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von/nach:
Ferneck - das kleine Haus der Heilerin und der Alchemistin --> Tempelinsel, die Komturei in Nowigrad
Datum: Frühjahr 1278
betrifft: Sarray, den Komtur, Jakob
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Es gab überall dies Orte, die gefunden werden wollten, von jenen, die die Einsamkeit suchten. In Süpplingenburg war es der hohle Kern einer riesigen Eiche gewesen, in Flagstaff der Turm, der nach dem Sturm der Schwarzen in Trümmern lag und unter dessen Steingerippe ein Hohlraum verblieben war. Im Tempel war es das Dach des Hauptgebäudes, das man erstaunlich leicht erklimmen konnte und welches mit seinen Erkern, Plattformen und Schornsteinen zahlreiche Plätzchen bot, wo einen niemand vermutete.
Jakob hockte auf einem dieser Plätze und beobachtete das Wetterleuchten über den Bergen. Dort tobte sicher schon ein Gewitter und bald würden die Wolken auch über Nowigrad herein brechen.
Noch schien die späte Frühlingssonne.
Der Winter war lang gewesen, kalt und unangenehm - etwas, was der von Wüste und mildem Flachlandklima verwöhnte junge Mann schlecht weg gesteckt hatte. Erkältungen, eine ordentliche Bronchitis, ständiges Frieren und überaus schmale Kost. Das Schwert fror einem in der Scheide fest und die Lederlappen am Boden. Selbst Jakob freute sich auf die Messen und rückte weiter zur Ewigen Flamme nach vorn...
Der Takt seiner Tage war so sehr zu einem Gleichklang geworden, dass er heute ins Stolpern geraten war. Kein Jarel, der ihn zu einem seiner Sondertrainings zu sich zitierte. Auch kein Jarel, der ihn später entweder in die Küche oder einen Lehrsaal schleppte. Kurzum: kein Jarel. Den ganzen Tag schon nicht. Und als dann auch noch das Schoßhündchen des Komturs bei ihm aufgetaucht war und sich erkundigte, ob er etwas wisse, war Jakobs Sorge perfekt.
Auch der Tag verging. Ohne Jarel.
Der nächste Morgen genauso. Keine Spur.
Der Mittag. Nichts.
Der Nachmittag. Keine Nachricht.
Erst am Abend des zweiten Tages trat jemand vor die Wachen am Tor und erklärte mit fester, heller Stimme.
"Ich würde gern Herrn Wenzel von Heringsloh und den Knappen Jakob von Nägel sprechen." Ein gutes Namengedächtnis hatte die Kleine nicht.
Vor dem Tor stand eine ausgesprochen zierliche Zwergin, sogar ohne Bart. Man hätte fast denken können, eine zu groß geratene Gnomin vor sich zu haben.
Sie trug dünne Lederhosen, die typische Weste der Heiler mit den unzähligen Taschen und eine silberne Nadel mit der Schlange, die sich um einen Stab wand.
Offensichtlicher konnte es nicht sein. Eine Heilerin.
Wenzel teilte sie Sorge des Knappen, der die Dreistigkeit besaß, ihn nach der Messe einfach in der Sakristei anzusprechen, wo er gerade das Gewand des Priesters wieder tauschte. Dennoch blieb er gelassen und schickte den jungen Mann mit jenen knappen, Gehorsam fordernden Anweisungen wieder zurück zu seinen Pflichten. Man werde sich kümmern.
Er kümmerte sich selbst. Der erste Gang hatte ihn natürlich schon am ersten Morgen zu Jarels Haus geführt, doch da hatte er nur einen Blick hinein geworfen und war wieder gegangen. Nun sah er sich intensiver um.
Jarel war ihm in letzter Zeit unaufmerksam vorgekommen, ein Adjektiv, was er niemals zuvor auf den Ritter angewendet hatte. Wenzel kannte wenige mit einem solchen Sinn für's Detail und solch gutem Radar. Eigentlich hätte ihm die Sache mit Jakob schon hellhörig werden lassen müssen - dem Jarel, den er zum Ritter gemacht hatte, wäre so ein wesentliches Detail niemals entgangen. Also was beschäftigte ihn genügend und gipfelte nun in seinem Verschwinden? Fünfzehn Jahre lang war Jarel Moore nicht einen Tag verschwunden, ohne sich zumindest bei den Wächtern am Tor abzumelden.
Langsamen Schrittes sah Wenzeln sich um, blickte ins Regal, sogar unter das Bett...
Am Tor tauchte gegen Abend eine kleine Gestalt auf. Die Wächter staunten nicht schlecht: ein Anderling vor dem Toren des Ordens der Flammenrose. Mut oder Wahnsinn? Sie wechselten einen Blick, während die Kleine im Brustton der Überzeugung vorbrachte, wen sie zu sehen wünschte.
