer dem Militär. Aber die Wächter führen sich trotzdem so auf."
Abkommen, vertuschen... Schlagworte, die er im Hagel ihrer Fragen allerdings leicht ignorieren konnte. Dieses mal.
Das nächste mal wohl nicht. Ein Heißes Pflaster, für ihn in anderer Hinsicht.
Wie hätte Sokolov geantwortet?
Vermutlich mit einem blöden Spruch der sie genug geärgert hätte um die Frage zu vergessen.
Wie war die offizielle Verlautbarung?
Man arbeitete zusammen. Offiziell. Inoffiziell klappte es hinten und vorne nicht. Aber das war nicht sein Problem.
"Die Freiheit, das sind in meinen Augen Kiffer. Mit denen hat man nur Probleme. Die Freien Stalker sind die einzigen Vernünftigen hier. Das sind 'wir' du jetzt auch."
Und dann kam sie noch mit der alten Mauergeschichte. Natürlich wusste er Bescheid, aber es war so verdammt schwer, so zu tun als wissen man nichts. Warum war das so schwer?
"Also ich war's nicht... Wie hieß der Kerl, der keine bauen wollte? Hohecker? Auf jeden Fall ein deutscher... Ich war da ja noch nicht mal geplant, also, schieb es nicht mir in die Schuhe."
Die Tommys... richtig, die Englänger.
Kovac grinste. Sie würde sich wundern, wenn sie es bis Pripyat schafften und dort stand sie Valentine gegenüber. Er nannte ihn Spaßeshalber 'Austauschagent' das würde er sich sparen müssen. Er hatte ja noch Zeit, sich etwas anderes auszudenken.
Gegenangriff. "Wenn man mal hier ist gibt's keinen Urlaub mehr. Ist dir klar, dass du automatisch vorbestraft bist wenn du rausgehst? Wenn du preisgibst, dass du hier warst haben sie dich am Arsch. Es sei denn du setzt dich sofort auf die Bahamas ab. In die Bahamas? Zu den? Wie heißt das bei den Scheißdingern?"
Er fand, er machte seine Sache gut, ablenken, Rolle spielen. Der halbseidene Typ, für den es keinen Urlaub gab, guter Schachzug. So langsam fand er sich in seine Rolle ein.

weiter hier.