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von:
Straßen ➜ Eisvogel
Datum: Abend, 14. August 1278
betrifft: derzeit niemand
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Ihr Zimmer war noch so, wie sie es verlassen hatte und trotzdem zerrte sie als erstes ihren Rucksack aus der Truhe und prüfte, ob noch alles war wie zuvor. Dann ließ sie sich erschöpft auf das Bett fallen, nur um angesichts des knisternden Strohs in der Matte wieder hochzuschnellen. Stimmt ja, da war was. So gut es im Dämmerlich ging inspizierte sie jede Ecke und jeden Winkel des Bettes, unten und seitlich, hob die gestopften Packen an, die als Matratze dienten und spähte sogar durch die geschnürten Öffnungen hinein. Nachdem sie immerhin keine Ratten oder rattengroßen Flöhe gefunden hatte, baute sie alles wieder halbwegs beruhigt zusammen, notierte sich aber innerlich, für eine eigene Bleibe nach einer Hängematte zu suchen.
Nächste Hürde war das Talglicht. Wie entzündete man sowas? Hier? Sie könnte ihre Streichhölzer daran verschwenden, aber sicher gab es eine andere Möglichkeit. Kurzerhand nahm sie die Schale und ging damit wieder nach unten und richtige, sie musste nicht einmal etwas sagen oder besser fummelfunken. Die Wirtin kam gleich, nahm ihr das Licht ab und entzündete es mit einem Kienspan. Jordan dankte artig und nahm ihr Licht wieder mit nach oben, wo sie die Tür hinter sich absperrte und auch noch die Kiste davor rückte. Nur zur Sicherheit.
Dann legte sie sich auf das etwas derangierte Bett und beobachtete das Schattenspiel an der Decke, welches vom Talglicht immer neu gezeichnet wurde. Die Stille an diesem Ort war erdrückend. Aus Mangel an Alternativen begann sie leise "New Kid in Town" von den Eagles zu singen. Kassettenrekorder hatten die hier wohl genauso wenig wie ein Tonband oder wenigstens einen Plattenspieler. Immerhin war sie allein und konnte vor sich hin trällern, ohne das es jemanden störte. Jordan sang noch "House of the rising sun" und kramte dabei die alten Fotos wieder aus dem Rucksack. Einen Arm unter dem Kopf, ein Bein angestellt und die freie Hand mit den Bildern am Knie abgestützt, betrachtete sie lange die altvertrauten Gesichter.
Sie wollte rauchen.
Heulen würde sie nicht, aus dem Alter war sie raus.
Schluss.
Entschlossen steckte sie die Bilder weg, löschte das Licht und rollte sich unter der Decke zusammen, auch wenn es nach ihrer Uhr noch nicht mal acht war. Immerhin auf Kommando einschlafen funktionierte noch so wie immer.
Jordan erwachte wie von einem Tritt unter die Koje. Sie fuhr hoch, sah sich hektisch im stockdunklen Zimmer um. Ihr Puls jagte, die fremden Kleider klebten klamm an ihrer Haut, ihre Hände zitterten. Sie hatte geträumt, oder? Sie träumte ständig, wenn sie nicht irgendwas nahm, was sie tief genug schlafen ließ, um den Träumen zu entgehen. Ihre Gedanken drehten sich noch in wirren Kreisen und sie hatte das untrügliche Gefühl, sie befände sich auf einem Schiff unter Seegang. Es war finster wie im Katzenarsch und totenstill.
Es brauchte viele Atemzüge, ebenso viele hektische Griffe zu Dingen, die es nicht gab und ein fortwährend gemurmeltes:
"Nur die Ruhe, Jordan. Nur die Ruhe. Denken. Denken. Atmen...", bis sie ihre Gedanken so weit zusammen hatte, dass sie wieder wusste, wo sie war. Änderte nichts daran, dass es dunkeln war.
Diesmal zögerte sie nicht, sondern nutzte die Sreichhölzer, um das Talglicht zu entzünden. Allerdings zitterten ihre Hände so sehr, dass sie es erst mit dem dritten Versuch schaffte.
Kaum war es hell genug, begann sie in ihrem Rucksack zu wühlen. Sie brauchte was für ihre Nerven. Einfach nur zur Beruhigung, damit sie weiter schlafen konnte und der nächste Tag würde dann schon wieder sonnig sein. Bestimmt.
Sie kramte und wühlte und hatte schließlich den gesamten Inhalt ihres Rucksacks auf dem Boden und dem Bett verteilt, nur fehlte ein essentieller Bestandteil: das schwarze Stoffetui mit den Blistern. Sie schüttelte den Rucksack sogar aus, aber außer Kekskrümel rieselte nichts weiter heraus.
Scheiße.
Jordan fuhr sich mit der Hand durchs Haar. Gut, gut. Nur keine Panik. Noch mal alles durch schauen und dabei wieder einpacken. Alles nicht so schlimm, vermutlich hatte sie es bei Sokolov liegen lassen. Während sie einpackte, ging sie den Nachmittag im Geiste durch. Sie hatte das Zeug dort definitiv in der Hand gehabt. Beim Zuber, ja genau. Wie hatte sie so unaufmerksam sein können und es vergessen?
Schwungvoll warf sie sich wieder aufs Bett.
Würde schon gehen.
Licht aus. Einfach weiter schlafen.
Keine zehn Minuten später verstaute sie den Rucksack wieder in der Kiste, schob diese von der Tür weg und war draußen. Abschließen, runter, raus und schon auf dem Weg
zum Haus des Oberst.