Dann brachen sie in schallendes Gelächter aus.
"Was will so ein abgebrochener Halbling von unserem Komtur?", wollte der eine wissen, der andere feixte noch.
"Sich freiwillig melden für das nächste Freudenfeuer des Hierarchen vielleicht?", schlug er vor.
"Nee, die gibt nicht warm. Ist ja kaum was dran.", frotzelte der andere.
Jakob hatte sich vom Komtur weg schicken lassen, hielt es aber nicht lange aus. Sein Stundenplan war nun ziemlich löchrig, also machte er sich davon. Jedoch nicht durch das Tor - seit es Schüler hinter Mauern gab, gab es auch Wege, unbemerkt aus diesen zu entwischen. Jakob verschluckte Nowigrad, Stunden bevor Sarray vor die Pforte trat...
Sarray lächelte zuckersüß, verschränkte die Hände hinter dem Rücken.
Mit besonders freundlicher Stimme trällerte sie:
"Seid ihr so gut und nennt mir euren Namen? Damit ich weiß, wer mich weggeschickt hat, statt die Nachrichten vom Ritter Moore entgegen zu nehmen."
Sie stellte sich auf ein Bein und drehte sich verspielt hin und her, strahlte den Wachmann an wie ein verliebtes Mädchen.
Die beiden Wächter wechselten wieder einen Blick, aber diesmal lachten sie nicht.
"Dann kannst du die Nachricht auch uns geben."
"Nööö...", flötete sie.
"Ist nur für seine Ohren. Ihr könnt ihn auch raus holen. Ich muss nicht unbedingt da rein."
Das Herz schlug Sarray bis zum Halse. Doch sie verließ sich darauf, dass eine Heilerin nicht als Brennstoff verheizt wurde.
"Dann merk dir seinen Namen, du respektloser Zwerg. Wenzel von HERRENLOH." Der größere der beiden Ritter am Tor trat auf die Zwergin zu und sah aus, als wolle er sie am Arm nehmen, was bei dem Größenunterschied durchaus lächerlich wirkte. Statt dessen legte wr eine schwere Panzerhand auf die zierliche Schulter und schob sie vorwärts.
"Dann hoffen wir mal für dich, dass du nicht seine Zeit verschwendest." Nachdrücklich schob er sie durch das Tor und dann in das imposante Hauptgebäude. Im
"Ich bin eine ZwerGIN!", erwiderte Sarray rotzfrech. Ihre Art, ihre Angst zu überspielen. Wut klappte auch ganz gut, aber heute war Dreistheit dran.
"So viel Zeit muss sein. Und das du hab ich hier auch niemanden angeboten."
Manchmal war ihr Mund ihrem Verstand eine gute Pferdelänge voraus.
Naja...eigentlich sehr oft.
Oder noch öfter.
Sie wurde in das Vorzimmer geführt. Sie war tatsächlich IM Gebäude des Ordens.
Vorzimmer des Großkomturs saß wie immer Ealco Helbel, Bollwerk gegen alle unnützen Störungen.
"Der Komtur ist in einer Unterredung."
Ob es hier schonmal Zwerge gegeben hatte? Oder andere Anderlinge?
Also....lebend natürlich und ohne danach verbrannt zu werden?
Mit einer einzelnen Drehung befreite sich Sarray problemlos von der Panzerhand auf ihrer Schulter (67/1) und hüpfte auf eine Ecke von Ealcos peniebel aufgeräumten Schreibtisch, baumelte fröhlich mit den Beinen.
"Ihr könnt gehen. Ich finde alleine wieder raus." Sie strahlte die Wache mit funkelnden Augen an.
"Danke für die Begleitung."
Ealco hob nun doch den Blick und rümpfte die Nase. Ihm war anzusehen, dass er gleich mehrere Dinge nicht schätzte: die Nähe dieses Wesens, ihren Hintern auf der polierten Platte seines Tisches und ihre schrille Stimme. Sein Blick glitt zu dem Wachmann, der noch etwas tumb den leeren Bereich unter seiner Hand betrachtete.
"Was will dieses... Wesen? Entferne es. Der Komtur hat keine Zeit." Er rückte sogar etwas von der Zwergin ab.
Sarray sah Ealco direkt an.
"Also Neugier kann man sich Brüdern echt nicht nachsagen."
Sie seufzte theatralisch.
"Da geht euch ein Ritter verloren und keiner will seinen Verbleib wissen."
Ealco hob eine Braue.
"So. Und ausgerechnet ein Halbling ist so voller Sorge, dass sie es uns mitteilen muss? Außerdem ist mir nicht bekannt, dass wir jemanden verloren hätten."
"Tja dann.."
