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von:
Slavas Wohnung
Datum: Mittag bis Abend des 7. August 1278
betrifft: Cyron, andere
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Der Elf, der vor dem seltsam dreinschauenden menschlichen Offizier den Vernehmungsraum betrat lächelte. Mehr als das. Er strahlte so gute Laune aus, dass sie ihm förmlich aus den Poren troff und eine glänzende, glitschige Spur auf dem Boden hinterließ. Die Gestalt an sich war da eher unspektakulär. Zwei Schritt hoch, dürr wie ein Ast, das für Elfen übliche schmale, dreieckige Gesicht, spitze Ohren. Was ihn jedoch Unterschied waren die grauen Augen, so hell dass der Kontrast zur Sklera beinahe fehlte. Und auch die Kleidung war anders als in der Stadt üblich. Hosen aus gebleichtem Leinen, darüber eine knielange, gerade geschnittene Tunika mit schmalem Gürtel wirkte er fast wie ein Druide. Nur…weiß.
„Meine Name ist Aharon. Ihr heißt Aevne, ist das richtig?“, flötete der Elf in angenehm dunkler, irgendwie hypnotischer Stimme und nahm auf dem Stuhl der Elfe gegenüber Platz. Der Offizier stellte sich neben der Tür in Positur. Es wirkte irgendwie, als würde er den Elfen bewachen und nicht die Gefangene. Wohlwollen drückte sein Blick zumindest nicht aus. Misstrauen allenfalls, vielleicht sogar eine Spur Furcht. Nur…wovor? Vor der gefesselten Aevne sicher nicht. Oder doch? „Aevne bedeutet ‚Fluss des Lichts‘, richtig?“ Der Elf sprach sie in der älteren Rede an. Fließend und fast fehlerfrei, jedoch mit einigen Lautverschiebungen und einer hierzulande nicht ganz so üblichen Wortwahl. Vielleicht einfach nur ein Akzent. Aharon bedeutete in der alten Sprache ‚hoher Berg‘, aber auch ‚der Erhabene‘. Groß war er auf jeden Fall nur das ‚erhaben‘ musste sich noch zeigen. „Wie seid ihr in dieses Schlamassel geraten?“, fragte er freundlich und schlug die Beine leicht zur Seite gerichtet übereinander, lehnte sich an die Rückenlehne, legte die Hände im Schoß zusammen und verschränkte die Finger.
Die Elfe hatte die in Ketten geschlagenen Hände in den Schoß gelegt und begegnete dem Neuankömmling mit einem kühlen Blick aus türkisgrünen Augen. Ihr blondes Haar war in eine Unzahl eng am Kopf liegender Zöpfe geflochten und der Eichhörnchenschwanz war in eine handvoll davon eingewoben. Er hing unter dem linken Ohr aus dem Wirrwarr an Zöpfen und lag zum Teil auf der Schulter. Anderen Schmuck trug sie keinen. Man hätte Aevne als schön bezeichnen können, selbst für eine Elfe, wäre da nicht die hässliche Narbe gewesen, die aussah, als hätte ihr jemand eine Mistforke durch das Gesicht gezogen. Mehrere Linien verliefen über Stirn, Nasenrücken und Wange zum Hals. Linien, die störten, aber für hiesige Verhältnisse von einer erstaunlich sauberen Heilung erzählten. Kaum Wülste oder wildes Fleisch. Doch auch mit der Narbe hätte man sie auf den zweiten Blick vielleicht noch schön genannt, aber eher so, wie man Eisblumen am Fenster schön nennt. Ihren Augen und ihrer ganze Ausstrahlung fehlte es an Wärme. "Wieso sollte ich mit dir sprechen, Menschenlakai?", erwiderte sie kühl und ohne auf die Fragen des fremden Elfen einzugehen.
