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Re: Die Hauptwache in Oxenfurt

Verfasst: Mittwoch 7. Dezember 2022, 21:32
von Emyja
Seltsam, dass er sich trotz allem weiter rechtfertigen wollte und das obwohl sie ihm bereits die Tür am Thema vorbei geöffnet hatte. So kalt, wie er sich gab, ließ ihn die Sache also doch nicht. Er wollte um jeden Preis seinen Punkt platzieren und sie ließ ihn, bemühte sich, die Ungeduld und die Wut darüber, dass er ihr die Schuld zuwies, nicht die Oberhand gewinnen zu lassen. Er hatte ihre Situation damals ebenso wenig verstanden, wie sie die Seine. Es hätte auch mit noch so vielen Gesprächen unweigerlich zum gleichen Ende geführt, daher wollte sie die Sache einfach ruhen lassen, doch er schien das bereits so lange mit sich herum zu tragen, dass es jetzt hervor quoll, wie Eiter aus einem eröffneten Abszess. Emyja atmete durch, wich dem Blick der Eisaugen nicht ein einzige Mal mehr aus, obwohl Bilder sie bestürmten...
...das kleine Teehaus bei dem neckischen Brunnen...
...ein Kuss im Regen...
...das Medaillon mit den Bildnis eines kleinen Jungen...
...ein winziges Dachfenster, durch das der Mond herein schien...
Emyja blinzelte einmal. Vergangenheit.
"Dieser Dämon war meine Rettung.", sagte sie erstaunlich sanft. Er wollte Erklärungen geben, dann musste er auch welche hinnehmen. "Das was der Unfall mit dem Siegel in mir geöffnet hat, war unkontrollierbar. Ein emotionales Pendel, ein empathischer Magnet - und zusammen mir dir eine endlose Spirale aus Geben und Nehmen. Wie du sehr richtig gesagt hast - uns verband Magie, Schwingungen und Resonanzen, denen ich nichts entgegen setzen konnte. Menschen überspülten mich mit ihrer Freude oder ihrem Leid, aber du Vajdan, du nahmst meine Freude, meine Liebe, meine Leidenschaft und warfst sie verstärkt zurück, nur um sie in gleicher Stärke wieder zu empfangen und so weiter. Ich war hilflos. Nikolavo hat mir beigebracht, mich davon zu lösen. Von allen fühlenden Wesen - und von dir. Ich musste einfach für eine Weile gehen." Auch ihre Stimme war zu einem Flüstern verkommen. Die Erinnerungen sollten sie schmerzen, sollten etwas bewirken und das müsste sich irgendwo niederschlagen, doch Emyja spürte dem vergeblich nach. Es war vorbei. Die Wunde wie so viele andere ausgebrannt und dick vernarbt. Sie war eine andere geworden und vielleicht war sogar die Schule, durch die Nikolavo sie hatte gehen lassen, der Ausgangspunkt dafür gewesen.
Ein kleiner Teil von ihr hätte sich trotz allem nun gern in Vajdáns Arme geflüchtet, die Augen geschlossen und sich vom Gestern einholen lassen. Doch dieser Teil war schwach und an die Kette gelegt, außerdem lud das helle Augenpaar nicht gerade zu Vertraulichkeit ein. Statt dessen warf sie innerlich noch einmal einen Blick auf die Suche nach etwas im Hauptmann, dass man greifen, festigen, formen oder gar manipulieren konnte.
Und endlich, fühlte sie etwas, spürte einen Widerstand. Sie war am Grund der scheinbar bodenlosen Schlucht angekommen und es war, als würde sie einen Arm in die eiskalten Wasser eines unbewegten Sees tauchen, tief, bis zur Schulter hinab. Doch das Wasser war zäh wie Gallerte, wehrte sich gegen das Eindringen ihrer tastenden Finger und musste doch weichen. Und dort unten in Kälte und Dunkelheit glaubte sie etwas zu berühren, etwas Vertrautes, etwas das leben wollte. Tastend glitten ihre geistigen Finger darüber, zündeten winzige Funken, Keime für etwas, was wachsen musste, doch nun den Impuls dafür bekommen hatte. Und als würde diese Berührung zurück strahlen, die Impulse auch etwas zu Emyja spiegeln, sah sie plötzlich Vajdan klar vor sich, doch nicht hier in diesem Raum, sondern in einem Wald unter einem verfallenen Torbogen und in Begleitung eines großen, weißen Hundes. Sie kannte diesen Torbogen, er bildete eine der Grenzen Est Taiyars.
Die Vision ging mit einem kurzen Aufleuchten der grünen Augen einher.
Und mit einem Lächeln.
"Nein.", war alles, was sie vorerst zu Vajdáns Fragen sagte, kaum das der Moment vergangen war. Doch die Hexe wirkte weder verärgert noch enttäuscht, als sie sich vom Tisch abstieß und auf Vajdán herab sah. Sie wusste nun, dass sie bekommen würde, was sie wollte und sie war bereit, sich in Geduld zu üben, wenn das Schicksal sich schon auf ihre Seite stellte. Sie lächelte etwas wehmütig, dann wandte sie sich vollends ab, auch wenn ihre mentalen Finger noch einmal zärtlich über das Pflänzchen strichen, das sie im kalten See gefunden hatte. Dann ließen auch diese von Vajdán ab.
Emyja griff Mantel und Handschuhe. "Wer mich sucht, kann mich finden. Auf bald, Vajdán."
Doch an der Tür blieb sie noch einmal stehen und sah zurück zu ihm. "Reizender Hund." Sie schmunzelte, dann öffnete sie die Tür und ließ ihn, wenig klüger als zuvor, einfach sitzen.

