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von/nach:
Slavas Wohung --> Der Orden der Flammenrose - die Komturei in Nowigrad
Datum: 10. August 1278, abends
betrifft: Jarel
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Unschlüssig stand Jarel vor der Tür aus dem dunklen, schweren Holz und zögerte.
Alle Termine abgesagt. Und er war der einzige, den sein Sekretär zu ihm schicken sollte.
Der Verletzung wegen? Ob Wenze sich überhaupt versorgen lassen hatte?
Wie auch immer. Sie mussten reden. Worte.
Worte waren nicht Jarels bevorzugte Waffe. Er war noch nie gut im Reden gewesen.
Er war ein Mann der Tat. Und er hätte sich lieber einer Übermacht an Gegnern gestellt als diesem Gespräch.
Mit einem Seufzen klopfte er an.
Von drinnen schien kein Laut zu kommen. Allein für sehr feine Ohren war vielleicht das Knacken des Kamins - im Sommer? - und das leise Ächzen eines bestimmten Möbelstücks zu hören, dessen viel benutzte Ecke einen kleinen Schaden hatte.
Jarels Unsicherheit stieg. Schlief er? Oder hatte ihn die Verletzung ausgehebelt? Ging es ihm gut?
Er klopfte noch einmal an, dieses Mal mit etwas mehr Nachdruck.
"Wenzel?"
Ein rhythmisches Ticken kam dazu, dann erwiderte eben jener mit veränderter Stimme:
"Sieh an - der verlorene Sohn. Was stehst du da draußen rum?"
'Der verlorene Sohn.'
'Sohn.'
War das nur ein Spruch und...war sein Großkomtur betrunken?!
Jarel trat ein, schloss die Tür wieder und wandte sich Wenzel zu. "Du wurdest verletzt...", versuchte er ein Gespräch zu starten.
Wenzel hatte sich auf einer Chaiselongue ausgestreckt, ein Kissen unter dem Rücken und eines unter dem verwundeten Arm, sodass kaum Druck auf der frischen Wunde lastete. Nachdem das Adrenalin abgeklungen war, blieb nagender Schmerz, doch nicht nur körperlich. Auf dem Beistelltisch stand eine halb geleerte Flasche Rotwein aus Toussaint, eine zweite lag leer auf dem Boden. In der unversehrten Hand hielt Wenzel einen getriebenen Kelch und schwenkte dessen Inhalt, beobachtete das Kreisen der Flüssigkeit.
"In vielerlei Hinsicht.", brummte er dumpf. Ja, er hatte getrunken und zwar für seine Verhältnisse eindeutig viel zu viel.
Jarel atmete tief durch, trat neben seinen liegenden Schwertherrn und….
…ging auf ein Knie, senkte das Haupt. Wenzel wusste, wie schwer es seinem Klingenmeister das fiel. Der Schattenläufer war stolz. Und unglaublich stur.
Doch es war genau das, was Jarel empfand. Schuld und Scham. Vor allem weil es nötig gewesen war ihn vor die Wand laufen zu lassen um genau das zuzugeben.
„Es tut mir leid. Ich habe dich hintergangen. Belogen. Betrogen. Und ob nun aus Liebe oder einem anderen Grunde spielt keine Rolle. Es war Betrug.“
Worte. Verdammt. Wenn er doch nur so gut damit wäre wie Slava.
War er nicht. Denn in genau diesem Moment kam ihm alles, was er hatte sagen wollen falsch vor. Die Liebe als Grund anzuführen, seinen Herrn schützen zu wollen…
Es war falsch, egal wie er es drehte.
Wenzel betrachtete Jarel über den Rand seines Kelchs hinweg. Lange. Er wusste wie schwer es dem stolzen Mann fallen musste und trotzdem quälte er ihn mit diesem Schweigen. Diesem bohrenden Blick, der den dunklen Scheitel teilen wollte. Unter Alkohol war er noch nie sonderlich rational gewesen.
"Ja, ja und ja.", erwiderte er schließlich und nahm einen weiteren Schluck, ohne Jarel aus der erniedrigenden Haltung zu entlassen. Vielleicht musste er ein wenig für die mangelnde Demut des Freiherrn leiden. Wenzel war normalerweise kein rachsüchtiger Mensch, aber Alkohol ließ ihn zuweilen unfair werden. Das hatte auch Jarel schon erfahren dürfen, wenn auch nur ein- höchstens zweimal auf ihrem gemeinsamen Weg.
