Re: Zwischen Jupiter und Limansk
Verfasst: Donnerstag 19. Mai 2022, 13:22
Die Hunde ließen sich bei ihrem Mahl nicht stören und der Wind stand günstig, so dass Lew und Amir problemlos zu ihm aufschließen konnten. Während er wartete, hatte er immer wieder durch sein Zielfernrohr gespäht, aber außer ein paar Fetzen Stoff zwischen den schweren Hundekörpern nichts erkennen können. Kleine Brüder., hatte das Mädchen sie genannt, ging es ihm durch den Kopf. Wieso dachte er ausgerechnet jetzt wieder an sie? Weil sie es nicht mochte, wenn man ihre kleinen Brüder nieder schoss? Viktor war nicht abergläubisch - zumindest nicht über das normale Maß eines orthodoxen Christen hinaus. Das System war auch an ihm nicht spurlos vorüber gegangen und so nahm der Glaube einen wohl definierten Raum in seinem Verstand ein, gut gekennzeichnet und abgesteckt, damit man ihn beiseite schieben konnte, wenn dies verlangt wurde. Aber ganz austreiben hatte man ihn nie können, dafür hatte seine Babuschka gesorgt, die den kleinen Viktor dereinst mit wundersamen Geschichten aus einem Buch mit Goldschnitt gefüttert hatte. Und mit Werten und Weisheiten, die ihm heute noch in den Kopf kamen, wenn er vor manchen Entscheidungen stand - oder den Entscheidungen anderer. Vermutlich hatte er deswegen stets nur so halb ins Profil gepasst, immer ein wenig geklemmt. Und oft genug hatte er sich gefragt, warum ihm das all seine Vorgesetzten immer wieder hatten durchgehen lassen.
Nur eines wusste er: das Mädchen war realer als sein Gott es war und sie hasste Schüsse, egal auf wen oder was. Seit der Begegnung fühlte er sich ständig von ihr beobachtet und dachte über jeden Schuss auf Zonen-Kreaturen zwei mal nach. Ganz so wie bei jedem Schuss auf einen anderen Menschen - zumindest wenn Zeit zum Denken blieb. Oft genug leider nicht der Fall. Immerhin war er kein Sniper, der sich stundenlang die Wampe im Dreck platt lag und darüber sinnierte, wem er zuerst ein neues Loch in den Schädel stanzte.
Sniper. Innerlich horchte er auf. Wieso verwendete er dieses Wort, wenn auch nur in Gedanken? Zwar war das russische 'Snajper' einfach davon übernommen, aber es klang anders - gesagt wie gedacht.
Amirs Worte unterbrachen seine Gedanken. Am liebsten hätte er ihn auf den Mund geschlagen - Ruhe halten. Hunde hatten Ohren, nicht nur Nasen. Aber als Lew dann auch noch kommentieren musste, was offensichtlich war, presste Viktor nur die Zähne aufeinander, beobachtete weiter das Rudel und sagte nichts dazu. Der kurz aufwallende Drang, andere zu maßregeln, war auch neu - zumindest in diesem Zusammenhang. In der Troika hatte jeder seinen Platz und Lew war der Boss, nicht er. Nur irgendwie musste er sich dauernd selbst daran erinnern.
Sie umgingen das Portal und folgten der Senke weiter, wobei Viktor immer wieder rückversichernd zu den Hunden blickte. Einmal war ihm, als starre einer herüber, doch sie näherten sich nicht und so sparte sich auch der Jäger seine Munition. Ebenso wie er sich alle Worte sparte, alle Kommentare zum Offensichtlichen. Der Lenin Prospekt lag östlich voraus und Nicknames von Jungspunden waren meistens dämlich. Ihn wunderte nur, dass keine Anspielung auf Penisgröße und Anzahl der beglückten Damen inkludiert war. Emil-SuperStecher100.
Nicknames. Wieder so ein Wort, dass ihn erst im Nachgang gedanklich stolpern ließ. Er war zu alt, um mit all den Anglizismen um sich zu werfen, die die Vernetzung der Welt auch in seine Heimat geschwappt hatte. Normalerweise war er froh, wenn er mit dem PDA klar kam oder die Nachrichten, die ihn interessierten auf dem Tablet in der Unterkunft fand. Allein schon die Handhabung des Touchscreens machte ihn manchmal wahnsinnig und irgendwas an den Systemeinstellungen anzupassen, überließ er lieber den Jüngeren. Sowieso machte das Ding dauern irgendwelche komischen Sachen, obwohl er nichts anders machte...