„Ich bin neu in der Gegend.“, erklärte Cyron offenherzig und im Plauderton, unterstrichen von einer öffnenden Handbewegung und einem leicht schräg gelegten Kopf. „Mir wurde erklärt, ihr habt ein schlimmes Verbrechen begangen und ich wüsste gern, ob das stimmt. Und was euch dazu getrieben hat.“ Cyron überlegte, ob er für die Gefangene um etwas zu trinken bitten sollte, aber das Mädchen schien zu schlau um auf diesen Trick reinzufallen. Ohnehin war dies ein anderes Kaliber als die halbe Portion davor. Er überlegte sogar, das Geplänkel einzustellen und sofort die harten Bandagen anzulegen. Trotzdem…er hätte tatsächlich gern mehr über die Hintergründe erfahren. Seine Neugier war nicht nur gespielt, er hätte tatsächlich gern mehr der Zusammenhänge begriffen. Wer weiß, vielleicht hatte er sich ja täuschen lassen und befand sich auf der falschen Seite? Und wenn dem so wäre…was dann?
"Und in welcher Höhle hast du dein bisheriges Leben verbracht, wenn du mich das fragen musst?" Sie klang nicht verächtlich. Überhaupt trug ihre Stimme keinerlei Emotion.
Er lachte leise und melodisch. "Ich würdet mit nicht glauben, wenn ich es euch erzähle.", begann er. "Sagen wir einfach, ihr bekommt die Chance euch zu erklären. Frei bekomme ich euch sicherlich nicht, aber es könnte eine bessere Behandlung für euch heraus springen. Und Erkenntnisse für mich."
Sie betrachtete ihn eine Weile aus diesen Augen, die eigentlich wie Frühling wirken müssten und doch so frostig waren. Sie war misstrauisch, aber wie alle ihrer Art ließ sie nur wenig von dem, was sie empfand nach außen dringen. Aevne war kein Kind mehr, selbst in den Begriffen ihres Volkes nicht mehr jung. Sie hatte zwei Kinder geboren, die beide das Säuglingsalter nicht überlebt hatten und einige Fehlgeburten durchgestanden. Sie wusste, dass ihr Volk ausstarb und konnte nichts anderes mehr tun, als ihre Verzweiflung gegen jene zu richten, die sie vertrieben oder genetisch ausbluteten. Und dieser Elf vor ihr wollte von all dem nichts wissen? Oder wollte er es nur von ihr hören? Aevne war niemand, der heißblütige Reden schwang - sie schwang lieber ihr Schwert. "Die D'hoine kamen einst über das Meer und die Älteren Völker hießen sie willkommen, ließen sie siedeln und halfen ihnen zu überleben. Aber sie leben kurz und vergessen schnell. Schon nach kurzer Zeit fühlten sie sich als die Herren der Länder, die einst von uns bewohnt waren. Verträge wurden geschlossen und gebrochen. Sie begannen uns zu vertreiben und systematisch zu vernichten, es gab Krieg und die Älteren Völker mussten weichen. Die Jungen unter uns verloren ihre Leben und die Alten bringen nur noch wenige Nachkommen hervor. Ich habe sechs Kinder verloren. Die D'hoine vermehren sich dagegen wie die Kaninchen. Wir sterben aus, wir brennen auf ihren Scheiterhaufen und sterben auf ihren Pfählen. Was uns bleibt, ist uns zur Wehr zu setzen. Das tue ich. Zusammen mit meinen Brüdern und Schwestern." Sie sprach weiterhin ohne Farbe und wippte nur gegen Ende kurz mit dem Kinn in seine Richtung. "Und du, was tust du." Es klang eher wie eine Feststellung.