"Ich dachte am Anfang, du in..tri..gierst mit den Leuten des Regenten. Arbeitest für sie. Dieser Sokolov taucht hier plötzlich auf, mit einem Selbst...verständ...nis und dieser gottlosen Arroganz. Deine Pri...vatvergnü...gungen... Ich weiß noch nicht mal, was ich schlimmer und besser fände." Man hörte kaum eine schwere Zunge, nur war die Stimme des Komturs dunkler und er überlegte innerhalb mancher Worte. Würde er allerdings aufstehen...
"Wahnsinn und Dummheit.", murmelte er zusammenhanglos vor sich hin.
Jarel schwieg, blieb Knien, hob nicht einmal den Blick.
Nach einigen äußerst unangenehmen Minuten des Schweigens versuchte er dann doch auszudrücken, was ihm so schwer auf der Seele gelegen hatte.
"Ich wollte dich niemals hintergehen. Die Liebe hat mich getroffen wie eine Balliste und mich an einer Situation festgenagelt..."
Er seufzte zerknirscht.
"Ich bereue meinen Betrug an dir. Meine Liebe bereue ich nicht. Ich weiß, du musst handeln. Deiner Pflicht folgen. Wie... lautet dein Urteil?"
Jarel klang ruhig, regelrecht abgeklärt. Entweder er rechnete mit einem milden Urteil... oder... oder was...?
"Wenn ich das wüsste...", knurrte Wenzel unwillig und gestikulierte dann mit dem Weinkelch in Jarels Richtung, dass einige rot funkelnde Tropfen über den Rand sprangen.
"Steh schon auf und setz dich." Entlassen war er jedenfalls noch lange nicht. Wenzel ließ den Kopf in den Nacken fallen und starrte an die mit dunklem Holz vertäfelte Decke. Er war das erste Mal seit langer Zeit wirklich ratlos.
"Hemmelfart zweifelt meine Int..e...gri...tät an. Lothar kann sich nicht mehr hinter mich stellen, ohne sich selbst zu gefährden. Und mein Klingen...meister kon...spi...riert mit den Leuten des Regenten.", sinnierte er schwermütig.
Erst einmal sah Jarel auf.
"Wurde die Wunde versorgt?", fragte er kleinlaut, erhob sich, nahm wie angewiesen Platz in der verkrampfen Haltung eines Schuljungen.
Die halbe Flasche Wein sah wirklich verführerisch aus.
Wenzel brummte irgendetwas Unverständliches, aber es klang nach 'Ja' und 'Leibarzt'.
Dem Klingenmeister hatte so viele Fragen, doch es war nicht an ihm nun zu reden.
Oder abzulenken. Er schwieg und wartete ab.
Das Schweigen füllte unangenehm und dick den Raum zwischen ihnen, während der eine wartete und der andere die Decke betrachtete, als stünden dort die Antworten auf all seine Probleme geschrieben.
"Dein Freiherr wird Levin und Arnulf seine ...Kugel...arm...brust erklären, sie ihnen auseinander nehmen. Athanas wird alles zeichnen. Wir werden lernen, damit um...zu...gehen." Sein Kopf kippte wieder nach vorn und er nahm einen weiteren Schluck, drehte endlich den Blick und betrachtete Jarel mit geröteten Augen.
"Ich hab dich verkauft und er hat zugestimmt - wie gefällt dir das? Verraten und Verkauft, heißt es nicht so?"
"So heißt es.", bestätigte Jarel. Nicht frech, nein immer noch reumütig aber es klang auch nicht so, als wäre er überrascht oder enttäuscht. Wenn das der Preis war...dann es er gering.
Athanas. Interessanter Name für ein interessantes Wesen.
"Sicher, das es Levin sein soll?", fragte Jarel in einem seltsamen Ton, zog besorgt die Brauen zusammen.
"Du weißt, in welchem Zusammenhang sein Siegel aufgetaucht ist."