Sarray hüpfte vom Tisch.
"Werd ich Ritter Moore mal ausrichten, dass er nicht vermisst wird."
Sie wuselte - langsamer als gewohnt - Richtung Tür.
In diesem Moment öffnete sich die Tür zu den Amtsräumen von Herrenlohs und eben dieser trat heraus, gefolgt von einem schneidigen jungen Ritter in voller Montur.
Der Großkomtur fasste die kleine Frau sofort in den Blick der klaren, grauen Augen. Er hatte die letzten Worte aufgeschnappt.
"Moore?"
"Sir, dieses... diese...", stammelte Ealco los.
"Zwergin.", gab der Wächter kluge Hilfestellung.
Ealco schnaufte.
"Sie behauptet etwas über den Vermissten zu wissen."
"Und da lässt du sie gehen?!"
"Ihr wolltet nicht gestört werden..."
Von Herrenloh wirkte einen Moment resigniert, schloss kurz die Augen.
"Ealco... Egal. In mein Zimmer, junge Frau, und Ihr auch noch mal, Tyssen."
Grinsend huschte Sarray in das Amtszimmer.
Und hier geschah etwas seltsames.
Die Zwergin wurde erstaunlich handzahm.
Es war die Ausstrahlung des Großkomturs, gepaart mit der Tatsache, daß sie wirklich so weit gekommen war.
Im Raum wartete sie tatsächlich darauf, angesprochen zu werden.
Wenzel ging Zwergin und Mensch voran wieder in sein Arbeitszimmer und setzte sich hinter seinen Schreibtisch. Der Ritter blieb vor der Tür stehen, als wäre die Zwergin jemand, der jederzeit fliehen könnte.
"Also, Madame. Beginnen wir am Anfang. Ich sehe, Ihr gehört zur Zunft der Heiler. Euer Name?" Die grauen Augen ließen den Gast keine Sekunde aus ihrem Blick.
"Sarray Cestay." antwortete sie kurz.
Der Typ war ja noch unheimlicher als der Klotz-Ritter. Diese Augen.
Die Zwergin schluckte. Als könnte er ihren Verstand auf links drehen.
Ob er ein Magier war?
"Ah, Ihr seid das." Irgendwie hatte Moore vergessen zu erwähnen, dass seine Heilerin ein Zwerg war. Und die Alchimistin? Eine Elfe?
Von Herrenloh lehnte sich zurück.
"So. Ich bin ganz Ohr."
Sie atmete durch.
"Ritter Moore ist nach einem Sturz unpässlich und läßt ausrichten er kommt zurück, sobald er dazu in der Lage ist."
Kurze Pause.
"Seinen Knappen müsste ich auch noch sprechen.", bat sie kleinlaut.
Allerdings hatte sie eine Ahnung, dass sie hier so schnell nicht raus kam.
Wenzel sah die kleine Heilerin eine Weile an. Hauptsächlich hätte ihn interessiert, weshalb sein Protege überhaupt ohne Meldung verschwunden war. Es war zwar keine Pflicht, dennoch hatte Jarel es zu seine Gewohnheit gemacht. Aber dss würde ihm die Zwergin auch nicht sagen können.
"Sturz sagt Ihr? Was für ein Sturz? Und wieso glaubt Ihr, dass er in den Händen unserer Brüder nicht ebenso gut aufgehoben ist?" Anstatt bei Anderlingen, aber das ließ er im Kontext hängen.
"Was seinen Knappen angeht, seid ihr in guter Gesellschaft. Ich würde das auch gern, aber er glänzt wie sein Mentor mit Abwesenheit." Ob er darüber zornig oder beunruhigt war, konnte man nicht sagen.
"Ich bezweifle nicht, dass er hier gut aufgehoben wäre. Aber so lange er nicht transportfähig ist, habt weder Ihr noch ich die Wahl, Herr Großkomtur."
Immerhin, sie sprach ihn mit Respekt an.
Im Büro seines Buchhalters hatte das anders ausgesehen.
"Er war Bergsteigen. Geriet in ein Unwetter....und nahm die Abkürzung den Berg runter."
Die Zwergin runzelte die Stirn. Der Junge war weg? Oha...hoffentlich suchte er seinen Ritter nicht.
Irgendwie machte Sarray das noch nervöser.
"Kann ich dem Jungen eine Nachricht hinterlassen? Habt ihr was zu schreiben?"
Wenzel Brauen ruckten kurz in die Höhe. Die Zwergin konnte schreiben? Doch dafür wertvolles Papier verschwenden?
"Ihr könnt es mir sagen oder Ritter Tyssen, wenn Euch das lieber ist."
Die Zwergin legte den Kopf schief.
"Warum dem?", fragte sie misstrauisch.