So vor sich hin grübelnd, marschierte er durch das niedrige Gewüchs, bis sie auf die Reste des Wirtschaftswegs stießen, der sie erst zu einer besseren Straße und diese dann zum Prospekt führen würde. Er warf einen prüfenden Blick zum Himmel. Wenn sie vor Sonnenuntergang in Pripyat sein wollten, durften sie nicht mehr zu viel Zeit verplempern. Zeit sich wieder auf das Wesentliche zu konzentrieren. Gedanken um die Eigenartigkeit seiner Grübeleien konnte er sich auch in der Unterkunft und bei einem Kaffee machen. Merklich änderte sich seine Haltung etwas, als Viktor seine Aufmerksamkeit wieder ganz auf den Weg und die Umgebung ausrichtete. Besser so - wer in Gedanken herum taumelte, den fraß die Zone.
Die Yaniv Station ließen sie links liegen, marschierten straff auf den Lenin Prospekt zu. Die Gebäude des alten Bahnhofs waren hinter den Bäumen und Büschen verborgen, die sich nun rechts und links der Straße erhoben. Ein paar der Anomalien, die hier schon seit langem stationär waren, umgingen sie routiniert, andere meldete der Detektor. Bis zur Hauptstraße verhielt sich die Zone angenehm friedlich, lediglich ein Fuchs kreuzte ihren Weg und schien ebenso überrascht wie die drei Männer. Ein dünnes Tier mit struppig rotem Fell und einer auffälligen Warze an der Schnauze. Einen Moment lang musterte er die drei Wanderer und verschwand dann schnürend im Unterholz.
Kurz vor der Kreuzung wurde der Bewuchs lichter und Schienen querten die Straße bevor diese auf die Hauptstraße einbog.
Irgendetwa zupfte an Viktors Aufmerksamkeit und veranlasste ihn dazu, langsamer zu werden und schließlich ganz stehen zu bleiben. Prüfend sah er sich um, warf einen Blick auf den Detektor. Nichts.
"Was ist?" Amir, den PDA in Händen, sah sich ebenfalls nach allen Seiten um. Der ältere Jäger rieb sich das Kinn, betrachtete den Einschnitt der Gleise in der Straße, ließ seine Augen dann daran entlang und zu den Strommasten wandern, hoch und höher. Menschen sahen einfach viel zu selten nach oben...
Sie kommen von oben...
Viktor blinzelte gegen die niedrig stehende Sonne. Von dem ihnen am nächsten stehenden Mast baumelte etwas, das auf den ersten Blick wie eine Rankpflanze aussah. Die langen, flaumartigen Ranken schwangen kaum merklich im Wind und wirkten im Licht der langsam nieder sinkenden Sonne rötlich. Er wies mit dem Kinn in die Richtung und nun, da er seinen Detektor geziel ausrichtete, begann dieser auch leise anzuschlagen. "Sollen wir uns da mal umsehen?" Manchmal gab es in der Nähe von diesem Gewüchs was zu holen.
Nur eines wusste er: das Mädchen war realer als sein Gott es war und sie hasste Schüsse, egal auf wen oder was. Seit der Begegnung fühlte er sich ständig von ihr beobachtet und dachte über jeden Schuss auf Zonen-Kreaturen zwei mal nach. Ganz so wie bei jedem Schuss auf einen anderen Menschen - zumindest wenn Zeit zum Denken blieb. Oft genug leider nicht der Fall. Immerhin war er kein Sniper, der sich stundenlang die Wampe im Dreck platt lag und darüber sinnierte, wem er zuerst ein neues Loch in den Schädel stanzte.
Sniper. Innerlich horchte er auf. Wieso verwendete er dieses Wort, wenn auch nur in Gedanken? Zwar war das russische 'Snajper' einfach davon übernommen, aber es klang anders - gesagt wie gedacht.
Amirs Worte unterbrachen seine Gedanken. Am liebsten hätte er ihn auf den Mund geschlagen - Ruhe halten. Hunde hatten Ohren, nicht nur Nasen. Aber als Lew dann auch noch kommentieren musste, was offensichtlich war, presste Viktor nur die Zähne aufeinander, beobachtete weiter das Rudel und sagte nichts dazu. Der kurz aufwallende Drang, andere zu maßregeln, war auch neu - zumindest in diesem Zusammenhang. In der Troika hatte jeder seinen Platz und Lew war der Boss, nicht er. Nur irgendwie musste er sich dauernd selbst daran erinnern.