Sechs Kinder… Cyrons Augen füllten sich mit Mitgefühl. Er glaubte das Gesagte, zweifelte keine Sekunde daran. Er hatte seinen ältesten Sohn verloren. Und obwohl er ihn erst gar nicht so lange vorher gefunden hatte, war der Schmerz furchtbar gewesen. Seine Familie war völlig anders als die Elfen hier. Er selber hatte vierzehn neun eigene Kinder, dazu fünf adoptierte und so viele Kindeskinder, dass sie eigene Schulklassen füllten. Einen von ihnen zu verlieren...oder gar sechs… Der Elf schlug die Augen nieder. Wie es ihnen wohl ging? Er würde sie nie…nein. Keine Zeit für so etwas. „Ich versuche herauszufinden, wie ich helfen kann.“ Auch das stimmte. Vor allem, wie er sich selber helfen konnte. Hauptsächlich seinen Enkel zu finden. Die Geschichte der Elfin stimmt mit dem überein, was sein Gastgeber erklärt hatte. Und doch klang es vollkommen anders aus ihrem Munde. „Trotz allem muss ich fragen, wer hinter euch steht und was noch geplant ist.“ seine Stimme klang immer noch sanft, aber es lag ein seltsamer Druck darin. Etwas Hinterhältiges, kaltes.
Sie deutet den Ausdruck ganz richtig und einen Moment verdüsterte sich das ungewöhnlich intensive Türkis ihrer Augen. "Ich brauche kein Mitleid von einem Lakai der D'hoine." Man konnte ihr vieles nehmen, doch niemals ihren Stolz. Aevne verfiel in Schweigen, doch sie blieb aufmerksam wie ein Katze vor dem Loch der Maus. Und lange blieb es genau dabei, auch als das letzte Wort verklungen war. Etwas baute sich auf zwischen diesen beiden Elfen und es ließ den Menschen an der Tür unruhig mit den Füßen scharren. "Wir folgen Deithvirid, der grünen Flamme, die selbst den Tod besiegt.", war das Letzte, was sie zu sagen beschlossen hatte.
„Erzähl mir von Deithvirid.“, bat er sanft und fixierte die türkisen Augen seines Gegenübers. Und da war es. Ein leises Summen zischen Aevnes Ohren, als hätte jemand ein winziges Insekt zwischen ihren Ohren freigelassen, dass nun munter in ihrem Schädel nach etwas suchte. „Erzähl mir alles.“, bat Cyron und die Elfe WOLLTE reden.
Sie wollte, aber sie WUSSTE, dass er dafür sorgte, dass sie wollte und daher erwiderte sie nur mit ihrer kühlen Art den Blick der seltsam farblosen Augen des anderen Elfs. Wieder breitete sich dieses Schweigen aus. Dann plötzlich hatte Cyron das Gefühl jemand nehme ihn an beiden Händen, zupfte leicht und der Raum um sie herum verschwand. Dunkelheit umfing ihn einen Moment lang, dann flammten Sterne in einer Explosion auf und als auch dieser verglommen standen sie plötzlich inmitten der Ruinen von Shaerrawedd. Neben dem Elf stand eine jüngere Version von Aevne, ohne Narben, schön wie der anbrechende Frühling und in einem silbrigen Gewand. "Sei vorsichtig mit den Geistern, die du rufst, Fremder. Sie könnten antworten."
Nun sollte auch Cyron klar sein, dass er sich mit einer Magierin der Aen Seidhe maß. Sein Kopf begann zu schmerzen.