Hier stimmte doch etwas nicht...
Wenzel begann ungeduldig zu werden, was bei ihm allerdings nur Nuancen in Haltung und einbestimmter Zug um die Lippen Preis gab
"Bei der Ewigen Flamme Mädchen, glaubt Ihr Papier wächst mir aus dem Arsch?" Gut und seiner Ausdrucksweise. Herrisch winkte er dem Ritter.
"Holt mir eine Wachstafel vom Quartiermeister, damit Madame ihre Nachricht notieren kann."
"Na, wenn ihr die ohnehin lest, kann ich sie auch sagen.", murrte sie.
"Knappe Jakob möge sich um Mariposa kümmern, so lange er weg ist. Und er solle sich keine Sorgen machen."
So weit zu: 'Bitte persönlich ausrichten'. Aber so geheim schien ihr das auch nicht.
Der Gaul. Natürlich.
"Welch großes Geheimnis.", seufzte Wenzel.
"Richtet Jarel meine Wünsche zu seiner schnellen Genesung aus. Ich werde für ihn beten." Dennoch wirkte er noch immer skeptisch.
"Ich nehme nicht an, dass Ihr mir verraten werdet, wo genau er sich aufhält?" Obwohl es auch nicht sonderlich schwierig sein sollte herauszufinden, wo in Nowigrad eine Zwergin hauste.
"Ehm...er braucht Ruhe. Besuch wäre keine gute Idee.", orakelte die Zwergin.
Auf dem Rückweg würde sie auf jeden Fall darauf achten, dass ihr niemand folgte.
Wenn einer von denen den Klotz mit Fell und Schnauze sah, wars das mit Ritter. Und mit ihnen auch.
Wenzel durchbohrte die Zwergin noch einige unangenehme Momente lang mit Blicken aus stahlgrauen Augen, während der er nach einer Erklärung dafür suchte, wieso sich ein Ritter der Flammenrose ausgerechnet einem Anderling anvertraute. Oder nur ein dummer Zufall?
"Tyssen, bringt Madame Cestay zum Tor. Und Ihr Madame, werdet mir täglich Bericht erstatten wie es mit der Genesung voran geht."
"Eh...wie ihr wünscht. Kann ich den Bericht am Tor abgeben?"
Rein wollte sie hier nicht nochmal. Auch wenn sie sich der Wache hatte entwinden können.
Beim nächsten Mal behielten sie sie vielleicht doch da.
Wenzel brummte unwillig, obwohl es ihn ein kleines bisschen Genugtuung verschaffte, dem Ego der kleinen Frau doch auf die Pelle gerückt zu sein.
"Lasst nach Tyssen hier schicken oder Ealco Helbel. Und jetzt gehabt Euch wohl."
Und dann geschah etwas, dass der Sache die Krone aufsetzte.
Die Kleine grüßte. Mititärisch. Zackig. Ganz nach Vorschrift.
Entweder die halbe Portion hatte gedient, oder sie wollte ihn verarschen.
Wieder lehnte Wenzel sich zurück, betrachtete die kleine Gestalt einen Moment zu lange, als der Durchschnitt sich damit wohl fühlte.
Dann ein kaum merkliches Nicken. Auch Wenzel hatte schon im Feld gestanden und auch wenn es vielleicht nicht die gleichen Seiten gewesen sein mochten und Sarray nicht an der Front gewesen war, so konnte er die Kämpfe um die Leben der Versehrten durchaus anerkennen.
"Passt auf ihn auf.", sagte der Großkomtur erstaunlich milde. Doch schon war der Moment vorbei.
"Und jetzt raus hier, ich hab zu tun... Ach und noch was: sollte sein Rotzlöffel bei euch auftauchen, dann sagt Jarel, dass ich erwarte, dass er ihm den Hosenboden stramm zieht. Sonst mach ich das."
"Aye." Sprachs und wuselte los.
Draußen angekommen schlug die Zwergin erstmal einen völlig falschen Weg ein.
Die Scherben. Zickzack hierher und dorfhin, immer einen Blick über die Schulter.
Erst dann - als sie überzeugt war niemand würde ihr folgen- trat sie den Rückweg an. Und auf diesem Rückweg fand sie etwas auf einer Leine, was sie unbedingt mitnehmen musste. Ein Kleidungsstück. Eines, dass noch für einige Lacher sorgen würde. Im Hause der Heiler schlug sie es eilig in Papier ein.
Schließlich sollte es eine Überraschung werden.
Sarray berichtete den beiden von ihrem Besuch.
Und davon, dass Jakob verschwunden war. Natürlich wollte Jarel aufstehen - sturer Bock - doch Sarray schiss ihn so sehr zusammen, das er sich die nächste Stunde nicht rührte. Und liegen bleib.