Sie umgingen das Portal und folgten der Senke weiter, wobei Viktor immer wieder rückversichernd zu den Hunden blickte. Einmal war ihm, als starre einer herüber, doch sie näherten sich nicht und so sparte sich auch der Jäger seine Munition. Ebenso wie er sich alle Worte sparte, alle Kommentare zum Offensichtlichen. Der Lenin Prospekt lag östlich voraus und Nicknames von Jungspunden waren meistens dämlich. Ihn wunderte nur, dass keine Anspielung auf Penisgröße und Anzahl der beglückten Damen inkludiert war. Emil-SuperStecher100.
Nicknames. Wieder so ein Wort, dass ihn erst im Nachgang gedanklich stolpern ließ. Er war zu alt, um mit all den Anglizismen um sich zu werfen, die die Vernetzung der Welt auch in seine Heimat geschwappt hatte. Normalerweise war er froh, wenn er mit dem PDA klar kam oder die Nachrichten, die ihn interessierten auf dem Tablet in der Unterkunft fand. Allein schon die Handhabung des Touchscreens machte ihn manchmal wahnsinnig und irgendwas an den Systemeinstellungen anzupassen, überließ er lieber den Jüngeren. Sowieso machte das Ding dauern irgendwelche komischen Sachen, obwohl er nichts anders machte...
So vor sich hin grübelnd, marschierte er durch das niedrige Gewüchs, bis sie auf die Reste des Wirtschaftswegs stießen, der sie erst zu einer besseren Straße und diese dann zum Prospekt führen würde. Er warf einen prüfenden Blick zum Himmel. Wenn sie vor Sonnenuntergang in Pripyat sein wollten, durften sie nicht mehr zu viel Zeit verplempern. Zeit sich wieder auf das Wesentliche zu konzentrieren. Gedanken um die Eigenartigkeit seiner Grübeleien konnte er sich auch in der Unterkunft und bei einem Kaffee machen. Merklich änderte sich seine Haltung etwas, als Viktor seine Aufmerksamkeit wieder ganz auf den Weg und die Umgebung ausrichtete. Besser so - wer in Gedanken herum taumelte, den fraß die Zone.
Die Yaniv Station ließen sie links liegen, marschierten straff auf den Lenin Prospekt zu. Die Gebäude des alten Bahnhofs waren hinter den Bäumen und Büschen verborgen, die sich nun rechts und links der Straße erhoben. Ein paar der Anomalien, die hier schon seit langem stationär waren, umgingen sie routiniert, andere meldete der Detektor. Bis zur Hauptstraße verhielt sich die Zone angenehm friedlich, lediglich ein Fuchs kreuzte ihren Weg und schien ebenso überrascht wie die drei Männer. Ein dünnes Tier mit struppig rotem Fell und einer auffälligen Warze an der Schnauze. Einen Moment lang musterte er die drei Wanderer und verschwand dann schnürend im Unterholz.
Kurz vor der Kreuzung wurde der Bewuchs lichter und Schienen querten die Straße bevor diese auf die Hauptstraße einbog.
Irgendetwa zupfte an Viktors Aufmerksamkeit und veranlasste ihn dazu, langsamer zu werden und schließlich ganz stehen zu bleiben. Prüfend sah er sich um, warf einen Blick auf den Detektor. Nichts.
"Was ist?" Amir, den PDA in Händen, sah sich ebenfalls nach allen Seiten um. Der ältere Jäger rieb sich das Kinn, betrachtete den Einschnitt der Gleise in der Straße, ließ seine Augen dann daran entlang und zu den Strommasten wandern, hoch und höher. Menschen sahen einfach viel zu selten nach oben...
Sie kommen von oben...
Viktor blinzelte gegen die niedrig stehende Sonne. Von dem ihnen am nächsten stehenden Mast baumelte etwas, das auf den ersten Blick wie eine Rankpflanze aussah. Die langen, flaumartigen Ranken schwangen kaum merklich im Wind und wirkten im Licht der langsam nieder sinkenden Sonne rötlich. Er wies mit dem Kinn in die Richtung und nun, da er seinen Detektor geziel ausrichtete, begann dieser auch leise anzuschlagen. "Sollen wir uns da mal umsehen?" Manchmal gab es in der Nähe von diesem Gewüchs was zu holen.