Auch wenn es ihn überraschte, das Gefühl und der scharfe Schmerz zwischen den Schläfen waren ihm nur allzu gut bekannt. Sie hatte IHN gefangen, statt er sie. Sie hatte ihn überrumpelt. Mit einem Fingerschnippen. Er wusste ebenso, dass es ein unrühmliches Ende nehmen konnte, wenn er nun einen Fehler machte. Ein falscher Zug, und er endete als sabberndes Gemüse. Die Gestalt, die Aevne stand war ebenso wie sie eine andere. Ähnlich, zugleich völlig anders. Es war ein Elf, zwei Schritt hoch, dünn, regelrecht dürr und alt. Sehr alt. Uralt. Das schmale lange Gesicht mit den fast eine Elle langen Ohren war zerfurcht von Lachfältchen und unter den hohen Wangenknochen eingefallen. Das war ein Elf. Ja. Aber keine Rasse, die die Aén Seidhe jemals gesehen hatte, zumindest nicht lebendig. Er trug ein schneeweißes, bodenlanges Gewandt mit aufwändigen silbernen Stickereien, magischen Zeichen und dem Bildnis eines springenden Hirsches mit übertreiben verästelten, riesigem Geweih auf dem Rücken. Einzig die grauen Augen waren dieselben. Und das Lächeln. Auch wenn es hier sehr traurig wirkte und irgendwie einsam. Aufmerksam ließ der Elf seinen Blick schweifen und trat an eine der teilweise eingestürzten Säulen heran. Ganz vorsichtig lege er die langen schmalen Finger an eine der weißen Rosen, die die Säule umrankten und wirkten, als würde die Ranke die Säule halten und nicht umgekehrt. Der alte beugte sich zur Rose und sog den Duft tief ein. Wenn auch beide wussten, dass sie sich in Erinnerungen befanden. „Haben die Menschen das zerstört?“, fragte er und betrachtete die Trümmer. Wie prachtvoll war dieser Ort wohl einmal gewesen? Und wie viele waren hier gestorben?
Sie hatte ihn gefangen, statt er sie und nun betrachtete Aevne den fremdartigen Elf mit einer Spur Interesse. Er sah anders aus, eher wie die Elfen aus der Ersten Zeit und er wirkte selbst für einen der Ihren alt. Aevne neigte leicht das Haupt, Respekt bekundend, obwohl sie ihn in der Hand hatte und nicht andersherum. "Shearrawedd ist ein Symbol für den Widerstand gegen die Menschen. Wir haben es selbst zerstört, um zu verhindern, dass sie eine ihrer Städte auf seine Fundamente bauten, wie sie es überall getan haben. Die Jugend unseres Volkes begehrte dagegen auf und zog in die seither letzte offene Schlacht gegen die Menschen. Es endete im Gemetzel von Shearrawedd - die Menschen machten nach ihrem Sieg alles nieder, was ihnen vor die Säbel kam. Männer, Frauen, Kinder. Komm." Sie führte Aharon ins Innere der Ruinen, durch verfallene Arkaden und Bögen bis zu einem Brunnen. Dem Alten stand plötzlich klar das Bild einer überirdisch schönen Elfe vor Augen, die dort bei den weiß und lila Rosen stand und ihn traurig ansah. Das Bild zerfaserte, zerfiel und Feuer schlugen rund um sie auf. Die schöne Elfe saß auf einem edlen Pferd, schwang ein elegantes Schwert und donnerte zwischen den beiden Zuschauern hindurch hinüber in die Vergangenheit. Stimmen brandeten von überall auf. "Aelirenn!", brüllten sie und "Shearrawedd!"
Schlachtenlärm brandete auf, dann war es schlagartig wieder still, der Brunnen wieder trocken - nur der Rosenbusch glitzerte silbrig im Licht.
Der alte Elf betrachtete die Szene voller Faszination mit großen Augen und einen seltsam Jungenhaften Ausdruck im Gesicht, so dass er die Ehrbekundung der jungen Elfe beinahe übersehen hätte. Als Antwort lächelte er mit funkelnden Augen und senkte ebenfalls kurz das Haupt. All die Eindrücke berührten ihn. Vor allem die Nachricht, dass die Elfen abgeschlachtet worden waren. Männer, Frauen, Kinder. Kinder! Trauer schlich sich in die Augen, die auf der einen wie auf der anderen Ebene kontrastarm und grau wirkten. Echte Trauer. In dieser – ihrer – Welt hätte er auch keinerlei Chance gehabt sie zu täuschen.