Plötzlich und ohne Vorwarnung schleuderte Wenzel den Kelch mit dem Rest Wein erstaunlich zielsicher in den Kamin, wo der Alkohol zischend aufflammte und verging. Schwungvoll setzte er sich auf, die nackten Füße auf den Teppich abstellend - den Schmerz in der Schulter betäubte der Rausch zur Genüge, dennoch wies der Zeigefinger der Linken auf Jarel, während die rechte wie leblos in Wenzels Schoß lag.
"Wem soll ich denn trauen, hm?! Dir? Levin? Robert? Wem frage ich dich, bei den eisigen Höllen! Vielleicht dem gottverdammten Gärtner!" Laut wurde er ebenfalls schnell, wenn er betrunken war. Laut und fatalistisch. Er wankte bereits im Sitzen - aufstehen wäre keine gute Idee.
Jarel bleib beinahe reglos sitzen. Beinahe. Etwas zog er doch den Kopf ein und noch etwas mehr spannte er sich, sollte sein Schwertherr aufstehen...
Er atmete gepresst durch.
Wem vertrauen...?
Kluge Sprüche wie 'Folge deinem Herzen.' oder 'Deinem Verstand.' war sicher nicht dass, was Wenzel nun hören wollte.
Er war so in Rage...so aufgebracht hatte er ihn das letzte Mal bei Brenna gesehen.
Jarel schluckte, presste kurz die Augen zusammen. So schlimm also. Der Schattenläufer verstand das Gefühl, verstand Wenzels Wut.
Unbewusst huschte sein Blick noch einmal über die Weinflasche, doch bekam er keinen Ton mehr heraus.
Schweigen antwortete ihm. Schweigen.
Wie nah der Klingenmeister dem Gedanken war, das nicht er selbst oder die anderen Räte das eigentliche Problem oder besser der Auslöser dieser Eskapade war, ahnte er wohl nicht einmal. Und Wenzel wollte es nicht wahrhaben. Nicht akzeptieren, dass Sokolovs Worte ihn aufgewühlt hatten, mehr als alles, was davor gewesen sein mochte.
Wenzel stützte sich auf die Knie und fuhr mit der Linken über den kahlen Schädel. Schüttelte den Kopf leicht und machte dann tatsächlich Anstalten sich zu Erheben, um einen neuen Kelch zu holen. Mit dem Erfolg, das der verdammte Boden schlagartig eine starke Seitenneigung bekam. Wenzel konnte ewig recht gut reden, aber seine Beine hielten keine zwei Gläser Wein aus.
"Verfluchtes altes Haus. Nix grade hier.", maulte er.
Damit hatte Jarel gerechnet. Und er war schnell genug, Wenzel aufzufangen und sachte wieder auf die Liege zu drücken. Hoffentlich verstand Wenzel die Körperlichkeit nicht falsch.
"Soll ich Bertrand holen?", fragte Jarel ehrlich besorgt.
Wenzel grunzte ungehalten.
"Einen neuen Kelch holst du mir, sonst nichts.", ätzte er.
Alkohol erweiterte die Blutgefäße. Das würde die Wundheilung erschweren oder sogar ein erneutes aufreißen verursachen.
Trotzdem war es nicht an ihm, Wenzel jetzt eine Gardienenpredigt zu halten.
"Aye.", erwiderte er gehorsam. er kannte sich hier aus. Einen Moment ließ er seine Hände noch auf Wenzels Schultern um zu verhindern, dass er sogar noch im Sitzen umkippte.
Brachte Wenzel ihn mit Absicht in Versuchung? Nein...er war betrunken und....oder.
Der Schattenläufer schluckte, nahm einen neuen Kelch aus dem Schrank und schenkte tatsächlich Wein ein. Ohne den Blick zu heben, ohne Wenzel anzusehen, jedoch mit so arg zitternden Händen, dass er es so gerade fertig brachte, nichts zu verschütten.
Er reichte ihm den Kelch, sah noch immer nicht auf, sagte nichts. Nur seine Kiefermuskeln arbeiteten unter der blassen Haut deutlich.
Wenzel hatte sich wieder ausgestreckt, so klug war er dann doch. Er ließ sich den Kelch geben und bemerkte das Zittern von Jarels Hand kaum. Er hatte genug mit sich selbst zu tun - vor allem damit, dass die Welt aufhörte um ihn zu rotieren. Verfluchter Alkohol - wieso tat er das eigentlich?