Re: Die Hauptwache in Oxenfurt

Verfasst: Donnerstag 15. Juni 2023, 13:17
von Vajdan Jaromer
Noch eine Weile blickte er ihr nach.
Er hätte es melden müssen, jetzt sofort.
Das wäre das einzige richtige gewesen, statt dessen...
Tat er nichts. Er sah ihr nur nach.
Schweigend, ein lebendes Standbild, wie erstarrt. Nur der ruhige Atem verriet, dass der schöne Mann hinter dem Schreibtisch kein Standbild war.
Er wäre nicht richtig gewesen nach allem was geschehen war, das sagte ihm das Ding, das man Herz nannte und dessen Existenz in seiner Brust wohl jeder der ihn kannte kategorisch geleugnet hätte.
In dieser fremden Welt was diese Frau so ziemlich das einzige vertraute, nein, er würde sie nicht verraten.
Der Entschluss war schnell gefällt.
Hätte man ihn gefragt ob er noch Gefühle für sie hegte - er hätte es wohl nicht verstanden.
Hätte man ihn gefragt ober er sich insgeheim wünschte, dass sie wieder zusammen sein könnten - er hätte auch das nicht verstanden.
Er hätte entgegnet, dass seine Haltung dazu keine Rolle spielte und dass sie sich entschieden hatte ihn zu verlassen. Er habe das zu akzeptieren.
Aber tatsächlich hätte ihn auch die Antwort ein wenig ins Schwimmen gebracht. Die Antwort glich der Grasdecke auf einem Moor, sie war dicht und trug auch die Schritte eines Menschen, aber man wusste, dass darunter das Moor lag und mit jedem Schritt konnte man es spüren wie die Grasdecke schwankte, doch sie riss nicht. Das darüber und das darunter blieben sauber getrennt.
Doch auch das war ihm selbst letztendlich nicht bewusst.
Mehr an Gefühl und Sentimentalität war ihm allerdings nicht möglich.

Das war vor vier Tagen gewesen.
Heute lag eine Vorladung aus Nowigrad vor. Zumindest klang es ganz danach, auch wenn dort keiner Weisungsbefugnis gegen ihn hatte... soweit er wusste unterstand er dem Stadtrat in letzter Konsequenz Wyzima und nicht der selbsternannten Übergangsregierung in Nowigrad, das bisher nicht einmal zu Redanien gehört hatte geschweige denn die Hauptstadt eines der letzten freien Länder gewesen war.
Ob er diesen Umstand billigte oder nicht spielte keine Rolle. Allein Recht und Ordnung waren seine Sorge.
Aber die Zeiten änderten sich. Nowigrad war unter dem Regenten zu so etwas wie der neuen Hauptstadt geworden seit Wyzima von Nilfgard besetzt gewesen war. Obwohl der Feind die Stadt wieder geräumt hatte blieb der Makel haften. Sie blieb entthront, nicht zuletzt weil es dort auch keinen Monarchen mehr gab und keine Erben. Aus dem Macht Vakuum heraus war dieser Sigismund Dijkstra auf den Plan getreten und mit ihm eine ganze Reihe an bis dato unbekannten Namen.
Die Vorladung selbst klang daher für ihn weitgehend alternativlos.
Zudem hatte sie ihn neugierig gemacht, denn ein gewisser Freiherr von Sokolov wollte ihn sehen, ihn persönlich, nicht den Hauptmann der Stadtwache - das hätte es ihm ermöglicht, einen Vertreter zu schicken, sondern ihn, Vajdán Jaroměr - korrekt geschrieben. Nur wenige buchstabierten seinen Namen vollkommen korrekt. Und soweit er wusste lebten nur zwei davon in dieser Welt, sogar dort wo er hergekommen war war er regelmäßig falsch ausgesprochen worden.
Vor allem das war es auch, was ihn während des Rittes und der Vorbereitung am meisten beschäftigt hatte.
Und noch ein paar weitere Dinge. Das Schriftstück war von Hand verfasst, aber dermaßen krakelig, dass er den Schreiber persönlich gefeuert hätte. Hatte der Freiherr also etwa selbst geschrieben? Das widersprach allem, was ihm über den hiesigen Adel bekannt war.
Auch der Name sagte ihm allerdings nichts. Er hatte nur gehört, was alle wussten. Dieser Sokolov war im letzten Jahr in Nowigrad aufgestiegen, zuvor hatte nie jemand etwas von der Familie gehört, und ein Jahr später beriet er den Regenten. Alles in allen zwar nichts ungewöhnliches in diesen Zeit, und wer war er, hier zu urteilen? Er selbst hatte das Recht gebeugt um an diese Stelle zu gelangen. Er vermutete also eher einen Zögling des Regenten, vielleicht einen illegitimen Nachkommen, einen Vetter oder etwas in der Art.
Dennoch jemand, der ihn neugierig gemacht hatte.
Und das hatte ihn letztlich dazu bewogen, diese Reise auch anzutreten.

<geht dann in Nowigrad weiter>