Wortlos nahm sie seine Hand, ihre Finger warm zwischen seinen. Die Szene änderte sich erneut, zeigte eine blühende Hafenstadt. Die Architektur nach Art der Elfen, wie gewachsen und eins mit der Bucht und den Hügeln. Auf der vorgelagerten Insel stand ein schlanker Leuchtturm, dessen weißer Marmor in der Sonne leuchtete. "Naev'de Gàidhean und Tor Aine.", sprach Aevne mild, fast sehnsüchtig. Die erste Gefühlsregung seit sie miteinander sprachen. Das Bild wandelte sich - Feuer, Schlachtenlärm, Schreie und der Gestank brennender Körper wehte zu ihnen herauf. Dann verschwamm die malerische Stadt und aus den Neun Gärten der Elfen wurde Nowigrad, aus dem Turm des Lichts der Turm des dortigen Tempels. Vielleicht wurde Aharon nun klar, was die Stadt - was vor allem die Tempelinsel - für die Scoia'tael war. Ein Sinnbild für ihre systematische Vernichtung, erbaut auf den Grundfesten ihrer zerstörten Welt. Der Turm musste fallen.
"Darf ich euch auch etwas zeigen?" Der Alte wischte sich mit dem Handrücken über die faltige Wange und lächelte Aevne traurig an.
Der Elf streckte die rechte aus, Handfläche nach oben und zog die Hand dann in einer erhebenden Bewegung hoch. Die Mauern Novigrads verschwanden und stattdessen wuchsen hohe, schlanke Gebäude aus dem Boden. Elegante, verzierte Bögen aus schneeweißem Stein über schmalen Eingängen, gewundene Treppen, so filigran als würden sie schweben. Bunte Mosaikböden, Brunnen mit Kaskaden und Wasserspielen in elegantesten Formen. Goldener Zierrat, Brücken die gegen jeglicher Schwerkraft trotzen. Golden gefasste flammrote Läufer mitten auf offener Straße, schlanke, hohe, immergrüne Bäume, sorgsam gestutzte und mit dem Lineal getrimmte Hecken. Verschlungene Fresken, wehende Banner, schwebende Kristalle die die Wege zu Tag wie zur Nacht beleuchten. Wandelnde Wächter aus schwebenden Steinen, nur angelehnt an ein humanoides aussehen. Feuerschalen und Statuen von Elfen, nein, immer wieder ein bestimmter Elf mit ausladenden Schulterstücken, wehendem Umhang und edelster Kleidung. In den Eingängen farbenfrohe transparente Stoffe in den buntesten Farben. Und überall Elfen. Flanierend, lachend, turtelnd, mit einem der Händler in einem der unzähligen bunt bespannten Planwagen verhandelnd, spielende Kinder mit schwebenden Spielzeugen, magischen Haustieren, große, zahme Wildkatzen mit wie Speckschwarte glänzendem seidenweichem Fell. Kurzum: Prunk und Protz zum Quadrat.