Achja...
"Liebe.", murmelte er leise, müde. Noch so ein Nebeneffekt des Alkohols war bei ihm, dass er irgendwann an einen Punkt kam, an dem er anfing die Wahrheit zu sagen. Alle Wahrheiten, die ihm so in den Sinn kamen und das relativ ungefiltert und unsortiert.
"Ich wollte dich als meinen Nachfolger, Jarel - ich liebe dich wie einen Bruder, das weißt du. Ich kann dich nicht verurteilen. Dazu hab ich nicht die Kraft. Ich brauche dich für diesen ganzen Haufen Dreck, der zu unseren Füßen liegt und ich bin unfähig den allein zu beseitigen. Zu alt." Unfair konnte er auch zu sich selbst sein, dazu brauchte er nicht mal ein anderes Opfer.
"Zu treulos. Ein Zweifler." Er leerte den Kelch in einem Zug.
"Ich wollte dem Orden nie vorstehen.", erkläre Jarel ebenso ehrlich.
"Einzig dir zur Seite. Und das will ich immer noch."
Der Schattenläufernahm wieder Platz, stütze sich mit den Ellenbögen auf den Knien ab, ließ den Kopf hängen, atmete konzentriert ein und aus.
"Ich kenne niemanden, der der Flamme treuer dient als du."
"Ich wäre geflohen. Hätte alles hinter mir gelassen. ich war bereit dazu - und dann kam der goldene Teich." Wenzel sprach wie jemand, der kurz davor war, einzuschlafen.
"Selbst wenn du mit Katharina nicht verloren hättest, ich bin fest davon überzeugt, du hättest einen Weg gefunden dem Feuer zu dienen. Vielleicht nicht den, den du jetzt gewählt hast, aber es wäre dir gelungen."
Jarel erhob sich, ging noch einmal zum Schrank und holte einen weiteren Kelch heraus, ging zurück zum Tisch, zögerte. Wenzel hatte seine Liebe verloren. So wie Wenzel damals wäre es auch ihm ergangen, hätte er Slava verloren. Das Bild seines Liebsten, weiß wie der Tod höchst selbst und ebenso reglos brachte ihn dazu, die richtige Entscheidung zu treffen.
Es war furchtbar gewesen, Wenzel so leiden zu sehen.
Und jetzt...ebenso.
Trotzdem war das kein Grund, Slava das anzutun.
Statt sich einzuschenken, ließ er den Kelch auf dem Tisch stehen.
Wenzel drehte den Kopf. Er sah müde aus ... und alt.
"Hast du es die ganze Zeit gewusst? Oder hat dir das der feine Herr von Sokolov unter die Nase gerieben?"
Nun sah Jarel etwas verdutzt aus.
"Slava weiß es?" Das war nicht gespielt. Nicht gelogen. Und es brachte Jarel eher dazu nachzudenken als die Bemerkung, sein liebster habe ihn verschachert wie ein Stück Vieh.
Wenzel verzog das Gesicht zu einer unheilverkündenden Grimasse.
"Slava... So nennst du ihn? Er hat mich damit unter Druck setzen wollen, es gleichgesetzt mit diesem Unfug - dieser Schwärmerei, die du Liebe nennst und er auch. Beim Licht, er hat mich so wütend gemacht. Katharina war eine Frau!", schlug er gnadenlos zu, füllte sich den Becher erneut und löste damit das Problem Jarels, denn es war der Rest aus dieser Flasche. In jenem Zustand konnte er sehr verletzend sein und bereute es dann in der Regel am Tag danach bitter. Wie ein zorniger Dämon grollte er vor sich hin:
"Das ist wider aller Vernunft, wider der natürlichen Ordnung. Wahnsinn und Dummheit." Jarel wusste, dass Wenzel nicht zu den wirklichen Fanatikern zählte, aber er folgte gewissen Prinzipien.
"Ein Urteil willst du... zur Seite stehen willst du mir... Lothar - Lothar führt den Orden, aber wohin? Das Feuer, Jarel... das Feuer...", Wenzels Kopf kippte nach hinten, die Hand mit dem halb vollen Kelch rutschte von seinem Bauch und der Chaiselongue und leerte den Wein auf den Boden.