„Die Hauptstadt meiner Heimat.“, erklärte der weißgekleidete warm. Ihnen kam fliegend ein seltsames Wesen entgegen, eine Mischung aus Drache und Schmetterling mit langsam asymmetrisch schlagenden, schillernd bunten Flügeln, dicht gefolgt von einem freudestrahlenden Elfenkind in bunter seidener Kleidung. Der Alte sah dem Kind nach und dann Aevne an. „Silbermond. Mehrfach gefallen und wieder auferstanden. So sieht es in Friedenszeiten aus. Was denkt ihr, besteht die Möglichkeit so etwas für diese Welt zu erreichen? Ohne die Menschen dafür abzuschlachten?“ „Im Übrigen. In dieser Welt war mein Name Garithes, Mylady.“
Sie gab ihm ein wenig Freiheit, zu zeigen, was er zeigen wollte, doch sie blieb auf der Hut. Die Stadt, die wie ein Traumgebilde um sie herum aufwuchs, kam Aevne vor wie aus einem lange vergangenen Zeitalter und der Elf auf der Statue wie aus einem Mythos heraus gelöst. Eine Ballade kam ihr in den Sinn: Lorthe und Liad. Und kaum dachte sie daran, klang die feine Melodie und der melancholische Text durch die Straßen dieser Traumstadt. Aevne betrachtete das Treiben, doch ihr fehlte es inzwischen an Fantasie, an solch eine Stadt in ihrer Heimat noch zu glauben. Nicht so lange es Menschen gab, die es ihnen nicht vergönnten. Leicht schüttelte sie den Kopf und das Bild begann von unten zu brennen und sich aufzurollen, als hätte sie einen Bogen Papier ins Kaminfeuer gehalten. Innerhalb von Sekunden standen sie in einem schwarzen Nichts. Aharon fand sich sehr dicht vor der Elfe und im Fokus der türkisblauen Augen, die fast auf Höhe mit den Seinen waren. "Ich bin Aevne Faoiltiarna und meinen Namen wirst du auf vielen der Verträge finden, die die Menschen gezeichnet und gebrochen haben. Ich habe keine Hoffnung mehr und so wählte ich diesen Weg. Und wenn er mich auf einen Scheiterhaufen führt, so sei es. Und auch du solltest wählen, denn es kommt der Tag, da sie vergessen werden. Und nun, Menschenlakai, verschwinde aus meinem Kopf und behalte deine Finger bei dir." Der Schmerz in den Tiefen von Aharons Kopf wurde wieder stärker, bohrte sich seinen Nacken hinunter und wurde begleitet von einem nervtötenden Geräusch in den Ohren. Als beides unerträglich zu werden drohte, ließ sie ihn los. Eine unmissverständliche Warnung.
Im iIm hier und jetzt sackte der Kopf des Elfen nach vorne, drohte auf die Tischplatte zu knallen. Doch er fing sich, kurz bevor es schmerzhaft werden konnte. Das Surren und Pfeifen war auch so schon schlimm genug. Er riss den Kopf nach oben und die Luft in die Lungen, mit einem verschreckten Staunen in den weit aufgerissenen Augen. „Ich danke euch.“, krächzte Cyron. Der Heiler wusste sehr wohl, was sie mit ihm hätte machen können. Und sabberndes Gemüse wäre hierbei nicht einmal das schlimmste. „Seid ihr sicher, dass ihr es nicht noch einmal mit Verhandlungen versuchen wollt?“, fragte er und verschränkte die Finger auf dem Tisch ineinander. „Ich verstehe eure Verbitterung und ich kennen die früheren Machtverhältnisse nicht, aber ich habe Hoffnung. Der Herr für den ich arbeite sucht den Frieden ebenso. Davon bin ich fest überzeugt.“
Aevne blieb sehr ruhig sitzen, als hätte das Ganze sie keinerlei Kraft gekostet. Ihre Augen zeigten noch immer die kühle Gleichgültigkeit, während sie Aharon dabei zusah, wie dieser seine Sinne zusammen kratzte und sich dann bedankte. "Es liegt nicht mehr in meiner Hand." Zumal sie nicht glaubte, diesen Ort lebend zu verlassen.
Der Elf nickte. Ihm fehlte ohnehin die Kraft für weitere Diskussionen. Er erhob sich, in dem er sich am Tisch hoch stemmte und dabei so sehr schwankte, das der anwesende Leutnant sich bereit machte das Spitzohr aufzukratzen, ob es ihm gefiel oder nicht. Der Elf verbeugte sich, langsam und tief, nicht allein aus Ehrerbietung, sondern weil er bei zu schnellen Bewegungen aufs Fressbrett gestürzt wäre. Er ging gedankenverloren neben der ihm zur Seite gestellten Wache her. "Ich bräuchte eine Pause und eine Mahlzeit.", flötete er, noch immer heiser und erstaunlich blass. "Und seht zu, dass der Dame nichts zustößt, weder von eurer noch von eigener Hand. Wir brauchen sie noch."